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Rijeka ili smrt!

| 9. März 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 160, Kunst und Kultur

Foto: Sebastian Pervan

Rijeka und das irische Galway geben zusammen die europäischen Kulturhauptstädte 2020. Eindrücke von der offiziellen Eröffnung aus der istrischen Hafenstadt.

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Organisation ist alles, vor allem wenn es sich um ein 30 bzw. 90 Millionen-Euro-Projekt handelt. Bei den Zahlen ist man sich nicht einig. Umso mehr freut, ja überrascht es einen, wenn fünf Tage vor der Eröffnung eines Großereignisses ein Mail mit der Bitte, man möge sich akkreditieren, eintrudelt. Da fährt man dann gerne. Am kühlen und regnerischen Eröffnungssamstag kommt das Pulsieren tagsüber allerdings noch nicht so richtig in die Gänge. Die Identifikation mit der capital of culture und das »Abholen der Menschen« findet am Abend am Hafen mit der pompösen »Opera Industriale« statt. Man hat sich darüber gefreut, nicht in der ungemütlichen VIP-Lounge mit dem Council of Ministers of Culture of South East Europe inklusive der österreichischen Repräsentantin, die dortselbst ein Treffen hatten, sitzen zu müssen. Sondern faktisch auf der »Bühne«, wo man zwischen dem finnischen Chor der schreienden Männer und den istrianischen Perchten in einem Industrialinferno herumhüpfen kann. Die eineinhalb Stunden boten auch recht viel Geschichtsarbeit. Rijeka ist, laut Eigenbeschreibung, die liberalste und weltoffenste Stadt Kroatiens. Man verweist gerne auf die vielen hier lebenden Künstler, den internationalen Hafen und voller Stolz und gleichsam als Persilschein auf die Gay-Paraden, die im Gegensatz zu anderen kroatischen Städten wie Split ohne Übergriffe ablaufen. Recht fortschrittlich und weltoffen, wenn man nicht Gefahr läuft, als Homosexueller auf der Straße zusammengeschlagen zu werden.

Man sich viel vorgenommen
Neben dem 500 Seiten starken Programmbuch »Port of Diversity« wird dem interessierten Akkreditierten auch das Büchlein »Rijeka ili smrt/Rijeka or Death« der Historikerin Tea Perincic in die Hand gedrückt. Der bis heute verehrte italienische Faschist und Dichter Gabriele D’Annunzio okkupierte zwischen 1919–1921 mit ein paar Leuten Rijeka. Ein Ereignis, das unter Historikern gleichsam als Exerzierfeld für den weiteren Aufstieg des italienischen Faschismus gilt. Die multiethnische und wechselhafte Geschichte der Stadt war bei der eröffnungsabendlichen »Opera Industriale« spürbar. Das politisch-ethnisch Brachiale ist zeitgemäß und immer wieder am Hochkochen. So hat etwa Anfang 2019 der italienische EU-Parlamentspräsident Tajani, zum Abschluss einer Ansprache in Triest konstatiert: »Es lebe das italienische Istrien, es lebe das italienische Dalmatien! Und es leben die italienischen Exilierten!«. Präzisere Verweise auf die Aktualität des Eröffnungsspektakels kann es nicht geben. Mögen die Slogans, die als Lichtinstallationen an der Hafenmauer zum Laufen gebracht wurden, ein wenig ins Bewußtsein der Region einfließen und auch zwischen Rom und Zagreb wirken: Rijeka let‘s go; Forza Fiume; Port of Diversity; Tolerance; Respect; Coexistence; Peace, Antifascism; Art; Europe, Culture. Der finale Song der Opera »Bella Ciao« ließ das pitschpatschnasse Publikum zumindest schon mitsummen: È questo il fiore del partigiano, morto per la libertà!

Österreichbezug in Rijeka gibt es. Die Kontaktaufnahmen gestalteten sich wohl für den einen oder anderen Projektanten im Vorfeld als zu ermüdend, wie der Autor aus eigener Erfahrung weiß. Angekündigt sind eine Klimt-Ausstellung, Sophie Thorsen gestaltet eine Intervention im öffentlichen Raum und eine elektronische Soundinstallation junger österreichischer Musiker im Hafen soll es geben. Ein intensiverer Brückenschlag wäre förderlich gewesen und mit einer Intensivierung der zwischenstaatlichen Beziehungen einhergegangen, die über touristischen Mehrwert und kurzfristiges Politikerhändeschütteln hinausgeragt hätte. Das restliche Jahresprogramm scheint allerdings vielversprechend, eine intensivere Auseinandersetzung vor der Urlaubsplanung ist empfehlenswert. (Anmerkung: Rijeka ili smrt! / Rijeka oder Sterben!)

Alles Kultur, Fazit 160 (März 2020), Foto: Sebastian Pervan

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