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Werkzeug Gottes

| 28. September 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 116, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Der neue Bischof von Graz-Seckau Wilhelm Krautwaschl über die notwendige Zeit für Reformen und erfolgslose Selbstliebe.

Das Gespräch führten Barbara Jernej und Peter K. Wagner.
Foto von Marija Kanizaj

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

In einem großen Raum, der ein Wohnzimmer sein könnte und so etwas wie der Vorbote des Büros ist, empfängt uns der neue Bischof der Diözese Graz-Seckau. Freundlich und offen von der ersten Sekunde. Dieser Mann, der den Posten von Egon Kapellari übernommen hat, ist anders als sein Vorgänger. Er ist moderner und trotz seiner Berufung: weltlicher.

»Werden Sie eigentlich oft von Menschen erkannt und angesprochen?«, fragen wir. »Ja, sehr oft. Nur dieses eine Mal vor Kurzem nicht. Da war ich im Kino. Bei Mission: Impossible.« Er bemerkt, dass wir etwas erstaunt sind. Und lacht freundlich: »Ja, auch der Bischof geht ins Kino.«

Nein, das war kein Witz. Ebenso wenig wie diese Frage einen einleiten soll: Was passiert, wenn sich eine Agnostikerin, ein Atheist und ein Bischof zum Interview treffen? Ein inspirierender Trialog. Über? Gott und die Welt. Und zwar nicht nur sprichwörtlich, sondern tatsächlich.

Herr Bischof, Sie leben aus Prinzip nicht alleine. Haben Sie denn schon Mitbewohner gefunden?
Ja. Ein junges Ehepaar, das am 1. August geheiratet hat und momentan im selben Chaos lebt wie ich.

Dieses Wohnkonzept scheint für einen Bischof außergewöhnlich.
Ist es aber nicht. Es gibt weltweit etwa 5.000 Bischöfe, die in unterschiedlichsten Lebenswirklichkeiten leben. Um nur ein Beispiel zu nennen: Mein Kollege Stefan Oster in Passau hat ein eigenes Haus, das für die Nutzung als Wohngemeinschaft umgebaut wurde. Und auch hier im Bischofshaus haben immer Menschen gewohnt.

Warum ist Ihnen so wichtig, nicht alleine zu leben?
Weil es auf der ersten Seite der Bibel steht (lacht). Nein, mein Dienst an den Menschen ist ein Beziehungsdienst und deshalb will ich auch privat mit Menschen zu tun haben. Das ist nicht für alle verständlich, weil es in der katholischen Spiritualitätstradition durchaus unterschiedliche Wege gibt, mit der Idee umzugehen. Manche meinen, Gott allein genügt, und deshalb ziehen sie sich zurück. Das hat auch seine Berechtigung. Aber ich wähle einen anderen Weg.

Sie wirken sehr gesellig. Liegt das an Ihrem Glauben oder an Ihrer Persönlichkeit?
Sowohl als auch, würde ich sagen. Das hängt sicher auch mit meiner Lebensgeschichte zusammen. Da hat es nie massive Brüche gegeben. Trotz der Erfahrungen, die ich gemacht habe. Mein Vater war Bestatter und meine Schwester hatte Leukämie. Ob es als Kind schon bewusst der Glaube war, der mir immer eine Perspektive gegeben hat, kann ich nicht mehr sagen. Aber es wird wohl so gewesen sein.

Haben Sie Gott und Ihren Weg mit ihm niemals in Frage gestellt?
Ich wuchs in einer katholischen Familie in der Oststeiermark auf. In diesem Umfeld ist die Frage: »Wer bist du, Gott?«, nie bewusst aufgetaucht. Das Leben in der kirchlichen Gemeinschaft hat einfach Spaß gemacht und es hat irgendetwas mit Gott zu tun gehabt. Erst im Priesterseminar ist die Frage dann konkret geworden.

