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Stimme der Nation

| 23. Oktober 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 117, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Chris Lohner über das Alter, das Altern und über die alten Schmähs.

Das Gespräch führten Verena Schaupp und Peter K. Wagner.
Foto von Marija Kanizaj

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Fünf Uhr nachmittags. Schallendes Gelächter in der Aula der Hauptuni Graz. Statt mit sponsionsfreudigen Studierenden ist der Festsaal vollgefüllt mit Senioren. »Aktiver Lebensabend, 50 Jahre im Dienste älterer Menschen«, so der Titel der Veranstaltung. Auf der Bühne ist ein Rotschopf zu erkennen.

Die Dame ist bekannteste Pagenfrisur sowie bekannteste Stimme Österreichs. Und ORF-Legende. Chris Lohner. Sie liest aus ihrem neuen Buch »Jung war ich lang genug«. Tosender Applaus, danach Signierstunde. Während die ersten Gäste den Saal verlassen, um sich dem Buffet zu widmen, wird Lohner nicht müde, Bücher zu signieren und jedem Fan ihr schönstes Lächeln zu schenken.

Wir warten geduldig. Das Publikum ist wichtig und will unterhalten werden, das weiß Lohner. 42 Jahre im Dienste der Öffentlichkeit und aktiv wie eh und je, denkt die 72-Jährige gar nicht daran, ihren persönlichen Lebensabend ruhiger zu gestalten. Sie war Fotomodell, ORF-Ansagerin, Schauspielerin, Autorin, Kabarettistin und Kultfigur – und ist die Stimme der ÖBB. Doch sie hat weitaus mehr zu sagen als Bitte alles aussteigen.

Frau Lohner, kennen Sie Netflix?
Wen kenn ich? Wer ist das?

Das ist ein Programm, wo man Filme abrufen kann. Es könnte das Fernsehen ablösen.
Nein, das mache ich nicht.

Vermissen Sie das Fernsehen, so wie es früher war?
Nein, ich vermisse nie etwas Altes, außer Antiquitäten. Ich finde, dass die Dinge weitergehen müssen.

Schauen Sie fern und können Sie sich mit dem identifizieren, was im Fernsehen passiert?
Ich schaue natürlich fern. Wenn ich vom Theater heimkomme und noch so im Adrenalinrausch bin, dann schaue ich mir auch Rosamunde Pilcher an, damit ich wieder auf die Erd’ komm. Aber ich schau schon gezielt.

Glauben Sie, das Fernsehen überlebt?
Fernsehen wird es immer geben, gleich wie Radio. Vielleicht in anderer Form. Mir wäre es nur so wichtig, dass auch ältere Menschen den Umgang mit dem Internet lernen, denn das ist das Tor zur Welt, aber viele sagen dann (verstellt die Stimme) »Nein, das macht eh mein Enkerl oder mein Mann, das brauch ich nicht.« Das ist nicht wahr. Es ist die Kommunikation schlechthin. Und Fernsehen ist passiv. Das verstehen manche nicht.

Waren Sie früh online?
Ja, ich habe mein erstes Buch 1994 auf meinem ersten Computer geschrieben. Ich kenne mich aus. Ich habe meinen großen Mac zuhause, meinen kleinen und mein Iphone, da kann ich alles drauf machen. Ich bin total vernetzt.
Machen Sie Selfies?
Nein! Außer zum Geburtstag einen Blödsinn zum Verschicken.

Den Beruf der Ansagerin, der sie ja mit berühmt gemacht hat, den gibt es nicht mehr. Wäre Ihre Karriere trotzdem heute noch so möglich?
Nein, sicher nicht. Wie ich angefangen habe, gab es ja nur FS 1 und FS 2 und keine Privaten. Ich war 30 Jahre am Schirm. Die erste Zeit ist keiner an mir vorbeigekommen, ob er mich mochte oder nicht.

