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Der Natur auf der Spur

| 26. April 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 152, Fazitgespräch

Foto: Erwin Scheriau

Die Biogartenexpertin Angelika Ertl-Marko über Pestizidlobby und Demeter, Greta Thunberg und Peter Kaiser und die Kommunikation von und mit Pflanzen.

Das Gespräch führten Volker Schögler und Peter K. Wagner.
Fotos von Erwin Scheriau.

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Das trübe Regenwetter zu unserem Interviewtermin in ihrer Feldkirchner Gärtnerei tat der heiteren Gelassenheit von Angelika Ertl-Marko keinen Abbruch.

Viele kennen die energiegeladene Meisterfloristin von den wöchentlichen Gartentipps auf »Steiermark heute« im ORF schon seit 2002. Laut ihrer ORF-Star-Seite ist sie »auf  Menschen zugehend« und macht auch bei müden Journalisten um neun in der Früh keine Ausnahme.

Kein Wunder. Tote zum Leben erwecken kann sie nämlich. Tote Erde. Und Ansagen macht sie auch – aber das müssen Sie schon selbst lesen.

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Wie ist die Diagnose der Biogartenexpertin hinsichtlich der steirischen Erdscholle?
Der österreichische und der deutsche Garten ist besonders vergiftet, weil wir schnell und billig Zugriff zu Pestiziden und Fungiziden hatten und keine Aufklärung über die Gefahren. Was zählte war der schneller Effekt: Einmal drüberspritzen und der Käfer ist weg, einmal düngen und es sprießt wieder alles. Das entspricht aber nicht der Natur des Seins – in den letzten 60, 70 Jahren ist in der Landwirtschaft und in den Privatgärten wahnsinnig viel angerichtet worden. Zum Beispiel sechzig Prozent weniger Insektenmasse, was wir daran merken, dass auf der Windschutzscheibe keine Blutspuren mehr sind. Oder dass die »Werre«, das ist die Maulwurfsgrille, heute ein größeres Problem ist als früher, als der Wiedehopf noch verbreitet war.

Wie konnte es soweit kommen und wie war das in Ihrer Gärtnerei?
Ich komme aus einer konventionellen Gärtnerei, die mein Opa 1946 aufgebaut hat. Nach dem Krieg hat es durch die chemische Industrie viel Stickstoff gegeben. Man ist draufgekommen, dass sich damit in der Landwirtschaft die Erträge immens steigern lassen. Dann ist es in den Gartenbaubetrieb gekommen. Mit chemischen Düngemitteln und Spritzmitteln konnte man auch diese Massenproduktion fördern. Später haben mein Vater und meine Mutter die Blumenkistlgärtnerei aufgebaut. Als ich klein war, haben wir sicher an die 25 unterschiedliche Blumenkulturen gehabt, wir hatten alles, wir haben nichts zugekauft, Rosen, Nelken, Schleierkraut und Grün, ich hab Strohreserl gedreht als Kind, wir hatten Fresien, einfach alles. Das war eine romantische Zeit im Gartenbau.

Sie haben im Jahr 2000 den Betrieb übernommen und machen heute alles anders?
Als dritte Generation musste ich mich neu erfinden oder untergehen, wie man so sagt. So sind vor 20 Jahren die Fernseharbeit, dann die Vorträge und das Reisebüro entstanden. Ich habe ja seit vier Jahren keine Gärtnerei mehr, ich habe zugesperrt. Mit der EU hast du alles billiger aus Indien und Kolumbien bekommen, deren Spritzmittel kein Thema waren und sind. Ich musste alle Blumen rausreißen, weil kein Ertrag mehr möglich und der Zukauf billiger war, diese Marktsituation war nicht richtig. Es hat alles Vor- und Nachteile. Einerseits ist es gut, dass es die EU gibt und dass es auch Produkte von außen gibt, weil sich natürlich die Vielfalt erhöht, auf der anderen Seite hätte man die klein strukturierten Landwirtschaften und Gärtnereien einfach besser schützen müssen.

