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Die Wirtschaft ist weiblich

| 6. Juli 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 164, Fazitthema

Foto: Adobe-Stock

Kurz vor dem Ausbrechen der Covid-19-Pandemie bot der Weltfrauentag am 8. März einmal mehr Gelegenheit, die Rolle der Frauen in der steirischen Wirtschaft unter die Lupe zu nehmen. Ihr Anteil an den Firmengründungen ist in den vergangenen zehn Jahren kontinuierlich und kräftig gestiegen. Die aktuelle Krise hat aber auch verdeutlicht, dass es noch klare Defizite sowohl bei ihrer politischen Vertretung in einem männerdominierten Umfeld als auch bei den familienunterstützenden Rahmenbedingungen gibt. Text von Josef Schiffer.

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Die vorliegende Datenlage zeigt in der Tat eine beeindruckende Entwicklung beim Frauenanteil am heimischen Unternehmertum auf. Ihre Zahl wächst seit langem in deutlich höheren Raten als bei den Männern. Lag der weibliche Anteil bei den Unternehmensgründungen vor zehn Jahren noch bei 39,3 Prozent, so sind es heute stolze 47,8 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt, stehen bereits rund 18.400 steirische Betriebe unter weiblicher Führung (exkl. der knapp 11.000 Personenbetreuerinnen, die zwar im Regelfall selbstständig, aber als eigene Gruppe zu betrachten sind). Die steirischen Unternehmerinnen beschäftigen im Durchschnitt drei unselbstständige Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter. Besonders hoch ist der Frauenanteil bei den Ein-Personen-Unternehmen (EPU), wo er mittlerweile 54,9 Prozent beträgt. Nur fünf Jahre zuvor hatte dieser Anteil noch 45,5 Prozent betragen. »Das ist eine tolle Entwicklung, die zeigt, dass Unternehmerinnen in der Wirtschaft auch in unserem Bundesland auf der Überholspur sind«, freut sich Gabriele Lechner, seit dem vorigen Jahr die neue Landesvorsitzende des Netzwerks »Frau in der Wirtschaft«. Sie ist Inhaberin der Grazer Agentur »werbelechner« und seit 2007 erfolgreich am Markt tätig, im Oktober 2019 wurde sie zusätzlich als Vizepräsidentin der WKO Steiermark kooptiert.

Mehr Drang zur Selbstständigkeit
Was bewegt aber so viele Frauen dazu, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen? Eine österreichweite Umfrage des WKO-Gründerservice aus dem Jahr 2019 gibt Antworten darauf: Fast drei Viertel (74,61 %) der Jungunternehmerinnen verbinden damit das Modell einer flexiblen Freizeit- und Lebensgestaltung, für rund zwei Drittel (65,87 %) zählt das Gefühl, die »eigene« Chefin zu sein. Ebenfalls starke Motive sind die Wahl neuer Berufsperspektiven, der Wunsch nach mehr Eigenverantwortung und natürlich eine Steigerung des Einkommens. Diese Entwicklung ist selbstverständlich auch im Kontext einer stark steigenden Zahl von Frauen im Erwerbsleben zu sehen. Seit Mitte der Neunziger Jahre, also seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union, ist die Anzahl erwerbstätiger Frauen von 1,55 auf rund 2 Millionen angestiegen. Zugleich hat sich auch ihr Bildungshintergrund gesteigert, mehr als die Hälfte verfügt über eine Matura oder gleichwertigen Abschluss. Das bildet nicht zuletzt die Grundlage dafür, dass bereits 38 Prozent der Unternehmen von Frauen geleitet werden. Besonders stark ist ihr Anteil in traditionellen Sektoren wie Kosmetik, Fußpflege und Massage sowie im Friseur- und Modebereich. Weiters dominieren unter weiblichen Chefinnen die Sektoren Gewerbe, Handwerk, Handel, Tourismus sowie Werbung und Kommunikation. Das sollte freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch in technischen Bereichen vermehrt Frauen in Führungspositionen aufscheinen, wie Bouchra Lamik-Thonhauser bei der international tätigen TDE Group oder Karin Rüge beim Zerspantechnik-Spezialisten Heideco GmbH in Deutschlandsberg.