Sie sind ja so etwas wie die bekannteste Stimme Österreichs …
Ja, man nennt mich Stimme der Nation. Mich hören am Tag Millionen Menschen. Das ist mir erst in einem Interview bewusst geworden, nachdem das dort erwähnt wurde. Ich selbst hab nicht darüber nachgedacht. Christian Kern (CEO der ÖBB; Anmerkung) hat damals gesagt, meine Stimme sei ein österreichisches Kulturgut. Wie schön! Sie haben mich ja vermutlich nicht mehr als ORF-Ansagerin erlebt. Denn ich bin 72 Jahre alt (schaut die Interviewer an) und Sie könnten mein Enkelkind sein. Ist ja auch wurscht, denn im Kopf bin ich eh keine 72. Zum Glück.

Wie alt sind Sie im Kopf?
Im Kopf bin ich einfach wie immer. Voller Energie und voller Ideen. Es ändert sich ja nichts.

Um auf die Stimme zurückzukommen. Wollten Sie einmal mehr sein als nur geliehene Stimme?
Ich hab immer was zu sagen. Ich habe zehn Bücher geschrieben. Ich werde auch immer geholt für alle möglichen Meinungsgeschichten. Ich bin nicht nur eine Stimme und ich war auch nicht nur ein Gesicht im Fernsehen.

Sie waren stets Vorreiterin einer liberaleren Welt, haben von Sex geredet, als es sich noch nicht gehörte. Gehen Ihnen manche gesellschaftlichen Entwicklungen heute dennoch schon zu rasant voran?
Ich komme überall mit, Sie haben keine Ahnung. Da kommen Sie wahrscheinlich nicht mit, wo ich überall noch mitkomme.

Wir werden von Lohners Mitarbeiter unterbrochen. Sie signiert schnell ein Buch, schreibt dabei fast ein falsches Datum.

Sie sind ihrer Zeit also eher noch immer voraus?
Ja, immer! (lacht)

2014 haben Sie dennoch im Zuge der Gender-Mainstreaming-Debatte zur »Rückkehr der sprachlichen Normalität« unterschrieben. War das ein Punkt, wo Ihnen doch etwas zu weit geht?
Mich hat das große I gestört im Schriftbild. Das ist ja nur ein Feigenblatt für etwas, wo dahinter noch genau die gleichen Vorurteile stecken wie vorher. Das sind bloß Lippenbekenntnisse und außerdem verschandelt es das Schriftbild. Entweder bekommen Frauen für die Arbeit das gleiche Geld oder man kann sich das große I in die Haare schmieren. Man muss Frauen nicht mit dem großen I feiern und ihnen dann weniger zahlen. Das ist mir zu oberflächlich.

Sie wirken wirklich jung geblieben, man sieht Ihnen Ihr Alter nicht an. Gab es trotzdem einen Moment, wo Sie sich alt gefühlt haben?
Ich bin so froh, dass ich schon so alt bin wie jetzt. Denn was momentan in der Welt geschieht – ich möchte nicht erleben, wie das ausgeht. Es ist so grauslich, es ist so unverständlich, wie Menschen sich benehmen, wie wenig Empathie da ist, wie wenig sich ein Mensch um einen anderen kümmert, wem scheißegal ist, wer vor ihm auf der Erde im Dreck liegt. Ich fahre seit 14 Jahren nach Afrika zu den ärmsten Menschen der Welt und zu Augenkranken nach Südamerika. Ich weiß, worum es geht, und wenn hier gejammert wird, dann auf höchstem Niveau. Dieses Getue, dieser Fremdenhass. Dann fahren sie aber in die Türkei und sagen, ich habe so einen netten Türken kennengelernt, ich war bei denen eingeladen, es war so sauber und ordentlich. Kaum ist der Türke da, ist er ein Scheißausländer. Ich verstehe diese Welt nicht. Es wird auch nie mehr etwas so sein wie vor dieser Völkerwanderung. Es muss sich die Welt verändern, es müssen sich die Menschen verändern, ganz dringend.

In unserer Generation sieht man nicht erst seit gestern so viele Probleme und fragt sich, ob man überhaupt Kinder in diese Welt setzen sollte.
Ich würd jetzt keine Kinder kriegen wollen, ganz bestimmt nicht. Abgesehen davon sind wir so überbevölkert, es gibt so viele Kinder, die als Waisenkinder arm im Dreck irgendwo leben, man kann auch adoptieren.