In welcher Form?
Für die Kirche und für Gott etwas zu tun, hat sich für mich ganz normal angefühlt. Ich habe keine Ekstase dabei erlebt. Deshalb habe ich mir unter anderem die Frage gestellt: »Ist da wirklich etwas dahinter?« Diese Frage habe ich im Rahmen von Exerzitien unter Spiritual Anton Witwer dann direkt angesprochen. Als Gegenfrage bekam ich damals zu hören: »Tust du es gerne?« Und ich habe bejaht. Daraufhin meinte der Spiritual: »Na, dann wird schon was dahinter sein.« Das war zwar keine Antwort auf meine Frage, aber es hat mir damals irrsinnig geholfen.

Foto: Marija Kanizaj

Und wie fühlt es sich jetzt an, Bischof zu sein?
Es ist eine Herausforderung, aber es geht dabei nicht um mich und um meine Fähigkeiten. Das Wohl und Weh der Kirche in der Steiermark hängt nicht von mir alleine ab. Ich bin Gottes Werk und sein Werkzeug. Ich mache, was ich kann, mit allem, was mir zur Verfügung steht, aber ich bewege mich dabei nicht jenseits von Gut und Böse. Ich bin nach wie vor Wilhelm Krautwaschl. Das wird mir hin und wieder zum Vorwurf gemacht. Am Ende bin und bleibe ich aber ein Mensch.

Was sind Ihre Ziele als Bischof?
Ich möchte die Menschen zum Glauben motivieren. Obwohl ich weiß, dass jeder Mensch sich nur selbst motivieren kann. Wenn sie nun aber bei mir merken, dass ich motiviert bin, dann springt vielleicht der Funke über. Angesichts der Entwicklungen in der Kirche hinterfragen viele, die in ihr tätig sind, ob sie tatsächlich auf das richtige Pferd setzten. Mir geht es darum, Leuten zu vermitteln, dass Gott die Menschen liebt und dass Gott Liebe ist. Es geht nicht allein um die Struktur, in der man Kirche erfährt. Die ist manchmal wirklich lähmend. Sondern es geht um die Wirklichkeit Gottes. Die Kirche sagt: Wir haben einen Weg für dich, der dich sicher ans Ziel führt. Wir dürfen uns allerdings nicht anmaßen, zu behaupten, dass es nur den einen Weg gibt.

Vielen reicht die Freude am Evangelium nicht aus, sie wollen Reformen sehen.
Man kann keinen Riesentanker in innerhalb von zwei Sekunden umdrehen. Der braucht zum Stehenbleiben schon ein paar Meilen und erst recht zum Wenden. Aber allein, dass es Freude macht, darauf zu sitzen, bewirkt schon einen anderen Umgang mit den Vorgaben der Kirche. Eine gewisse Art von Leichtigkeit.

Aber genau diese fehlende Leichtigkeit wird der Kirche von ihren Gegnern doch vorgeworfen?
Nur weil man nicht gleich auf jede Mode aufspringt, ist man nicht rückschrittlich. Es ändert sich laufend etwas. Auch in der Kirche. Aber tiefgreifende Veränderungen brauchen Zeit. Dazu kommt, dass idente Normen und Werte immer unterschiedlich ausgelegt wurden. Oder um es mit Christian Hennecke zu sagen: »Die Verkehrszeichen sind weltweit die gleichen, aber fahren sie nach Deutschland und nach Italien.« Ich stelle mir nicht die Frage, welche Reformen es braucht, um die anderen von meiner Meinung zu überzeugen. Entscheidend ist für mich die Frage: Was heißt es, Kirche zu leben?

Und was heißt es in Ihren Augen? Wenn zum Leben auch das Leiden dazugehört: Wie kann Kirche den Menschen in schweren Zeiten helfen?
Sie kann zeigen, dass trotz allem, was passiert, Hoffnung da ist. Wenn das gelingt, sind das für mich die eigentlichen Wunder, die passieren. Ich weiß nicht, woher das folgende Zitat stammt, aber ich sage es trotzdem: »Seinerzeit hatte man 45 Jahre Lebenserwartung und danach den Himmel. Heutzutage wird man 90 Jahre alt, aber die Menschen haben danach nichts mehr und deswegen versuchen sie alles davor hineinzustopfen.« Das ist ein sprechendes Bild, in dem sich die Hoffnung und die Leichtigkeit, die der Glaube spenden kann, ausdrückt.

