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Die Opfer der niedrigen Zinsen

| 27. Oktober 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 127, Fazitthema

Foto: Peter Pichler

Seit einigen Jahren geht das Gespenst vom Verschwinden der Banken um. Auf den ersten Blick machen Banken ja nichts anderes, als das Geld der Sparer zu den Investoren zu bringen. Bei Zinssätzen gegen Null lohnt sich das jedoch weder für die Sparer noch für die Banken. Gleichzeitig steht auf den Kapitalmärkten immer mehr Geld zur Verfügung, das Abnehmer sucht. Text von Johannes Tandl

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Doch Banken erfüllen auch noch andere Aufgaben als die bloße Kreditvermittlung. So reduzieren sie das Risiko für die Geldgeber – die Sparer – gegen Null, indem sie selbst für Kreditausfälle haften und die Sicherheit der Ersparnisse an den eigenen wirtschaftlichen Fortbestand knüpfen. Das bezeichnet man als »Risikowandlung«. Und sie übernehmen nicht nur das Risiko, sondern stehen auch für die ständige Verfügbarkeit der Ersparnisse ein, während die Kreditnehmer langfristige Rückzahlungen vereinbaren können. Auch diese sogenannte »Fristenwandlung“ durch die Banken ist aus dem modernen Wirtschaftswesen nicht wegzudenken und auch nicht an einen digitalisierten Kapitalmarkt übertragbar.

Darüber hinaus verfügen Banken über Fähigkeiten, an denen jeder anonyme Kreditvermittler scheitert. Kreditinstitute beschaffen nämlich Informationen darüber, ob ein Unternehmen kreditwürdig ist oder nicht. Dabei greifen sie unter anderem auf eigene Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit einem Kreditwerber zurück, die keinem anderen zur Verfügung stehen oder deren Beschaffung in keiner Relation zu den Erträgen aus dem Zinsertrag eines Kreditvermittlers stünde. Daher würden besonders kleinere Unternehmen, die Kredite benötigen, ohne Banken scheitern. Auch Crowd-Finanzierung ist nicht geeignet, die meist sensiblen Investitionsvorhaben zu finanzieren, weil der Kreditwerber mit seinen Plänen an die Öffentlichkeit gehen müsste. Damit würde er gleichzeitig die Konkurrenz über sein Vorhaben und seine Betriebsgeheimnisse informieren. Daher wenden sich investitionswillige KMU lieber an den Kommerzkundenberater ihrer Hausbank als an eine Crowdfunding-Plattform und schließen mit ihm einen Kreditvertrag ab.

Der Wert der Hausbank
Viele Unternehmen haben erst im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise den Wert ihrer Hausbank richtig schätzen gelernt. Denn wenn ein Unternehmen Schlagseite bekommt, ist meist nur sie in der Lage, den Fortbestand einer Firma zu retten. Wenn eine Umschuldung aus Bonitätsgründen nicht mehr möglich ist, kann nur mehr die Hausbank mit dem Argument der langjährigen verlässlichen Zusammenarbeit einen schlecht besicherten Kredit verlängern oder gar erhöhen.

Zu einer echten Bedrohung für den Bankensektor haben sich jedoch die zahlreichen Bemühungen von Europäischer Zentralbank (EZB) und Regulierungsbehörden entwickelt, das Geschäftsmodell der Kreditvermittlung zu stören. Denn die Zeiten, in denen Sparen als Tugend galt, sind längst vorbei. Trotzdem wirken Sparefroh und Sumsi-Biene immer noch. Sie konnten Generationen von Jugendlichen erfolgreich dazu animieren, nicht das gesamte Taschengeld auszugeben, sondern einen kleinen Teil zuerst der Sparbüchse und am Weltspartag dem Sparbuch zuzuführen. Entsprechend schwer tut sich die EZB damit, das Sparen zur Untugend zu erklären und den Konsum zu Lasten des risikolosen Vermögensaufbaus über das Sparbuch anzukurbeln. Doch nicht nur deswegen stehen die Zinsen inzwischen bei null bis negativ. Damit sollen vor allem die hochverschuldeten EU-Staaten vor marktkonformen Zinsen und der Gefahr einer Staatspleite geschützt werden.

Auch die Banken leiden unter der finanziellen Repression
In der Fachwelt bezeichnet man ein Zinsniveau unter der Inflationsrate als »finanzielle Repression«. Tatsächlich gibt es kaum einen Weg, sein Vermögen nachhaltiger zu verlieren, als es zu solch schlechten Bedingungen auf einem Sparbuch zu belassen. Je niedriger der Leitzins – das ist der von einer Zentralbank im Rahmen ihrer Geldpolitik einseitig festgelegte Zinssatz, zu dem sie mit den ihr angeschlossenen Kreditinstituten Geschäfte abschließt – , desto geringer fällt in aller Regel der Aufschlag aus, den eine Bank von ihren Kreditnehmern einheben kann, um ihr Risiko, ihre Kosten und einen Mindestgewinn für ihre Kapitalgeber abzudecken.

