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Jazz dem Volk. Und dem Puristen!

| 11. Oktober 2019 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 156, Kunst und Kultur

Foto: Michael Geißler

Das Jazzfestival in Saalfelden, de facto das Jazzfestival Saalfelden und für viele nur »Saalfelden« feierte seine vierzigste Ausgabe. Und machte einen auf gelungen, runderneuert und enkelfit. So was nennt man perfekte Markenentwicklung.

::: Text von Michael Petrowitsch
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In den späten Neunzehnachtziger- und frühen Neunzehnneunzigerjahren war alles viel lustiger oder zumindest unbeschwerter. Wirklich, und man hatte da so seine kleinen Geheimnisse: Jazz zum Beispiel. Das Zeugs, das die wenigsten der Gleichaltrigen so richtig mochten, es roch irgendwie alt und verfault. Das kleine Geheimnis hat man auch kaum jemandem verraten. Man musste daher wohl auch in abgelegene Orte fahren, um seiner Leidenschaft zu frönen. Die Jazzhauptstadt Graz war zwar da, aber eben deswegen irgendwie auch zu naheliegend. Denn da fehlte irgendwas. Auf Musikfestivals zu fahren und da im alten VW-Passat zu übernachten hatte schon mehr Klasse. Nun, Jazz stank zwar schon ziemlich, aber hob sich angenehm von anderen rein elektrifizierten oder gitarrenlastigen Jugendkulturen ab. Er ging irgendwie mehr in die Breite. Und als Junger ist man ein Suchender und vieles ist einem wurscht. Hauptsache Randale. Wiesen, Nickelsdorf und eben Saalfelden. Orte, die in ihrer Bedeutung bestenfalls als Touristenhotspots konnotiert waren, bekamen durch ganz wenige »Macher« aus den Gegenden für ein paar Tage einen internationalen Touch.

Allerlei Schindluder
»Kein Zutritt für Jazzgäste« verlautbarte man noch an so mancher Gaststätte am Eingang in den Neunzigern in und um diese besagten Regionen. Und Pensionen wollten Jazztouristen oft gar nicht beherbergen. Es wurde ja auch allerhand Schindluder getrieben. Kommt Zeit, kommt Wandel. Man hat ja nicht nur Almudler getrunken und Camel geraucht. Kommt Zeit, kommt Wandel, anyway: Nach einigen Turbulenzen persönlicher wie finanzieller Natur in den frühen Nullerjahren wurde das Werkl in Saalfelden neu und anders aufgestellt. Die Marketing- und Tourismusbranche roch zeitgerecht den Braten, die Gäste die in alten Zeiten noch am Festivalgelände im Zelt nächtigten, waren nun wohl auch kaufkräftiger geworden. Man rettete das Festival und stellte es auf neue Gleise. Das legendäre Zelt vor den Toren Saalfeldens musste weichen. Man betrieb aktive Bürgernähe, um das von den Einheimischen bis dahin eher stiefmütterlich aufgenommene Musikfest zu revitalisieren, als ein Kind der Ihren zu machen und zog mal ins Zentrum. Neue Menschen spielen bei solchen Aktionen auch eine Rolle.

Nicht pädagogisch
Einst hat er noch im wahrsten Sinne des Wortes selbst am Festivalzelt mitgebastelt. Mario Steidl, der mittlerweile erfolgreich die kuratorischen Geschicke lenkt, ist einer der von der Pike auf »Kulturarbeit« gelernt hat. Grundausbildungen wie diese machen sich bezahlt. Die 40. Ausgabe mit rund 80 Konzerten, davon gut zwei Drittel gratis, speiste sich daraus. Bezahlkarten für das »Jazzpublikum« für die Hauptbühne und das Kulturhaus Nexus und freier Zugang zu den anderen Bühnen und Locations im Saalfeldner Stadtgebiet bilden keine parallelgesellschaftlichen Phänomene, sondern ergänzen sich. Intendant Mario Steidl ist eine seltene Mischung zwischen Hemdsärmeligkeit und rhetorisch perfektem Professionisten: »Was bedeutet für ihn denn niederschwelliger Zugang?«, fragen wir naiv. »In Zeiten der totalen Konsumierbarkeit von Musik haben viele Menschen einfach einen sehr verqueren Zugang zum Thema Jazz. Ich kann etwa x Mal anbieten, die Karte um 20 Euro für die Mainstage zu verkaufen, das wird nicht funktionieren. Daher positionieren wir um die Hauptakts Impro-Sessions und Konzerte mit freiem Zugang. Das Wort »pädagogisch« möchte ich vermeiden, mir geht es darum, dass sich die Leute darauf einlassen und eintauchen.«