Foto: Erwin Scheriau

Die Umstellung auf eine ökologische Gärtnerei war kein Thema?
Dazu hatte ich damals zu wenig Wissen, um zu überleben. Wie ich von Gärtnerkollegen in der Steiermark heute weiß, braucht man bis zu fünf Jahre für die ökologische Umstellung. Das Schöne ist, dass sie sagen, sie können sich jetzt wieder mehr um die Planze kümmern und nicht mehr um diese chemischen Kugerl und Salze. Viele Kollegen probieren schon viel aus, machen Kräuterextrakte, Hömöopathie, verwenden torfreduzierte Erde, auch vegane Nachdüngung mit eigenen Kräuteressenzen – und die Pflanze wird dadurch definitiv stärker und gesünder und das Immunsystem wird stärker. Bei chemischer Düngung nimmt die Pflanze das schnell auf und bildet langkettige Zuckerverbindungen, aber dann bekommen die Pflanzen schneller mehr Schädlinge. Wenn du natürlich düngst, ist die Pflanze dunkelgrüner, kurzkettige Zuckerverbindungen werden aufgebaut und die Pflanze ist in sich viel stabiler. Das lernt man jetzt als Gärtner wieder sukzessive,  ist aber ein Megaprozess, weil in den Lehrbüchern ist es noch nicht drinnen. Da steht, in welcher Konzentration man spritzen muss, um die Pflanze zu stärken.

Wegen des Einflusses der agrochemischen Konzerne auf einem Milliardenmarkt?
Ich war kürzlich in Bleiburg in Kärnten, da hat Landeshauptmann Peter Kaiser verordnet, dass in Privatgärten keine Chemie mehr angewandt werden darf – vier Stunden später hat die Pestizidlobby – ich nenn sie jetzt so – einen Brief ausgeschickt: Um Gottes Willen – Österreich wird verunkrautet, die Pflanzen und Zimmerpflanzen haben keinen Schutz mehr, der Hobbygärtner greife auf unmögliche Mittel zurück, nämlich Heißwasser und Bunsenbrenner gegen Unkraut und das schade den Organismen. Ich habe dem Herrn dreißig Fragezeichen zurückgeschrieben und gefragt, wieviel er kriegt für diese seltsamen Argumente.

Wie ist die Situation bei Ihnen heute?
Ich habe einen Teil vermietet, da gibt es drinnen noch Unterricht, ein Florist war drinnen und ich mache dort meine Kompostkurse und es wird noch Gemüse gezogen, aber es ist keine klassische Gärtnerei mehr, wo man was einkaufen gehen kann, sondern es ist Schaugarten. Kürzlich bei unserem Frühlingsfest von Oliva-Reisen waren fast tausend Leute da. Oliva ist übrigens der Name von meinem Opa. Wir sind Selbstversorger mit dem Gemüse, da brauchen wir viel Fläche zum Anbauen. Da ist ein fast englischer Landschaftsgarten, die Gemüsehochbeete, die Hendln, eigentlich eine kleine gemischte Landwirtschaft. Vereinzelt kommen noch Leute zum Blumenkaufen, da sag ich dann »Wegen Ihnen mussten wir zusperren, weil Sie seit vier Jahren nicht gekommen sind«.

Mit Oliva-Reisen veranstalten Sie seit 15 Jahren Gartenreisen. Wie sind Sie ins Reisebürogeschäft eingestiegen?
Als ich von der Gartenbauschule Schönbrunn zurückgekommen bin, habe ich gemerkt, dass das nicht mehr mein Weg ist, wenn ich zu viel Chemie verwenden muss, damit das ganze Werkl funktioniert. Ich habe mein ökologisches und biologisches Wissen ausgebaut und parallel mit Gartenreisen begonnen und mir viele ökologische Beispiele angesehen, etwa in Spanien oder in Kairo. Dabei habe erkannt, dass der ökologische Weg funktioniert, was aber nur dadurch möglich war, dass ich weg war. Schließlich bin ich auf die Ökoregion Kaindorf gestoßen. Ich bin bei diesem Leuchtturmprojekt Humusbotschafterin. Wir vermitteln Landwirten eine Möglichkeit zur nachhaltigen ökologischen Bewirtschaftung. Dabei bewirtschaften rund 280 Landwirte durch Humusaufbau ihre Böden. Wir betreiben einen Kohlendioxidhandel und verkaufen Zertifikate und das Geld kommt den Bauern  zugute, die Kohlenstoffbindung und Kompostwirtschaft betreiben.

Um welche Beträge geht es da?
Das sind 300 bis 400 Euro pro Hektar.

