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Der Fluss der Tinte

| 27. Oktober 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 127, Fazitportrait

Foto: Sabine Hoffmann

Es ist ein wahres Kleinod, das Kunden dauerhaft mit nachhaltiger Ware versorgt: das Füllfederhaus M. Störtz in Graz. Von der Sinnlichkeit des per Hand Geschriebenen im digitalen Zeitalter, von Erfindungen, Legenden, goldenen Federn und dem gemeinen Farn, davon handelt unsere heutige, königsblaue Geschichte.

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Jahrelang hatte der Versicherungsmakler Lewis Edson darauf hingearbeitet – endlich war es soweit: Der Versicherungsvertrag lag auf dem Tisch, der Kunde war bereitwillig erschienen, es fehlte nur noch seine Unterschrift. Als er mit dem Füller ansetzt, ergießt sich ein Schwall Tinte auf die Versicherungspolizze. Das Geschäft war geplatzt, der Kunde verließ das New Yorker Büro und unterschrieb bei der Konkurrenz. Der enttäuschte Lewis Edson hingegen reagierte äußerst kreativ. Er erfand die heutige Füllfeder. Sein voller Name: Lewis Edson Waterman. Das war 1884, somit erst vor knapp 130 Jahren. »Die Tinte macht uns wohl gelehrt / Doch ärgert sie, wo sie nicht hingehört / Geschrieben Wort ist Perlen gleich / Ein Tintenklecks ein böser Streich«, schreibt Goethe mehr als ein halbes Jahrhundert davor. Und gibt uns heute eine Ahnung davon, wie aufwendig und mühevoll Schreibarbeit seinerzeit gewesen sein muß.

Das letzte seiner Art
Solche Legenden passen zum »Füllfederhaus M. Störtz« in der Radetzkystraße. Das Kleinod von einem Geschäft versteckt sich hinter dem westlichen Eck des Jakominiplatzes und sieht mit seinem  Schreibschrift-Logo von außen aus, wie aus den neunzehnfünziger oder -sechziger Jahren entsprungen. Ein analoger Haltegriff in den aalglatten Zeiten der Digitalisierung. Und so ist auch das Angebot. Hier gibt es Schreibgeräte wie Blei, Kuli, Roller, Filz und Füller, die physische Spuren auf ebensolchen Untergründen hinterlassen; vornehmlich auf Papier. Letzteres gibt es hier aber nicht, denn der Störtz ist das einzige »reine« Schreibwarengeschäft im deutschsprachigen Raum; so erzählt es jedenfalls »der Mann, den sie Herr Störtz« nennen, Seniorchef Wolf Lang, der mit Sohn Reinhard, der wiederum Müller heißt, abwechselnd im Geschäft steht. Einem wirklichen Spezialgeschäft, nicht nur was das Warenangebot selbst betrifft, sondern auch die Nachbetreuung. Hier befindet sich das Fundbüro dessen, was die Wegwerfkultur auf ihrem Weg verloren hat: punktgenaue Fachkompetenz, Fullservice, Ersatzteile und Reparaturdienstleistung als Kernkompetenz. Legendäre Edelfedern von Montblanc, Faber-Castell, Pelikan, Parker, Waterman & Co, aber auch günstige Marken wie Kaweco oder Lamy werden hier auch in Computerzeiten und Konjunkturtälern erfolgreich verkauft. Zwar ist der Hype der großen Füllfedermarken aus den 1990er Jahren mit der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 eingebrochen, doch scheinen die »guten alten Dinge« nie ganz an Wert zu verlieren, wie auch an den durchaus empfindlich gestiegenen Preisen zu erkennen ist.

