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Diskussion im globalen Dorf

| 3. Oktober 2018 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 146

Foto: Bogdan Baraghin

Alpbach ist ein Ort der Extreme. Jährlich verfällt das Tiroler Kongressdorf im August in einen (positiven) Ausnahmezustand, wenn insgesamt mehr als 5.000 Gäste (überwiegend zeitversetzt) das »Europäische Forum Alpbach« frequentieren. Hier treffen Top-Managerinnen und Landesräte auf Studierende, Staatspräsidenten auf EU-Kommissare, Abgeordnete auf Künstlerinnen etc. Vor allem ist es die offene und freundschaftliche Konfrontation von Personen und Meinungen, die Freude am Austausch und der Begegnung zwischen alpiner Blumen- und Schützenromantik und den Herausforderungen der Zukunft.

::: Text von Thomas Goiser [Hier im Printlayout lesen.]

Heuer merkte man, dass einiges im Umbruch ist. Der Ausstieg der Wirtschaftskammer Österreich als Partner der Wirtschaftsgespräche dürfte eine Zäsur darstellen, während die Bedeutung der Politischen Gespräche (in Verbindung mit den Rechtsgesprächen) zu einem neuen Höhepunkt wird. Partner wie »Avenir Suisse«, das »Center for European Policy Studies« oder der »Club of Rome« liefern neue Impulse.

Die Eröffnungspanels sprengen regelmäßig die Kapazität des vor zwei Jahren neu eröffneten erweiterten Kongresszentrums. Etwas Abhilfe schafft – weltweit online abrufbar – notfalls der Live Stream). Diesmal trafen etwa bei einem Eröffnungspanel Serbiens Präsident Aleksandar Vučić auf den Präsidenten der Republik Kosovo, Hashim Thaçi, und Sloweniens Präsident Borut Pahor und – selbstverständlich – auch Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Weitere prominente Diskutanten waren der ehemalige UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon, EU-Kommissar Johannes Hahn, Maja Göpel und Ugo Bardi vom Club of Rome, Schriftsteller Ayad Akhtar, Nobelpreisträger Joseph Stiglitz oder die Berliner Rechtsanwältin und Moscheegründerin Seyran Ates.

Erfahrungsgemäß können in einem solchen Forum die großen Fragen nur angerissen werden, der Mehrwert liegt im Dialog und der Chance auf die persönliche Begegnung. Daher finden sich auf der nächsten Seite zwei Aspekte in aktuellen Büchern näher beschrieben: Die Weiterentwicklung von Demokratie und Partizipation im Buch »Die freundliche Revolution« von Forum-Alpbach-Geschäftsführer Philippe Narval; und der Umgang mit den ökologischen Herausforderungen in einer »vollen Welt« und »Come on!« des Club of Rome über die Überwindung der Zwänge von Kurzfristigkeit, Überbevölkerung und Umweltzerstörung.

Literaturtipp 1

Demokratie retten Philippe Narval hat eine Mission. Und ein Buch geschrieben. Dieses handelt von konstruktivem Protest, von Beteiligung und einer Weiterentwicklung. Auf knapp 160 Seiten beschreibt der Geschäftsführer des Europäischen Forum Alpbach Modelle und – sehr persönlich – die Menschen dahinter. Die Beispiele reichen von der Vorarlberger Gemeinde Mäder über die Bürgerversammlung in Irland, die Schweizer »Libero«-Aktivisten, Frankreichs erste Digitalministerin, die Bürgermeisterin von Barcelona und eine neue Partei in Dänemark. Dabei kommen in den Beschreibungen auch die Mühen der Ebene, das gelegentliche Scheitern und die notwendige Beharrlichkeit nicht zu kurz. Das Buch ist eine Anleitung zum Finden von Kompromissen im Dialog.

Gegen Ende warnt Philippe Narval auch vor oberflächlichem »Beteiligungstheater«, das die Mächtigen manchmal für Akzeptanzmanagement oder politisches Marketing veranstalten. »Beginnen können wir diese Reise zu einer neuen Kultur des Dialogs nur bei uns selbst.« Also deliberative Demokratie revisited, und eine Aufforderung zum persönlichen Gespräch abseits der (sozialen) Medienblasen. [ Bei Amazon bestellen. ]

Literaturtipp 2

Welt retten Passend zum Generalthema »Diversity and Resilience« ist auch das Buch »Come on! – Capitalism, Short-termism, Population and the Destruction of the Planet« von Ernst Ulrich von Weizsäcker und Anders Wijkman, beide Vizepräsidenten des Club of Rome. Es ist zum 50. Geburtstag als Report an den Club of Rome verfasst. In der Publikation findet sich eine kompakte Darstellung, dass die globalen Trends weiterhin nicht nachhaltig sind und die Menschheit die verfügbaren Ressourcen des Planeten in steigender Intensität ausbeutet. Die Autoren greifen auch das Thema globale Überbevölkerung auf, das einer der Gründe für die beschleunigte Ausbeutung des Planeten ist. Alles in allem sollten wir davon ausgehen, dass der Planet nun »voll« ist, während bisherige Ideologien, Wirtschaftssysteme, Religionen etc. auf einen noch zu erobernden Planeten ausgerichtet waren. Gefragt ist eine neue Balance – zwischen Mensch und Natur, zwischen Markt und Staat und zwischen kurzfristigem und langfristigem Denken. Die zweite Hälfte des Buches widmet sich Lösungsansätzen von Kreislaufwirtschaft über Investmentstrategien bis zur Beteiligung der Bevölkerung. Für die Vernetzung zu einem System und den Austausch von Erfahrungen würde es wohl ein Forum brauchen, das dauerhaft tagt. [ Bei Amazon bestellen. ]

In Alpbach kamen heuer in der 2. Augusthälfte insgesamt weit mehr als 5.000 Menschen aus über 100 Nationen, um unter dem Generalthema »Diversity & Resilience« Zukunftsfragen aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zu diskutieren. Rund 800 Sprecherinnen und Sprecher trafen auf etwa die gleiche Anzahl von 720 Stipendiatinnen und Stipendiaten unter 30 Jahren. 2019 findet das Forum von 14. bis 30. August statt. Dann wird das Generalthema »Freiheit & Sicherheit« lauten.
Reisetipps: Frühzeitig buchen. Festes Schuhwerk und wetterfeste Kleidung einplanen. Nehmen Sie sich für mehr als ein »Gespräch« Zeit (also vier bis fünf statt zwei bis drei Tage), blicken Sie mit Freude etwas über den Tellerrand und vielleicht auch von einem Gipfel auf das Geschehen.

alpbach.org

Fazit 146 (Oktober 2018), Foto: Bogdan Baraghin

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