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Good Lack!

| 30. Oktober 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 157, Fazitportrait

Foto: Heimo Binder

Als eine der wenigen freien Lackierereien in Graz bewegt sich die Firma Nezmahen seit bald 120 Jahren so elegant wie konstant durch die Wirrnisse der Geschichte, zwei Weltkriege, Rezession, Hochkonjunktur bis ins Heute. Und der Lack ist immer noch nicht ab. Im Gegenteil.

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Wenn Alfred Fauster im Lackmischraum steht, braucht er starke Nerven und ein gutes Auge. Umgeben von unzähligen Lackdosen kämpft er sich durch tausende Farbmuster, fächert Paket um Paket auf, begutachtet einen riesigen Fächer von Rot, beleuchtet ihn mit einer Tageslichtlampe, brummelt etwas in seinen Vollbart und schüttelt den Kopf. Wie so oft will keines der penibel durchnummerierten Farbmuster zu jenem Rot passen, mit dem der ramponierte Kotflügel oder die zerkratzten Autotüren lackiert sind. Frisch vom Spengler geliefert, schauen sowohl die Blechteile wie auch die Farbmuster in den Augen des Laien tadellos aus. Fauster hat dafür nur ein Lächeln übrig. Kein Lackierer ist mit der Arbeit eines Spenglers – und sei sie noch so genau – zufrieden. Es muss immer noch genauer nachgearbeitet werden, was zu ungefähr hundert Prozent heißt, es muss geschliffen werden. Ein Lackierer ist somit immer ein großer Schleifer. Dass die roten Farbkarten eigentlich alle gleich ausschauen, ist zugegebenermaßen unrealistisch. Welcher Lackhersteller würde sich so eine unsinnige und noch dazu aufwendige Arbeit antun? Aber Augen sind nicht logisch, sondern subjektiv, und wenn man nur die erste und die letzte Karte vergleicht, dann, ja dann erkennen auch die Stäbchen und Zapfen der Netzhaut des Laien Unterschiede. Wenn auch nur minimale.

Fazitabschweifung
Weil es gerade dazu passt: Wussten Sie, dass vor allem ältere Menschen vorwiegend in Schwarzweiß träumen? Angeblich hängt das mit dem Schwarzweiß-Fernsehen vergangener Tage zusammen. Demnach hätte erst das Farbfernsehen unsere Träume bunt gemacht. Und weil wir gerade in eine Fazitabschweifung schlittern: Möglicherweise gehört diese Traumgeschichte bloß zu den Urban Legends (wie »Die Spinne in der Yucca-Palme«), einer Art Vorläufer von Fake News. Viel besser sind ja luzide, sogenannte Klarträume, in denen sich der Träumer bewusst ist, dass er träumt, und so bewusst den Inhalt des Traums beeinflussen und lenken kann. Dem Lackierer hilft das wenig. Da er nicht davon ausgehen kann, dass sich die Kundschaft das richtige Rot zum Kotflügel bloß dazuträumen will, greift er zu handfesteren Maßnahmen: Er mischt die Farbe selbst ab und besprüht damit Probetäfelchen, die er direkt mit dem Originallack per Sichtkontrolle vergleicht. Das erfordert ein hohes Maß an Übung und Erfahrung. Daran mangelt es den insgesamt zwölf Mitarbeitern der Firma Nezmahen nicht. Im Gegenteil. Sie alle haben in diesem langjährigen Traditionsbetrieb gelernt und teilen untereinander Wissen und Erfahrung. Jeder Geselle im Unternehmen hat hier auch seine Lehrlingszeit verbracht und weiß, worauf es ankommt. Auch Alfred Fauster und Martin Engel, die mit Jahreswechsel die Geschicke des Betriebs lenken werden, haben direkt nach der Pflichtschule in den Neunzehnhundertachzigerjahren hier begonnen. Jeder Mitarbeiter, der das Telefon abhebt, meldet sich mit »Nezmahen« (sprich: Neschman), so, als wären alle Angehörige einer Familie. Entsprechend familiär sind auch Umgangston und Atmosphäre im Unternehmen. Dabei bereitet sich Rudolf Nezmahen schon auf das vor, wo sich sein langjähriger Geschäftspartner und Cousin Josef Nezmahen bereits befindet: die Pension. Sie bildeten bereits die vierte Generation einer Lackiererdynastie mit entsprechend langer und interessanter Geschichte.