Foto: Erwin Scheriau

Achten Sie auf Ihren ökologischen Fußabdruck, wenn Sie doch ein Reisebüro betreiben?
Mit dem Reisebüro habe ich auch einen Zwiespalt. Wir sind bei »Atmosfair« dabei, das heißt,  wir zahlen für unsere Kunden für Baumpflanzungen und andere Projekte und versuchen so, das möglichst Beste zu tun. Ich baue selbst an, bin Vegetarierin, fahre viel im Zug und versuche, den ökologischen Fußabdruck möglichst klein zu halten.

Es gibt die Ansicht, dass eigentlich nicht die biologischen, sondern die konventionell produzierten Lebensmittel gekennzeichnet gehörten. Wie sehen Sie das?
Man muss tatsächlich noch immer rechtfertigen, wenn etwas biologisch hergestellt wurde. Warum ist es nicht umgekehrt? Ich berichte in meinen Vorträgen gerne von Forschungen, die sich mit der Frage beschäftigen, um wieviel konventionell hergestelltes Fleisch eigentlich mehr kosten müsste. Wegen Tierleids, wegen Wassernutzung und der Gesundheitsproblematik müsste Fleisch um 52 Prozent mehr kosten, Gemüse um 34 Prozent und Eier um 18 Prozent. Konventionelle Lebensmittel müssten also teurer sein als biologische. Aber das Großindustrielle wird von Politik und Wirtschaft noch immer gefördert, deshalb können die so billig verkaufen.

Ist das nicht auch eine Generationenfrage – bei den Älteren ist das Verständnis dafür geringer als bei den Jüngeren?
Die Jugend denkt schon anders, wenn sie zum Beispiel nur Bio-
blumen will und keine gespritzten aus dem Baumarkt. Da sind Blumen aus Gärtnereien, die mit Kräuterextrakten arbeiten und Partnerbetrieb von »Natur im Garten« sind, schon etwas anderes, als ein Stöckerl aus Spanien, das Konzentrationen von problematischen Stoffen vom bis zum Vierzigfachen hat. Der durchschnittliche Konsument ist nicht geschult, genau hinzusehen und er ist nicht kritisch erzogen worden, sondern nach dem Motto: Geh rein, kauf und sei glücklich. Da denkt die Jugend schon anders. Das ist tatsächlich ein Generationenthema. Zum Beispiel ist die Mülltrennung zumeist über die Kinder in die Haushalte gekommen: Mama, falscher Kübel. Deshalb müssen wir schauen, dass wir den Kindern Gemüsekistln mit nach Hause geben, weil die Kinder die beste Schulung für die Eltern sind. Mit der politisch relevanten jungen Dame Greta Thunberg stehen jetzt viele Kinder auf, wie auch meine 16jährige Nichte, die sagen, ich will nicht bei Minus-30-Prozent einkaufen gehen, weil ich brauche gerade nichts. Auch kein siebentes Paar Schuhe, weil ich habe schon sechs und schon gar nicht, wenn es in zuviel Plastik eingepackt ist. Da müssen wir Älteren aus der Konsumgesellschaft uns anstrengen.

Was ist Ihrer Meinung nach in der Landwirtschaft wichtiger: biologisch oder regional?
Die Kombination wäre das Beste. Ich bin ein kompletter Fan von Regionalität, weil damit unterstützt man die Landschaftspflege und die klein strukturierte Landwirtschaft. Und wer viel einkauft, kann irgendwann auch dazu auffordern, dass ökologisch gearbeitet wird. Das kommt dann von den Landwirten selbst, weil sie den Zugzwang spüren oder mit dem Herzen dem Trend folgen. Auch in meinem Buch behandle ich das Thema Werte. Und ich sehe den klein strukturierten Landbau oder die Demeterbetriebe boomen.

Haben Pflanzen eine Seele?
Das ist eine sehr gute Frage – ich glaube nicht dass sie per se eine Seele haben, aber im weiteren Sinn haben sie Gefühle. Sie drehen sich nach dem Licht, manche Pflanzen merken, wenn sie gehasst werden und gehen schneller ein. Leute wie der Literaturnobelpreisträger Maurice Maeterlinck oder der Förster Peter Wohlleben sprechen auch von der Intelligenz der Pflanzen. Pflanzen haben viele Botenstoffe und die Pilze sind das WLAN des Bodens, über das Informationen weitergegeben werden: Pflanzen können über Hormone und Wurzelausscheidungen kommunizieren. So riecht frisch geschnittenes Gras nach frischem Grün und das ist eigentlich ein Signalstoff für das nächste Gras und bedeutet: Zieh dich ein! Die Natur funktioniert fantastisch und je mehr wir Böden versiegeln und Chemie reintun, umso mehr unterbrechen wir dieses intelligente System, weil die Natur braucht uns nicht, wir brauchen die Natur.

