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Mit Herz für Eisenerz

| 22. Dezember 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 129, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Die Eisenerzer Bürgermeisterin Christine Holzweber über konstante Bevölkerungszahlen und Gebäudeabrisse als letzten Ausweg.

Das Gespräch führte Peter K. Wagner.
Fotos von Marija Kanizaj.

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Es gibt Menschen, die sagen, dass es keinen Ort in Österreich gibt, über den mehr Studien erstellt wurden als über Eisenerz in der Obersteiermark. Die Macher der Studie »re-design Eisenerz« sagen das auch. Vor etwa zehn Jahren haben sie ein 36 Seiten starkes Papier veröffentlicht. Der Untertitel: »Erstellung eines Maßnahmenkatalogs zur Verbesserung der Wohnsituation in Eisenerz«. Denn Eisenerz, die einstige Hochburg der Industrie, die Vorzeigestadt der österreichischen Wohlstandsgesellschaft, die in einer Zeit, in der Erzabbau viel Arbeitskraft benötigte, 13.000 Menschen Heimat war, hat einen rostigen Anstrich erhalten.

Auch weil das eine oder andere Haus leer steht. Aber noch mehr, weil nicht nur die vielen Studien, sondern auch die vielen Reportagen und Geschichten, die über diesen Ort medienauf- und medienabwärts geschrieben und geschnitten wurden, eine düstere Schwarzweißzeichnung einer Stadt anfertigten.

Eine Stadt, die sich beim Besuch an diesem Dezemberfreitag ganz und gar nicht ausgestorben gibt, je näher man sich dem Zentrum nähert. Am Mario-Stecher-Platz, benannt nach dem nordischen Kombinierer und wohl berühmtesten Sohn der Stadt, empfängt uns Christine Holzweber in ihrem Büro. Seit 2009 ist sie Bürgermeisterin ihrer Heimatstadt. Und arbeitet mit viel Herz für ihr Eisenerz.

***

Frau Bürgermeister, Sie haben etwas ungewöhnlich auf unsere Anfrage reagiert. Sie waren überrascht sowie skeptisch. Warum denn?
Weil ich schon einige Male negative Erlebnisse hatte. Oft haben Medien nur über Probleme berichtet, an denen wir hart arbeiten. Es ist nichts daran auszusetzen, die reale Situation wiederzugeben, aber ich verwehre mich dagegen, auf eine Stadt immer wieder draufzutreten. Oft wurden nur heruntergekommene und hässliche Gebäude gezeigt, die es in jeder blühenden Stadt auch gibt. Wir arbeiten hart für diese Stadt, aber wir können nicht alles bewerkstelligen und sind nicht vom einen Tag auf der anderen in der Bevölkerungszahl gesunken. Um das Offensichtliche beim Namen zu nennen: Wir haben eben nicht mehr 3.000 Arbeitsplätze am Berg, sondern nur mehr 220. Und dennoch wird heute mehr Erz transportiert als früher.

Ärgert Sie die mediale Darstellung von Eisenerz?
Ja, es macht mich emotional und auch die Bevölkerung ist deshalb aufgebracht.

Wie sehr spiegelte dieses negative Bild die Stimmung der Eisenerzer wider?
Natürlich gab es Bürger, die sich anstecken ließen und der Meinung waren, dass nichts mehr weitergehe. Aber die Grundstimmung in der Bevölkerung hat sich gewandelt. Die Bewohner merken bereits seit einigen Jahren, dass wir intensiv daran arbeiten, dass sich unser Image ändert. Dadurch haben wir noch keinen Arbeitsplatz mehr, aber eine positive Grundhaltung. Die Menschen nehmen an diesem Prozess teil und diese Teilnahme möchte ich nicht von negativer Berichterstattung zerstört wissen.

