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Der Megatrend weg vom Fleisch

| 20. Januar 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 159, Fazitthema

Foto: Adobe-Stock

Die Forderungen nach mehr Tierwohl und einem besseren Klimaschutz haben längst die Mitte der Gesellschaft erreicht. Und so starten auch immer mehr Steirerinnen und Steirer mit dem Vorsatz ins Neue Jahr, auf Fleisch als Hauptnahrungsbestandteil zumindest teilweise zu verzichten. Landwirtschaft und Handel stehen damit vor völlig neuen Herausforderungen. Text von Johannes Tandl.

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Seit 2012 ist der Anteil der Fleischesser nur mäßig und zwar von 96 Prozent auf 94 Prozent gesunken. Und der Anteil der Menschen, die sich vegan ernähren, liegt irgendwo zwischen 1 und 1,5 Prozent. Dennoch sinkt der Fleischkonsum in Österreich kontinuierlich: Wurden 2007 noch 66,8 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr verspeist, waren es 2018 nur mehr 64,1 Kilo.

Im Marketing-Sprech der AMA heißt das: »Wir stehen am Beginn eines Trends zu mehr Qualität und weniger Quantität.« Schaut man sich an, wer in Österreich auf Fleisch verzichtet, kommt man jedoch zu einem völligen anderen Ergebnis. Denn zwei Drittel der etwa 500.000 österreichischen Vegetarier und Veganer sind unter 40 und überdurchschnittlich gut gebildet. Sie sind zu drei Vierteln weiblich, leben in den großen Städten und verzichten vor allem aus Tierliebe und aus ökologischen Gründen auf Fleisch. Aus Sicht der Demoskopie weisen die Veganer und Vegetarier Gruppenmerkmale auf, die in den nächsten Jahren auf ihren raschen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Aufstieg hinweisen. Damit hat die halbe Million der in Österreich lebenden Vegetarier und Veganer das Potenzial, einen nationalen Trend in Richtung weniger Fleischkonsum und mehr Tierschutz auszulösen.

Weniger Fleisch als Riesengeschäft
Fleischverweigerer galten bis vor kurzem als einschlägige Eiferer und Dogmatiker. Inzwischen ist ihre Lebensweise samt ihrer Kritik am Fleischkonsum aber mitten in der Gesellschaft angekommen. Und so reservieren Supermärkte und Diskonter immer größere Regal- und Vitrinenflächen für vegetarische und vegane Produkte. Sogar die Fastfood-Kette »Burger-King« hat inzwischen einen fleischlosen Burger auf der Speisekarte.

Aus der Sicht des Handels verspricht der Trend zur fleischreduzierten Ernährung ein Riesengeschäft. Denn beim Einkauf von nachhaltigen Produkten sind die Veganer bereit, einen Aufschlag von beinahe 50 Prozent für ihre Ersatzprodukte zu bezahlen, bei Vegetariern beträgt die Bereitschaft, mehr zu bezahlen, immerhin noch 30 Prozent. Die hohen Deckungsbeiträge beim Fleischersatz führen daher längst dazu, dass der Lebensmittelhandel nicht nur seine veganen und vegetarischen Produktlinien bewirbt, sondern bei Mischkostessern auch Stimmung für eine stark fleischreduzierte Lebensweise macht.

Flexitarier als lukrative Zielgruppe
Daher hat sich neben Vegetariern und Veganern eine inzwischen auf etwa 16 Prozent der Bevölkerung angewachsene Schicht von sogenannten Flexitariern entwickelt. Damit sind Leute gemeint, die sich überwiegend vegetarisch ernähren, zu besonderen Anlässen aber auch Fleisch auf ihren Tellern zulassen. Aus Sicht der Industrie sind die Flexitarier schon wegen ihres dynamischen Wachstums eine hochinteressante Zielgruppe. Sie ernähren sich besonders bewusst und geben wie Vegetarier und Veganer viel mehr Geld für Lebensmittel aus als die traditionellen Mischkostesser.

Das Konzept des sogenannten Veggie-Day hat, als die Grünen in Deutschland damit vor einigen Jahren in den Bundestagswahlkampf zogen, noch für eine Riesenempörung gesorgt und die Grünen zur Lachnummer gemacht. Inzwischen hat es aber dazu geführt, dass europaweit immer mehr Großküchen und Betriebskantinen bei ihrem Hauptgericht einmal wöchentlich auf Fleisch verzichten.

