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Versichern beruhigt

| 30. November 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 168, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Der neue Sprecher des Vorstands der Merkur-Versicherung, Ingo Hofmann, über die Amazonisierung der Welt, einzuhaltende Versicherungsversprechen, über Geist und Körper, Digitalisierung und Nutella.

Das Gespräch führten Volker Schögler und Johannes Tandl.
Fotos von Marija Kanizaj.

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Das neue Hauptquartier der Merkur AG bildet gemeinsam mit der Stadthalle und dem »Styria Media Center« in der Conrad-von-Hötzendorf-Straße ein neues Tor in die Grazer Altstadt – der Bezirk Jakomini erscheint hier im Businessgewand.

»Kafé« und »Kantina« im Südturm wie auch das Fitnesscenter im Nordturm sind zwar zur Zeit coronabedingt menschenleer, in den Büros wird aber gearbeitet. So auch im letzten Stock, wo sich der Vorstandssprecher Ingo Hofmann gute zwei Stunden Zeit für ein Fazitgespräch nimmt.

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Was verschlägt einen deutschen Versicherungsmanager zur Merkur AG nach Graz?
Ich beantwortet Ihnen das mit einer kleinen Anekdote. Ich war von 2013 bis 2016 in Wien. Und zwar als Vorstand für den österreichischen Markt bei der Gothaer Lebensversicherung. Nach einem kurzen Ausflug zurück nach Deutschland  war für mich klar, dass ich, wann immer sich durch eine attraktive Position die Möglichkeit ergibt, zurück nach Österreich gehen würde.

Was war Ihrer Meinung nach maßgeblich für Ihre Bestellung?
Ich glaube, der Blick von außen tut einem Unternehmen manchmal gut. Und da war die Frage zu beantworten, wie sehr man sich denn traut, diesen Blick von außen zu gestalten. Ich glaube, ein weiterer Blick von außen, als einen Deutschen reinzuholen, ist für ein Grazer Unternehmen kaum möglich. Wir haben viele gemeinsame Ideen und Zugänge und wir haben zum Glück eine sehr ähnliche Sprache. Die Kultur und der Grundtenor sind gleich, aber die Sichtweise auf die Dinge ist doch anders. Bei manchen Themen, glaube ich sagen zu können, dass der deutsche Markt vielleicht ein bis drei Jahre voraus ist. Entscheidend für meine Bestellung war vermutlich auch, dass ich ein Manager bin, der beide Märkte kennt. Am Ende, da bin ich mir ganz sicher, war aber der persönliche Zugang das ausschlaggebende Kriterium.

Wie sehr prägt die 222-jährige Unternehmensgeschichte der Merkur AG das Alltagsgeschäft? Kann man als altes Unternehmen überhaupt den Spirit aufbringen, um es mit Start-Ups und Insuretechs aufzunehmen?
Ich würde es gar nicht so sehr auf die Jahre abstellen. Wir leben ja heute in einer extrem amazonisierten Welt, in der fast alles digital läuft. Und ich traue mich, uns mit Amazon zu vergleichen, weil das, was Amazon heute digital mit Daten kann, das konnte eine Versicherungswirtschaft schon immer analog mit Daten. Es gibt kein Unternehmen, das so viel über seine Kunden weiß, wie wir über unsere. Bis hin zu Gesundheitsfragen. Weil wir nicht aus der digitalen, sondern aus der analogen Welt zu Daten gekommen sind, müssen wir allerdings lernen, die Digitalisierung für uns zu nutzen. Amazon hat digital angefangen und Daten gesammelt, wir haben Daten gesammelt und sind dann digital geworden – das ist der einzige Unterschied.