Offensichtlich fasziniert Außenstehende Eisenerz ja aber nicht nur negativ. Der ORF strahlte erst unlängst den Krimivierteiler »Pregau« aus, der in Ihrer Stadt spielte, das sommerliche »Rostfest« und die Kulturinitiative »Eisenerzart« beweisen, dass auch Kunst und Kultur Eisenerz für sich entdeckt haben.
Die Stadt hat eben großes Potenzial. Wir haben nur das große Manko der fehlenden Arbeitsplätze, denn sonst würden nicht so viele Menschen weggehen. Eigentlich haben wir ja alles. Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Chancen bekommen, dass Eisenerz wieder gesund wird und als eine von vielen Randregionen in Zukunft vermehrt gesucht wird. Ich bin überzeugt davon, dass Menschen diesen ewigen Druck und Stress der Städte sowie die zunehmende Zupflasterung im urbanen Raum auf Dauer nicht wollen. Sie werden wieder vermehrt aufs Land strömen. Dann wird es wichtig sein, dass wir noch alles bieten können, was eine Region lebenswert macht.

Meine persönliche Wahrnehmung ist so: Ich war erstmals als Zivildiener im Ort und dachte mir: »Schnell wieder weg.« Heute, über zehn Jahre später und im Berufsleben angekommen, kann ich die Ruhe und Idylle des Ortes schätzen und komme gerne. Wie lange bleibt der Eisenerzer Jugendliche zu Hause?
Bis zur Matura oder zum Lehrabschluss. Wir haben allerdings auch aus der Region und der Umgebung Menschen bei uns.

Mehr Jugendliche verspricht das Nordische Ausbildungszentrum, das es bereits seit 34 Jahren gibt, aber das erst unlängst totalerneuert wurde. Wie ausgelastet ist die Einrichtung?
Es gibt 40 Plätze, aber eine Erweiterung ist möglich, die von der Finanzierung abhängt. Aktuell wird das Zentrum von Bund, Land und Gemeinde finanziert. Diese Partner werden auch dafür zuständig sein, bald eine neue Unterkunft für die Sportler zu finden. Aktuell sind sie noch im Schloss Leopoldstein untergebracht.

Unweit des Schloss Leopoldstein und des Leopoldsteiner Sees ist vor etwa einem Jahr das »Erzberg Alpin Resort« eröffnet worden, das von einem Investor finanziert wurde. Es handelt sich um eine große Ferienanlage in der alten Münichtalsiedlung, in der nur noch wenige Wohnungen bewohnt waren. Wie erklärt man solchen Bewohnern, dass sie ihren Wohnraum für ein Ferienobjekt aufgeben sollen?
Da haben wir als Gemeinde mit dazu beigetragen. Weil wir wollten, dass Tourismus entstehen kann. Der involvierte Bauträger besitzt auch zentrumsnähere Wohnungen, die er den Umzusiedelnden angeboten hat. Außerdem gab es finanzielle Mittel für eine Siedlungsfirma sowie die Möglichkeit, Wohnungsdetails mitzusiedeln. Ich war überrascht, wie sukzessive wir den Zugang zu den Menschen gefunden haben. Indem wir ihnen erklärt haben, dass es sich hier um eine Chance für Eisenerz handelt, an der sie beteiligt sein können.

Die Eisenerzer sind nicht nur in solchen Projekten gefordert. Städte wie Eisenerz, die Verlierer des postindustriellen Zeitalters sind, müssten sich hinsichtlich ihrer Bauwerke gesund schrumpfen, heißt es immer wieder in wissenschaftlichen Abhandlungen. Auch die Studie »re-design Eisenerz« aus dem Jahr 2006, die vom Land Steiermark und der Stadtgemeinde Eisenerz durchgeführt wurde, kam zu diesem Ergebnis. Es sind allerdings noch da und dort leerstehende Gebäude zu sehen. Warum?
Zu Beginn glaubten manche, dass die Infrastruktur weniger werden würde und die Gemeinde sich durch Konzentration Ausgaben spart. Das ist allerdings nicht möglich. An allen Ecken und Enden gibt es Eigentum, das von der Gemeinde mit Wasser, Kanal, Strom, Telefon oder Straßen zu versorgen ist. Wir haben daraus bald die Konsequenzen gezogen und gesagt: »Wegreißen ist der letzte Ausweg.« Denn letztendlich kostet auch das Geld, das aufgetrieben werden muss. Man darf nicht vergessen: Ein Bauträger ist kaum gewillt, dafür Geld in die Hand zu nehmen. Wir haben uns im Zuge dessen vor allem auch dafür entschieden, mit Steuergeldern nachhaltige und wichtigere Projekte zu unterstützen, solange uns das möglich ist – und nicht nur Abrisse.

