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Der mit dem Sofa surft

| 24. Dezember 2020 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 169, Fazitportrait

Foto: Heimo Binder

Georg Walchshofer war bereits mit 32 Jahren hochbezahlter Vorstand bei einem internationalen Polstermöbelhersteller, bis er sich entschloss, als kleiner, aber feiner Sofaproduzent mit reduziertem Design und Angebot, aber umso größerer Branchenkenntnis und viel digitalem Knowhow in einen Markt mit Riesenpotenzial einzusteigen. Von einem, der auszog, um sich als Unternehmer zu beweisen.

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Gerade zur beschaulichen Weihnachtszeit entdecken viele Menschen Jahr für Jahr eine alte Sportart von Neuem: das Couchsurfen. Unabdingbare Voraussetzung ist neben einem Elektrogerät – wie Fernsehapparat oder Computer – eine Couch, auch Sofa genannt. Die Rolle des Couchpotatos übernimmt man selbst. Die sportliche Ambition beschränkt sich dabei bequemerweise auf Hör- und Sehsinn, der Tastsinn hingegen wird je nach Qualität des Sofas in äußerst anspruchsvoller und herausfordernder Weise gefordert. In Anbetracht der am weitesten verbreiteten Volkskrankheit, dem Rückenschmerz, wird dem wohlüberlegten Kauf eines Sofas viel zu wenig Beachtung beigemessen. Kopf und Bauch geraten allzu leicht in Widerstreit, wenn es um die Frage Design oder Bequemlichkeit geht, was der stets präsente Schiedsrichter namens Geldbeutel in der Regel gnadenlos ausnützt.

Urbanes Angebot
Derartige Überlegungen stellt natürlich auch der Hersteller von derartigen Polstermöbeln an. Seit wenigen Monaten hat sich in Graz ein neuer Player auf diesem Gebiet anspruchsvolle Ziele gesetzt. Sein Name: Casarista. Im Herbst, genauer am 18. September, poppte sowohl in der Kaiserfeldgasse 20, wie auch online dieses neue Unternehmen auf. Dahinter steckt der 34-jährige Georg Walchshofer, der trotz seiner Jugend über einschlägige Erfahrung und Branchenkenntnis verfügt. Der kleine wie feine Showroom lädt recht niederschwellig zum Schauen und Probesitzen ein. »Komm rein, es ist offen« heißt es jugendlich unkonventionell auf einem Ständer vor dem Geschäft, »A part of yourself« unter dem Schriftzug »Casarista« erscheint wie eine urbane, persönliche Ansprache und das nicht minder groß geschriebene »casarista.com« ist ein deutlicher Hinweis auf die Präsenz im weltweiten Netz, dem Web. Die Website ist von der gleichen klaren und zeitlosen Eleganz, wie die Sofas selbst. Mit geradezu mathematischer Genauigkeit wird hier ein Produkt präsentiert, das auch zu Interaktivität verführt, denn bereits auf der Startseite heißt es: »Konfiguriere dein individuelles Sofa.« Und weiterhin: »Wenn dich jemand fragt, woher du das Sofa hast: von dir.« Mit einfachen Mausklicks lässt sich aus den drei Grundformen Einzelsofa, Ecksofa und U-Sofa aus drei Designlinien jenes erstellen, das ins eigene Wohnzimmer passt. Assoziationen zu Einbauküchen, die sich wie vorgefertigte Puzzles zusammenstellen lassen, sind nicht ganz ungewollt, wie sich im Gespräch mit Georg Walchshofer zeigen wird.