Dürfen Christen Fleisch aus Massentierhaltung essen?
Doch ein Veggie-Day reicht den Veganern natürlich nicht. Sie sehen im Töten von Tieren zum Verzehr insgesamt einen unmoralischen Vorgang. So dürfen etwa die Christen zwar grundsätzlich Fleisch essen, dennoch sind sie aufgerufen, die von Gott geschaffene Natur schonend zu behandeln. Papst Franziskus sagte etwa vor den Vereinten Nationen, dass jedes Geschöpf einen Wert des Daseins, des Lebens, der Schönheit und der gegenseitigen Abhängigkeit von den anderen Geschöpfen habe. Menschen dürften daher nicht willkürlich über Tiere verfügen. »Alle Geschöpfe Gottes sind miteinander verbunden. Grausamkeit gegenüber Tieren und gegenüber Menschen hängen eng zusammen«, so der Papst. Der Grazer Theologe Kurt Remele sieht sogar gute theologische Gründe für einen »vegetarisch-veganen Imperativ«. Er spricht sogar von einer »Diskrepanz zwischen frommen Sonntagspredigten, die sehr allgemein zur Verantwortung für die Schöpfung aufrufen, und dem opulenten Sonntagsbraten«.

Mehr Regionalität und mehr Tierwohl
Diese Entwicklung setzt die Bauern und die gewerbliche sowie die industrielle Fleischwirtschaft natürlich enorm unter Druck. Sie reagieren auf die neuen Herausforderungen mit Schlagworten wie Regionalität, Tierwohl oder Bioqualität. Während sich für die Verarbeiter und Händler dadurch neue Vermarktungsmöglichkeiten ergeben, bleibt der ökonomische Druck hingegen bei den Bauern hängen. Doch weil die Preise im Laufe des Jahres 2019 wegen der hohen Nachfrage in China um über 40 Prozent angezogen sind, hört man von den Bauernvertretern aktuell nur leises Gejammer. Ungerechtigkeiten sehen sie aber vor allem für jene Bauern, die sich zur Einhaltung besonderer Qualitätsstandards bei Tierwohl und Schlachtung verpflichtet haben. Diese erhalten aktuell zwar 1,94 anstatt der sonst üblichen 1,91 Euro je Kilo für ihre Mastschweine. Damit sei der Mehraufwand aber bei weitem nicht abgegolten.

Preishoch wegen der Afrikanischen Schweinepest
Doch das 20-Jahre-Preishoch sorgt nicht nur für Aufatmen. Die hohe Nachfrage in China ist nämlich die Folge eines gigantischen Produktionsausfalls wegen der Afrikanischen Schweinepest. Die hat zwar dazu geführt, dass die EU-Länder heuer etwa eine Million Tonnen mehr Schweinefleisch als sonst nach China exportieren konnten. Und dazu, dass am Verarbeitungssektor bereits europaweit von Engpässen etwa bei Speck berichtet wird. Doch die Afrikanische Schweinepest hat längst bereits auch Europa erfasst. Die Krankheit wird von Wildschweinen übertragen und aus Sicht vieler Experten ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch in Österreich die ersten Fälle auftauchen – mit der Konsequenz, dass betroffene Betriebe in existenzielle Nöte geraten, weil sie ihre gesamten Tierbestände keulen müssen. Vor diesem Hintergrund sind die Preisaktionen der Supermarktketten seltener geworden. Die chinesische Nachfrage hat dazu geführt, dass die Marktmacht vom Handel ein Stück zurück zu den Bauern gewandert ist.

Tierhaltung ist ökologisch immer problematisch
Für die Schweinebauern bietet ein gesteigertes Tierwohl durchaus eine Chance, obwohl es zwar zu einem geringeren, dafür aber zu einem höherwertigen Fleischabsatz führt. Ein Umstieg auf eine vollbiologische Fleischproduktion ist aus ökologischen Gründen dennoch nicht anzuraten. Denn der Bevölkerung ist weder die Insektenbelästigung als Folge der Freilandtierhaltung zumutbar, außerdem ist diese wegen der tierischen Exkremente völlig unvereinbar mit den Vorschriften des Grundwasserschutzes. Nach Expertenmeinung ist mehr als die Hälfte der weltweit durch den Menschen verursachten Treibhausgase auf die Nutztierhaltung zurückzuführen. Bei ihrer Atmung wandeln die Tiere Sauerstoff in Kohlenstoffdioxid um. Weltweit werden so 8,8 Milliarden Tonnen CO2 freigesetzt, die bei einer fleischlosen Ernährung vermieden werden könnten. Die Viehzucht gilt außerdem als Hauptursache für die systematische Zerstörung der äquatorialen Regenwälder. Ein Hektar Regenwald kann etwa 200 Tonnen CO2 speichern, eine Viehweide nur mehr acht Tonnen. Außerdem werden 37 Prozent des globalen Methanausstoßes durch die Tierhaltung verursacht. Umgerechnet in CO2-Äquivalente sind das weitere 7,4 Milliarden Tonnen.

Da die globale Landwirtschaft schon bald Lebensmittel für über 9 Milliarden Menschen produzieren muss, ist die Debatte über eine klimaneutrale nachhaltige Agrarproduktion nicht nur berechtigt. Die zahlreichen Konfliktlinien zwischen Fleischverzichtern und Fleischessern zeigen, dass sie bereits in vollem Gange ist.

Fazitthema Fazit 159 (Jänner 2020), Foto: Adobe-Stock

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