Aber warum erkennen das immer weniger Menschen?
Seit es das Christentum in unserer Gegend gibt, können wir uns das erste Mal frei entscheiden, Christ zu sein oder nicht. Das Christentum ist kulturell mitgewachsen. Es war die längste Zeit Staatsreligion. Ab der Aufklärung musste das Ich dann zeigen, wer es ist. Als dritten Punkt hat sich seit dem Aufkommen der Massenmedien die Wahrnehmung der Welt stark verändert. Wir sind gefangen in der Komplexität einer einzigen Welt. Da ist es für mich durchaus verständlich, dass jeder für sich alleine einen Punkt definiert haben möchte, mit dem er umgehen kann. Das ist in den meisten Fällen eben das eigene Ich. Die Herausforderung ist nun, dass wir als Christen das Gegenteil sagen. Dass du nicht nur aus dir selber bist, sondern dass du bist, weil es jemanden anderen gibt. Das Leben wird mir von anderen geschenkt, deshalb lebe ich mein Leben erst, wenn ich es für andere einsetzte.

Wenn man dieses Thema nun größer denkt, denkt man aktuell vor allem an die Flüchtlingsthematik. Welchen Beitrag kann und will die Kirche zu dieser Debatte liefern?
Wir müssen die Komplexität unserer Welt in das Gespräch miteinbringen. Das geht nur, wenn wir erkennen, dass Angst etwas ganz Normales ist, das uns begegnet, wenn wir mit neuen Situationen konfrontiert werden. Angst heile ich nicht, indem ich Argumente liefere. Argumente sind eine Verstandessache und Angst hat mit Emotionen zu tun. Die Angst heile ich, indem ich einen Schritt wage. Mit dem Risiko, dass es vielleicht der verkehrte ist, aber mit dem Glauben daran, dass man etwas daraus lernt.

Und welchen konkreten Beitrag liefert Ihre Diözese?
Wir als Kirche engagieren uns, so gut es geht. Ob es nun um die Bereitstellung von Wohnungen oder Akuthilfe der Caritas geht. Derzeit sind 700 Flüchtlinge dauerhaft in kirchlichen Gebäuden untergebracht. Aber es ist auch klar, dass wir immer zu wenig tun werden. Ich möchte nicht auf die anderen zeigen, wie es viele tun, die sagen, ihr habt etwas zu machen. Wir tun unaufgeregt unseren Dienst.

Sie haben vorhin das Thema Angst angesprochen. Viele Menschen in Österreich haben Angst vor der Islamisierung. Was sagen Sie diesen Menschen?
Ich muss erst auf die Menschen, die diesen Glauben leben, zugehen und erkennen, worum es ihnen geht, bevor ich anfange zu diskutieren. Das heißt nicht, dass ich die Sorgen rund um die Islamisierung nicht nachvollziehen kann. Aber da ist einer, den wir Gott nennen, Mensch geworden. Er hat sich eingelassen auf uns, bis er am Kreuz gestorben ist. Wenn Gott so etwas möglich macht, wer bin ich da, dass ich zum anderen nicht einmal mehr »Hallo« sage? In vielen Religionen findet sich das Prinzip, dass man alles, was man von anderen erwartet, auch ihnen tun soll. Wenn ich mit einer Selbstverständlichkeit von anderen verlange, dass sie mich ernstnehmen, dann ist die Konsequenz daraus, dass ich es umgekehrt auch so machen muss. Ich hoffe, dass ich das für meinen Bereich richtig mache. Durch die Art und Weise, wie ich lebe, und durch das, was ich sage. Aber das erzeugt natürlich auch Widerstand.

Aus den eigenen Reihen?
Querdurch. Wobei das Interessante am Widerstand ist, dass es dabei im Endeffekt um einen Dialog geht. Es geht darum, etwas zu erkennen, was ich bis dato noch nicht gesehen habe. Ein Andersdenkender oder Kritiker kann mich auf blinde Flecken aufmerksam machen. Es geht also nicht darum, Zäune aufzubauen, sondern dranzubleiben. Auch wenn das schwer ist, weil ich natürlich zutiefst davon überzeugt bin, dass das, was ich mir denke, das Richtige ist.