Foto: Marija Kanizaj

Die Merkur hat es wieder unter die Top Ten in Österreich geschafft. Wie ist das gelungen?
Weil wir wissen wie man das Wunder Mensch versichert! Durch die konsequente Ausrichtung und Expertise, die wir in den letzten Jahren rund um das Thema Krankenversicherung – oder in unserem Sprachgebrauch »Gesundheitsversicherung« – aufgebaut haben. Unabhängig von der Finanzindustrie haben Unternehmen immer dann Schwierigkeiten, wenn sie zu viele Themen gleichzeitig bespielen – wofür steht man dann als Unternehmen? Die Merkur deckt durch ihre eindeutige Ausrichtung auf den Gesundheitsbereich, sehr viele einschlägige Kundenbedürfnisse und Lebenssituationen ab. Wir haben in den letzten beiden Jahrzehnten gelernt, unser Knowhow in Produkte umzusetzen. Wir haben also eine extrem hohe Expertise mit einer nachvollziehbaren Tarifwelt aufgebaut. Durch diese Expertise gelang es, in den Bereichen, die wir sehr gut beherrschen Vertrauen aufzubauen – also in der Krankenversicherung und in der Absicherung des Menschen im Allgemeinen. Wir sind mit diesem speziellen Zuschnitt in den Markt gegangen und wollten nicht von allem ein bisschen mehr. Genau damit konnten wir Wachstum generieren – mit Expertise, Kompetenz und einem klaren Kundenprofil.

Die Merkur ist im Gesundheitsbereich hinter der Uniqa und der Wiener Städtischen Dritter am österreichischen Markt. Worin unterscheidet sich die Merkur-Krankenversicherung von jenen der anderen, wo ist Ihr USP?
Wir möchten bei der Absicherung des »Wunder Mensch« die erste Wahl in Österreich werden. Wenn wir das schaffen, werden wir uns auch zwangsläufig in der Positionierung weiterentwickeln. Unser Ziel ist es, auch wenn das für Sie zunächst eigenartig klingen mag, das Nutella der Versicherungsbranche, genauer der Krankenversicherungen zu werden. Man sagt bekanntlich nicht, ich kaufe eine Haselnusscreme, sondern man sagt, ich kaufe ein Glas Nutella, egal, was ich dann kaufe. Wenn wir über die Absicherung des Menschen reden, dann möchten wir, dass Österreich über einen Merkur-Standard spricht.

Eine Frage zum Vertrieb: Traditionellerweise kamen Verträge mit der Merkur oft über Betriebsräte und Gewerkschaft zustande – ist das heute auch noch so, dass der Eigentümer hilfreich ist?
Das ist der originäre Zugang würde ich sagen, aber er ist nicht mehr unser Hauptzugang. Wir sind heute so aufgestellt, dass wir mit aktuell rund 320 eigenen angestellten Beratern im Vertrieb arbeiten, aber natürlich auch mit den etwa 6.000 bis 7.000 unabhängigen Beratern, die es am österreichischen Markt gibt. Das heißt, wir nutzen alle Vertriebskanäle, die da sind. Was wir nicht haben, ist ein Direktvertrieb, also Schalterpolizzen oder Onlinepolizzen. Der Ertrag hat sich über die Jahre gut entwickelt, auch vor dem Hintergrund, dass die Kapitalmärkte deutlich zurückgegangen sind. Das heißt, Sie brauchen heute eine hervorragende Versicherungstechnik, um überhaupt das Grundrauschen eines Versicherungsbetriebes aufrecht erhalten zu können. Natürlich gibt es einen massiven negativen Effekt durch die Zinspolitik auf die Ertragssituation im gesamten Versicherungsbereich.

Geht es diesbezüglich um die tägliche Veranlagung des Prämienvolumens, das Sie verwalten?
Vollkommen richtig – wir haben 640.000 Versicherte. Da haben Sie Rechnungszinsen in älteren Produkten hinterlegt, die bis zu vier Prozent hochgehen. Die Mehrzahl der Produkte und Risken die wir haben, liegen in der alten Zinswelt. Was machen Sie etwa bei Lebensversicherungen, die einen Garantiezins von vier Prozent versprechen? Ihre Anlagen laufen ja irgendwann aus, und Sie müssen die Gelder neu veranlagen. Allerdings zu 1,5 bis bestenfalls 1,9 Prozent. Der Rest auf die vier Prozent fehlen Ihnen also.

