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Außenansicht (17)

| 6. Oktober 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 166

Die Krisenprediger in den Medien. Wir können uns in der Viruskrise keine Fehler mehr leisten. In der Gesundheit und in der Wirtschaft geht es um Existenzen. Die Fehler immer bei anderen zu suchen, hilft da niemandem. Das ist nur erbärmlich feig«, steht in einem Kommentar in der »Krone«, und wir sitzen beim Frühstück, vor Kaffee und aufgebackenen alten Semmeln, weil wir zu faul waren, frische zu holen, und werden nachdenklich.

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Was haben wir nur angestellt, dass alle so böse sind mit uns? Vor ein paar Monaten wurden wir noch gelobt, waren die Weltmeister mit absolut niedrigen Zahlen in der internationalen Corona-Konkurrenz und jetzt das totale Versagen. Schämen sollten wir uns und mehr an Leitartikeln und Kommentaren orientieren, die daran erinnern, wie wir uns verhalten sollten.

Es gab mal Zeiten, als Zeitungen und Magazine die wichtige, kontrollierende Instanz gegenüber den Regierenden waren, mit genialen Schreibern, die aufklärend und rücksichtslos die Entscheidungen der jeweiligen Macht infrage stellten. Begabte Journalisten formulierten mit treffender Sprache den Unmut und den Zweifel, den man mit sich herumschleppte, ohne dafür die entsprechenden Worte zu finden. Sie schrieben, was Leserinnen und Leser sich dachten und nicht so gut formulieren konnten.

Wie sehr hat sich das verändert. Heute haben viele Redakteure ihre Aufgaben neu definiert. Sie fühlen sich berufen, entweder im Namen der Regierung die Bevölkerung zu ermahnen und agieren dann wie Haus- und Hofschreiber in monarchischen Zeiten, oder polemisieren stellvertretend für die Opposition – die Leser selbst spielen dabei keine Rolle. In Zeiten von Corona wurde kurzerhand die kritische Verantwortung mit angeblich notwendiger Propaganda ersetzt und belehrenden Aufforderungen. Jung und Alt sollten endlich die Anordnungen der Regierung einzuhalten. Die Zeitung wurde zum Plakat mit bedeutungslosen Sprechblasen.

Es gibt sie allerdings noch, die kritische Instanz. Kaum mehr unter den Journalisten, eher bei den Wissenschaftlern. Der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka zum Beispiel sieht den Grund für den Anstieg der Infektionszahlen nicht nur in der Nachlässigkeit vieler Bürger, sondern auch in Versäumnissen der Regierenden. Er ist einer der vielen Fachleute, die Verantwortung für kritische Distanz zur Regierung übernommen haben. Ähnliches erlebten wir in der Flüchtlingskrise, als vor allem deutsche Medien im Auftrag der Regierenden kriminelles Verhalten verharmlosten, Statistiken schönten oder Informationen manipulierten. Erst die offiziellen Informationen der Polizei und Behörden zeigten ein realistisches Bild der gestiegenen Kriminalität seit 2015.

Es geht nicht um die Frage, wer Recht und Unrecht hat – die Wahrheit ist keine absolute, weder in der Corona- noch in der Flüchtlingskrise –, sondern um die Rolle von Publizisten, die eine Informationspflicht mit pädagogischer Verantwortung aus den Medien verdrängten. Einst begnügte sich die Bevölkerung mit den Nachrichten, die in einer Zeitung Platz hatten. Das reichte, und es gehörte zum täglichen Vergnügen, bei einer Tasse Kaffee im Kaffeehaus »seine« Zeitung von vorn bis hinten zu studieren. Dann kam die Information über das Internet. Zeitungen verloren diese Monopolstellung und flüchteten in den Meinungsjournalismus, der plötzlich wichtiger war als Nachrichten, und züchteten sektenartige Fanklubs für Kommentatoren. Auf der Strecke blieben Inhalte der Analysen, Reportagen und Recherchen, ohne die eine kritische Distanz zur jeweiligen Regierung als bloße Meinung übrig blieb.

In Krisenzeiten interessieren uns Leser Meinungen nur wenig, außer sie kommen von Fachleuten basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissne. Wir müssen davon ausgehen, dass Kommentatoren über Corona etwa so viel verstehen wie wir selbst. Leserinnen und Leser sind allerdings hungrig nach sachlicher Information, Berichten über medizinische Entwicklungen, Entdeckung von Impfstoffen, wirtschaftliche Folgen der Krise und gesellschaftliche Veränderungen. Hier liegt die Verantwortung und auch Chance der Medien um nicht weiter Leser zu verlieren mit schulmeisterlichen Kommentaren von Journalisten, die uns einen Tag über Corona und am nächsten Tag über Trump belehren, und deren Beiträge sich nicht mehr von der Leserbriefen unterscheiden. Für spannende Zeitung würden wir sogar frische Semmeln zum Frühstück holen.

Außenansicht #17, Fazit 166 (Oktober 2020)

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