Aber sogar der Politik tun die niedrigen Zinsen wegen der geringen Kosten der Staatsverschuldung nur auf den ersten Blick gut. Staaten wie Griechenland, Italien oder auch Frankreich haben nämlich bewiesen, dass sie nicht in der Lage sind, mit einem Umfeld, in dem Kredite so gut wie nichts kosten, richtig umzugehen. Anstatt ihre Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten, haben sie den staatlichen Sektor über die Maßen ausgebaut, und auch die Löhne wurden viel stärker erhöht als in den traditionellen Hartwährungsländern Deutschland, Schweiz oder Österreich.

Solange die südlichen Länder noch Herr über ihre nationale Geldpolitik waren, konnten sie ihre staatliche Ineffizienz mit regelmäßigen Abwertungen von Drachme, Lira oder Franc ausgleichen. Dadurch wurden außerdem die eigenen Erzeugnisse im Ausland billiger und die sich verteuernden Importwaren führten zu einem Nachfrageschub für die günstigeren Erzeugnisse aus der eigenen Volkswirtschaft. Lange Zeit hatte sich Deutschland erfolgreich dagegen gewehrt, seine harte D-Mark gegen eine möglicherweise weiche europäische Gemeinschaftswährung einzutauschen. Doch weil man den europäischen Partnern die Angst vor der ökonomischen und politischen Macht des wiedervereinigten Deutschland nehmen wollte, stimmte der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl der Einführung des Euro schließlich zu. Allerdings bestand Deutschland auf strenge Konvergenzkriterien, die den wirtschaftspolitischen Spielraum der teilnehmenden Länder in Bezug auf Defizit, Zinsniveau und Preisstabilität einschränken sollten.

Und die Eurokrise bleibt ungelöst
Der Euro wurde jedoch nicht zum Vehikel für die gebotene Harmonisierung der europäischen Fiskal- und Wirtschaftspolitik. Stattdessen beließen es die EU-Politiker bei einem politischen Startsignal, um den Kontinent auf einen Weg der vertieften Integration zu schicken; einen Weg, von dem es kein Zurück mehr geben sollte. Die Egoismen der Nationalstaaten ließen sich jedoch durch den Euro nicht überwinden. Denn die Südeuropäer erlagen der Versuchung des billigen Geldes und trieben ihre Staatsdefizite nach oben. Und das wiedervereinigte Deutschland sah großzügig über diese Verstöße gegen die Konvergenzkriterien hinweg. Schließlich hatten die Deutschen nach dem Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft mit fast fünf Millionen Arbeitslosen und explodierenden Staatschulden zu kämpfen. Die Probleme waren so groß, dass sie beim Nettodefizit selbst an den Konvergenzkriterien scheiterten. Damit fehlte die Legitimation, andere Staaten zum Sparen zu zwingen. Außerdem kam Deutschland die mit billigen Eurokrediten finanzierte zusätzliche Nachfrage für seine Produkte aus der gesamten Eurozone gerade recht. Denn wegen der niedrigen Zinsen konnten sich auf einmal auch Italiener, Franzosen und Griechen die zuvor für sie unerschwinglichen teuren deutschen Erzeugnisse vom Auto bis zur Waschmaschine leisten. Was Deutschland jedoch verweigerte, war, eine Haftung für die neuen Schulden der Partnerländer zu übernehmen.

Heute würden die meisten südeuropäischen Länder den Euroraum liebend gerne wieder verlassen. Eine der eigenen Wirtschaftsleistung entsprechende weiche Währung, mit entsprechend höherem Zinsniveau, können sie sich jedoch wegen der zu erwartenden sprunghaft steigenden Kreditzinsen nicht leisten. Und so bleiben die Euro-Länder in der Gemeinschaftswährung gefangen.

Negativzinsen – und kein Ende in Sicht
Der EZB bleibt zum Leidwesen der europäischen Banken daher keine Alternative zur »finanziellen Repression« durch Null- bis Negativzinsen. Was als Feuerwehraktion, mit der der Zusammenbruch der Eurozone verhindert werden sollte, gedacht war ist so zu einem Dauerzustand, ohne Ende in Sicht, geworden. Nach wie vor sitzt der Schock der Finanz- und Wirtschaftskrise tief. Und so werden selbst jene Banken, die überhaupt nichts zum Ausbruch der Krise beigesteuert haben, zum ständigen Ausbau ihrer Eigenmittel gezwungen. Dazu hat die EU Regularien in ihren Rechtsbestand aufgenommen, mit denen der Kreditsektor zu einer extrem restriktiven Kreditvergabe gezwungen wird: die sogenannten Basel-Abkommen. Während sich etablierte Unternehmen auf ihre Hausbanken verlassen können, tun sich die Gründer und Start-ups wesentlich schwerer. Sie erhalten in der Realität nur mehr dann einen Kredit, wenn sie ihn eigentlich gar nicht benötigen würden, weil sie ohnehin in der Lage sind, die absurd nach oben geschraubten Bonitätsrichtlinien zu erfüllen.

