Anzeige
FazitOnline

Ledermann

| 22. Dezember 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 129, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Das Lederhandelsgeschäft Schuster ist in vielerlei Hinsicht einzigartig; nicht nur, weil es das einzige in der Steiermark ist. Ein Besuch mutet wie eine Reise in die Vergangenheit an, bei der man noch aus einem riesigen Reservoir an nützlichen Dinge schöpfen kann. Und Hoffnung. Etwa darauf, dass Naturstoff doch nachhaltiger ist als Kunststoff. Solche Geschäfte machen eine Stadt aus.

::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK

Wie aus der Zeit gefallen«, könnte Sally in Joe‘s Ohr flüstern, beträten sie das Lederfachgeschäft Schuster in der Schmiedgasse der Grazer Innenstadt. Die beiden mannshohen Königspinguine aus Polyester hatten eine vierjährige reale Weltreise mit dem Fotokünstler und Autor Willy Puchner hinter sich, als sie bis 2008 als Hauptwerbeträger der Österreich Werbung (ÖW) dienten (»Endlich. Österreich«). Ihre metaphorische Geschichte machte sie zu Helden des geschmähten Massentourismus. Als wunderliches Paar in stereotypen Posen persiflierten sie das Verhalten von Touristen, trugen aber immer eine Sehnsucht im Herzen, »dass es auch anderswo friedlich zugehen möge. Leute wie wir eben.« (Die Zeit, Hamburg). Der Blick auf die Welt durch Pinguinaugen weckt Frische und Charme, zu Tode Geknipstes, wie auch Altvertrautes erwachen zu neuem Leben. »Mit den Augen der Pinguine Joe und Sally sehen wir, was wir längst zu sehen verlernt haben.« (FAZ, Frankfurt). Zum Beispiel, dass Tante Jolesch nicht recht hatte, als sie meinte, dass alle Städte gleich seien (außer Venedig). Die Sehnsucht der Pinguine ist jener von Städtetouristen ähnlich. Man schlendert durch die schöne Altstadt und hat eine gewisse Erwartungshaltung. Kultur zum Angreifen, Atmosphäre, herzeigbare Originalität, Landesübliches, Typisches. Während die Herrengasse mit immer mehr internationalen und nicht internationalen Konzernen den Shopping-Trieb bedient, sorgen die Barock-, Renaissance- und Gründerzeitbauten der Seitengassen für das Lokalkolorit – wenn auch der Inhalt passt.

Leder für alle. Auch für den Papst
So passt er jedenfalls in der Schmiedgasse Numero siebzehn bis neunzehn, gegenüber vom Polizeiwachzimmer. Hier betreibt der einundsechzigjährige Heinz Schuster seit vielen Jahren in zweiter Generation ein Geschäft, das einzigartig ist in der Steiermark: einen Lederhandel. Von der »ganzen Haut« über Meterware und Lederreste bis zu Spaltleder unterschiedlichster Stärke und feinster Qualität – »Ledermann« Schuster hat alles oder besorgt alles. Sogar für den Papst. Die gesamte Innenverkleidung des Papamobils, jenes kugelsicheren Spezialfahrzeugs, mit dem der Papst den Gläubigermassen begegnet, ist aus Polstervichette, feinstem Rindsleder in Weiß – dafür hat Heinz Schuster gesorgt. Das ist jetzt auch schon länger her, genau so wie jene Zeiten, als es noch gut 60 Schuhmacher in Graz gegeben hat. Diese beliefert Schuster im Großhandel, auch wenn heute ist nur mehr rund ein Dutzend übriggeblieben ist, einschließlich der orthopädischen Betriebe.
»Wie aus der Zeit gefallen«, meinte also Sally, die nie etwas vortäuschen würde und daher nicht mit jener von »Harry und Sally« aus dem gleichnamigen Kinofilm zu verwechseln ist. Was sie meinte, wäre das Innere des Geschäfts, mit einem Interieur, aber auch mit Waren wie aus einer anderen Epoche. Der Wandverbau mit den unzähligen Holzschubladen für unterschiedliche Sandalenschnallen, Taschenkarabiner, Reissverschlüsse oder Schuhbänder stammt ziemlich sicher noch aus den neunzehnzwanziger Jahren, die massiven, aus Holz gezimmerten Regale, die tief in die Lagerräume hineinreichen, aus den neunzehnfünfziger Jahren. Leder ist schwer, vor allem wenn viel und in allen Stärken bis sieben Millimeter auf Lager gehalten wird. Gewerbliche wie private Abnehmer finden hier, was sie für Bekleidung, Polstermöbel, Taschen, Gürtel, Lederhosen, Schuhe, für technische Zwecke oder Reparaturen brauchen. Der Trend zum Selbermachen scheint ungebrochen. Heinz Schuster: »Viele Kunden basteln mit Leder oder restaurieren etwas.« Das Material hat nicht nur praktische, sondern auch sinnliche Qualität; so ist neben der Optik die Haptik von Leder für die meisten von Bedeutung, zugleich ist der »Griff« ein wesentlicher Indikator, um echte Haut von unechter zu unterscheiden. Doch auch Fachleute wie Schuster müssen oft passen: »Die Unterscheidung ist tatsächlich nicht immer zweifelsfrei möglich.«

Das beste Leder ist die Hautaussenseite, das ist das Narbenleder oder Vollleder. Rindsleder kann bis zu zehn Millimeter (und mehr) dick sein und wird daher in mehrere Schichten gespalten. Für dieses Spaltleder gilt: Je näher es dem äußeren Narbenleder ist, umso besser ist seine Qualität. Grundsätzlich erkennt man es daran, dass beiden Seiten rau sind – außer, es ist auf einer Seite beschichtet und täuscht etwas vor; so wie Sally. Die von Harry. Oder wie Bonded leather, ein Lederfaserstoff, der nur zum Teil aus zerkleinerten Lederfasern besteht, ähnlich einer Spanplatte, die auch nur zumTeil aus Holz ist. Dieses Material ist günstiger und wird etwa für Brandsohlen, aber auch für Gürtel verwendet.

