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Altes Eisen

| 26. April 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 142, Fazitthema

Foto: Simon Wijers

Trotz Hochkonjunktur sinkt die Arbeitslosigkeit bei den Älteren nur schleppend. Wir gehen der Frage nach, warum sich über 50-jährige Arbeitssuchende im Vergleich zu den Jüngeren um so vieles schwerer tun, wieder im Arbeitsprozess Fuß zu fassen. Text von Johannes Tandl.

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Selbst Die Ergebnisse passen teilweise überhaupt nicht zu den gängigen Klischees. Denn fast nirgends in Europa können die Unternehmen ihre älteren Mitarbeiter so einfach kündigen wie in Österreich. Und in keiner anderen Bevölkerungsgruppe ist die Beschäftigung in den letzten Jahren so stark angestiegen wie bei den über 50-Jährigen. Seit 1994 hat sich die Erwerbsquote unter den 50- bis 64-Jährigen um 80 Prozent erhöht. Im gleichen Zeitraum ist die Erwerbsquote in der gesamten Bevölkerung nur um knapp sechs Prozent gestiegen.

Gingen 1994 nur 28,4 Prozent der 55- bis 64-Jährigen einer ordentlichen Beschäftigung nach, waren es 2017 bereits 51,3 Prozent. Dieser Aufwärtstrend ist längst nicht nur auf die steigende Frauenbeschäftigung zurückzuführen und soll sich, wie die Statistik Austria prognostiziert, in den nächsten Jahrzehnten ungebrochen fortsetzen.

Gesundheitliche Probleme verursachen Langzeitarbeitslosigkeit
Die wichtigste Ursache für die vielen alten Langzeitarbeitslosen liegt nicht in der mangelnden Nachfrage der Unternehmen, sondern in gesundheitlichen Problemen der Betroffenen. Bis vor wenigen Jahren konnten die nur teilweise arbeitsfähigen Alten relativ problemlos in Frühpension gehen. Doch inzwischen hat die Politik die Pensionsversicherung veranlasst, den Zugang zum vorzeitigen Pensionsantritt extrem zu erschweren und deutlich nach hinten zu ziehen. Das Ergebnis dieser Politik ist nicht nur eine steigende Erwerbsquote, sondern auch zahlreiche Langzeitarbeitslose, die kaum mehr vermittelbar sind.

Entgegen dem Vorurteil, dass ein österreichisches Unternehmen alles leichter wieder los wird als einen älteren Arbeitnehmer, ist der Kündigungsschutz als Hindernisgrund, Ältere einzustellen, vernachlässigbar. Für Arbeitgeber ist es nämlich fast nirgendwo in Europa einfacher, die teureren Alten loszuwerden und gegen billigere Junge auszutauschen, als in Österreich. Daher haben sie auch kaum Bedenken, gesunde Ältere, die allerdings ins Gehaltschema passen müssen, einzustellen.

Jüngere sind produktiver
Jüngeren Arbeitnehmern, fehlt es im Vergleich zu den älteren Kollegen zwar an Erfahrung aber die Einstellung ist durch die niedrigeren Kosten dennoch betriebswirtschaftlich begründbar. In Österreich verdienen 55- bis 59-Jährigen Arbeitnehmer aufgrund des Senioritätsprinzips durchschnittlich das 1,6-Fache ihrer 25- bis 29-Jährigen Kollegen. Das Senioritätsprinzip bringt zum Ausdruck, dass den langjährig Beschäftigten Privilegien wie mehr Urlaub, betriebliche Zusatzleistungen oder höhere Stundenlöhne zustehen. Um den dadurch verursachten Kostenunterschied zu rechtfertigen, müsste die Arbeitsproduktivität bei Älteren demnach um etwa 40 Prozent höher sein als jene der Jüngeren. Doch das ist in einem sich wandelnden Arbeitsumfeld, in dem sich die Jungen wesentlich leichter tun, etwa die Anforderungen der Digitalisierung zu antizipieren, schlicht nicht zu schaffen. Denn jüngere Arbeitnehmer verfügen generell über höhere formale und vor allem digitale Qualifikationen als die älteren. Das aus sozialer Sicht absolute No-go, ältere Arbeitnehmer durch jüngere zu ersetzen, ist aus einer rein betriebswirtschaftlichen Perspektive daher durchaus nachvollziehbar, aber natürlich nur solange der Arbeitsmarkt dazu in der Lage ist.

Der Facharbeitermangel reduziert die Altersarbeitslosigkeit
Daher profitiert keine Arbeitnehmergruppe stärker vom Facharbeitermangel als die Älteren. Und so ist bei den letzten vom AMS für die Steiermark veröffentlichten Arbeitslosenzahlen Anfang April 2018 nicht nur die Gesamtarbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahr um über neun Prozent gesunken, sondern erstmals auch die Altersarbeitslosigkeit deutlich zurückgegangen. Mit minus fünf Prozent zwar bei weitem nicht so stark wie auf dem gesamten Arbeitsmarkt, aber nach Jahren steigender Altersarbeitslosigkeit, die auch nach Einsetzen des Aufschwungs Anfang 2016 nicht zurückgehen wollte, ist das mehr als nur ein Lichtblick. Im Gespräch mit Fazit betonten mehrere Personalverantwortliche übrigens, dass sie gerne auch gesunde ältere Arbeitssuchende einstellen würden, bloß gäbe es für die von ihnen ausgeschriebenen offenen Stellen kaum geeignete über 50-jährige Bewerber. Aufgrund des herrschenden Facharbeitermangels könnten sie es sich schon lange nicht mehr leisten, Arbeitssuchende aufgrund des Alters und den damit verbundenen etwas höheren Kosten abzulehnen.