Sind Sie auch der Meinung, dass es heute mehr Probleme gibt als früher?
Wir erfahren das durch die Globalisierung und das Internet mehr. Ich möchte auch nicht im Mittelalter leben, aber es ist trotzdem sehr grauslich, was heute passiert. Wir sind einfach viel zu viele auf dieser Welt und es würde mich nicht wundern, wenn uns diese Welt einmal abschüttelt, weil sie genug hat von uns. Es muss ein Umdenken passieren, sonst sehe ich das nicht so rosig. Und ich bin ein absolut positiver Mensch.

Glauben Sie nicht, dass ein Umdenken stattfindet – siehe die zivile Hilfe für Flüchtlinge in Österreich?
Das ist auch rührend, aber wie lange hält das an, wenn in einer Gemeinde mit 1.500 Menschen plötzlich zehn Ausländer wohnen? Ist man dann immer noch so lustig mit ihnen? Ich weiß es nicht. In Großraming gibt es das Beispiel von gut funktionierender Integration. Das ist allerdings ein Beispiel. Ich würde mir das weltweit wünschen. Ich meine, dieses Kulti-Multi hat ja Sinn. Alle Völker, die sich nicht vermischt haben, sind ausgestorben und untergegangen. Gerade wir in Österreich sind so ein großes Land mit Tschechen, Polen, Deutschen, Italienern. Wir waren ja ein großes Reich und ein irres Gemisch. Es gibt niemanden von uns, der sagen kann, ich bin ein reinrassiger Österreicher, das ist Blödsinn.

Wie sehen Sie diese Entwicklungen?
Ich glaube, dass die Schengengrenzen dicht gemacht werden, ganz sicher. Aber es ist eine moderne Völkerwanderung und das hat noch niemand kapiert. Die Völker sind immer marschiert, nur gab es keine Grenzen. Der Hunnenkönig ist marschiert, Marco Polo ist quer durch Asien marschiert, aber jetzt gibt es eben Grenzen und Länder mit verschiedenem Status. Das ist eine andere Zeit.

Was können Sie da als bekannte Persönlichkeit dazu beitragen?
Ich poste jede Menge auf Facebook. Und wenn ich blöde Meldungen höre, dann gehe ich nicht vorbei, sondern mische mich ein. Ich bin ein öffentlicher Mensch, ich kann da nicht wegschauen. Ich habe den Greineckerpreis für Zivilcourage nicht umsonst bekommen, das verpflichtet.

Foto: Marija Kanizaj

Sie haben einmal gesagt, dass sie ein Helfersyndrom haben und zu Minderheiten halten.
Ich helfe Menschen, denen es schlechter geht als mir, klar. Die können ja nichts dafür, dass sie in Afrika geboren sind und nicht in Wien.

Also sehen Sie darin Ihre Aufgabe, als Person öffentlichen Interesses?
Sicher. Ich habe ein gutes Leben, weil die Menschen meine Arbeit annehmen. Würden sie das nicht tun, könnte ich meine Bücher im Garten vorlesen und meinem Hund Theater vorspielen. Die Menschen mögen, was ich tu’. Da bin ich doch verpflichtet, was zurückzugeben.

Können Sie der heutigen Generation etwas raten?
Kinder, bleibt’s authentisch, neugierig, interessiert und hinterfragt alles! Und geht nicht wie in einer Schafherde ein Schaf hinter dem anderen her mit Blick auf den Hintern des Vorderschafs. Schaut’s, wer ganz vorne geht, und den schaut’s genau an! Authentizität, sich nicht zu verlieren und sich treu bleiben, ist das Wichtigste. Das ist mein Credo. Mir ist wurscht, was die Leute reden.

Denken Sie manchmal, diese Autogrammstunde oder das Interview ist jetzt zu viel?
Nein, geh! Sie haben keine Ahnung von meiner Energie! (lacht) Ich fahre nach Innsbruck, spiele zwei Stunden auf der Bühne und fahre wieder heim. Das ist schön und ich liebe es.

Das hält wahrscheinlich auch jung.
Sicher. Außerdem glaube ich, dass es ein Menschenrecht ist, gebraucht zu werden. So viele alte Menschen sind verdrossen und krank, weil sie das Gefühl haben, nicht mehr gebraucht zu werden. Nur sie müssten halt auch raus gehen und fragen, wo sie etwas tun können. Das gebraucht werden ist so wichtig im Leben, sonst ist man im Abseits.