Leder und Umwelt
In Zeiten, in denen die Ablehnung von Honig ein Thema ist, weil dabei Tiere ausgenützt würden, wurde auch Leder längst Gegenstand des Diskurses. Das ist auch gut so, denn so findet Entwicklung statt. Das weiß auch Heinz Schuster, zumal die beiden Töchter des Lederhändlers schon seit vielen Jahren Veganer beziehungsweise Vegetarier sind. »Harte Schule«, würde Joe sagen, »aber für alle«, Sally ergänzen. Als Tiere zeigen sie die Komplexität des Diskurses besonders gut auf, auch wenn sie nur aus Polyester sind und sich ihrer Haut sicher sein können. Wenngleich diese spätestens bei ihrem Verrottungsprozess ähnliche Probleme bereiten wird wie ein Kunstpelz.

Foto: Marija Kanizaj

Als – ehemaliger – Jäger hat Schuster auch andere Einblicke in die Lederwelten und weiß: »Die meisten Lederhosen bei uns sind aus neuseeländischen Hirschhäuten.« Was sich im Übrigen auch auf das Wildbret beziehe. Diese Geschichte geht so: Um 1900 haben Europäer, vor allem jagdbegeisterte Engländer – andere Quellen sagen Kaiser Franz Josef – Hirsche nach Neuseeland gebracht, die sich rasend vermehrt haben. Seit den neunzehnsiebziger Jahren werden sie hauptsächlich für den Export gezüchtet. Mittlerweile ist die Hirschzucht zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig für Neuseeland geworden. Die Beliebtheit der Häute ergibt sich aus dem Umstand, dass sie keine Einschusslöcher haben. Immerhin wird Hirschleder nicht mit Chrom, sondern mit chemiefreiem Fischtran gegerbt. Joe und Sally wußten das, sie waren schon am anderen Ende der Welt.

Das aus der Zeit gefallene Geschäft hat natürlich auch eine eigene, wogende Geschichte. Der Strukturwandel in der Schuhbranche nach dem Aufbau des Unternehmens durch den Vater von Heinz, Kommerzialrat Hermann Schuster (1904–1994), war gewaltig. Ursprünglich von Wilhelm Gibiser 1898 in der Neutorgasse gegründet, übernimmt Vater Schuster 1928 nach sieben Jahren Mitarbeit mangels eines Nachfolgers das Schuhmacherbedarfsgeschäft samt Haus. Dreißig Lederhandlungen versorgen damals die vielen Schuhmacher in Graz. Viele haben zwei bis drei Gesellen, Schuhfabriken gibt es noch kaum. Die Lederhandlung Schuster hat bis zu zwanzig Mitarbeiter. Das Haus stand übrigens auf dem heutigen freien schmalen Platz zwischen Franziskanerkirche und Mur, musste aber Mitte der neunzehnsechziger Jahre dem Bau einer Unterführung und der neuen Murbrücke weichen. 1954 übersiedelt der Betrieb in die Schmiedgasse, den heutigen Standort, von wo aus Hermann Schuster auch die mittlerweile aufgeblühte Schuhindustrie beliefert.

Solche Geschäfte braucht die Stadt
Doch in den neunzehnsechziger Jahren gerät die Industrie in die Krise, die Importware – speziell aus Italien – ist billig, die Schuhfabriken sperren reihenweise zu. Heinz Schuster: »Das Großhandelsgeschäft war damit praktisch vorbei. Im Einzelhandel hielt sich noch die damalige Niederlassung in der Volksgartenstrasse ganz gut.« Dort sind vor allem die Autositzbezüge aus Fell ein Verkaufshit, bis die Originalbezüge in den Autos so gut werden, dass auch hier die Nachfrage ausbleibt. Als Heinz nach der HAK-Matura 1974 ins Geschäft kommt, hat sich der Markt vollkommen gewandelt, und – wie so oft – der Generationenkonflikt verschärft. Als die Mutter, Prokuristin im Betrieb, 1984 stirbt, will der Vater gar nicht mehr übergeben und bleibt bis er 90 ist und – ebenfalls stirbt. Das war 1994. »Zusperren«, raten Notar und Wirtschafttreuhänder dem Erben Heinz Schuster. Zugesperrt wurde aber nur das Lederbekleidungsgeschäft rechts vom Hauptgeschäft; das ursprüngliche Lager auf der linken Seite blieb bis heute ein Lederwarenfachgeschäft mit Handtaschen, Geldbörsen und Brieftaschen, Ledergürteln und Schirmen. Heinz Schuster hat auf ingesamt drei Mitarbeiter reduziert und ein Produktsortiment wie kein Zweiter: Leder, Lederreste, Lederfarben, Lederriemen, Rollogurten, Reißverschlüsse, Schnallen, Ösen und Haken, Lederpflegeprodukte, Schuhzubehör (vom Schuhstrecker bis zu Schuhbandspitzen), Lederwarenzubehör wie Taschengriffe und –schlösser, gewalkte Pantoffel, Hüttenpatschen, bis hin zu Schuhputzmaschinen oder Hosenträger. Für Joe und Sally eine klare Geschichte: Ohne derartige Geschäfte wäre die Stadt ein Stück ärmer.

Leder Schuster
8010 Graz, Schmiedgasse 17–19
Telefon +43 316 829201
lederschuster.at

Fazitportrait, Fazit 129 (Jänner 2017) – Fotos: Marija Kanizaj

Kommentare

Antworten