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Der lange Weg zum »Was immer es kostet«

| 29. April 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 161x, Fazitthema

Foto: Ashkan Forouzani/Unsplash

Knapp sechs Wochen nach Beginn des Shutdowns fühlen sich viele heimische Unternehmen von der Regierung im Stich gelassen. Hilfesuchende Betriebe scheitern an der Bürokratie, an den Bonitätsbedingungen oder daran, dass die Hilfsprogramme falsch aufgesetzt oder zu gering dotiert sind. Text von Johannes Tandl.

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Die Regierung hat unter dem Motto »Was immer es kostet« angekündigt, die meisten Schäden für die Wirtschaft abzudecken, doch die bisher beschlossenen Hilfen erfüllen dieses Versprechen nur ansatzweise.

Wirtschaftsförderungen sind in Österreich grundsätzlich an Bedingungen wie ein positives Eigenkapital, ein geringes Insolvenzrisiko oder die Schuldentilgungsfähigkeit gebunden. Doch gerade der kapitalintensive Tourismus, dessen Hotellerie- und Freizeitbetriebe davon leben, jedes Jahr neue Millionen in die Bespaßung der Gäste zu investieren, tut sich mit den entsprechenden Fördervoraussetzungen schwer. Denn gegenüber den Banken konnten sie ihre Millioneninvestitionen in Komfort und Wellness schon bisher oft nur mit steigenden Umsätzen und ihrer Tilgungszuverlässigkeit rechtfertigen.

Die Unternehmen wurden zu Bittstellern
Nun sind die Betriebe seit Mitte März per Verordnung geschlossen. Das Epidemiegesetz, das ihnen einen vollständigen Ersatz der Verdienstentgänge zugesichert hätte, wurde vom Nationalrat einstimmig durch die Covid-19-Regelungen ersetzt. Darin werden die Unternehmen zu Bittstellern degradiert. Die Ausgestaltung eines 15-Milliarden-Notfallfonds ist immer noch offen. Bis es so weit ist, haben die Betriebe nur die Möglichkeit, ihre Liquidität mit staatlich garantierten Krediten, die wiederum ihr Obligo und damit ihre Bonität massiv belasten, zu überbrücken. Die abwickelnden Agenturen sind das Austria Wirtschaftsservice und die Österreichische Hotel- und Tourismusbank. Beide dürfen nur solchen Unternehmen Kredite gewähren, deren Bilanzkennzahlen neben einem positiven Eigenkapital auch die Rückzahlung der zusätzlichen Schulden innerhalb von 15 Jahren erwarten lassen. Kein Wunder also, dass selbst jene Unternehmen, die die Bedingungen erfüllen, in den staatlichen Kreditgarantien eher ein Danaergeschenk oder gar ein Programm zur Insolvenzverschleppung als eine wirkliche Hilfe sehen.

Der Finanzminister hat das Problem zwar erkannt und bei der EU erreicht, dass die staatlichen Kreditgarantien von 80 auf 100 Prozent erweitert werden. Das soll die Bonitätsprüfung durch die Hausbank erleichtern. Doch selbst wenn sich eine Bank darauf einlässt, diese Kredite unabhängig von der Bonität zu vergeben, wäre sie spätestens bei der Verlängerung der bestehenden Kreditlinien dazu gezwungen, das gesamte Obligo in das europarechtlich unbedingt erforderliche Rating einfließen zu lassen. Denn auch Kredite, die mit einer Staatshaftung gesichert sind, erhöhen die Insolvenzgefahr der Kreditnehmer und damit natürlich das Ausfallsrisiko von Altkrediten für die finanzierende Bank.

Der private Dienstleistungssektor leidet am stärksten
Ähnliches wie für den Tourismus- und die Freizeitbetrieb gilt auch für den stationären Handel. Im Textilhandel sind etwa die Lager brechend voll mit den bereits bezahlten und zu Normalpreisen unverkäuflich gewordenen Frühlingskollektionen. Bis auf die Kosten für das in Kurzarbeit verharrende Personal laufen die Fixkosten ungebremst weiter. Wenn nun die größeren Textilketten wieder hochfahren, wird es daher zu noch nie dagewesenen Rabattschlachten kommen, weil sie Platz schaffen müssen für die vor Monaten bestellten Sommer- und Herbstkollektionen. Während die Konzerne in der Lage sein dürften, diese Last zu stemmen, schaut es für die zahlreichen unabhängigen Familienbetriebe düster aus.

Am stärksten unter dem Shutdown leidet der private Dienstleistungssektor. Und zwar vom finanziell verwöhnten Consulting- und Coachingbereich über die erfolgreichen Kultur- und Eventveranstalter bis zu den Gesundheits- und Pflegedienstleistern. Sowohl Großbetriebe als auch EPU warten auf den Notfallfonds und müssen – bis es so weit ist – abgesehen vom »Härtefonds-Tausender« für die Kleinsten – von der Substanz leben.