Unternehmerinnen als Vorbilder
Das Netzwerk »Frau in der Wirtschaft« vertritt nach eigenem Bekunden die Interessen aller selbstständig tätigen Frauen, »von der Kleinstunternehmerin bis hin zur Topmanagerin«, betont Gabriele Lechner. Zu deren Veranstaltungen zählt auch die seit 2015 jährlich stattfindende Wahl zur »Unternehmerin des Jahres« in mehreren Kategorien. Diese zeigen die gesamte Bandbreite der wirtschaftlichen Aktivitäten von Frauen auf. Im Jahr 2019 waren dies Katerina Sedlácková von Waibro Sports mit Lösungen für Menschen mit Sehbehinderungen (Kategorie Innovation), Kristina Kellner Meisterkonditorei GmbH in Graz (Kategorie Start-up), Julia Fandler von der Ölmühle Fandler GmbH in Pöllau (Kategorie Regionalität – Nachhaltigkeit), Jasmin Zirkl von pflegeaktiv in Gössendorf (Besondere unternehmerische Leistung) sowie Ingrid Karner mit dem Publikumspreis für das mit dem Pflanzenwirkstoff-Unternehmen aromainfo. Lechner sieht diese Unternehmerinnen als Vorbilder und Role Models für alle jene Frauen, die den Weg in die Selbstständigkeit wählen wollen: »Es geht uns darum, Unternehmerinnen, aber auch ihre vielfältigen Leistungen für den Wirtschaftsstandort Steiermark noch mehr in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Es gibt viele herausragende steirische Unternehmerinnen. In Wirklichkeit gebührt jeder einzelnen steirischen Unternehmerin die Auszeichnung als Steirische Unternehmerin des Jahres«. Die Wichtigkeit derartiger Veranstaltungen für das Selbstverständnis der Frauen betont auch Andrea Kern, Regionalsprecherin der Grünen Wirtschaft Steiermark: »Das Rollenbild‚ erfolgreiche Unternehmerin ist in Österreich noch wenig vorhanden. Diese Auszeichnungen für vorbildhafte Gründerinnen zeigen auf, dass es funktioniert, als Frau erfolgreiche Unternehmerin zu sein, die eigene Berufung zu leben und noch dazu Spaß zu haben. Das ist ungemein wichtig, für alle jene Frauen, die von einer Selbstständigkeit träumen.«
Das betont auch Martina Potomova-Rötzer, Inhaberin des Bio-Coffeshops Parks in Graz, die 2015 für ihr Projekt der Jugendbeschäftigung unter den ersten ausgezeichneten Unternehmerinnen war: »Jeder Preis ist eine Stärkung des Selbstbewusstseins und gibt einem das Gefühl, am richtigen Weg zu sein. Es war einer der schönsten Abende in meinem Leben, als ich den Preis bekommen habe und alle im Saal für mich aufgestanden sind.«