Heißt das auch, dass man mit Pflanzen doch irgendwie kommunizieren oder sprechen kann?
Da bin ich mir ganz sicher. Das legen viele Forschungen nahe, wie etwa jene über zwei nebeneinander stehende Paradeiser, wenn die eine die andere wegen ihrer Raupe warnt und diese andere daraufhin ein gewisses Gift erzeugt, um sich zu schützen. Das spricht für einen Geschmackssinn und einen Tastsinn – die Raupe schlatzt und beißt ja – und die Pflanze gibt die Information weiter. Ist das nicht toll? Interessant ist auch, dass die unteren Blätter vom Paradeiser gelb werden und nach unten hängen. Aber nicht weil sie kaputt sind, wie die meisten glauben und sie wegschneiden, sondern weil sie damit einen Verdunstungsschutz bildet und zugleich ein Signal für etwaige Schädlinge setzt: Hau ab, du siehst, ich bin am Absterben. Übrigens braucht der Paradeiser als Wüstenpflanze wenig Wasser.

Foto: Erwin Scheriau

Wie schaut die Zukunft der Nahrungsmittelindustrie angesichts der riesigen Glashäuser wie etwa in Spanien aus?
Da wird Gemüse in Chemie gezogen und das wird immer mehr, auch Fujitsu und Toshiba investieren in Gemüsegroßglashäuser. Dazu braucht man NPK-Dünger, also Stickstoff, Phosphor und Kalium, aber genau das erzeugt der Regenwurm mit seinen Ausscheidungen auch, deshalb ist er auch so wertvoll. In einer Handvoll Erde sind so viele Mikroorganismen, wie Menschen auf der Welt leben. In einem Kubikmeter Erde sollten 80 Regenwürmer sein – dann ist der Boden regenerativ. Von Charles Darwin stammt mein Lieblingssatz: Die Erde wurde nicht vom Herrgott erschaffen, sondern vom Regenwurm erschissen.

In Ihrem neuen Buch beschäftigen Sie sich mit dem Thema Humus – wie wichtig ist Humus?
Wir verbauen in Österreich 21 Hektar pro Tag. Da sind klein strukturierte Landwirtschaften oder Projekte wie die Morgentaugärten eine sinnvolle Gegenbewegung. Es werden uns die landwirtschaftlichen Flächen ausgehen. Damit wird es schwerer, die Ernährungssouveränität zu behalten. Außerdem haben wir in Mitteleuropa nur mehr ein bis zwei Prozent Humus in unseren Böden, das reicht nur mehr für 30 bis 60 Ernten, dann ist der Boden erschöpft, wenn wir uns weiterhin auf die Chemie verlassen. In der Südsteiermark etwa beginnt aufgrund der Monokulturen wie beim Mais der Humus bei Starkregen bereits wegzurutschen. Wir bräuchten fünf Prozent Humus, damit sich unsere Böden wieder regenerieren. Daher ist die Mulchwirtschaft mit Kompost, Zwischensaaten und Winterbegrünung für die Landwirtschaft so wichtig. Aber auch für den Hobbygärtner, für den ich gern in die Rolle eines Brückenbauers schlüpfe, sind solche Erkenntnisse wichtig.

Frau Ertl-Marko, vielen Dank für das Gespräch.

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Angelika Ertl-Marko wurde 1977 in Graz geboren. Sie maturierte 1999 an der HBLVA für Gartenbau-Schönbrunn in Wien und übernahm 2000 den elterlichen Betrieb in Feldkirchen bei Graz. Ausbildung zur Meisterfloristin in Innsbruck und Zürich. Seit 2001 beim ORF-Steiermark (Gartentipps) und Sendungen bei Willkommen Österreich. Seit 2005 Moderatorin, Ausbildung zum Businesscoach. Sie macht Vorträge, Workshops, Gartenreisen mit dem eigenen Reisebüro Oliva-Reisen und ist Buchautorin (Das große Boden-ABC). Ertl-Marko ist verheiratet.

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Fazitgespräch, Fazit 152 (Mai 2019), Fotos: Erwin Scheriau

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