Die Reisebüros trifft es sogar doppelt. Ihnen wurde nicht nur auf viele Monate die Geschäftsgrundlage entzogen, sie müssen ihren Kunden noch dazu das Geld für jene Reisen rückerstatten, die diese wegen des Shutdowns nicht antreten konnten. Einzig die IT-Dienstleister dürfen sich wegen der zahlreichen zusätzlichen Home-Office-Arbeitsplätze über steigende Umsätze freuen.

Trotz der versprochenen 38 Milliarden des Bundes werden viele steirische Unternehmen wohl nur solange überleben können, bis ihre Reserven aufgezehrt sind. Bei diesen Reserven handelt es sich oft um die persönlichen Ersparnisse der Unternehmer aus bereits versteuerten Gewinnen der letzten Jahre, die eigentlich für die persönliche Altersvorsorge vorgesehen waren und nun aufgelöst werden müssen.

Die Industrie steht erst am Anfang der Coronakrise
Der weltweite Shutdown drückt weltweit auf die Industrienachfrage. Zusätzlich wurden wichtige internationale Lieferketten unterbrochen. Entsprechend groß sind daher die Auswirkungen auf die Industrieunternehmen. Aus Sicht der Industriellenvereinigung geht es jetzt darum, so schnell wie möglich die volle Lieferfähigkeit wieder herzustellen, um sich auf den Märkten neu positionieren zu können.
Die jüngste Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung unter 313 Unternehmen mit 212.000 Beschäftigten zeigt, dass die Betriebe das Vertrauen in einen raschen Aufschwung verloren haben. Beurteilt wurden dabei die aktuelle Geschäftslage und die Erwartung in sechs Monaten. Der Wert stürzte im Vergleich zur letzten Umfrage im Dezember um 37,8 Punkte ab. Eine bereits zuvor durchgeführte Blitzumfrage der IV-Steiermark zeigt, dass bei mehr als einem Viertel der Betriebe die April-Auslastung auf unter 50 Prozent gefallen ist. Etwa die Hälfte der Unternehmen ist zwar bis Monatsende noch gut ausgelastet. Bis Quartalsende erwartet aber nur noch ein Drittel eine gute Auslastung.

Mit Italien, Großbritannien und den USA befinden sich drei entscheidende steirische Exportmärkte in einer besonders schwierigen Situation. Auch die für den Personenverkehr nur eingeschränkt passierbaren Grenzen tragen zum Produktionsrückgang bei. Mangels internationaler Reisemöglichkeiten können etwa Auslandsbaustellen nicht betreut werden. Das gleiche gilt für Wartungsarbeiten bei internationalen Kunden. Auch die Vertriebstätigkeit erfolgt derzeit nur äußerst eingeschränkt. Eine »Covid-19-Heat-Map« von Moody’s und Deutscher Bank rechnet vor, dass global besonders der in der Steiermark überrepräsentierte Automotive-Bereich samt Zulieferindustrie unter der Coronarezession leiden wird. Auch die Luftfahrt – von deren kontinuierlichem Wachstum die steirische Industrie zuletzt massiv profitierte – sowie der Tourismus gehören zu den großen ökonomischen Verlierern der Pandemie.

Weniger stark treffen dürfte es mit der klassischen Metall- und Maschinenindustrie oder der Stahlproduktion einen anderen traditionell starken Sektor der steirischen Industrielandschaft. Und nur geringe Auswirkungen werden für die Lebensmittelindustrie, den Baubereich, die Immobilienwirtschaft oder den IT-Bereich erwartet. Krisengewinner sehen Moody’s und Deutsche Bank hingegen im Onlinehandel samt der dazugehörenden IT- und der in der Steiermark besonders starken Lageraustattungs- und Logistikindustrie.

Der Nachfrageeinbruch hat viele Unternehmen dazu veranlasst, die Investitionen zu stoppen. Trotzdem ist es Österreich gelungen, die Betriebe offen und die Produktion aufrecht zu halten. Das könnte das geordnete Wiederhochfahren der restlichen Wirtschaft zumindest erleichtern.

Ob es eine Alternative zum Shutdown gegeben hätte, wird man erst in einigen Monaten wissen. Die Regierung hat ihre Maßnahmen als »Fahren auf Sicht« bezeichnet. Andere als »kontrollierten Blindflug«. Faktum ist, dass es eine solche Pandemie noch nie zuvor gegeben. Daher ist vieles von dem, was die »Nachher-Besser-Wisser« nun vermelden, politisch kaum zu bewerten. Da die Wirtschaftshilfen bisher aber nur eingeschränkt greifen, scheint, was den Zugang zu den Förderungen betrifft, ein Nachbessern dringend geboten.

Fazitthema Fazit 161x (Mai 2020), Foto: Ashkan Forouzani/Unsplash

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