Kann man Kunden aus der mündelsicheren Veranlagung herausholen und etwa in Fondspolizzen unterbringen? Oder was macht man da wirklich?
Nein, das Versicherungsversprechen gilt selbstverständlich über die vereinbarte Laufzeit der Polizze. Die Intelligenz müssen Sie auf der Anlageseite finden. Sie brauchen einen Produktmix, der Ihnen hilft, im Schnitt die Verpflichtung zu senken. Natürlich werden neue Produkte dadurch unattraktiver. Der Gesetzgeber sagt: Senke dein Zinsversprechen, denn Du kannst diese Erträge nicht mehr generieren. Also garantiere sie auch nicht. Wir Versicherer müssen daher lernen, aus den anderen beiden Töpfen der Versicherungsgesellschaft Geld zu verdienen. Das bedeutet, wenn der Kapitaltopf nicht die Erträge liefert, mit denen Sie kalkuliert haben, dann haben Sie noch einen Topf auf der Verwaltungsseite, also auf der Kostenseite, das ist aber nicht beliebig skalierbar. Der dritte Topf ist der Bereich der Risikogewinne, das heißt, Sie müssen lernen, aus der Versicherungstechnik Geld zu verdienen. An sich ist jede Versicherung immer eine Art Wette. Im heutigen Niedrigzinsmarkt müssen wir höhere Risiken durch etwas mehr Marge absichern. Dazu braucht man eine geeignete Versicherungstechnik.

Die Merkur-Versicherung hat doch in den letzten Jahrzehnten stark auf den Immobilienbestand gesetzt. Da ist man in Graz sicher nicht schlecht gefahren, oder?
Wir haben einen guten Portfoliomix und eine enorme Stabilität. Aber die Herausforderung ist für uns trotzdem, den Markt der nächsten Jahrzehnte schon heute zu antizipieren. Es muss für alle drei Beteiligten an einem Versicherungsgeschäft reichen – für den Kunden, für den Berater und natürlich für den Versicherer.

Können Sie Ihr Topprodukt, die Merkur-Krankenversicherung, kurz beschreiben?
Wir haben es geschafft, ein enorm komplexes Produkt, sehr einfach verständlich zu machen. Unser »Novum«-Tarif, der in den letzten Jahren die Speerspitze der Tarifwelt ist, bietet die Möglichkeit, die Leistungen aus ambulanter und aus stationärer Betreuung gemeinsam abzubilden. Wir haben also eine All-In- beziehungsweise All-Risk-Police, die die wesentlichen Gesundheitsrisiken abdeckt. Damit bieten wir dem Kunden gleichzeitig eine Tür zu eine sehr offenen Welt der Anspassung. Er kann quasi im Tarif atmen, er kann Leistungen verschieben, er kann von einem niedrigen Tarif in einen höheren Tarif wechseln. Er hat zahlreiche Konvertierungsmöglichkeiten, die ihm helfen, sein Gesundheitsversicherungsprodukt an seine Lebensphasen anzupassen. Diese Kombination aus Produktgestaltung und Prävention, um gesund zu bleiben, sowie die zu erwartende Leistung im Krankheitsfall fördert letztlich die Selbstbestimmung unserer Kunden. Mit ihrem Tarif können die Kunden darüber entscheiden, wer sie wo und wie behandelt. Die Tarife lassen durch die Kombination der ambulanten und der stationären Leistung keine Lücke entstehen. Schließlich werden viele Operationen, die früher nur stationär möglich waren, heute ambulant durchgeführt. Grundsätzlich ist ja die beste Versicherung die, die ich erst gar nicht brauche. Daher investieren wir einen wesentlichen Teil der Prämien in die Prävention.

Foto: Marija Kanizaj

Führt dieser Präventionsgedanke bereits dazu, dass die Leute tatsächlich weniger krank werden oder beschränkt sich der Erfolg vorerst auf Marketingeffekte?
Ich denke schon, dass wir das an vielen Volkskrankheiten abbilden können. Nehmen Sie das Thema Psyche. Wenn ein Versicherer seinem Kunden die Möglichkeit gibt, ein Wellnesswochenende zu verbringen und sich aus dem Alltag herauszunehmen, hilft ihm das. Oft könnte er sich das sonst gar nicht leisten, weil er den Fokus auf andere Themen gelegt hat. Wenn Ihnen Ihr Versicherer sagt: Hey, wenn Sie keine Krankenversicherungsleistung in Anspruch nehmen, steht Ihnen im Gegenzug eine spezielle Leistung im Bereich der Gesundheitsvorsorge zur Verfügung, macht Sie das zu einem selbstbestimmteren Kunden. Bei uns gilt der gesellschaftliche Grundsatz »Es gehört ein gesunder Geist in einen gesunden Körper«. Das ist unser Zugang zum Thema Prävention und dazu, Sicherheit zu schaffen. Eine Versicherung darf folgenden Grundgedanken nicht vergessen: Es gibt kein schlechtes oder falsches Risiko, es gibt immer nur die falsche Prämie zu den Risken.

