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Mister Handschuh

| 17. Februar 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 120, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Unter den Arkaden des Grazer Dorotheums empfängt die Familie Simon in fünfter Generation sechsmal in der Woche Jung und Alt im einzigartigen Fachgeschäft »Handschuhe zur Oper«. Eine handwarme Geschichte. Mit Herz und mit Poesie.

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Wer den Grazer Jakominiplatz von früher kennt, dem gehen schmerzlich einige Geschäfte ab, die sprichwörtlich als Institutionen gegolten haben. Nein, nicht schmerzlich, aber wehmütig, wenn man etwa an den alten Steirerhof denkt, der buchstäblich als gesamtes Haus mit der Abrissbirne ins Reich von Asche und Erinnerung verfrachtet wurde. Es sei andererseits aber nicht geleugnet, dass es Entwicklung und Wandlung sind, die die Welt am Laufen halten.

Inmitten der Aschenwüste des Jakominiplatzes glimmen hie und da aber noch Glutnester, die vorgeblich die Flamme der Tradition weiterreichen. So auch unter den Arkaden des in den Neunzehnsiebzigerjahren in Waschbetonoptik wieder neu erbauten Dorotheums. Ganz rechts auf der Südseite, neben dem verlöschenden kleinen Juwelierladen wärmt ein Handschuhgeschäft, das Handschuhgeschäft der Stadt, gewissermaßen die Seelen seiner Kunden. Seit mehreren Generationen pilgern die Menschen, alt wie jung, hierher zu Familie Simon. Vornehmlich, um etwas gegen ihre kalten Hände zu tun.

Eine Institution
Simons »Handschuhe zur Oper« ist das einzige echte Handschuh-Fachgeschäft im engeren Sinn. Wieder so ein Mohikaner, ein letzter. Das traditionsreiche 40-Quadratmeter-Fachgeschäft mit den vielen Schubladen und den Kristalllustern im Dorotheums-Gebäude am Jakominiplatz ist in dieser Form einzigartig in der ganzen Region. Es ist eine Institution, so wie sein Besitzer »Mister Handschuh« ist. Wohin wendet man sich, zum Beispiel als Grazer Zeughaus, wenn neue, natürlich besondere, Unterziehhandschuhe für die eisernen Ritterrüstungen notwendig werden? Als Unfall- und Sozialversicherungsanstalt, wenn Spezialhandschuhe für Verunfallte angefertigt werden müssen? Als Mutti, wenn es heißt, die Kinder und der Papa brauchen neue Handschuhe? Oder wenn Weihnachten vor der Tür steht? Am Geschäft »Handschuhe zur Oper« kommt niemand vorbei. Jeder hat welche, jeder braucht welche; natürlich bekommt man auch da und dort welche, aber überwiegend im Diskontbereich – entsprechend sind Passform und Qualität der Handschuhe.

Faktor Qualität
»Wir legen größten Wert auf Verarbeitung, Material, Passform und Strapazierfähigkeit und bieten zugleich eine sehr große Auswahl – jeweils mindestens fünf Größen – und vor allem ein konsumentenfreundliches Preis-Leistungs-Verhältnis«, umreißt Heinrich Simon (Jahrgang 1951) seine Philosophie. Mit Sohn Christian, der so wie schon sein Vater ebenfalls beim Vater gelernt hat, besteht der Familienbetrieb bereits in fünfter Generation in Graz. Der Name Simon lässt sich als Handschuhmacher bis ins Jahr 1805 nach Böhmen ins Sudetenland zurückverfolgen. Bis kurz nach dem zweiten Weltkrieg wurden in Graz – das Geschäft war damals am Opernring, auf der anderen Seite des vormaligen Gebäudes – neben Handschuhen auch Lederhosen erzeugt.

Im Wandel der Zeit wurde aus dem Erzeuger von Waren, dem Produzenten, der zugleich für den Vertrieb sorgte, ein Händler. Die Aufteilung der Rollen, somit die Spezialisierung, nahm damals ihren Anfang. Wenngleich der Globalisierung im dreiköpfigen Familienbetrieb plus einer Angestellten Grenzen gesetzt werden. Seniorchef Simon: »Unsere Ware kommt zumindest aus Europa und hat einen hohen Qualitätsanspruch. So sind etwa Handschuhe mit Laschnaht, das ist die Außennaht, bei der man jeden Stich besonders gut sieht, in der Regel handgenäht.« Billige Fernostware sind seine Sache nicht, wofür ihm – auch – Legionen an Kindern dankbar sein können: Wer kennt nicht diese geduldsspielhaften Handschuhe, deren Vliesfutter schon beim ersten Ausziehen nach außen drängt, indem die inneren Fingerlinge ausgestülpt werden und in der Folge jedes Anziehen zweimal zum Kraftakt und Nerventest wird – einmal, wenn wir selbst Kinder sind, und dann, wenn wir Eltern sind.  Und nun zu etwas ganz anderem:

Vor seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf hohem Balkone
Die Damen in schönem Kranz.

