Anzeige
FazitOnline

Wirtschaftsstandort Österreich. Zurück zum Stillstand?

| 9. Juli 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 154, Fazitthema

Foto: Adobe-Stock

Dem Versuch von ÖVP und FPÖ, Österreich nach Jahren des rot-schwarzen Stillstands wieder auf die Überholspur zu bringen, ist nach einigen ambitionierten Anfangserfolgen durch den Ibiza-Skandal vorerst der Saft abgedreht worden. Denn nachdem die Wettbewerbsfähigkeit unter den SPÖ-ÖVP-Regierungen massiv gelitten hatte, schaffte die Regierung Kurz in nur eineinhalb Jahren einen Turnaround. Doch der Standort leidet trotz der ersten Entlastungsschritte immer noch unter zu hohen Steuern und Abgaben, einer überbordenden Bürokratie und mangelnden strukturellen Reformen. Text von Johannes Tandl.

::: Hier im Printlayout online lesen

Kaum ein anderes EU-Land hat in so großem Ausmaß von den EU-Grundfreiheiten profitieren können wie Österreich. Und so startete das Land nach dem Beitritt im Jahr 1995 eine spektakuläre wirtschaftliche Aufholjagd. Bis 2007 ist Österreich signifikant stärker gewachsen als Deutschland. Zwischen 1998 und 2007 hat sich Österreich beim in Wirtschaftskreisen maßgeblichen globalen IMD-Standortranking vom 24. auf den sensationellen elften Platz vorgearbeitet, während Deutschland einen 16. Rang behaupten konnte. Zwischen 2008 und 2017 wurde Österreich beim IMD-Ranking auf den 25. Platz nach hinten durchgereicht, während Deutschland im Zuge der Hartz-Reformen trotz Eurokrise auf Rang sechs vorpreschen konnte. Beim 2019er-Ranking reichte es für unseren Wirtschaftsstandort immerhin für den 18. Platz. In Deutschland führt die Reformmüdigkeit der »Groko« hingegen zu einer Schwächung des Standortes, die sich in einem Rückfall auf Rang 13 ausdrückt.

Immerhin wächst Österreichs Wirtschaft seit dem Ende des rotschwarzen Stillstands wieder signifikant stärker als die deutsche. 2017 – noch vor dem Regierungswechsel zu Türkis-Blau – analysierten die OECD-Experten nämlich, dass »mächtige Lobbys« – gemeint waren die Sozialpartner – die österreichische Gesetzgebung massiv beeinflussen und etwa den unternehmerischen Zugang im Dienstleistungsbereich und im Einzelhandel behindern würden. Die OECD attestierte dem Dienstleistungssektor eine viel zu niedrige Produktivität und empfahl dringend Maßnahmen, die für mehr Wettbewerb, Innovation und Wachstum sorgen. Auch der IWF schloss sich der unverblümten Kritik der OECD am österreichischen Modell der Sozialpartnerschaft an. Aus Sicht des Währungsfonds hatte sich die Sozialpartnerschaft vom Garanten des sozialen Friedens zu einem Hindernis für einen nachhaltigen Aufschwung gewandelt.

In der Vergangenheit bestand Österreichs wirtschaftliches Erfolgsrezept nämlich aus der Konsensorientierung der Sozialpartnerschaft. Doch anstatt die Wirtschaft weiter nach vorne zu bringen und eine Politik zu unterstützen, die den Wohlstand mehrt, begannen sich die roten und schwarzen Sozialpartner in den letzten Jahren von Rot-Schwarz gegenseitig zu lähmen. Sie scheiterten nicht nur an der Arbeitszeitflexibilisierung, sondern auch an der Reform des Sozialstaates, des Gesundheitswesens oder der Pflegefinanzierung. Und da sich weder die SPÖ noch die ÖVP über ihre in Gewerkschaften und Kammern organisierte Kernklientel hinwegsetzen konnten, war Stillstand die logische Konsequenz.

Seitdem die SPÖ die Regierung verlassen musste, wächst die österreichische Wirtschaft wieder deutlich stärker als die deutsche. Das hat natürlich nicht nur mit türkis-blauen Reformerfolgen zu tun, aber das Anspringen der Konjunktur als Ergebnis einer globalen Entwicklung oder einer deutschen Schwäche abzutun, greift dennoch viel zu kurz. Schließlich konnte Österreich in Bezug auf die Konjunktur nicht nur Deutschland, sondern auch die Eurozone und die EU-28 signifikant überflügeln. Die türkis-blauen Reformen sind vor allem auf die Nichtberücksichtigung der Standpunkte der SPÖ-nahen Sozialpartner zurückzuführen. Unter Rot-Schwarz trafen die Sozialpartner ihre Vereinbarungen und die Steuerzahler mussten dafür aufkommen. Das Erfolgsmodell der 60er- und 70er-Jahre brauchte jedoch enorme Wachstumsraten, um funktionieren zu können. Da dieses Wachstum nach der Finanzkrise ausblieb, wuchsen daher jene Bereiche, die sich die beiden großen Sozialpartner-Blöcke als »heilige Kühe« gegenseitig zustanden, so stark an, dass die staatliche Effizienz darunter zu leiden begann. Die Reformdividende der letzten beiden türkis-blauen Regierungsjahre hätte noch deutlich größer ausfallen können. Doch die meisten der »heiligen Kühe« der Sozialpartner sind mit Verfassungsmehrheiten abgesichert. Außerdem musste Türkis-Blau die Kernbereiche der ÖVP-nahen Sozialpartner von vornherein unangetastet lassen. Vor dem Hintergrund wäre eine Regierungskonstellation, die mit einer Zweidrittelmehrheit ausgestattet ist und bei der entweder SPÖ oder ÖVP in Opposition ist, durchaus interessant.

