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Der Furor auf den Straßen hat nichts mehr mit Rassismus zu tun

| 6. Juli 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Editorial, Fazit 164

In den Vereinigten Staaten kommen die Straßen seit dem Verbrechen eines Polizisten, der einen Afroamerikaner im Zuge einer Festnahme so lange malträtierte, dass dieser kurze Zeit später verstarb, nicht mehr zu Ruhe. Ganze Straßenzüge wurden von marodierendem Mob zerstört, zahlreiche Gebäude in Brand gesetzt.

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Vereinzelt haben diese Unruhen auch auf Europa übergegriffen; die Zerstörung und Entfernung von Denkmälern fragwürdiger bzw. aus heutiger Sicht politisch inkorrekter historischer Figuren, startete meines Wissens aktuell in Großbritannien. Dort wurde die Statue von Edward Colston (1636–1721), einem Sklavenhändler und Politiker, im Hafenbecken von Bristol versenkt.

Und wie das so ist, wenn die Menge einmal marschiert, wurden auch weitere Denkmäler beschädigt oder zumindest beschmiert. Darunter etwa in London eine von Kriegspremier und Literaturnobelpreisträger Winston Churchill (1874–1965), die mittlerweile unter Polizeischutz gestellt ist. In den Staaten selbst waren es Denkmäler von George Washington (1732–1799), erster Präsident der USA, Thomas Jefferson (1743–1826), dritter Präsident ebenda, Francis Scott Key (1779–1843), Texter der US-amerikanischen Nationalhymne »The Star-Spangled Banner« (Das sternenbesetzte Banner) oder auch Ulysses S. Grant (1822–1885), Oberbefehlshaber der Unionstruppen im Sezessionskrieg und 18. Präsident, zudem ein energischer Kämpfer gegen den Ku-Klux-Klan.

In San Francisco wurde die Statue des katholischen Heiligen, Bruder Junipero Serra (1713–1784), der als Begründer der Stadt angesehenen wird, umgestoßen.

Die Statue des für 100.000de Tote verantwortlichen Wladimir Iljitsch Lenin (1870–1924), russischer Kommunist und Revolutionär, die sich in der am 8. Juni in Seattle als »autonom« bzw. »unabhängig« erklärten »Chaz« (Autonome Zone Capitol Hill, ca. sechs Häuserblocks) befindet, wurde von den dortigen Randalierern unter einen strengen Schutz gestellt. Und am 20. Juni wurde in Gelsenkirchen auf dem Privatgelände der Marxistisch-Leninistischen Partei ein Denkmal Lenins feierlich enthüllt.

Der Furor der Straßen findet aber auch im Netz seine Fortsetzung. Der bis vor wenigen Tagen in der Wikipedia noch als Schlüsselfigur der »Black Lives Matter«-Bewegung angeführte Shaun King hat am 22. Juni folgenden Tweet verfasst: »Ja, ich denke die Statuen des weißen Europäers, von dem sie behaupten, er sei Jesus, sollten auch fallen. Sie sind eine Form weißer Vorherrschaft. Das war schon immer so. Wohin ging, der Bibel nach, die Familie von Jesus, als sie sich verstecken wollte? Raten Sie! Ägypten! Nicht Dänemark. Reisst sie nieder!«

In der bayerischen Stadt Coburg ist vor wenigen Tagen eine Petition eingereicht worden (mit zur Stunde etwa 2.500 unterstützenden Unterschriften), die das Stadtwappen ändern möchte, es geht um den »Coburger Mohr«, der darauf abgebildet ist. »Wir fordern eine Änderung des Wappens, um schwarzen Menschen den Respekt zu geben, den sie verdienen und sie nicht weiter auf ein diskriminierendes Klischee, das man so aus der Zeit der Sklaverei kennt, zu reduzieren«, lautet die Begründung. Es handelt sich beim Coburger Mohr um den heiligen Mauritius, der sich seit 1430 am Stadtwappen wiederfindet. Wobei schon einmal, erfolgreich, gefordert wurde, die Abbildung eines Afrikaners auf diesem deutschen Wappen zu entfernen. In den Jahren 1934 bis 1945 war statt ihm ein Schwert abgebildet. Insgesamt waren die Nazis in Coburg damals recht erfolgreich, durfte die Stadt doch von 1939 bis 1945 den Ehrentitel »Erste nationalsozialistische Stadt Deutschlands« tragen.

Ich bin jetzt in der ausnehmend frustrierenden Situation, noch lange nicht imstande zu sein, irgendeinen sinnvollen Beitrag in dieser fürchterlichen Rassismusdebatte abzuliefern. Wobei mich am meisten stört, dass ich das als alter, weißer Mann, nach Ansicht viel zu vieler ja auch gar nicht darf oder kann. Abhilfe erhoffte ich mir von der heurigen Eröffnungsrede des Bachmannpreises von Sharon Dodua Otoo; sie ist Schwarze und hat den Preis 2018 gewinnen können. Die – recht schöne – Rede ergießt sich streckenweise in semantischem Kinkerlitz, wann jetzt »schwarz« groß- und wann kleingeschrieben wird. Ich befürchte, die Antwort auf diese Frage, wird uns keinen Deut weiterbringen. Und ich befürchte, das alles wird nicht gut ausgehen. Wollen wir das Beste hoffen.

Editorial, Fazit 164 (Juli 2020)

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