Wie kann die Kirche den Menschen helfen aufeinander zuzugehen?
Es wird in unserer Gesellschaft immer nur gefragt, was fehlt. Das ist eine Krankheit. Der Blick muss auch einmal in Richtung dessen gelenkt werden, wo etwas Gutes passiert. So sind die vielen Menschen, die jetzt zusammengreifen und die Not der bei uns gestrandeten Flüchtlinge lindern, Leuchtfeuer der Hoffnung für unsere Gesellschaft. Damit schafft man wieder Motivation, die Angst vor dem Neuen zu überwinden. Ein Ziel von mir ist es, Möglichkeiten zu schaffen, dass Menschen sich begegnen können. Ohne Angst. Es geht dabei aber nicht darum, die Probleme auszublenden. Das wird einem auch gerne vorgeworfen, wenn man den Blick auf die positiven Dinge lenkt. Man wird als Gutmensch geschimpft, der alle Menschen umarmen will. Darum geht es dabei aber nicht. Es geht in der Essenz darum, dass man nicht an einem Hilfesuchenden vorübergeht, sondern erkennt, dass jeder der Nächste sein kann, der hilft. Wie im Gleichnis des barmherzigen Samariters.

Der interkulturelle Dialog wird immer wichtiger. Sind Zeichen wie Kreuze an Schulwänden und die Beibehaltung des konfessionellen Religionsunterrichtes nicht hinderlich?
Im Falle der Kreuze ist die entscheidende Frage nicht, ob sie dort hängen. Viel wichtiger wäre zu fragen, was dahintersteckt. Ähnlich wie beim Umgang mit dem konfessionellen Religionsunterricht. Der Religionslehrer ist der Einzige, der klar sagt, aus welchem Geist heraus er kommt. Das schafft Dialogmöglichkeiten. Es kann nicht alles neutral sein und jeder hat von Beginn an eine Meinung. Manchmal höre ich von Eltern: Ich möchte mein Kind so erziehen, dass es dann selbst entscheiden kann. Aber entscheiden kann es erst dann, wenn es über die Optionen Bescheid weiß. Am konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen heißt noch lange nicht, dass man sich dem Gesagten auch hingeben muss. Aber erst, wenn man weiß, um was es geht, kann man sich bewusst dafür oder dagegen entscheiden. Das gleiche gilt auch für die Frage nach den Kreuzen.

Noch ein ganz anderes Thema: In Irland wurde gerade für die Homoehe gestimmt, kam das für Sie überraschend?
Nach der Missbrauchskrise nicht. Das Vertrauen in die Kirche ist geschwunden. Andererseits ist in dem Votum staatlicherseits für die Homoehe plädiert worden. Dass die Kirche aufgrund des Evangeliums dagegen ist, ist klar. Das heißt aber noch lange nicht, dass wir die anderen nicht achten. Liebe gibt es nur dort, wo Leute anders sind. Selbstliebe soll es zwar auch geben, aber ich weiß nicht ob die immer so erfolgreich ist. (lacht) Liebe heißt freigeben. Ich gebe dir den Raum, den es braucht, damit du immer mehr du werden kannst. Und das selbst dann, wenn es hart ist für mich. Auch Jesus hat nicht gesagt: »Seid alle für mich.« Vielmehr hat er das Risiko des Menschseins auf sich genommen und uns damit seine unendliche Liebe gezeigt. »Deus caritas est« – Gott ist Liebe – und die teilt er mit allen, die es zulassen. (überlegt kurz) Amen! Mehr kann ich jetzt wirklich nicht mehr sagen.

Herr Krautwaschl, vielen Dank für das Gespräch!

Wilhelm Krautwaschl wurde am 5. März 1963 geboren und wurde nach seinem Theologiestudium im Sommer 1990 zum Priester geweiht. Nach Stationen als Kaplan in Hartberg und Knittelfeld war er ab 1999 sieben Jahre lange als Pfarrer in Bruck an der Mur tätig. Nach seiner Benennung zum Regens des Bischöflichen Seminars Augustinum in Graz arbeitete er auch und vor allem mit jungen Menschen. Am 14. Juni weihte ihn Franz Lackner, der Erzbischof von Salzburg, zum 58. Diözesanbischof der Diözese Graz-Seckau.

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