Das Thema Infrastruktur führt auch zum LKH-Eisenerz, das es früher oder später nicht mehr geben wird. Wie gehen Sie damit um?
Wir wissen, dass das LKH in dieser Form nicht bestehen bleiben wird. Wir haben heute noch Ambulanzzeiten, aber die sind schon sehr schwer zu besetzen, weil die Ärzte aus Leoben oder Kalwang dafür abgezogen werden müssen. Früher gab es eine 24-Stunden-Ambulanz, mittlerweile ist eine Versorgung noch von 7 bis 15 Uhr garantiert. Diese Kürzung war im Übrigen eine Hauruckaktion, die uns auch auf die Straße führte. Ich bin normal kein Mensch, der auf die Straße geht, weil ich für andere Wege bin. In diesem Fall war es aber der richtige Schritt, weil sich in der Sache etwas tut. Ich habe mich dagegen verwehrt, irgendetwas zu verändern, bevor es ein anderes, funktionierendes System gibt. Eine neue Art der Grundversorgung ist für mich absolut in Ordnung, Spezialversorgung findet jetzt bereits nicht mehr statt und Notfälle sowie Akutfälle werden bereits seit langem per Hubschrauber oder NRW versorgt. Und das funktioniert hervorragend. Dadurch, dass wir auch einen niedergelassenen Arzt gefunden haben, haben wir außerdem auf diesem Sektor schon Fortschritte erzielt.

In Mariazell gibt es bereits als Pilotprojekt ein neues Gesundheitszentrum. Es heißt, Eisenerz soll folgen.
Wir werden eines der Pilotprojekte sein. Aber die Situation in Mariazell ist schwieriger als bei uns, weil sie für ein noch größeres Gebiet zuständig sind und gar kein Krankenhaus mehr haben – im Gegensatz zu uns. Deshalb wurde Mariazell vor uns realisiert. In Eisenerz soll ein Haus der Gesundheit mitten in der Stadt entstehen. Wir sind in ständiger Verbindung mit dem Landesrat und der Gesundheitsplattform und ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam etwas schaffen. Letztlich können wir nur etwas erreichen, wenn die Ärzte mitmachen. Wir haben alles darauf vorbereitet.

Foto: Marija Kanizaj

Eisenerz hat im Rahmen des »re-design Eisenerz«-Projekts vier Millionen Euro bekommen. Wofür sind diese Gelder verwendet worden?
Sie sind in verschiedenste Bereiche geflossen. Von Umstrukturierungen bis hin zu Abbrüchen, in die Infrastruktur, aber auch in externe Berater und Konzepte. Gerade durch Konzepte sind viele Ideen aufgekommen – und drei sind eben geblieben: Das »Erzberg Alpin Resort«, das nordische Nachwuchsausbildungszentrum und ein Projekt, für das wir nicht viel können, das Forschungszentrum »Zentrum am Berg«.

Diese drei konkreten Projekte sind mehr als positiv, aber fehlt Ihrer Stadt nicht ein Unternehmen, das sich ansiedelt und auf einen Schlag zig Arbeitsplätze schafft? Gerade wenn man bedenkt, dass das Eisenerzer Unternehmen »BTE Blechtechnik« mit 31. Dezember schließt. Davon sind 48 Arbeitnehmer betroffen.
Wobei man dazu sagen muss, dass daran gearbeitet wird, dass das Unternehmen übernommen wird. Aber natürlich sind dort überwiegend Eisenerzer beschäftigt. Und ja, natürlich wäre ein Unternehmen, das viele Arbeitsplätze bietet, sehr wertvoll. Doch muss man auch realistisch bleiben: Wenn sich eine Firma hier ansiedelt und – hochgegriffene Hausnummer – 40 Arbeitsplätze bietet, müssen diese 40 Menschen auch erst einmal gefunden werden. Man darf eines nicht vergessen: In Graz oder Graz-Umgebung gibt es einen massiven Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Bei uns nicht. Unsere Arbeitslosen sind sehr schwer vermittelbar, daher bleiben unsere Arbeitslosenzahlen konstant.