… die Österreicher sparen trotzdem
Aus Sicht der EZB scheint zudem jeder Europäer, der nicht so viel konsumiert, wie er könnte, eine Gefahr darzustellen, weil er seinen Beitrag zum Wirtschaftswachstum nicht maximiert. Daher muss das Akkumulieren von Kapital mit Negativzinsen bestraft werden. Dass das Sparen eine zivilisatorische Errungenschaft ist, die den Bürgern zur Freiheit verhilft, Schicksalsschläge eigenständig zu meistern, passt ebenfalls nicht zum Bild eines modernen, rundum versorgten, europäischen Einheitsbürgers. Stattdessen werden die Möglichkeiten, durch die Schaffung von Eigentum die individuelle Unabhängigkeit zu erhöhen, eingeschränkt.

In der modernen europäischen Welt scheint die Bildung von Eigentum nicht länger erstrebenswert, weil sie zu größerer wirtschaftlicher Freiheit und damit auch zu mehr politischer Freiheit des Individuums führt. Damit haben sich auch die Banken zu Feindbildern gemacht. Doch weil etwa die Österreicher und die Deutschen das nicht wahrhaben wollen, nehmen sie selbst finanzielle Verluste in Kauf und gehen nach wie vor in der Weltsparwoche mit dem mühsam Ersparten in die Bank.

Österreich spart nicht zu wenig, sondern falsch
41 Prozent der österreichischen Geldvermögen oder etwa 250 Milliarden Euro sind nach wie vor als Bankeinlagen veranlagt. Entsprechend schlecht sieht die private Vermögensbildung aus. So sind die Nettogeldvermögen der Österreicher im Durchschnitt nur halb so hoch wie jene der Briten – und das trotz einer doppelt so hohen Sparquote. Bei einer Inflationsrate von knapp über einem Prozent und Zinsen von nur 0,125 Prozent, liegt der jährliche Verlust bei Bankeinlagen inzwischen bei etwa zwei Milliarden Euro. Die Österreicher sparen also nicht zu wenig, sondern falsch. Statt Gelder anzulegen, werden sie nur geparkt. Und auch beim Wertpapierkauf werden zahlreiche Fehler begangen.
So sind neben den Sparbüchern nach wie vor aktiv verwaltete Fonds sehr beliebt. Und das obwohl die aktiv gemanagten Fonds meist nicht besser abschneiden als passive Fonds. Ausgabeaufschläge, Rückvergütungen und Erfolgsprovisionen zehren die Gewinne auf. Anleger, die in günstigere Indexfonds investieren, haben am Ende meist deutlich mehr.

Dazu das folgende Beispiel, das zeigt, dass selbst geringe Gebühren einen großen Einfluss auf die langfristige Performance haben: Zwei Anleger investieren 40 Jahre lang jährlich 10.000 Euro und erzielen dabei die gleiche jährliche Rendite: der eine mit einem Indexfonds (ETF) bei jährlichen Kosten von 0,5 Prozent, der andere mit einem aktiv gemanagten Fonds und jährlichen Kosten von 1,7 Prozent. Nach 40 Jahren hat der Anleger, der den günstigeren Indexfonds gekauft hat, um 100.000 Euro mehr für seinen Lebensabend zur Verfügung als derjenige, der in den aktiv gemanagten Fonds investiert hat. Besonders die großen Indizes wie der Dow Jones oder der Eurostoxx 500, in denen die Wirtschaft breit abgebildet ist, eignen sich besonders gut für Indexfonds.

Runter mit den Kosten
Der beste Investmenttipp besteht daher darin, die Kosten zu senken. Die Anlagekosten sollten inklusive Konto- und Depotführung, Fondsgebühren mitsamt eventuell fälliger Ausgabeaufschläge und Performance-Gebühren sowie Handelskosten für Portfolioumschichtungen insgesamt ein Prozent nicht übersteigen. Das geht, wenn man in Indexfonds investiert und nur selten umschichtet oder einen digitalen Vermögensverwalter der neuen Generation nutzt, der möglichst viele Prozesse automatisiert.

Anleger sollen ihre Risiken kontrollieren, indem sie darauf achten, in Produkte mit einer risikofokussierten Portfoliosteuerung zu investieren. Mittlerweile gibt es Anbieter am Markt, die man bereits ab einem Anlagevolumen von ein paar tausend Euro nutzen kann. Um emotionsgetriebenem Fehlverhalten vorzubeugen, sind Vermögensverwalter oder Fondsmanager, die offen und transparent mit dem Thema Risiko umgehen, unerlässlich. Außerdem sollten Anleger die AGB ihrer Investmentprodukte kennen. Dort steht nämlich schwarz auf weiß, was alles die Rendite negativ beeinflusst.

Titelgeschichte Fazit 127 (November 2016) – Foto: Peter Pichler

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