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Gute Fahrt oder buon viaggio!

| 28. Juli 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Da Wanko, Fazit 135

Fotos: Selfies

Zug fahren ist großartig, vor allem in den Ferien, kein Stau, kein Stress, denkt man. Wirklich gerne erinnere ich mich an eine Zugfahrt von Rom zurück nach Graz. Meine Family und ich buchten drei Bahntickets auf dem Roma Termini.

::: Text von Martin G. Wanko [Hier im Printlayout lesen.]

Das war vor rund 15 Jahren und die Zeit, in der Italien vorbildlich die Raucher aus den Zügen verbannte, also keine Raucherabteile mehr und basta! So stand’s zumindest in den Gazetten geschrieben. Die Realität war irgendwie anders. Jeder IC-Zug blieb jede Station fünf Minuten länger stehen und die Menschen rauchten aus den geöffneten Türen hinaus. Wir kamen mit mehr als einer Stunde zu spät in Mestre bei Venedig an, aber mit null Stress. Für die gewohnten Bahnfahrer war das vollkommen normal. Mein Kollege, Dieter Bachmann, beschreibt das ungefähr so: Eine Verspätung bis zu einer halben Stunde ist eigentlich keine. Die Italiener nennen sie »Ritardino«, auf gut Deutsch ein »Verspätungslein«, ein Wort, das es in unserem Sprachgebrauch gar nicht gibt. Das passt nicht in unsere Gründlichkeit. So eine anständige Verspätung, eine »Ritardo«, die kann schon so vier Stunden dauern, aber immerhin, der Zug kommt an, denken sich die Italiener. Bei uns wäre der Groll angesagt und in Deutschland der Weltuntergang. Bei uns würden die Kunden protestieren und den Schaffner lynchen, in Italien rückt man näher zusammen. Eine Flasche Wein kann ja mal geöffnet werden. Wir fuhren also mit einer nicht ungewöhnlichen »Ritardo« in Mestre ein, um in den Anschlusszug Richtung Wien umzusteigen. Tatsächlich war der Zug aus Österreich noch nicht da. Dafür ungefähr 50 hoffnungsvolle Tennis-Aspiranten, die in Thomas Musters Fußstapfen steigen wollten. Mit Tennisschlägern bewaffnet, Testosteron versprühend und Pickeln im Gesicht, verhielten sie sich wie ungeordnete Ameisen auf einem Haufen, und wir in der Mitte. Die Tennislehrer und Betreuer eher abseits, man braucht ja Ruhe.

Zufällig betraten wir den richtigen Waggon, doch die auf uns reservierten Plätze fanden wir nicht vor. Beispielsweise gab es die Sitznummer 80 und darauffolgend kam bereits die Nummer 85. Nummer 81 bis Nummer 84 mussten vom Weg von Wien nach Mestre verloren gegangen sein. Wir saßen also auf »fremden« Plätzen, bis einer der netten Tennislehrer meine Frau aufforderte, ihren Platz für einen seiner Schützlinge freizumachen. »Er is’ die ganze Woche g’rennt, jetzt braucht er einen Platz zum Entspannen, des wern’ S’ schon verstehen, oder?«, war seine Antwort. Ein Italiener in feinem Zwirn machte meiner Frau sofort und ungefragt Platz. Einige Minuten später flüchteten wir dennoch in den Speisewagen. Nach wie vor wollte ich wissen, wie es zu den verschwundenen Sitzplätzen kam, immerhin zahlten wir die Reservierung. Der italienische Kontrolleur erklärte uns, die Österreicher schickten eine zu kleine »Carrozza«, also warf der Computer in Italien unregelmäßig Platznummern aus, daher fehlen jetzt einige Nummern. Endlich wieder in Österreich angelangt, versprach uns der freundliche Schaffner eine Rückerstattung der Kosten, die durch die Platzreservierungen entstanden sind. Feinsäuberlich schrieb er auf die Rückseite der Reservierung den Betrag von rund 10 Euro, unterschrieb und stempelte ab.

Erschöpft in Graz angekommen, mittlerweile war es schon eine ganz passable »Ritardo« von rund zwei Stunden, ging ich dennoch am Hauptbahnhof zum Kartenschalter und wollte das Geld zurückhaben. Die Schalterdame griff einmal routiniert nach einem Antragsformular für Reklamationen. Aber dann schüttelte sie den Kopf und teilte mir Folgendes mit: »Der Antrag ist dort zu stellen, wo das Ticket gekauft wurde. Sie müssen also zurück nach Rom.« Mein Argument, dass die Lulu-Carrozza immerhin die ÖBB stellte, brachte nichts ein. Ich könnte ja eine Beschwerde einreichen, wieder ein Formular. Voll nett und aus und basta! Ich haben fertig, alle Flaschen leer!

Und dann sitzt du ermattet am Balkon, trinkst dein erstes Glas Wein und denkst an die Schalterbedienstete in Rom, mit welchen Augen die dich anschauen würde, wenn du wegen eines Antrags auf 10 Euro zurück in die ewige Stadt fährst. Beim zweiten Glas kommst du dir noch wie die Flipperkugel vor, die durch die Lulu-Carrozza geballert wird, und beim dritten Glas denkst nix mehr, aber gar nix mehr, außer dass dir nix passieren darf, nirgendwo, schon gar nicht im Ausland und schon überhaupt nicht in einem Zug. In diesem Sinne, frohen Urlaub und gute Fahrt, G Punkt.

Martin G. Wanko (47) ist Schriftsteller und Journalist. m-wanko.at

Da Wanko, Fazit 135 (August 2017), Fotos: Selfies

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