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Ich bin ein Pedant, Madame!

| 27. Oktober 2017 | Keine Kommentare
Kategorie: Da Wanko, Fazit 137

Fotos: Selfies

Samstagvormittag und ich muss flüchten, weil meine Frau die Bude durchputzt. Wir haben da so eine Einteilung, sie putzt die Wohnung und ich kaufe ein. Zahlt sich auch aus, weil ich bin auch der Koch, dafür greif’ ich kein Bügeleisen an.

::: Text von Martin G. Wanko [Hier im Printlayout lesen.]

Ich fahr los und gleich am Glacis ein »Grazer Verkehrsstau«, entsteht grundlos … möchte wissen, welche Pfosten da heute in der Stadt unterwegs sind … weiter in die Karlauerstraße, so hässlich wie der 2. in Wien … dann Parkplatzsuche im Einkaufszentrum: Alle fahren im Kreis, da brauchst keinen Spielberg mehr, reicht das deppert-im Kreis-Fahren hier … na bitte, gerade einen Kroaten ausgebremst … danke jedenfalls für den Parkplatz, und tu jetzt nicht blöd hupen, mir egal, ob du Vorrang gehabt hättest! Ich bin da flinke Wanko und wir hatten immerhin Jochen Rindt, Berger und Lauda, nicht zu vergessen Joe Gartner und wen habt ihr? Ich sag ja nur. Und überhaupt ist heute zu viel los!

Flucht in den Supermarkt … Tomaten unreif, Bananen zu reif, daneben ein paar verhaltensoriginelle Typen aus fernen Ländern, greifen alles an, sprechen ungewohnt laut und irgendwie stehen die jetzt unter Beobachtung aller kritischen Hausfrauen. Die Jungs hauen ziemlich bald ab, gehen Richtung Mediamarkt, die werden sich dort sicher freuen, hö, hö … und dann wuselt alles um mich herum. Beim Fisch steht niemand, Verschnaufpause. Warum dort so viel frischer Fisch aufgelegt ist, weiß halt auch niemand. Was macht man am Abend mit dem Frischfisch, der übrigbleibt? An die Mitarbeiter verschenken, wohl kaum, alles für die Fisch, ha ha …

Und beim Fleisch stellen sich dafür 100.000 Menschen an, klar, gibt’s ja auf Frischfleisch heute 20 Prozent … nehme lieber die französische Flugente aus der Vitrine … Flugente klingt irgendwie nach frei fliegen und Frankreich klingt kultiviert. Ich will jetzt gar nicht hinterfragen, ob das Käfig-Enten sind … Flugentenfilets aus Frankreich klingt einmal gut … einen gescheiten französischen Käse, den mit der Asche, Baguettes und anständig Rotwein … nach wie vor viel zu viel los … ich meine jetzt nicht wirklich so auf Kaufkraft, aber die Menschen gewöhnen sich langsam so ein Venedig-Verhalten der Asiaten an: Plötzlich aus dem Nichts stehenbleiben, in das Smartphone gaffen und dabei den ganzen Menschenstrom blockieren … leck fuck, soll ich den Einkaufswagen jetzt einfach stehen lassen und abhauen?! Kannst auch nicht machen! Pack ich mir noch zwei Rote ein, zum Kochen braucht man eh was, damit die Flugente auch gut im Saft landen kann, und dann bitte nicht die Milch vergessen! Letztens habe ich die Milch vergessen, eigentlich unglaublich … das ist fast so schlimm wie das Kaffeepulver zu vergessen …

Der Wurst rechts neben mir ist das volle Rauschkind, hätte der Deix nicht besser zeichnen können, dieser stechende Blick dazu, fehlt nur noch die Pumpgun … und wenn ich mir jetzt denke, dass mich die anderen auch so deppert anschauen wie ich sie? Was die wohl über mich denken? Also, ich bin der volle Pedant, das beginnt, wenn ich mit meinem Roller in der Zinzendorfgasse über den Zebrastreifen gehe und zwanzig Fahrradfahrer zur Vollbremsung zwinge, das geht weiter, wenn ich auf meiner üblichen Route zum Einkauf fahre und alle, die diese Strecke nicht im Schlaf kennen, als Volltrotteln hinstelle, es geht weiter im Einkaufszentrum, wo manche vielleicht aus Entspannung hingehen und vielleicht sogar einmal lachen können … den Espresso, den ich hier immer trinke – kommt der nicht binnen fünf Minuten, verlasse ich das Café … an der Wursttheke verlange ich sogar am 24. Dezember mit 100 Menschen in der Schlange, dass man mir die Wurst frisch aufschneidet … so nebenbei gebe ich der Lageristin die Schuld, dass es meine »Olive Giganti« nicht mehr gibt, und in der Schlange an der Kassa schau ich dann noch blöd in die Einkaufswägen der andern, so blöd, dass schon keiner mehr in meinen hineinschauen mag. Und mit mir einzukaufen ist so und so schrecklich: Ich gebe Ratschläge, wenn mich keiner fragt, ich bin nicht zu finden, wenn man mich braucht, ich beginne aus heiterem Himmel Bier zu trinken, gehe zum Friseur und lass mir meine letzten drei Haare einfärben … so bin ich halt, als Grazer: dem Neuen nicht wirklich aufgeschlossen, aber auch nicht abgeneigt, so mittendrinnen und dennoch angefressen, kleinkariert und ignorant, zugleich großmütig und offen – Sie erkennen sich darin wieder? Fein, dann lassen Sie uns doch Freunde werden! Ihr werter G Punkt.

Martin G. Wanko (47) ist Schriftsteller und Journalist. m-wanko.at

Da Wanko, Fazit 137 (November 2017), Fotos: Selfies

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