Stärkere Positionierung in der Politik
Mit der wachsenden Anzahl von Unternehmerinnen steigt auch der Anspruch an eine adäquate Stellung in den Interessenvertretungen wie der Wirtschaftskammer. Diese Forderung eint die Frauen über alle Fraktionen hinweg und die bisherige Entwicklung bei diesem Anliegen wird oft als wenig zufriedenstellend und verschleppend gesehen, wie Lechner hervorhebt: »Der Anteil der weiblichen Vertreterinnen, sprich Funktionärinnen, innerhalb der WKO Steiermark muss weiter steigen. Aber auch in den Aufsichtsräten größerer Unternehmen müssen noch mehr Frauen vertreten sein. Weiters ist zu wünschen, dass die Leistungen der Frauen nach außen viel sichtbarer gemacht werden.« In vielen Organisationen und Unternehmen seien die Chefetagen noch immer männlich dominiert, aber ihrer Ansicht nach hat sich das Selbstbild der Frauen gewandelt: »Das Bewusstsein der Unternehmerinnen hat sich sehr stark verändert: gegenseitige Unterstützung, die Nutzung von Netzwerkplattformen wie Frau in der Wirtschaft, aber auch Geschäftsverbindungen untereinander sind Beispiele, die sich im unternehmerischen Alltag verstärkt zeigen.« Ebenfalls kritisch sieht das die grüne Wirtschaftssprecherin Kern: »In der Führungsebene der WKO Steiermark sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. Zudem werden alle Sparten von Männern geführt, nur da und dort gibt es Frauen als Stellvertreterinnen.« Noch einen Takt kämpferischer ergänzt Potomova-Rötzer: »Ja, es gibt einen positiven Trend und heute mehr Chancen für uns Frauen. Der Anteil der weiblichen Führungskräfte steigt, aber zu langsam. In vielen Branchen gibt es immer noch die Gläserne Decke für uns. Viele wissenschaftliche Arbeiten unterstreichen, dass von Frauen geführte Unternehmen besser abschneiden als die Konkurrenz. Wir werden uns leider auch noch in diesem Jahrhundert mit dem Thema intensiv beschäftigen müssen. Deshalb Ladies, durchbrecht die Gläserne Decke und nehmt, was euch zusteht.«

Aufbrechen der Rollenbilder
Neben dem Bestreben, den Anteil der Frauen in den politischen Funktionen zu erhöhen, stehen die Themen Bildung und frauenspezifische Fördermodelle auf der Agenda der Frauenvertreterinnen. Die Zahl weiblicher Studierender in technischen Fächern erhöht sich zwar in den letzten Jahren, aber der Arbeitskräftemangel veranlasst den Ruf nach einer Forcierung des Mädchenanteils in den MINT-Fächern. Dazu braucht es aber bereits in der Grundschule mehr Motivation, mahnt Lechner ein Umdenken im Schulsystem ein: »Dies sollte bereits in den Kindergärten und Schulen beginnen, wie auch ganz allgemein in der Erziehungspolitik, um hier mehr Bewusstsein vor allem für technische Berufe zu schaffen. Dies ist ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema, das nicht früh genug in den Köpfen verankert werden kann.« Dasselbe beklagt auch Kern, die eine Verantwortung dafür auch bei den Erziehungsberechtigten sieht, die an den traditionellen Rollenbildern festhalten: »Leider sind viele Berufe noch immer Geschlechtern zugeteilt. Das Mädchen soll Friseurin werden, der Bub Installateur. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum verändert. Zum einen muss bereits in den Schulen mit diesen Rollenbildern gebrochen werden, zum anderen sieht man aber in der Öffentlichkeit, zum Beispiel in der Werbung, noch immer die Friseurin und den Installateur. So werden die Rollenbilder schon von klein auf gefestigt. Glücklicherweise gibt es in und außerhalb der Wirtschaftskammer Netzwerke für Business-Frauen, in denen sie voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen können. Dabei ist das Mentoring wichtig: Bereits erfolgreiche Frauen können erzählen, wie sie es gemacht haben.« Außerdem komme es darauf an, die besonderen Bedürfnisse von Frauen in der Gründungsphase stärker zu berücksichtigen. Oft verfügen sie nicht über eine finanzielle Basis wie Männer, um ihre Startkredite zu besichern, da würde es mehr Mikrokredite brauchen sowie speziell auf sie zugeschnittene Wirtschaftsförderungen und Coaching-Angebote.