Foto: Heimo Binder

Fünfmilliardenmarkt
»Wir sehen uns eigentlich nicht wie ein Startup im herkömmlichen Sinn, sondern wollten ganz bewußt mit einem Big Bang beginnen«, zeigt der Jungunternehmer gleich Flagge. Da backt einer keine kleinen Brötchen oder wartet im Geschäft geduldig auf Kundschaft. Der 70-Quadratmeter-Store mit darüberliegendem gleichgroßem Büro dient als Basisstation für die unendlichen Weiten der Onlineverkaufsplattform im World-Wide-Web. »Ich wollte unbedingt den Plan einhalten und am 18. September starten, da war es notwendig, davor die letzte Nacht durchzumachen«, schildert er den Beginn der Reise und bestätigt damit nur Mark Twains Ausspruch »Gäbe es die letzte Minute nicht, so würde niemals etwas fertig«. Besser als ein Businessplan – den es selbstverständlich gibt – ist der große Plan und den hat er offensichtlich auch: »Mir war bewusst, dass der Markt riesig ist, allein in Deutschland und Österreich geht es um einen Jahresumsatz von fünf Milliarden Euro. Und der Markt ist im Umbruch. Es gibt zwar einige Neue, aber nicht aus der Branche. Ich wusste, es muss funktionieren.« In den ersten zwei Wochen stieg der Umsatz von Casarista nur langsam, aber dann ist er rasch noch oben gegangen. »Nach sechs Wochen waren 50 Sofagarnituren verkauft und seit zwei Monaten kann ich sagen, dass der »Break-Even« mehr als erreicht ist.« Jedes Bundesland in Deutschland und in Österreich wurde von Casarista bereits beliefert, so Walchshofer, der eines früh erkannt hat: »Die Wachstumschancen bestehen im Onlinebereich.« Jetzt beginnt das »Retargeting« – wer war auf der Website, wie wird er wieder angesprochen? »Das war für mich früher auch eher schwammig, aber ich sehe heute, dass das messbar und auswertbar ist«, sagt der Unternehmer, der bis vor einem halben Jahr nicht einmal auf Facebook vertreten war. Aber da leistet er sich so erstklassige wie kostspielige Partner. Eine deutsche Werbeagentur kümmert sich ausschließlich um die Werbung auf Instagram und Facebook, eine zweite, ebenfalls aus Deutschland und ebenso hochspezialisiert, ausschließlich um die Werbung bei Google.

Von Ada in die Selbständigkeit
Walchshofers antizipierende Treffsicherheit ist nicht nur seiner jugendlichen Lockerheit und einer großen Portion Mut geschuldet, sondern auch seiner Vergangenheit als Mitglied des Vorstands der Möbelfabrik Ada im oststeirischen Anger, einem der großen, international tätigen Polstermöbelhersteller. Als Student der Industrielogistik an der Montanuniversität in Leoben landete er aufgrund einer Initiativbewerbung bei Ada, um dort seine Bachelorarbeit über Lagerlogistik zu machen, wurde Projektmanager im IT-Logistikbereich und auch seine Diplomarbeit im Zuge des Masterstudiums über Distributionslogistik entstand dort. Im Bereich der Tourenplanung befasste sich Walchshofer etwa mit den 650 Abladestellen des Konzerns in Europa, schrieb Programme und Optimierungsalgorithmen und erneuerte den Prozess dahinter. Mit 24 war er in den Konzern gekommen, mit 28 übernahm er Produktion und Logistik, mit 30 den IT-Bereich, mit 32 wurde er Vorstand – eine Blitzkarriere. »Als 28jähriger Studierter den Meistern in Österreich, in Ungarn und in Rumänien zu sagen, wie die Produktion ablaufen soll, war anfangs schon ein bissl schwierig«, resümiert er heute. Außerdem war er beim »Deutschen Möbelverband« eingebunden, wo fast alle Hersteller von Polstermöbeln organisiert sind und wo in Untergruppen, wie etwa dem Data Competence Center, Daten und Formate standardisiert werden, um diese mit dem Handel austauschen zu können. Ein sehr varianten- und planungsreiches Feld mit unterschiedlicher Preislogistik, insbesondere wenn es um Kombinationen von Bauteilen geht. Wie das funktioniert, wurde zuvor bei den Küchen, beziehungsweise deren Planung vorexerziert. Der Kunde erhält so seit vielen Jahren schon genaue Küchenpläne, Preise und sonstige Auskünfte rasch, verbindlich und in verständlicher, vereinheitlichter Form. Da gab es für die Polstermöbelhersteller viel nachzuholen und nachzuvollziehen. »So bin ich über Datentransfers und Datenstandardisierung in die Bereiche Konfigurator und 3D hineingerutscht«, sagt Walchshofer. Das ist auf der Casarista-Website auch deutlich zu erkennen. Auch sie stammt von einem hochspezialisierten Technologiepartner aus Deutschland, dem Software-Unternehmen Diomex. Die so entstandene 3D-Variabilität ist ein wichtiger Baustein im Unternehmenskonzept von Casarista. »Aber es muss auch Spaß machen und es soll nicht nach Möbelhaus ausschauen«, ergänzt Walchshofer, der während des Studiums ziemlich intensiv als Barkeeper etwa in der Wartburg oder im Milky Way in Graz gejobbt hat. Und im Stern seine Frau kennenlernte, mit der er mittlerweile zwei Kinder hat und – die im Casarista für die Buchhaltung zuständig ist.