Schlecht qualifizierte Ältere bleiben arbeitslos …
Österreich ist ein Hochlohnland. Daher müssen die Mitarbeiter besonders gut qualifiziert sein, um die Rentabilitätsziele in Form von hohen Produktivitätsvorgaben erfüllen zu können. Besonders bei den Armutsmigranten reichen die mitgebrachten Qualifikationen kaum, um in diesem hoch kompetitiven Arbeitsumfeld bestehen zu können. Sie müssen daher erst mühsam für die besonderen Erfordernisse ihrer zukünftigen Arbeitgeber qualifiziert werden. Schlechtqualifizierte über 50-Jährige haben es daher besonders schwer. Aufgrund der Hochkonjunktur und der Vollauslastung im produzierenden Sektor gibt es zwar inzwischen auch wieder Hilfsarbeiterjobs, doch sobald die hohe Kapazitätsauslastung zum Dauerzustand wird, rechnen sich Rationalisierungsinvestitionen, die einfache manuelle Tätigkeiten durch Maschinen ersetzen. Damit hängen die Jobchancen der meisten Flüchtlinge an den Qualifikationen, die sie in Österreich entweder überbetrieblich, oder, wenn sie tatsächlich Arbeit finden, unternehmensintern erwerben können. Dass kein Personalist einen unqualifizierten Älteren einstellen will, weil sich die Tausenden Euro, die in die Qualifikation investiert werden müssen, kaum rechnen, weil der Arbeitnehmer wenige Jahre vor dem Pensionsantritt steht, liegt auf der Hand.

… und Überqualifizierte müssen nehmen, was bleibt
Das Verlagswesen ist eine klassische Quereinsteiger-Materie. Obwohl es inzwischen zahlreiche einschlägige Studien und Ausbildungen gibt, beschäftigen fast sämtliche Redaktionen zumindest fallweise hochqualifizierte Geisteswissenschaftler, vor allem aus den geburtenstarken 1960er-Jahrgängen, die nach dem Studium nicht im Lehrerberuf Fuß fassen konnten oder wollten und sich deshalb anders orientierten. Diese Leute können ausgezeichnet projektorientiert recherchieren und publizieren. Viele arbeiten auch im PR- oder im Kreativbereich. Doch die meisten überqualifizierten Akademiker halten sich durch mehrere unselbstständige Tätigkeiten oder als Ein-Personen-Unternehmer (EPU) über Wasser. Für ein Vollbeschäftigungsverhältnis kommen sie altersbedingt weder im privaten noch im öffentlichen Sektor in die engere Wahl, weil sie viel zu teuer wären. In den letzten Jahren wurde es aber auch für viele Absolventen von Massenstudienfächern eng auf dem Arbeitsmarkt. Und wenn ein Personalvertreter bei den Graz Linien einmal nur halb im Scherz behauptete, dass er mehr Juristen zu Jobs verholfen habe als die steirische Anwaltskammer, hat er damit nicht Arbeitsplätze für Verwaltungsjuristen, sondern Jobs als Bus- und Straßenbahnchauffeure gemeint. Durch den Bologna-Prozess und die Akademisierung weiter Bereiche von der Pflege bis zum Handwerk wird das Problem eher verschärft als gemildert.

55-Jährige sind mindestens ein Jahr lang arbeitslos
In Österreich ist ungefähr jeder zweite über 55-jährige Arbeitslose seit mindestens einem Jahr auf Arbeitssuche. Ein Teil der Erklärung liegt im Gesundheitszustand vieler Jobsuchender, ein anderer in den hohen Kosten für ihre potenziellen Arbeitgeber. Nur in Frankreich steigen die Löhne im Alter noch steiler an als in Österreich. Und die Universität Linz hat empirisch nachgewiesen, dass in jenen Bereichen, in denen die Gehaltskurve besonders steil ist, am meisten über 50-Jährige gekündigt werden. Die Möglichkeiten des AMS für die Betroffenen sind äußerst beschränkt. Neue Jobs gibt es bestenfalls für Bewerber, die massive Gehaltseinbußen hinnehmen würden. Früher konnten die überqualifizierten 50-Jährigen bei einem Jobverlust mangels realistischer Vermittlungschancen recht einfach in Frühpension gehen. Und die Niedrigqualifizierten fanden recht schnell wieder einen neuen Job. Die steigende Beschäftigungsquote bei Älteren zeigt, dass bereits sehr viel gelungen ist, um diese Gruppe im Arbeitsleben zu halten. Dennoch braucht es einen völlig neuen Umgang mit Menschen, die aus dem System geworfen wurden, die zu krank, zu schlecht oder zu gut qualifiziert für die Anforderungen der Wirtschaft sind. Während die Kranken würdevolle Möglichkeiten brauchen, sich aus dem System auszuklinken, um in den Ruhestand treten zu können, führt bei der Qualifizierung von älteren Arbeitnehmern und Neuaufgenommenen an der Unterstützung von Unternehmen des ersten Arbeitsmarktes kein Weg vorbei. Dass der Staat in Zeiten der Hochkonjunktur kein Geld für die Aktion 20.000 ausgeben will, ist nachvollziehbar. Die Beschäftigung von älteren Jobsuchenden ist gerade in Zeiten des Facharbeitermangels ein ökonomisches Gebot und darf daher nur auf dem ersten Arbeitsmarkt stattfinden. Daher muss es den Betrieben und nicht irgendwelchen Vereinen und NGOs leichter gemacht werden, jenen Alten, die nicht mehr in Frühpension gehen dürfen, sinnvolle Jobs anzubieten.

Fazitthema Fazit 142 (Mai 2018), Foto: Simon Wijers

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