Herausforderungen in der Coronakrise
Die Krise der vergangenen Monate hat unabsehbare Folgen, aber eines ist aus Frauensicht gewiss: Insbesondere sie mussten mit großen Belastungen zurande kommen, sei es im Beruf, in der Familie oder in der Kinderbetreuung. Andrea Kern berichtet aus ihren persönlichen Erfahrungen: »Man sieht deutlich, dass Frauen während der Krise weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden sind. Die Handelnden waren mehrheitlich Männer. Expertenrunden waren fast ausschließlich mit Männern besetzt, obwohl es genauso viele kompetente Frauen gibt. Nicht nur die Wirtschaft hat in der Krise Schaden erlitten, sondern auch die schon dürftig umgesetzte Gleichberechtigung. Ich arbeite als Veränderungsmanagerin. Durch den Lockdown und das Betretungsverbot habe ich wie viele andere Beratungsunternehmen Aufträge verloren. Da stellt sich die Frage, wie resilient ein Unternehmen aufgestellt ist. In den nächsten Monaten geht es bei mir verstärkt um den Neustart.« Dass es viele Frauen in selbstständigen Berufen ähnlich empfunden haben, zeigt eine topaktuelle Statistik der Wirtschaftskammer Steiermark zu den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. An dieser repräsentativen Umfrage des Instituts für Wirtschafts- und Standortentwicklung der WKO Steiermark haben insgesamt 1.286 steirische Unternehmerinnen teilgenommen. Demnach waren bzw. sind 84 Prozent von der Corona-Krise persönlich negativ betroffen. Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation und Auftragsausfälle führten bei genau 50 Prozent der befragten Unternehmerinnen zu vorübergehenden Betriebsschließungen, was wiederum bei 43 Prozent massive Existenzängste hervorgerufen hat. Ebenfalls auffällig: Eine überdurchschnittlich hohe Belastung aufgrund der zusätzlichen Kinderbetreuungspflichten. Fast 60 Prozent der Frauen mit einem oder mehreren Kindern führten diese Aufgabe in der Umfrage als (sehr) herausfordernd an. Für 41 Prozent fehlten dadurch die zeitlichen Ressourcen für unternehmerische Tätigkeiten bzw. es kam zu psychischen Belastungen aufgrund dieser Überbelastungen. Dazu kommt, dass ein großer Teil der zusätzlichen Hausarbeit an den Frauen hängengeblieben ist.

Lehren für die Zukunft
Wie jede Krise kann auch diese als Auslöser dienen, strukturelle Probleme mit klarem Blick zu erkennen und zu beheben. »Die Corona-Krise sollte uns hier als Anlassfall dienen, die nach wie vor bestehenden Defizite in einigen Bereichen anzupacken«, unterstreicht Lechner. Seit vielen Jahren kämpfen Frau in der Wirtschaft und andere Organisationen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. An zentraler Stelle nennt Lechner hier die Kinderbetreuung: »Corona ist der Anlassfall und die Zielsetzung lautet, in jedem Sommer Kinderbetreuung sicherzustellen. Das Ziel muss es sein, über die Schulzeiten hinaus in jedem Sommer die Kinderbetreuung sicherzustellen.« Durch das Home Schooling hat sich Bildungsungleichheit in vielen Fällen weiter vergrößert, die damit ausgeglichen werden könnte, fügt Lechner hinzu: »Die Planungssicherheit für Eltern ist auch für den Herbst wichtig, um ein gesichertes Weitergehen von Bildung und Betreuung zu gewährleisten. Bei der Betreuungsquote unter 3-Jähriger liegen wir hinter internationalen Vorgaben zurück; vor allem im ländlichen Raum hinkt man mit dem Angebot hinterher. Die Betreuungszeiten passen hier oft schon lange nicht mehr mit den Arbeitsrealitäten zusammen.«
Die überraschende Wucht der Auswirkungen der Pandemie hat auch gezeigt, dass es vor allem rascher und unbürokratischer Unterstützungsmaßnahmen bedarf, die bei den Unternehmerinnen in kürzester Zeit ankommen, um eine wirtschaftliche Stabilität nachhaltig zu sichern. In Ergänzung dazu sieht Lechner als Folge der Krise den dringenden Bedarf an verstärkter fachlicher Beratung, etwa in Form einer Akademie für angehende Unternehmerinnen, die betriebswirtschaftliches Know-how mit weiteren Modulen kombiniert, etwa für Online-Marketing, für Verkaufsstrategien und für eine bessere zukünftige Nutzung von Digitalisierungsstrategien.

Fazitthema Fazit 164 (Juli 2020), Foto: Adobe-Stock

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