Kein Stil. Sondern Haltung
Im Mittel flanieren 2.000 Besucher im Stadtgebiet zwischen den Spielorten, etwa der großen populärorientierten Citystage oder kleinen Konzerten in Clubatmosphäre. Dass mehrere Konzerte gleichzeitig staatfinden, tut der Sache keinen Abbruch. Im Gegenteil. Steidl will die ganze Stadt, das ganze Umfeld integrieren und somit eine Öffnung des »Elfenbeinturms für Jazzspezialisten« vorantreiben. »Ich muss alle mitnehmen und die Türen öffnen, mit dem Kunststück, nicht in den Kommerz zu gehen.« Beim Wort Montreux schüttelt es ihn ganz heftig. Mit dem Konzept, öffentlichen Raum neu zu besetzen, ist etwas ganz Bemerkenswertes gelungen. So waren die Nachmittagssessions und Konzerte zum Beispiel in einer wunderschönen Buchbinderei und in Räumlichkeiten des Bezirksgerichtes mit die Highlights für den Autor dieser Zeilen. Die äußerst gut gestaltete Handy-App mit Zeitangaben, Inhalten und Musikbeispielen oder gar Hinweisen auf spontane Musik-Flashmobs (z. B. beim McDonald’s) kam selbst bei hartgesottenen Jazzpuristen an und vereinfachte die Tagesgestaltung maßgeblich. So gestaltete sich das Flanieren zwischen den Konzerten zum entspannten Kopffreikriegen. Steidls Jazzbegriff wiederum ist recht einfach: »Jazz ist kein Stil, sondern eine Haltung.« Punkt. Anders, will heißen, komplizierter soll man’s eh nicht sagen.

Zur Auslastung ergänzt Marco Pointner, als Tourismuschef, bei der Schlusspressekonferenz, dass man mit 25.000 Besuchen die Erwartungen weit übertroffen hatte. Wir sprechen von einer 16.000-Seelengemeinde. Die Akzeptanz ist nach 40 Jahren in der Bevölkerung verankert und mit einer wagen Wertschöpfungsschätzung von zwei Millionen wohl auch ökonomisch angekommen. Dass die Gesamtfinanzierung mit 730.000 Euro zu je einem Drittel (Sponsoren, Einnahmen, öffentliche Hand) den Steuerzahler also keine 300.000 Euro »kostet«, lässt dem Autor vor ungläubigem Staunen fast das Red Bull (auch ein Sponsor) aus der Hand gleiten. Da kennt man andere Fördersummen für Anverwandtes mit weitaus geringerem Effekt. Das Festival in Saalfelden ist ein gelungenes Beispiel einer effizienten Verbrüderung von Nischenkultur (’tschuldigung, mir fällt momentan nichts anderes ein) mit wirtschaftstouristischen Anliegen und Vorgaben. Man braucht keine großen Namen als Programmdirektoren, sondern zieht Eigenbau heran, lernt aus der Vergangenheit und lässt machen. Engagement und Herzblut sind dabei zwei Säulen, die man getrost und unpathetisch verwenden kann. Die dritte ist sowas wie familiärer Zusammenhalt. Dass die Stadt Saalfelden nicht mehr mit »am steinernen Meer«, sondern weitgehend mit Musiktagen in einer der schönsten Regionen Österreichs verbunden wird, gründet auf Hartnäckigkeit, Disziplin und vor allem schlanke, gerade und kostengünstige Organisationsstrukturen. Das ist Markenbildung wie aus dem Lehrbuch. Vor allem ob Letzterem, den kostengünstigen Organisationsstrukturen, wird man wohl anderswo intensiv bestaunt und beneidet.

Alles Kultur, Fazit 156 (Oktober 2019), Foto: Michael Geißler

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