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Reparieren in Zeiten des »Postkapitalismus«

| 31. März 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 151, Fazitportrait

Foto: Heimo Binder

Wer ins Grazer Repair Café kommt, dem wird geholfen. Wer vorher anruft oder mailt, was genau er zum Reparieren mitbringt, hat bessere Chancen einen ehrenamtlichen Helfer mit Fachkenntnissen anzutreffen. Repariert wird nach Möglichkeit gemeinsam, die Hilfe ist kostenlos. Die Erfolgsquote liegt bei 60 bis 70 Prozent. Reparieren statt wegwerfen ist Teil einer komplexen Bewegung geworden.

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Andreas Höfler hatte vor einigen Jahren ein Schlüsselerlebnis: Nachdem er sein Auto in einer Unterführung geparkt hatte, führten starke Regenfälle zu einer Überschwemmung und setzten sein Auto vollständig unter Wasser. Was nun? In seiner Autowerkstatt erhielt er die Auskunft, dass man das gesamte Interieur ausbauen müsste, die Teppichböden, die Innenverkleidung, die Sitze und so weiter, um alles zum Trocknen herauszustellen, und Glück für die Elektrik wäre auch vonnöten. Da Zeit ein kostbares Gut ist, das aber sehr unterschiedlich verrechnet werden kann, nahm er den Tipp, es selbst zu versuchen, dankbar an. Luft zum Trocknen ist ohnehin immer und überall. Dennoch zögerte er, denn Mut kann man bekanntlich nicht kaufen. »Und Mut gehört immer dazu, etwas zum ersten Mal zu machen«, meint der 37-jährige HTL-Absolvent und Programmierer. Mut, es zu probieren, ist auch jene Eigenschaft, die den Besuchern eines Repair Cafés vermittelt wird. Einer Institution, die in Graz auf eine Anregung von Andreas Höfler und einem Arbeitskollegen im Rahmen des BarCamps 2013 an der Fachhochschule Joanneum zurückgeht.

Bohrer, Kaffee und Kuchen
Dass Repair Cafés Teil einer komplexen Bewegung aus den Niederlanden sind, erschließt sich erst bei genauerem Hinsehen und der Beschäftigung mit dort aufliegender Literatur wie »Reparieren« des Netzwerks Reparatur-Initiativen oder »Die Welt reparieren. Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis«. Zunächst bietet sich dem Besucher im Grazer Repair Café am Lendkai direkt neben der Mur ein pittoreskes Bild. Im Keller der Räumlichkeiten des Vereins Traumwerk, einer offenen Gemeinschaftswerkstatt, wird geschraubt und gebohrt, gereinigt und gelötet, es klimpern Werkzeuge, eine Nähmaschine rattert über eine Stofftragtasche, alte und junge Besucher und Helfer fachsimpeln über die besten Reparaturmöglichkeiten. Es riecht nach Holz, Metall, durchgebrannten Kabeln, Lötzinn und Kaffee und Kuchen. Für die Jause sorgt Foodsharing, eine Initiative zur Rettung von Lebensmitteln. Essen und Trinken gehören zum gemütlichen Beisammensein genauso dazu wie Schraubenzieher, Bohrer und Lötkolben.

