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Zum guten Wirten

| 26. April 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 142, Fazitbegegnung

Foto: Marija Kanizaj

Die Gamlitzer Weinstube zählt im legendären Grazer Bermudadreieck – Glockenspielplatz/Färberplatz/Mehlplatz – zu den letzten Mohikanern der Gattung »altes Beisl«.

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Hier bekommt man noch Hausmannskost wie faschierte Laberl mit Erdäpfelpüree, das Achterl ist um 2 Euro wohlfeil – das Preis-Leistungsverhältnis im Familienbetrieb von Oliver und Karin Peitler ist so, wie es sein soll: intakt. Sohn Max sorgt in der Küche dafür, dass das firlefanzfreie Essen, das seine Mutter in aller Frühe am Kaiser-Josef-Platz einkauft, ehrlich und gut schmeckt.

»Wir haben siebzig Prozent Stammgäste«, schätzt Oliver Peitler, der mit gefühlten 90 Prozent aller Gäste per Du ist. Das gilt vom stillen Zecher bis zum Landeshauptmann Schützenhöfer. »Wir kennen uns schon, da war ich noch ein kleiner Bub«, erläutert der Wirt. Da kam »Schützi« vom Büro am Glockenspielplatz gern einmal bei den Eltern von Oliver vorbei. Denn Herrmann und Renate Peitler führten »die Gamlitzer« schon seit 1970 und hatten den Namensgeber der Weinstube, Herrn Dietrich, wie er respektvoll genannt wurde, abgelöst. Herr Dietrich stammte nämlich aus Gamlitz. Mittlerweile steht Oliver seit mehr als 30 Jahren hinter dem Tresen und regiert mit fünf Angestellten sein Reich mit 50 Sitzplätzen. Wie jedem ordentlichen Wirten steht es ihm nicht nur zu, sondern auch gut, dass er hie und da grantig auftritt: Erst dann schätzt der ehrfürchtige Gast das Du-Wort und freut sich darüber, wenn der Wirt sich wieder über etwas freut, weil er dann nicht mehr grantig ist. Seit kurzem freut sich Oliver Peitler darüber, dass er seinen Gastgarten wieder aufstellen konnte. Die Freuden des Frühlings bringen fast zwanzig Tische und 100 Sitzplätze mehr. Spätestens jetzt gilt: An der »Gamlitzer« kommt keiner vorbei.

Denn jetzt erkennt man auch im Vorbeigehen so manchen Politiker oder Journalisten, so manchen Rechtsanwalt oder Arzt; Heerscharen an Landesbediensteten, Mitarbeiter umliegender Unternehmen, Geschäftsleute, Künstler, Bohemiens und Stadtflaneure, Kartentippler und Pensionäre, verloren geglaubte Bekannte und Freunde, hier kann man sie mit etwas Glück alle finden. Man setzt sich gern dazu zum Who is Who. Kann teilnehmen an der großen Informations- und Kontaktbörse, wichtige Gespräche führen oder belauschen. Davon könnte Oliver Peitler ein Lied, was heißt, ganze Liederbücher singen. Aber ein Wirt singt nicht. Zumindest nicht im übertragenen Sinn. Ein guter Wirt versteht sich auf das Geben und Nehmen. Er gibt mehr oder minder weise Ratschläge oder er überzeugt den Gast davon, dass dessen Probleme angesichts jener eines anderen Gasts kaum erwähnenswert seien, kurz, er beherrscht die Kunst des Bagatellisierens, des Relativierens und der Ablenkung. Und sei es unter Zuhilfenahme geistiger Getränke und/oder betäubend guter Speisen. Der Wirt als Kommunikator – dafür besitzt Oliver Peitler das notwendige Fingerspitzengefühl und Netzwerkdenken. Dafür erhält er auch fachkundige ärztliche Ratschläge oder juristische Hilfestellungen von seinen Gästen, im Grunde ein ganz banaler Informationsaustauschprozess im Namen der aktiv gelebten Nächstenliebe. Und ja, in der »Gamlitzer« kann es ziemlich lustig zugehen.

Oliver Peitler, Jahrgang 1966, ist Gastwirt der denkmalgeschützten Gamlitzer Weinstube am Mehlplatz 4 und bedient dort seit 1986 seine Gäste. Zum Glück für meisten von ihnen ist er nicht Automechaniker geworden, was er manchmal anders sieht. gamlitzer.com

Fazitbegegnung, Fazit 142 (Mai 2018) – Foto: Marija Kanizaj

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