Wie konstant sind eigentlich die Einwohnerzahlen aktuell?
Der Abzug hält sich bei 110 bis 120 Personen. Aber wir freuen uns auch über jährlichen Zuzug von etwa 100 Menschen.

Die Bevölkerungsentwicklung von Eisenerz verrät, dass 1869 hier 3.850 Menschen lebten, 1951 waren es knapp 13.000. Nun nähert man sich langsam wieder der Zahl des 19. Jahrhunderts. Das könnte man als bedrohenden Wegzug oder als Normalzustandsschrumpfung sehen. Was wäre denn Ihrer Meinung nach die visionär richtige Größe für Eisenerz?
Es gab bereits Mitte der 80er-Jahre Studien zu diesem Thema. Es wurde immer von 3.800 Einwohnern gesprochen. Die Menschen, die diese Zahlen damals präsentierten, mussten sich natürlich Kritik gefallen lassen. Wenn man heute zurückdenkt, erkennt man aber, wie viel Weitblick bewiesen wurde. Viele wollten diesen Weitblick aber nicht sehen oder hören. Und möglicherweise ist auch genau deshalb da oder dort etwas nicht entstanden. Ich würde allerdings nie jemandem etwas unterstellen, nicht das Beste herausgeholt zu haben, weil Situationen sich immer anders darstellen. Und ich weiß nicht, wie ich in diesen Zeiten gehandelt hätte. Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Es ist uns Eisenerzern immer gut gegangen und es geht uns noch immer gut. Es wird halt schwieriger. Und das, was schwierig wird, kann ich persönlich mit meinen politischen Vertretern in der Stadtgemeinde nicht lösen.

Fühlen Sie sich eigentlich manchmal im Stich gelassen von der Landespolitik?
Nein, fühle ich mich nicht. Es ist nur manchmal zäh.

Wir leben in einer Zeit, die uns vor große Zuwanderungsherausforderungen stellt. Eisenerz hat bereits vergangenen Sommer mehrere Flüchtlinge aufgenommen. Nun gibt es diese Geschichte der italienischen Kleinstadt Riace. Ganz an der Südspitze gelegen, gilt sie als Paradebeispiel für Aufschwung durch Asylwerber und -berechtigte. Die Stadt schrumpfte 1998 von 3.000 auf 800 Einwohner, ehe der Bürgermeister mithilfe von staatlichen Geldern ein Projekt startete, das vorsah, Flüchtlinge in Riace anzusiedeln. Heute hat die Stadt wieder an die 2.300 Einwohner, 800 von ihnen haben Fluchterfahrung und haben zur Wiederbelebung des Orts beigetragen. Wäre das nicht auch eine Option für Eisenerz?
Ich bin auch hier ganz offen und ehrlich, ich könnte es mir nicht vorstellen, dass wir so etwas aktiv betreiben. Was wir haben, funktioniert, wird akzeptiert und zum Teil auch toleriert. Wir haben aktuell 64 Flüchtlinge bei uns. Wir wussten, was auf uns zukommt, wir konnten unseren Bürgern im Vorfeld bei einer Informationsveranstaltung erklären, worum es geht. Ich bin auch sehr zufrieden, weil die Flüchtlinge eigene Wohnungen in unterschiedlichen Häusern haben und nicht gemeinsam in einem Heim untergebracht sind. Aber noch einmal: Mehr stelle ich mir schwierig vor.

Frau Holzweber, vielen Dank für das Gespräch!

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Christine Holzweber wurde am 31. Jänner 1951 in Eisenerz geboren. Sie trat 1970 in die SPÖ ein, ist seit 1990 Gemeinderätin in ihrem Heimatort und war lange Zeit im Sozialbereich engagiert. 2003 wurde sie erste Vize-, 2009 schließlich erste Bürgermeisterin von Eisenerz. Seit 2012 ist sie außerdem Vorstandsmitglied der Volkshilfe Steiermark. Holzweber ist verheiratet und hat ein Kind.

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Fazitgespräch, Fazit 129 (Jänner 2017), Fotos: Marija Kanizaj

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