Luxus mit Alternative
Der Einstiegspreis für eine Montblanc-Meisterstück-Füllfeder liegt mittlerweile bei rund 500 Euro, während eine Lamy bereits ab 16,50 Euro wohlfeil ist, aber auch eine Bandbreite bis 450 Euro hat. Auch eine Faber-Castell gibt es bereits ab 37,50 – wer aber einen Griff aus vergoldeter Mooreiche haben will, muss fast das Hundertfache lockermachen (3.500 Euro). Wie überall im Luxussegment sind die Preise nach oben hin »offen«. Das mag man wertfrei und entspannt zur Kenntnis nehmen; wäre es nicht schlimmer, wenn es all das nicht mehr gäbe? Außerdem verrät Reinhard Müller dem staunenden Laien, dass es durchaus kreative Alternativlösungen gibt, die gewährleisten, dass man auch mit bescheideneren Mitteln und bewußtem Prestigeverzicht gut fahren kann. Sozusagen mit dem Puch-Wagen auf Rolls-Royce-Basis: »Manche Kunden kaufen einen günstigen Füller, lassen ihn von uns aber mit einer Goldfeder ausstatten.« Als Faustregel gilt: Alles unter 150 Euro hat eine Stahlfeder. Was nichts Schlechtes ist, aber eine goldenen Feder bietet aufgrund der Elastizität und des Schwingungsverhaltens den besseren Komfort und man schreibt damit in der ersten Klasse. Bei Lamy etwa kostet die Goldfeder 80 Euro extra.

Das klingt leistbar, bringt möglicherweise potentielle Langfinger weniger in Versuchung oder hält zumindest den Schmerz bei selbstverschuldetem Verlust in Grenzen. Die äußerste Spitze der Feder, das Korn, ist übrigens aus Iridium, einem besonders widerstandsfähigen Material. Der Clou von Herrn Waterman und fast zur selben Zeit auch von Herrn Parker war im Übrigen die Entwicklung des sogenannten Zuführers oder Tintenleiters. Das ist jenes gerippte schwarze Kunststoffteil unter der Feder, das bis zum Tintenvorratsbehälter reicht. Dieses Teil sorgt dafür, dass immer die richtige Menge Tinte fließt, egal, ob man fest aufdrückt oder einfach schneller schreibt – beides erhöht den Tintenfluss. Die im Grunde einfache Lösung war, durch feine Kanäle mit Kapillarwirkung und solche, durch die Luft in den Tintenvorratsbehälter strömt, einerseits den Tintenfluss beständig zu halten, andererseits zu verhindern, dass ein Vakuum entsteht, das den Fluss aufhalten würde. Dass der Luftdruck im Tintenvorratsbehälter gleichbleibend sein muss, wissen alle, die ihre Füllfeder schon einmal mit ins Flugzeug genommen haben. Wolf Lang: »Dabei gilt die Regel: vollgefüllt und senkrecht getragen.« Sonst gibt es Flecken. Diese Schwäche der Füllfeder war auch ein Grund für die ebenfalls in den USA erfolgte Erfindung des Kugelschreibers in der Mitte des vorigen Jahrhunderts. Durch einen Ungarn namens Laszlo Jozsef Biró – aber das ist eine andere Geschichte, wenn auch fast die noch interessantere. Es sind auch die Bilder und Geschichte(n), die den Reiz des Hauses Störtz ausmachen. Blickwinkel werden geändert, Wissen vervollständigt und gemeine Farne künftig mit anderen Augen gesehen. Doch davon später.

Werbung, Bestechung, Anfütterung
Als das Geschäft 1918 von Michael Störtz gegründet wird, ist von Füllfedern noch keine Rede. Sondern von Schreibmaschinen und deren Reparatur. Doch »der Herr Störtz« erweist sich als gewitzter Geschäftsmann: Aus Leipzig bezieht er eine nur sechs Zentimeter kleine Füllfeder, die – auch aus heutiger Sicht – allerliebst und geradezu putzig ist und »besticht« damit eine ganze Generation von Sekretärinnen dahingehend, dass sie ihre Büro-Schreibmaschinen zu ihm zur Reparatur bringen. Gleichzeitig löst er damit aber eine ebenso ungeplante wie heftige Nachfrage nach Füllhaltern aus, dass er in den Handel mit Schreibgeräten einsteigt, schließlich gänzlich darauf umsattelt und sich dermaßen spezialisiert, dass sein Name noch heute eine entsprechenden Ruf hat.

Foto: Sabine Hoffmann

Nachfolgerin wird seine Nichte Erna Thomaschitz, die das Geschäft bis 1977 führt und unter anderem einen fixen Kundenstock bei den zahlreichen Gerichtsschreibern der Umgebung aufbaut. Damals sitzen sechs Damen im Hinterzimmer der Reparaturwerkstatt und werden je nach Kundenwunsch über ein eigenes Lichtrufgerät (Lämpchen 1 bis 6) zur Bedienung gerufen. Über die näheren Umstände der ebenso im Hinterzimmer befindlichen Foxterrierzucht ist heute nichts Näheres mehr zu erfahren.

