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Die Diktatur des Mittelmaßes

| 20. Januar 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Essay, Fazit 159

Foto: Keith ClaunchEin Essay von Peter Sichrovsky. Über den immer öfter unter linkem Diktat stehenden Diskurs im Kunst- und Kulturbetrieb und an den Universitäten.

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Mag. Peter Sichrovsky, geboren 1947 in Wien, ist Journalist, Schriftsteller, Manager und ehemaliger Politiker. Er hat Pharmazie und Chemie an der Universität Wien studiert und arbeitete in der Pharmaindustrie. Danach war er als Journalist für Profil, Spiegel und die Süddeutsche Zeitung tätig. 1988  gehörte er zum Gründungsteam des Standard. 1996 bis 2004 war er Mitglied des Europäischen Parlaments. 2006 bis 2016 war er im internationalen Management als CEO eines Energiekonzerns in Singapur und Manila tätig.

Der Maler Neo Rauch, dessen Werke am internationalen Kunstmarkt Preise von mehreren Millionen Euro erreichen und von dem selbst Brat Pitt ein Bild gekauft hatte, reagierte auf die wiederholten Versuche, ihn als »Rechten Maler« zu denunzieren, und damit auf dem Kunstmarkt einen Boykott seiner Ausstellungen zu erreichen, mit seiner ganz persönlichen Ausdrucksweise und schickte der Wochenzeitung »Die Zeit« ein selbst gemaltes Bild. Darauf ist ein Mann erkennbar mit reduziertem Backenbart, rasierter Oberlippe, Hemd und ärmelloser Weste, der mit nacktem Hintern auf einem Nachttopf sitzt und mit der Bräune seines Stuhlgangs einzelne, nicht leicht erkennbare Figuren malt, außer einer einzigen, die offensichtlich den Arm zum »Heil Hitler Gruß« hebt. Der mit eher plakativen, manchmal an den sozialistischen Realismus erinnernden Bildern, die man in allen namhaften Museen der Welt findet, bekannt gewordene Maler ergriff das Mittel der Karikatur, um sich gegen diese Vorwürfe zu wehren – und es gelang ihm besser und überzeugender als alle bisherigen Verteidigungsreden.

Der Maler wehrte sich mit einem Bild – das er »Die Anbräuner« nannte – mit seinen eigenen Mitteln der Kommunikation und blamierte und verhöhnte seine Gegner. Sein Talent bot ihm die Möglichkeit, auf die absurden Angriffe entsprechend zu reagieren. Die meisten haben allerdings weder das Talent, noch die Öffentlichkeit eines Neo Rauch, um sich zu wehren. Die Debatte, wer »rechts« sei, dominiert mehr und mehr den intellektuellen Diskurs. Dabei geht es nicht mehr nur um politische Ansichten. In der Kunst- und Literaturkritik hat die stilistische Bewertung und nicht nur der Inhalt eines Bildes, einer Statue oder eines literarischen Werkes das Niveau einer politischen Platzierung erreicht. In der Malerei zum Beispiel geht es auch um bestimmte Maltechniken, um die Darstellung von Männern, sogar Gesichtsfarben und Größe der Nasen, in der Kritiker ein verdächtiges »Rechtsdenken« entdecken.

Vertreibung aus dem Kulturbetrieb
Die Abschiebung der Künstler, Intellektuellen, Schriftsteller, Wissenschaftler und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in den Graubereich der Rechten bedeutet sofortige Isolierung im Kunst- und Kulturbetrieb und auf den akademischen Bühnen. Künstler, Wissenschaftler und Vortragende werden von Ausstellungen und Veranstaltungen ausgeladen, Bücher von verdächtigen Autoren in Buchhandlungen aus dem Sortiment entfernt, und als Preisträger der oft lukrativen Kulturpreise kommen sie überhaupt nicht in Frage. Eine selbsternannte Moralpolizei, die weit in den Alltag der gesellschaftlichen Prozesse eingreift, wie auch in die Programmgestaltung der Museen und Theater, Universitäten und privaten Organisationen bestimmt mehr und mehr die Enge oder Weite der Akzeptanz, die Kriterien sind fließend und können praktisch täglich neu definiert werden.

Vor ein paar Monaten wurde ein Künstler von der »Leipziger Jahresausstellung« ausgeladen, weil er gewisse Sympathien für die AfD äußerte. Es kann das Gesamtwerk sein, aber auch nur Inhalt, Stil und Technik eines einzelnen Werkes, und es kann eine politische Positionierung des Werk-Schaffenden sein; als ob sein ganzes Leben genauestens untersucht werde, ob sich nicht irgendwo versteckt »rechte Reste« entdecken lassen, um ihn auszugrenzen. Was ursprünglich als Debatte zwischen linkem und konservativem Kunstverständnis begann, der akademischen Diskussion über wissenschaftliche Interpretationen und Theorien und sicherlich eine gewisse Berechtigung hatte, um Sexismus, Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus in Kunst und Wissenschaft zu entdecken und zur Diskussion zu stellen, veränderte sich nicht von der konservativen in eine moderne Interpretation, sondern scheint in einer kleinbürgerlichen Spießigkeit zu ersticken.