Wie wir alle vorgeben zu wissen, beginnt so »Der Handschuh« von Friedrich Schiller. Und weil in journalistischen Texten jederzeit und zu Recht die Frage erlaubt sein muss, warum denn dieses oder jenes nun hier stünde, sogleich die Antwort: Beim Blick in die »Handschuhe zur Oper«-Auslage fällt dem ehrgeizigen Bildungsbürger bislang nur die Schillersche Ballade ein, zukünftig, zumindest nach Lektüre dieses Textes, auch die Antwort auf die Frage warum »zur Oper«. Steht ja schließlich ein paar Zeilen weiter oben. Zwischen zwei Gedankenstrichen. Falls sie der Korrektor nicht durch Beistriche ersetzt hat. Es ist gerade diese Gedankenfülle – jetzt kommt der nächste Grund, warum das alles hier steht – die ihm neben dem »Handschuh«-Zitat gefallen haben könnte: Es ist eine Reminiszenz an den deutschen Publizisten, Schriftsteller, Fersehmoderator und Intellektuellen Roger Willemsen, der Anfang Februar erst 60-jährig verstorben ist. Und dessen Tod eine ähnlich schmerzliche Lücke hinterlässt wie jener von Harry Rowohlt vorigen Sommer (siehe Unternehmensportrait über die »Tobelbader Vogelfarm« in Fazit Nr. 115). Als Meister der Sprache und des Geistes würden jetzt beide so etwas sagen wie: »Das heißt schmerzhafte Lücke«, der eine grimmig, der andere lächelnd.

Die Handschuh-Ballade geht bekanntlich so weiter, dass wilde Tiere miteinander kämpfen und Fräulein Kunigunde ihren Handschuh fallen lässt, der zwischen Tigern und Löwen landet; worauf sie einen, sie offenbar schon lange verehrenden, Ritter auffordert, seine Liebe unter Beweis zu stellen, indem er ihr den Handschuh zurückholen möge. Zum Schrecken aller kommt der Mann diesem Ansinnen nach, zeigt dem Fräulein aber, was er unter Ehre und Anstand versteht:

Aber mit zärtlichem Liebesblick –
Er verheißt ihm sein nahes Glück –
Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht:
»Den Dank, Dame, begehr ich nicht«,
Und verläßt sie zur selben Stunde.

Sind so kleine Hände?
Und weil Regel und Rituale sowie Anstand und Verlässlichkeit auch vom konsumierenden Zeitgenossen, dem Kunden, besonders geschätzt werden, kommt er gern in das Handschuhgeschäft von Heinrich, Maria und Christian Simon. Denn hier werden neben Qualitäts- und Kostenbewusstsein eben diese Eigenschaften gelebt und wärmstens vermittelt. Das geht bis zur Passform von Handschuhen: »Wenn etwa eine Dame sehr kleine Hände hat, lassen wir die Handschuhe auch in Größe 6 fertigen, obwohl es normalerweise erst bei sechseinhalb beginnt«, erläutert der Fachmann. Bei Herren geht es übrigens bis Größe 11, sonst frage man Herrn Simon am besten persönlich. Grundsätzlich unterscheidet man bei der Machart der Handschuhe erwähnte Außennaht, die besonders dekorativ erscheint, ferner die Steppernaht, die eleganteste Ausführung und als einzige sogar mit Zwickeln zur Optimierung der Passform sowie die Linksnaht, das ist eine Innennaht, die durchaus auch spürbar ist. Der Reihenfolge nach sind diese Handschuhe in der Ausführung Nappaleder vom Lamm mit Wollfutter um 60, 46 und 40 Euro wohlfeil. Mit Kaschmirfutter kosten sie jeweils um 10 Euro mehr. Die meisten Handschuhe werden heutzutage aus Lamm- (glatt), kanadischem Hirsch- (strukturiert) oder Peccaryleder (robust) gemacht. Die Preise für die Hirschausführung liegen bei 80 bis 90 Euro, das südamerikanische Wasserschwein Peccary bei 145 Euro. »Handschuhe und Hüte muss man probieren, damit sie auch wirklich passen«, meint Heinrich Simon, »deshalb berührt uns das Onlinegeschäft nicht besonders.« Damit ist nicht nur die Konkurrenz gemeint, sondern auch das Fachgeschäft selbst – es gibt keine Homepage.

Pitt, Hackman, Blues Brothers. Und Knirps.
Mit der seinerzeitigen Umstellung von Lederhosen- und Handschuherzeugung auf Handschuhhandel erfolgte auch eine Erweiterung des Sortiments auf Regenschirme, Schals, Geld- und Schlüsseltaschen, Hauben und Hüte – schließlich gibt es auch im Nischengeschäft einen Sommer. Deshalb führt Heinrich Simon auch seit vielen Jahren genaue Aufzeichnungen über das Wetter und macht sich und uns im Übrigen für diese Saison nicht mehr viel Hoffnung auf Winter und Schnee.

Auch bei den Kappen und Hüten herrscht eine riesige Auswahl. Im Wesentlichen wird, abgesehen von den Strohhüten und Panamahüten für den Sommer, zwischen Haarfilz (aus Kaninchenhaar) und Wollfilz (Schaf) unterschieden und ob mit oder ohne Goretex. So ließen Wahl und Qual zwischen verschiedenen Steirerhüten, Rollhüten, Damenhüten, Pork Pie (Brad Pitt, Gene Hackman als Detective Jimmy »Popeye« Doyle in »French Connection«), Trilby (John Belushi und Kollegen als Blues Brothers), Entenschnabel, Flatcap und Schiebermütze (die mit dem Knopf oben in der Mitte, als Erkennungszeichen englischer Buchmacher, die Wetten »verschoben«) nur die Frage offen, ob Schiller nichts über Hüte geschrieben hat.

Außer den vom Gessler, im Tell, Sie wissen schon. Und über Schirme, denn die gibt es unter den Arkaden des Dorotheums auch. Aber nur die guten.

Handschuhe zur Oper
8010 Graz, Jakominiplatz 9
Telefon 0316 8254361

Fazitportrait, Fazit 120 (März 2016) – Foto: Marija Kanizaj

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