Zu diesen »heiligen Kühen« zählen immer noch die Eisenbahner-, aber auch die Beamtenprivilegien, die Agrarsubventionen, die aufgeblasenen Apparate der Kammern oder die viel zu großen Verwaltungskörper des Bundes, der Länder und Gemeinden. Wer es in Österreich schafft, in einer der roten oder schwarzen Schutzzonen »unterzukommen«, muss sich daher immer noch keine Sorgen um sein gesichertes Auslangen machen.

Daher liegt die Staatsquote – das ist der Anteil der Staatsausgaben am BIP – in Österreich traditionell zwischen 50 und 55 Prozent. Seit dem EU-Beitritt wurde die 50-Prozentmarke nur in den Boomjahren 2007 und 2008 unterschritten. Mit wirtschaftlichem Rückenwind schaffte die türkis-blaue Regierung auf Anhieb eine Punktlandung. Im Vorjahr gelang es sogar, die Staatsquote auf den niedrigsten Wert der letzten 30 Jahre – auf 48,5 Prozent – zu drücken.

Um das teure Staatswesen und den Sozialstaat zu finanzieren, liegt Österreich sowohl bei der Lohn- und Einkommensteuer als auch bei den Sozialversicherungsabgaben traditionell im internationalen Spitzenfeld. Bei den Unternehmenssteuern dürfte es ähnlich sein. Aber bisher haben es die EU-Staaten noch immer nicht geschafft, die Bemessungsgrundlagen für die Unternehmenssteuern zu harmonisieren. Daher ist ein belastbarer EU-Vergleich kaum möglich.

Als größten Defizitbereich unter den österreichischen Standortfaktoren definiert die Unternehmensberatung Deloitte jedoch das österreichische Bildungssystem. Es sei maßgeblich für den Fachkräftemangel verantwortlich, wodurch die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Unternehmen bereits deutlich gebremst wird. Tatsächlich schneiden heimische Pflichtschüler trotz hoher Pro-Kopf-Ausgaben in den für die Karriere maßgeblichen Fächern Lesen und Mathematik nur unterdurchschnittlich ab. Daher klagen die Unternehmen darüber, dass sie zu wenige geeignete Lehrlinge finden. Aber auch im Universitätsbereich gibt es Probleme. Österreich fehlt ein absolutes Spitzeninstitut wie etwa die ETH Zürich für die Schweiz. Außerdem gibt es nach wie vor Engpässe in den MINT-Studienrichtungen – also jenen Bereichen, die von der Wirtschaft besonders nachgefragt werden. Darüber hinaus sinkt die Zahl der Doktoranden. Im Mai 2019 waren übrigens 20,6 Prozent der Menschen, die nur die Pflichtschule absolviert haben, arbeitslos. Bei Lehrabsolventen betrug die Arbeitslosigkeit 5,6 Prozent und bei Akademikern 3,1 Prozent. Das österreichische BIP wuchs im Vorjahr um 2,7 Prozent. Dieses hohe Wachstum wurde vor allem von der exportorientierten Industrie getrieben. Das Exportvolumen lag bei 150 Milliarden Euro und stieg gegenüber 2017 um sechs Prozent. Fast 80 Prozent der Exporte gingen nach Europa. Doch bereits heuer wird sich das Wachstum deutlich abschwächen. Die EU senkte die Wachstumsprognose für Österreich zuletzt von 1,6 auf 1,5 Prozent. Zurückzuführen ist das einerseits auf internationale Unsicherheiten – vom Brexit bis zur US-Handelspolitik. Stabilisierend wird jedoch der starke Privatkonsum als Folge der deutlich gestiegenen Lohnabschlüsse, aber auch des Familienbonus bewertet. Wenige Impulse sind hingegen von der Eurozone zu erwarten. Der Euroraum wird heuer nur um 1,2 Prozent wachsen und das deutsche Wachstum wird gar auf 0,5 Prozent zurückfallen.

Nachdem Österreich im Jahr 2015 noch die am langsamsten wachsende Volkswirtschaft war, hat das Land endlich zurück auf den Wachstumspfad gefunden. Obwohl keine Rezession in Sicht ist, steht die nächste Bundesregierung in punkto Bürokratie, Abgaben- und Bildungssystem vor gewaltigen Aufgaben. Denn nur dann kann das Land langfristig wettbewerbsfähig bleiben und beim IMD-Ranking vielleicht irgendwann sogar bei den globalen »Top Ten« anklopfen.

Fazitthema Fazit 154 (Juli 2019), Foto: Adobe-Stock

Kommentare

Antworten