Wenn Linke heute aufmarschieren und versuchen, »rechtes Gedankengut« aus Universitäten und dem Kulturbetrieben zu entfernen, agieren sie wie eine Direktorin eines Mädcheninternats, die am Eingang steht und die Länge der Röcke der Mädchen kontrolliert. Es gibt diese neu entdecke Anständigkeit, die situationsbezogen jedes Mal neu definiert wird und auch nicht verteidigt werden muss. Es liegt dann am Betroffenen sich zu erklären, der wie Josef K. im Roman »Der Prozess« oft monatelang versucht dagegen anzukämpfen und mit mehr und mehr Erklärungen nur tiefer und tiefer in den rechten Sumpf eintaucht. Die Einfalt der intellektuellen Auseinandersetzung in den Bereichen Kultur, Kunst, Wissenschaft und Religion entzieht sich immer mehr den traditionellen politischen Kriterien von »links« und »rechts«. Es ist der altmodische und angeblich in der Demokratie längst obsolete Begriff der Toleranz, der verloren geht. Für neue Kleinbürger, die scheinbar direkt aus dem Biedermeier kommen, geht es um die Verhinderung von Irritationen, störenden Gedanken, aus-der-Reihe-fallenden Wortmeldungen, »falsche« politische Positionen. Letzendes geht es um die banale Methode der Zensur, als Mittel des Verbots, des Verhindern, das in Demokratien überwunden sein sollte.

Der österreichische Philosoph Konrad Liessmann hat es besonders treffend formuliert, als er in einer Fernsehdiskussion sagte, es gäbe kaum ein größeres Machtgefühl als Jemandem das Wort zu entziehen. Er demaskierte mit einem einzigen Satz die tatsächlichen Motive der »Verhinderer« – das Ausüben von Macht –, als meist »Machtlose« gegenüber einer Autorität, das den intellektuellen Diskurs ersetzt und die Gesellschaft damit in die Zeiten der Diktatur zurück versetzt. Denn nichts ist anstrengender als die intelligente Formulierung einer gegensätzlichen Meinung. Dabei geht es nicht um Überzeugung, und nicht darum, dass der »Gegner« auch seine Meinung ändert. Überzeugen ist bereits eine Kampfmethode, auch wenn dieser Begriff so harmlos klingt, endet er doch mit der Aufgabe der Meinung einer der beiden Seiten und der Übernahme der Meinung der Gegenseite. Es geht also nicht um Überreden, Überzeugen, um den Sieg in einer Debatte. Es geht um die Kunst der Rhetorik, der Formulierung, um den logischen Aufbaus eines Arguments, um das im richtigen Moment verfügbare Wissen hinter einem Argument; eine Fähigkeit und Begabung, die den meisten »Verhinderern« fehlt.

Gleichzeitig ist das intellektuelle Erfassen des Denkens, der Logik und der Argumentation der Gegenseite notwendig. Auch das ist ein mühsamer Prozess, den man sich beim »Verhindern« erspart. Nichts ist einfacher in einem Streit als den Gegner zu unterbrechen und nicht ausreden zu lassen. Es reduziert die Auseinandersetzung auf eine infantile, einseitige Ebene, vergleichbar mit einem Vater, der seinen Sohn ermahnt, er solle nicht so frech sein, ohne auf den Inhalt der Frechheit einzugehen. Autorität und damit Macht wird ausgespielt, im Verhältnis von Erwachsenen gegenüber Kindern wie eben auch in der Beziehung von »Verhinderer« und ihren Opfern. Der Protest der Empörgesellschaft auf Universitäten, das Geschrei, Gebrülle, der Sitzstreik und die Beleidigungen mit dem Ziel, eine Veranstaltung, eine Rede oder einen Vortrag zu verhindern, zerrt das Geschehen aus dem Erwachsenenalter in den Kindergarten zurück. Die protestierenden Studenten gleichen plärrenden Kindern im alternativen Kindergarten, wo die antiautoritären Onkeln und Tanten sich nicht mehr zu helfen wissen.Sie lassen es einfach geschehen und die schreienden Kinder setzen sich durch, es fehlt die Struktur und eine Ordnung, die ein Lernen oder ein gemeinsames Erlebnis zulassen würden. Die Verantwortlichen sind verunsichert und planlos.

Ähnlich reagieren die Verwaltungen der Universitäten. Sie ziehen sich zurück, schweigen zu den Ereignissen und reagieren ängstlich mit nichtssagenden Allgemeinheiten und Ausflüchten, haben Angst konkret Stellung zu nehmen – wie die Erzieherinnen und Erzieher eines alternativen Kindergartens, die Angst vor den Kindern haben, die den Eltern von den autoritären Massnahmen der Verantwortlichen berichten würden. Verwaltungen der Universitäten befürchten, dass eine Verteidigung der Redefreiheit, die Kritik an den Demonstranten und der versuchten Verhinderung einer Veranstaltung als Sympathie mit den kritisierten Vortragenden interpretiert werden könnte. Weiters wurde in vielen Fällen die Einschränkung der Proteste ebenfalls als Einflussnahme auf die Meinungsfreiheit bewertet und so saß so manche Universitätsdirektion mit ihren Massnahmen oder ihrer Zurückhaltung zwischen den Stühlen.