Foto: Heimo Binder

Der Weg zur Marke
Ada war für Georg Walchshofer »eine tolle Lehre, wo ich mir auch ein großes Netzwerk aufbauen konnte.« Ende 2019 war nach einem Jahr als Vorstand und sechsstelligem Jahresgehalt aufgrund unterschiedlicher Auffassungen zwar Schluss, aber so schlimm kann es nicht gewesen sein. Denn seine eigenen Polstermöbel läßt Casarista im ungarischen Werk von Ada produzieren. »Da sind wir Kunde wie andere auch, die dort produzieren lassen.« Casarista will Marke sein und nicht Händler, darauf legt Walchshofer Wert, insbesondere, dass es keinen Zwischenhändler gibt, was sein Produkt entschieden verteuern würde. Er ist auch jetzt nicht gerade günstig, aber erstens ist sein Zielpublikum definiert als »25–50-jährige Zweiteinrichter, die etwa gerade ein Haus gebaut haben oder zusammengezogen sind«, so Walchshofer, und zweitens werde so gute Qualität geliefert, dass der Preis sehr fair sei. Erkennbar auch daran, dass zum Beispiel für einen Lederbezug vergleichsweise wenig Aufpreis verlangt wird, weil diverse Aufschläge von Zwischenhändlern wegfallen. Ein weiterer Trumpf ist die kurze Lieferzeit von vier Wochen, was in der Branche wirklich ungewöhnlich ist und sogar noch auf drei Wochen verkürzt werden soll. Der Durchschnittspreis für ein Sofa liegt bei 2.500 Euro, zehn Zentimeter Sofa kosten 40 Euro, ein Ausziehelement (Bett) 200, ein Stauraum 120 Euro – das sind gerade einmal rund zehn beziehungsweise sieben Prozent Aufpreis. Diverse Varianten, 20 Bauformen bis hin zu verschiedenen Armlehnen oder Füßen ergeben unvorstellbare 160 Millionen theoretische Kombinationsmöglichkeiten. Nichtmathematiker beeindruckt aber wohl eher intelligentes Design – so ist die Höhe der Füße so gewählt, dass etwa der Staubsaugerroboter durchkommt.

Wie bereits angedeutet, wird hier nicht gekleckert. Das neue Unternehmen ist mit drei Mitarbeitern zwar schlank, die Fixkosten mit rund 30.000 Euro pro Monat zugleich mutig. Die Hälfte davon geht ins Marketing – was angesichts der Größe des Markts gerechtfertigt sein kann. Es gibt einen nicht operativ tätigen deutschen Investor, der mit 49 Prozent beteiligt ist, die Geschäftsidee hat ungewöhnlich viel Knowhow im Hintergrund, der Start war gut, die Entwicklung auch, die Aussichten sind gut, das Umsatzziel ist ausformuliert, die verkaufsfördernden Maßnahmen haben noch gar nicht richtig begonnen. Bis Ende Februar sollen etwa Kaffeehäuser in Städten in mindestens 15 Regionen Österreichs und Deutschlands mit Sofas beliefert werden, damit via Webfinder auch ausprobiert werden kann, wie man dort sitzt. Die Rückmeldungen der zukünftigen Ausstellungspartner sind erfreulich, jeder zweite hat bereits zugesagt. Denn Georg Walchshofer weiß auch um die Lücke reiner Onlinehändler, zu denen er sich eben nicht zählt: »Die Kundschaft will auch drauf sitzen probieren.« Und als Ausdruck dessen, wie ein Unternehmer denkt, der Großes will: »Der Fall nach unten ist geringer, als die Möglichkeit nach oben.«

Casarista GmbH
8010 Graz, Kaiserfeldgasse 20
Telefon +43 316 376111
casarista.com

Fazitportrait, Fazit 169 (Jänner 2021) – Fotos: Heimo Binder

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