Foto: Heimo Binder

Bereits 16 Repair Cafés in der Steiermark
Besucherin Judith wird mit ihrer defekten Kaffeemaschine zu Helfer Erwin geschickt. »Das ist die Königsdisziplin, da kennt er sich aus«, heißt es. Erwin ist ein Mittsiebziger, der als Haustechniker mit 57 in Pension geschickt wurde, »obwohl ich noch gar nicht wollte«, wie man gleich erfährt. Er ist zuversichtlich, dass das Gerät nur verstopft ist, das Problem sei die schwere Zugänglichkeit zu den einzelnen Komponenten wie der Brüheinheit. Daneben erklärt Reinhard einer rothaarigen Dame, dass es sich beim Fehler in ihrer alten Stereoanlage keineswegs um einen Kurzschluss handle, aber wenn sie wolle, könne sie beim Löten helfen. Am Nebentisch wird von Helfer und Besucher gemeinsam an einer kleinen Mikrowelle geschraubt, in der Nähecke näht ein junger Mann unter Anleitung einer nicht mehr so jungen Frau seine Hoseninnentaschen, auf die zuvor ein Bügelvlies aufgebracht wurde. Im Umlauf sind noch ein alter CD-Player, ein Laptop, ein Handy und eine verdächtig rauchende Akkubohrmaschine. »Zu uns kommen viele Elektrogeräte und Unterhaltungselektronik«, erläutert Andreas Höfler, der hier als Koordinator fungiert und in der Regel nicht selbst Hand anlegt. Das macht er in den anderen drei Reparaturcafés in Graz, dem »Echo« im Jugendzentrum Leuzenhofgasse, den »incafé« bei Jugend am Werk und in der Fachschule Grottenhof. Und den anderen, bislang 13 Repair Cafés in der Steiermark. Obwohl »sein« Repair Café nur alle zwei Monate sein winziges Kellerportal öffnet – man soll ja auch nur zu reparierende Dinge mitbringen, die man problemlos allein tragen kann – ist er somit fast jedes Wochenende im Einsatz. »Man lernt viele Leute kennen und man lernt beim Reparieren so viel dazu«, sagt der studierte Softwaredesigner zu seinem Antriebsmotiv. Er führt – einsehbar auf Facebook – genau Buch, so kann er Auskunft geben, was die durchschnittlich mehr als 100 Besucher alles reparieren wollen. 2018 waren es am Lendkai etwa 66 IT-Geräte, 60 Kaffeemaschinen, 22 Haushaltsgeräte, 23 Handys und 152 Geräte aus der Unterhaltungselektronik wie CD-Player & Co. Tatsächlich hat jedes Repair Café ein eigenes Besucherprofil. So werden etwa in Weiz vorwiegend Haushalts- und Gartengeräte repariert, in Leibnitz hingegen Radios und Fahrräder.

Besucher statt Kunden
Die Organisation ist schwieriger als man denkt, denn die Besucher sind eben keine Kunden, sondern Besucher, das Café bietet kein Fachgeschäft, sondern eine Art Nachbarschaftshilfe an, eine Haftung oder Gewährleistung ist nicht vorhanden, Entgelt gibt es keines, nur freiwillige Spenden, die Helfer sind ehrenamtlich tätig und man muss zunächst eine ausgetüftelte Hausordnung unterschreiben, mit der Probleme jeglicher Art hintangehalten werden sollen. Was nicht ganz einfach erscheint, aber bislang habe es etwa seitens der Wirtschaftskammer keine Probleme gegeben. Was auch an der guten Vernetzung liegen mag. So ist etwa »grazrepariert.at« ein Partner, wo die Stadt Graz offiziell ausgewählte Unternehmen für Reparaturen empfiehlt und außerdem eine Reparaturförderung für alle in Höhe von bis zu 50 Prozent der Kosten bis maximal 100 Euro pro Jahr anbietet. Das Land Steiermark und vier weitere Bundesländer haben ebenfalls schon mitgezogen und bieten ähnliche Förderungen an.

Foto: Heimo Binder

Der Kunststoff schlägt zurück
»Reparieren statt wegwerfen« müsste zwar theoretisch jedem einleuchten, aber die Realität sieht bekanntlich anders aus. Wir leben unsere Wegwerfgesellschaft mehrheitlich uneinsichtig seit Jahrzehnten, und wenn es schon in den Siebzigerjahren hieß »Jute statt Plastik«, so stellen wir heute fest, dass der Kunststoff zurückschlägt: in Form vom Plastikmüllinseln im Ozean in der Größe eines kleinen Kontinents oder durch bereits erfolgtes Erreichen der Primärnahrungskette zum Beispiel in Fischen, die direkt in unseren Mägen landen. Und heute? Wer verzichtet schon auf ein neues Handy? Es gab immer ein paar Einzelkämpfer, aber im Zuge der digitalen Vernetzungsmöglichkeiten über Internet und Funktelefonie mit fast der ganzen Welt, tun sich vergleichsweise gigantische Dimensionen auf, die Optimisten Hoffnung geben (und den Pessimisten zumindest Trost spenden). So könnte die Reparaturbewegung tatsächlich eine gesellschaftspolitische Bedeutung erlangen, man denke etwa an die Tragweite der gesellschaftlichen Ächtung des Rauchens – jetzt einmal abgesehen von ihrer Provenienz –, die bis in das kleinste Beisl in Minihof vorgedrungen ist. Ist das nicht erstaunlich?