Das Gespräch schweift kurz ab, wie es wäre, wenn Interviewpartner Fragen zurückstellen würden. Lohner meint, dies mache nur ein Frank Stronach. Die Zwischenunterhaltung endet mit einer perfekten Stronachimitation von Chris Lohner.

Man merkt, Humor ist Ihnen wichtig. Hält das auch jung?
Sicher! Ich habe auch gute Gene und nie umeinander gezurrt in meinem Gesicht. Dazu bin ich viel zu feige. Und Humor ist irrsinnig wichtig. Schauen Sie sich die ganzen Gruselbären an, die nicht lachen können. Mit solchen Leuten tu’ ich mir schwer.

Schönheitsoperationen wären für Sie wirklich nie infrage gekommen?
Nein, nie. Wissen Sie, ich sehe ja so viel in meinem Geschäft und manchmal denke ich mir: Hat die einen Unfall gehabt oder was? Jeder soll machen, was er will. Für mich ist es nichts.

Sie leben derzeit alleine?
Ich lebe schon lange alleine und liebe es. Mein Freund ist in Paris, wir sehen uns. Das reicht. Ich hatte alles gehabt.

Haben Sie über das berühmt werden oder Berühmtsein nachgedacht oder ist das einfach so passiert?
Ich war nur erstaunt, dass man als Sprecherin bekannt wird. Als ich damals von Paris (Arbeit als Fotomodell; Anmerkung) gekommen bin – mein Schauspielstudium war abgeschlossen, kurz habe ich Architektur studiert – wollte ich mein verdientes Geld nicht anrühren, habe mich beworben und bin zum ORF gegangen. Meine Nebenjobs wurden immer zu meinen Hauptjobs. Ich war ganz erstaunt, dass man als Sprecherin bekannt wird, und dann fand ich es witzig.

Sie wurden gerade vorher um zig Fotos gebeten. Denken Sie sich manchmal: »Bitte nicht noch einer«?
Ich bin jetzt 42 Jahre in der Öffentlichkeit. Wenn man nicht möchte, dass jemand einen anspricht, dann darf man den Beruf nicht ausüben. Wir leben vom Publikum. Das Publikum hat mich gemacht. Ich werde so oft auf meine Frisur angesprochen, aber jeder, der mich fragt, der fragt ja zum ersten Mal.

Ihre Frisur ist eben Ihr Markenzeichen.
Ich bin froh, dass mir das passt. Und Markenzeichen werden auch von außen gemacht.

Was würden Sie Ihrem 17-Jährigen Ich mit auf den Weg geben?
Ich würde sagen, bleib dir treu und bleib bei dir. Alles geht von innen nach außen und nichts geht von außen nach innen. Bleib ein anständiger Mensch, hab deine eigene Moral und hör nicht auf die Einflüsterer. Lass deinen Bauch bestimmen, der sagt dir, was richtig und falsch ist.

Stichwort ÖBB. Ihre ÖBB-Ansagen kommen sehr lasziv rüber – ist das bewusst?
Lasziv? Das höre ich zum ersten Mal in 37 Jahren! (lacht) Nein, so rede ich einfach immer. (lacht wieder) Ich mein: It’s in the mind of the people who listen.

Werden Sie die Stimme der ÖBB bleiben?
Ja, letzten Sommer bin ich jeden Tag vier Stunden im Studio gestanden. Jetzt ist meine Stimme digitalisiert. Ich werde aus der Gruft heraus noch irgendeinen Zug ansagen und dann werden die Leute fragen, lebt die noch?

Frau Lohner, vielen Dank für das Gespräch!

Chris Lohner wurde am 10. Juli 1943 geboren. Nach ihrer Matura machte sie in den USA und Österreich eine Schauspielausbildung, arbeitete aber hauptsächlich als Model im In- und Ausland. 1973 startete Lohner ihre Fernsehkarriere als Sprecherin und Moderatorin. Spätestens durch ihre Auftritte in der TV-Serie »Kottan ermittelt« und »Tohuwabohu« erarbeitete sie sich Kultstatus. Mittlerweile ist sie vermehrt als Kabarettistin und Autorin aktiv. Lohner war ein Jahr lang mit Alfons Lohner verheiratet und hat eine Stieftochter.

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