Foto: Heimo Binder

120 Jahre Geschichte
Ursprünglich waren die Nezmahens ja Schwarze. Zumindest die Brüder Josef und Rudolf standen als aktive Wacker-Graz-Mitglieder den »Blackies«, also Sturm Graz, nahe. Als sich aber die Geschäftsbeziehungen mit dem Autohaus Reisinger immer intensiver gestalteten, wurden sie zu Roten, zumal der »alte« Reisinger hoher GAK-Funktionär war. »Cuius regio eius religio« – wessen Herrschaft, dessen Religion – galt für die Vorfahren der Familie möglicherweise schon vor einigen hundert Jahren: Der türkisch anmutende Name Nezmahen deutet auf eine Abstammung von Janitscharen hin. Diese rekrutierten sich aus der unterworfenen christlichen Bevölkerung, die Knaben wurden islamisiert und bildeten in der Folge die gefürchtete Kerntruppe des osmanischen Sultans. Konkret rückverfolgbar ist die Firmengeschichte jedenfalls bis zum Gründer Josef Nezmahen (1863–1949). Der kam aus Krapina, im heutigen Kroatien, dem weltgrößten Fundort von Neanderthaler-Fossilien – natürlich ohne direkten Bezug zur Verwandtschaft. Er begann als Sattler in der Wagenfabrik Gustav Koller in Graz und gründete im September 1900 zusammen mit seiner Frau Theresia, die als Weißnäherin »das Geld hatte«, die Wagenlackiererei Nezmahen in der Oberen Bahnstraße 63, wo sich der Betrieb und das vormalige Wohnhaus der Familie heute noch befinden. Waren es damals noch hölzerne Kutschen, die lackiert wurden, so sind es heute deren direkte blecherne Nachfahren, Autos. Nächstes Jahr steht somit das 120-jährige Firmenjubiläum an.

Reisinger und Vogl
Sein Sohn Josef (1896–1978) erlebte beide Weltkriege und baute mit seiner Frau Gisela 1929 die erste Autospritzlackiererei in Graz. Bereits damals begann die Zusammenarbeit mit den Autohäusern Reisinger und Vogl, die bis heute andauert und rund die Hälfte des Umsatzes von rund 1 Million Euro ausmacht. Nun kamen die oben genannten »Schwarzen« ins Spiel, die zum roten Glauben konvertierten: die Söhne Josef (1923–1997) und Rudolf (1925–1996). Auch ihr Leben war geprägt vom Krieg. Die Jugend, ein Opfer des Fronteinsatzes, Werkstatt und Gebäude des Betriebs Opfer der Bomben auf den nahegelegenen Ostbahnhof. Als die Brüder aus dem Krieg heimkehrten, begann 1947 der Wiederaufbau, unterstützt durch ihre Frauen Frieda und Rosi. Legendär die Einkaufsfahrten nach Wien – nur dort gab es in der Besatzungszeit Material – als jedes Mal die Angst mitfuhr, dass ein russischer Soldat, angelockt von Lack- und Lösungsmitteldämpfen, ein Schlückchen kosten und mit dem Leben bezahlen könnte. Die Brüder übernahmen den Betrieb und das Geschäft florierte. 1972 bauten sie eine der ersten Einbrennlackierboxen Österreichs.

Nachfolge gelöst
1988 kam die vierte Generation ans Ruder: Josef (IV.) und Rudolf Nezmahen. Beide sind Jahrgang 1957 und als direkte Nachkommen ihrer Väter Cousins. Nach knapp zwei Jahren sorgte ein Brand in der Werkstatt dafür, dass auch sie den Geschmack von Wiederaufbau kennenlernen mussten. Sie nutzten den Albtraum jedes Geschäftsmanns gleich dazu, einen Gesamtumbau inklusive Modernisierung der technischen Einrichtungen vorzunehmen. Neue Spritzboxen mit Aktivkohlefilter und Absauganlagen im Bereich der Lackiervorbereitung sorgten nicht zuletzt dafür, dass die Autolackiererei mitten im Stadtgebiet als Grazer Ökoprofit-Betrieb ausgezeichnet wurde. Da nicht alle Autohäuser über eigene Lackierereien verfügen und das Auto nach wie vor als heilige Kuh gilt, deren Fell glänzen soll, ist eine Lackiererei nach wie vor ein krisensicheres Geschäft.

Foto: Heimo Binder

Handwerkliches und geschäftliches Geschick
Firmentreue sowohl der Mitarbeiter als auch der Kunden und ein – siehe oben – familiäres Klima bestätigen das eindrucksvoll. Und das ist nicht nur eine Frage des richtigen Glaubens. Auch Geschick gehört dazu. Zum einen handwerkliches, zum anderen geschäftliches. Da das Nachfolgeduo Alfred Fauster und Martin Engel die normativen Anforderungen erfüllen, mehr als fünf Jahre in verantwortungsvoller Position fachliche und kaufmännische Tätigkeiten ausgeübt zu haben, ist eine Meisterprüfung nicht erforderlich. Und da Rudolf Nezmahen sich nicht ganz zurückziehen will, wird eine Kapitalgesellschaft (GmbH) gegründet, an der die beiden beteiligt sind und zugleich als angestellte Geschäftsführer agieren. Sie sind sich einig und die Kunden werden sich freuen.

Lackiererei Nezmahen
8010 Graz, Obere Bahnstraße 63
Telefon +43 316 830 372
nezmahen.at

Fazitportrait, Fazit 157 (November 2019) – Fotos: Heimo Binder

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