Die Versicherung kann die Gesundheitsrisken natürlich anders einschätzen als der Kunde. Geht es nicht immer darum: je älter der Kunde, desto teurer die Krankenversicherung?
Wir können auch für einen Kunden, der Vorerkrankungen hat, Lösungen finden. Wir können Ihn versichern – das gehört eindeutig zu unseren Aufgaben. Bei uns gibt es keine positive Risikoauslese. Das wäre völlig falsch. Es widerspricht unserem Gedanken und unserer Idee von Solidargemeinschaft. Wir sagen nicht, wenn du schön, gesund und jung bist, dann möchten wir dich haben und wenn du ein bisschen älter bist und gesundheitlich schon ein bisschen angeschlagen, dann bist du kein Kunde mehr für uns. Das ist nicht Solidargemeinschaft. Aber unbenommen davon brauchen wir natürlich den Mix bei den Risiken. Sonst würde man eine Implosion des Versicherungsbestandes auslösen. Das war in Deutschland in den Achtziger- und Neunzigerjahren zu erkennen, als die Möglichkeit der Krankenvollversicherung auf privater Ebene dazu führte, dass man nicht mehr in die gesetzliche zurückwechseln konnte. Da hat inzwischen aber der Gestzgeber einen Riegel vorgeschoben. Denn solche Tarife, bei denen die Alten und Kranken in einem Topf übriggeblieben sind, sind zum Teil tatsächlich implodiert. Das hat der Krankenversicherungswirtschaft nicht gutgetan. So wollen wir nicht arbeiten, deshalb freuen wir uns über unseren Kundenbestand, der es uns ermöglicht, jedes Jahr 6.000 Neugeborene als Kunden dazuzugewinnen.

Würden Sie mit Ihrem heutigen Wissenstand, Stichwort Corona, wieder ein so gewaltiges Projekt wie den Merkur-Campus in Angriff nehmen?
Definitiv ja, das war alternativlos. Wenn man sich als Unternehmen heute fit für die Zukunft machen will, gehört nicht nur eine interne Ausrichtung dazu, es gehört auch eine Arbeitswelt und ein Umfeld dazu, das das möglich macht. Der alte Standort in der Neutorgasse hat uns auch technisch und räumlich an die Grenzen geführt. Es wäre eine Operation am offenen Herzen gewesen, im Betrieb ein Gebäude zu sanieren. Jetzt können wir die Neutorgasse kernsanieren und zu einem State-of-the-Art-Gebäude machen. Wir haben heute schon einen Großteil der Flächen an hochinteressante Ankermieter vermietet, die auch langfristige Perspektiven haben, weil sie letztendlich konjunkturunabhängig Flächen brauchen und nutzen werden.

Herr Hofmann, danke für das Gespräch.

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Ingo Hofmann, geboren 1970 in Frankreich, stammt aus dem bundesdeutschen Ruhrgebiet. Der ausgebildete Versicherungskaufmann ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Seit Jänner 2020 ist er Vorstandssprecher der Merkur Versicherung. Stationen seiner Tätigkeit davor waren die Versicherungsunternehmungen Gothaer (9 Jahre, davon knapp 3 Jahre als Vorstand für Österreich), die Bayerische, Volkswohl Bund Versicherungen sowie Ergo.

Die Merkur Versicherung wurde 1798 in Graz gegründet. Sie ist damit Österreichs älteste noch bestehende Versicherung. Kerngeschäft ist die Sparte Krankenversicherung. Zum Konzern gehören auch Töchter in Slowenien, Kroatien und Serbien. In der Bilanz von 2019 wird ein Gewinn vor Steuern (EGT) von rund zehn Millionen Euro für die AG und 15,8 Millionen Euro für den Gesamtkonzern ausgewiesen. merkur.at

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Fazitgespräch, Fazit 168 (Dezember 2020), Fotos: Marija Kanizaj

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