Reparieren ist nicht neu
Neu ist, dass sich Menschen in Reparatur-Treffs, Repair Cafés und anderen Reparatur-Initiativen zusammenschließen, um gemeinsam der geplanten Obsoleszenz (schneller Verschleiß, etwa durch Kunststoff- statt Metalllager oder -stoßdämpfer) entgegenzutreten. Neu ist, dass sie in kritischer Absicht reparieren und ihr Tun explizit als nachhaltige Praxis und als Antwort auf die Krisen der westlichen Konsum- und Wohlstandsgesellschaft verstehen. Und als bewusste Abkehr von einer Kultur, in der Produkte, noch kaum in Gebrauch genommen, schon wieder durch die nächste Produktgeneration entwertet sind. Fachsimpelei und Tüftlerei machen aber auch Spaß und kompetent, Alters- und soziale Grenzen verlieren an Bedeutung. Das Reparieren von Alltagsgegenständen – in der Regel Dinge, die aufgrund ihres Alters und ihres geringen Werts meist ohnehin nicht in kommerziellen Werkstätten gelandet wären – ist vor allem den vielen älteren Teilnehmern noch eine Selbstverständlichkeit und Teil einer Ethik der Sparsamkeit und des Haushaltens. Für die Jüngeren geht es vielleicht weniger um die Erhaltung, als vielmehr um einen anderen Zugang zu Dingen und die Entdeckung neuer Ebenen im »Dingverhältnis«. Ärgerlich für beide ist die Strategie vieler Hersteller, die Geräte durch Verklebungen zu verschließen und so für Reparaturen unzugänglich zu machen, und auch das Wissen darüber, wie die Dinge funktionieren, klein zu halten. Wenn du es nicht öffnen kannst, kannst du es nicht besitzen – und das stört den Selbstbestimmten, der nicht nur die Dinge, sondern auch die Verhältnisse in die eigene Hand nehmen möchte. Das Teilen von Wissen, handwerklichem Können, Werkzeugen und sozialen Netzwerken macht unabhängiger und widerspricht gängigen Konsummustern und Wohlstandsvorstellungen, kann aber zu einem Mehr an Lebensqualität führen. So gesehen ist die Kultur des Do-It-Yourself eine Subsistenzkultur. Angesichts ökologischer Katastrophen, ökonomischer Unabwägbarkeiten und wachsender Individualisierung scheint der sorgsame Umgang mit Ressourcen, die höhere Wertschätzung von Handwerk und Haus- und Sachverstand sowie die Schaffung von Beziehungsnetzen zunehmend dringlich, um gesellschaftliche Resilienz zu erreichen. Die Repair-Bewegung ist somit auch Teil aufkommender Kapitalismuskritik einer jüngeren urbanen Generation, wenn der Logik der Konkurrenz eine Logik der Kooperation entgegengesetzt wird, wenn Wissen geteilt statt monopolisiert werden soll, wenn statt Produktion von Müll und Verschleiß das Prinzip von Reparatur und Upcycling für ein längeres Leben der Dinge eingefordert wird. Niemand weiß heute, ob dies auch insgesamt zu einem nachhaltigeren Lebensstil führen und sich ein anderer Begriff von Wohlstand entwickeln wird, man kann darin aber auch einen Puzzlestein sehen, der nahtlos mit anderen Entwicklungen wie Tierschutz und Vegetarismus oder den Schülerdemos für eine bessere Umwelt zusammenpasst.

Foto: Heimo Binder

Erwin hat diesmal eine von zwei Kaffeemaschinen wieder hingekriegt, die Stereoanlage ist frisch verlötet, das Rätsel der rauchenden Akkubohrmaschine ist gelöst: Der interne Strombegrenzer bekommt bei niedrigem Akkustand zu wenig Strom, um zu funktionieren, daher lässt er den vollen Stromfluss auf den Motor los. Folge: Das Ding brennt durch. Lösung: Immer einen vollen Akku verwenden beziehungsweise ständig laden – oder doch eine neue Bohrmaschine, bei der idealerweise der alte Akku passt. Auch die Mikrowelle ist auf dem Weg der Besserung. Das Ding hat über 200 Euro gekostet, weil auch ein Heißluftgebläse und ein Griller integriert sind. Die Durchmessung hat einen defekten Trafo ergeben und die Internetrecherche, dass ein neuer nur 25 Euro kostet, den der Besitzer kaufen und selbst einbauen wird.

Repair Café
8020 Graz, Lendkai 45
repaircafe-graz.at

Fazitportrait, Fazit 151 (April 2019) – Fotos: Heimo Binder

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