Ein Füller um 17.000 Euro
Wolf Lang, der Mann, der vor nunmehr fast 40 Jahren das Geschäft samt Lager und Legende kauft, taugt selbst zur Legendenbildung, was sich auch darin äußert, dass er sich zu seiner Person kaum äußert. Er tut dies bestenfalls in fast britisch anmutender, altmodischer Gelassenheit, die auf die Relativität alles Seins und Scheins zu verweisen – scheint. Dennoch: »Was uns abgeht, sind die dreißig Papierfachgeschäfte in Graz, die – als es sie noch gab – unser Geschäft weiterempfohlen haben.« Das weiß auch der Juniorchef, der früher unter anderem in der ebenfalls nicht mehr existenten Papeterie seiner Mutter in der Grazer Landhausgasse tätig war.

Hochwertige Füllfedern und Kugelschreiber sind seit jeher ein beliebtes Geschenk. Häufigste Anlässe sind Matura- oder Studienabschlüsse. Dabei werden die Schreibgeräte oft personalisiert, sprich, mit einer entsprechenden Gravur versehen. Der Störtz ist ein nobles Geschäft, das bedeutet auch ein hohes Maß an Diskretion. Was nicht immer leicht ist. Etwa wenn ein Kunde für Max Mustermann ein teures Schreibgerät kauft und personalisieren läßt, und gleich darauf eine anderer Kunde dieselbe Idee für denselben Max hat, aber eine Billigerät kauft. Der teuerste Verkauf war bislang ein 17.000-Euro-Füller, »bar bezahlt«, heißt es mit vielsagendem Blick. Mehr wird über Kunden nicht gesprochen. Daran hält sich auch der »junge Herr Störtz«, dem zugleich die Erfordernisse der schönen neuen Welt etwa nach mehr Transparenz und äußerer Ordnung sehr bewußt sind, wenn er Versatzstücken im Geschäftslokal neue Plätze und weniger Staub verordnet. Doch bleibt die Kontinuität des bald einhundertjährigen Ladens offenbar gesichert, betrachtet man etwa die gar nicht unterschiedlichen Leidenschaften der beiden: So wie der Junior Berge und Täler auf mehreren Kontinenten mit dem Mountainbike (sogar als Reiseleiter) erobert, tut dies der Senior mit Bergschuhen. Die Zahl 4810 ist einerseits die Gravur auf dem (ursprünglich aus Hamburg stammenden) Montblanc-Füller, dessen Verschlusskappe mit einem stilisierten weißen Stern verziert ist, der wiederum den Montblanc-Gletscher und die sechs Tälern symbolisiert, andererseits ist sie die Höhe des Montblanc-Gipfels in Metern. Dortselbst befand sich er bereits viermal – und es wäre nicht Wolf Lang, fügte er nicht hinzu, dass es vielleicht sogar auch fünf Mal gewesen sein könnte.

Apropos gute Geschichte (geschäftliche Kennzahlen verrät er ohnehin nicht): die Sache mit dem Farn. Eine der atmosphärischen Raritäten beim Störtz ist ein Streusandbehälter aus Horn. Vor Erfindung des Löschpapiers hat man damit den Fluss der Tinte am Papier gezähmt. »Das war kein Sand, sondern die Sporen von Farn«, erläutert Herr Störtz. Tatsächlich hat der Farn auf der Hinterseite kleine braune Pünktchen, die sich lösen, wie ein empirischer Waldspaziergang ergab. Auch wenn Dr. Google nicht dieser Meinung ist, ist die Geschichte zumindest gut erfunden. Oder so wahr wie die Meinung der Autorin Elke Heidenreich, wenn sie sagt, dass der Füller »direkt vom Kopf über das Herz durch die Hand die Worte« schreibt. Denn auch davon hat Dr. Google keine Ahnung.

Füllfederhaus M. Störtz
8010 Graz, Radetzkystraße 4
Telefon 0316 829501
fuellfederhaus.at

Fazitportrait, Fazit 127 (November 2016) – Fotos: Sabine Hoffmann

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