Die Toleranz sinkt
Die Toleranz gegenüber anderen Meinungen sinkt, ist die Meinung vieler Verantwortlichen in den Universitäten. Dahinter stehe eine kleine radikale Minderheit – und eine schweigende Mehrheit. Das hat mittlerweile massive Auswirkungen auf die Debattenkultur an Universitäten, warnt zum Beispiel der Deutsche Hochschulverband (DHV). Der DHV fordert die Universitätsleitungen auf, sich nicht länger dem radikalen Meinungsdiktat zu beugen. Laut Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, verändere sich das Klima an Hochschulen. »Im Namen der Political Correctness erfolgt zunehmend ein Angriff auf das Wesen der Universität: auf die Freiheit des Forschens, Denkens und Debattierens«, sagte Kempen gegenüber der Tageszeitung die WELT. Eine Minderheit versuche, ihnen unsympathische Ansichten nicht argumentativ zu widerlegen, sondern zu unterdrücken, mit Drohungen, Shitstorms, Blockaden und manchmal physischer Gewalt. Und jener Teil der Studenten, der sich an den Protesten nicht beteiligt und auch andere Meinungen hat, ist zu feige, sich gegen den Terror dieser Minderheiten zu stellen. Damit entstehe ein Bild, das den Ansichten der lautstarken Minderheiten einen extrem großen Raum biete.

Seit Monaten beklagt der DHV die massive Verengung der Debattenkultur an Universitäten und Hochschulen durch Meinungsdiktate. Es wurden massenhaft Fälle von Professoren dokumentiert, die wegen randalierender Gruppen Forschungsprojekte abbrechen mussten; von Diskussionen, die nur unter Polizeischutz stattfinden konnten, oder von Referenten, die im Namen des Antifaschismus niedergebrüllt wurden. Als eine der ersten regionalen Regierungen Deutschlands hat die nordrhein-westfälische Landesregierung reagiert und einen Passus ins Hochschulgesetz des Landes eingefügt, der seit Beginn des Wintersemesters gilt. Dieser sieht Ordnungsmaßnahmen bis zur Exmatrikulation vor, wenn jemand die Meinungs- oder Redefreiheit an Hochschulen einschränkt. Dass das Problem des Meinungsdiktates – fast ausschließlich von linker bis linksextremistischer Seite betrieben – damit beseitigt werden kann, scheint allerdings zweifelhaft. Nicht wenige Denkverbote sind mittlerweile durch einen linkspolitisch initiierten permanenten öffentlichen Druck erzeugt worden. Politiker der Grünen und anderer Linksparteien unterstützen die Aktivitäten radikaler Gruppen auf den Universitäten und holen damit die Boykottkultur in den Alltag. Er erreicht jetzt auch TV-Stationen, die Gäste aufgrund von Protesten wieder ausladen müssen, Festredner bei Veranstaltungen, die plötzlich nicht auftreten dürfen oder ehemalige Politiker, die man nicht aus ihren Büchern lesen läßt. Daher sind gesetzliche Massnahmen, die sich auf Universitäten beschränken, wenig erfolgversprechend. Dieses Verhalten hat vielleicht auf den Universitäten begonnen, ist jedoch inzwischen in den verschiedensten Bereichen des gesellschaftlichen Diskurs zu beobachten. Die geistige Gartenzaunbegrenzung der erlaubten Denkweisen, Darstellungen und verbalen Meldungen drängt eine moderne, demokratische Gesellschaft in die Zeiten Metternichs, wo die gerichtliche Verfolgung damals durch die gesellschaftliche Ächtung heute ersetzt wird. Es sind die intellektuellen Gartenzwerge in Kultur, Kunst und Wissenschaft, die in den intellektuellen Diskurs eingreifen und ihn zu einem banalen Einheitsbrei verändern wollen. Die Grenzen des »Erlaubten« werden täglich enger. Dadurch breitet sich eine Unsicherheit aus, die oft in vorauseilendem Gehorsam so manche interessante und widersprüchliche Veranstaltung schon lange vor dem befürchtetem Protest nicht stattfinden lassen.

Das schlechte Gewissen der Nachkriegsgenerationen mit dem Generationsauftrag des »Nie Wieder« macht eine verklemmte Minderheit zu wiedergeborenen Widerstandskämpfern, die in der Fantasie leben, diesmal zu verhindern, was ihre Vorfahren nicht verhindern wollten und konnten. Lieblingswaffe ist dabei die Schrecksekunde des Nazivergleichs, der die Angreifer in die Position versetzt, mit einem Totschlagargument das Gegenüber außer Gefecht zu setzen. Konservative, Liberale, aber auch tolerante Linke sollten gemeinsam versuchen, diese Entwicklung zu stoppen. Zensur ist eine überlebenswichtige Methode einer Diktatur, in der Demokratie eingesetzt, schützt es nicht die Demokratie, sondern beschleunigt ihr Ende.

Essay, Fazit 159 (Jänner 2020), Foto: Keith Claunch

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