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Schönheitsideale. Und wie ich ständig lernen und verlernen soll, was schön und unschön ist.

| 4. März 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Essay, Fazit 170

Foto: PaperwalkerEin Essay von Maryam Laura Moazedi. Schönheitsideale sind nicht absolut, unterliegen kulturellen und wirtschaftlichen Interessen und sind stark vom Zeitgeist abhängig. Als Ideal scheint sich nahezu alles zu eignen, wenn nur mit ausreichend Nachdruck kommuniziert … sonst bleiben einem die Schönheitscodes verschlossen.

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Mag. Maryam Laura Moazedi ist Universitätslektorin an der Karl-Franzens-Universität, Gastlektorin an der Filmakademie Baden-Württemberg, Werner-Herzog-Begeisterte, Art-Brut-Fan und einiges mehr. Ihre Arbeits- und Interessensschwerpunkte sind Diversität, Stereotypisierung, Ethnozentrismus und Alter als Konstrukt. moazedi.org

Ich sah eine Gans. Und das sage ich ganz ohne Ressentiments, mit der größtmöglichen Objektivität, Wertneutralität, emotionalen Flachheit und sanften Milde, mit der man Ganshaftes in einem Menschen ausmachen und Ausgemachtes artikulieren darf. Nehmen wir an, es war ein Vorstellungsgespräch, das es nie gab, lange her, zwei Bewerberinnen. Ich führte damals die Gespräche nicht, war nur dabei, hörte und sah zu und staunte, basserstaunte. Die Eine zwischen Mitte und Ende Zwanzig, Universitätsstudium abgeschlossen, parallel dazu immer gearbeitet, zeitlich flexibel, großes Interesse an dem Job, freundlich, normal aussehend, blond, wenig geschminkt. Die Andere Anfang Zwanzig, mitten im FH-Bachelor, Lebenslauf kurz, Bewerbungsfoto groß, konnte zu den angegebenen Wunsch- und Musszeiten nicht arbeiten, der Job egal, eigentlich hatte sie sich um eine andere Stelle beworben, konkret um ein nicht existentes Praktikum, kündigte vorsorglich an, nach Abschluss ihres Bachelors ein höheres Gehalt zu erwarten und danach auch nicht zeitlich flexibler zu sein, weil sie würde den Master anhängen; auf alle anderen Fragen reagierte sie mit Kichern und Lachen und viel Zahn. Wir gingen beide nicht leer aus. Sie bekam den Job. Und ich mein Aha-Erlebnis.

Nehmen wir weiter an, ich erzählte jemandem davon: »Wie sieht sie denn aus?« »Normal,« meinte ich retrospektiv betrachtet etwas jungfräulich, nicht den Hauch eines Selbstverdachts, etwas übersehen zu haben, und die Haarfarbe fiel mir noch ein, dunkelbraun. Am ersten Arbeitstag erschien sie in engsten Jeans, höchsten High Heels und noch mehr Zahn. Und dann, es lag wohl an den peinlich berührenden Reaktionen zweier älterer männlicher Vorgesetzten, fing es an, mir langsam zu dämmern. Sie galt als gutaussehend.

Nun bilde ich mir ein, nicht gerade mit einem Brett vor dem Kopf durchs Leben zu gehen und hätte ich ein Brett, dann würde ich darauf bestehen, dass es ein schönes ist, von Marcel Breuer entworfen, aus unbehandeltem Beton, so ganz art brut. Ja, eine Affinität zu Ästhetischem ist da, behaupte ich auf die Gefahr hin, etwas unsympathisch zu wirken. Auch ist mein Zugang kein naiver oder so tiefgründiger, dass ich nur die wahre, innere Schönheit erkennen und anerkennen würde, noch so elitär, dass Frau wie Germaine Hélène Irène Lefebvre oder Audrey Hepburn aussehen muss, damit mir ihre Schönheit nicht entgeht. Akademisch bin ich vorbereitet, habe meine Hausaufgaben gemacht und kenne eine Vielzahl an empirischen Studien und philosophischen, soziologischen, psychologischen, feministischen, literarischen, kulturellen, historischen, biologischen Auseinandersetzungen mit dem Thema Schönheit.

In diesen Auseinandersetzungen ist man sich einig und nicht. Schönheit sei etwas Überdurchschnittliches, ergo besonders und selten, heißt es häufig. Ebenso häufig wird sie an den Markern Durchschnittlichkeit und Symmetrie festgemacht. Das Gesicht soll symmetrisch sein, während zu viel Symmetrie auch nicht als schön gilt. Noch wichtiger sei die Durchschnittlichkeit, deren Zuviel wiederum das Besondere missen lässt. Bestimmte Eigenschaften sollen universal als schön gelten, aber auch nicht, vermutlich gibt es, so ein Kulturvergleich, mehr Einigkeit über Unschönes denn Schönes. Suchen die einen nach Parametern für die absolute Schönheit, zeigen andere auf, dass es keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit gibt, der Schönheitsbegriff stets in Abhängigkeit von der historischen Periode und Kultur gesellschaftlichen Normierungsprozessen unterliegt.

Die Lernresistenz, die ausbleibt, wenn man sie einmal braucht

Wenn also, mit David Hume, Schönheit keine Eigenschaft der Dinge selbst, sondern im Geiste des Betrachters zu finden und, weitergedacht, dieser Betrachter wiederum Bestandteil eines Kollektivs ist, dessen ästhetische Wahrnehmung durch kulturelle Massenbetriebe gelenkt, geformt und gleichgeschaltet wird, so ist die breite Perzeption von Schönheit eine suggerierte, illusorische, Schönheit ein beliebig variables Kulturprodukt. Wir lernen als schön zu empfinden, was uns als schön vorgesetzt wird, eine Frage der Zeit, Hartnäckigkeit und Inszenierung. Wir lernen, absorbieren und internalisieren bis sich das ästhetische Urteil anfühlt, als wäre es das ureigene, tiefste Empfinden, so oder so aussehen zu wollen oder zu müssen oder wollen zu sollen. Die sonst Gesellschaften verlässlich einende leidige Lernresistenz, die in diesem Kontext ein gesundes Maß an Kritik erhoffen ließe, bleibt hier aus, wir lernen alles … dass die schöne Frau zierlich und klein, dann kurvig, dann großknochig und hungrig ist. Und natürlich begnügen wir uns nicht damit, uns selbst ganz deppert zu machen, nein, wir expandieren und exportieren unsere kulturzentrischen Identifikationsangebote großzügig nach Übersee, dort kann ja bei Abweichungen mit Hautbleichung, Blepharoplastik, Beinverlängerung und Minderwertigkeitsgefühlen kompensiert werden. Wer an dieser Stelle zumindest in einer kulturimperialistischen Überlegenheit Trost zu finden glaubt, irrt. Zynisch, wie sehr auch wir ferngesteuert sind.

Das erotische Lesezeichen in Slavoj Žižeks Exkurs
über den dialektischen Materialismus

Und wohin wir steuern … Der lupenartige Blick richtet sich längst nicht auf das Gesamtbild, es sind die Details, völlig zusammenhanglos. Wir lernen geradlinig Körperteile zu addieren, der Mensch ist weniger als die Summe seiner Teile: irgendein Gesicht + langes Haar + keine Hautporen + gebleichter Anus. Wie ich auf den komme? Ich bin ein Opfer der Medien. Da gab es vor Jahren diese, eh nicht unsympathische, Kosmetikerin, die von deutschen Privatsendern zum TV-Sternchen gemacht wurde, die Frau, der ich nach Paris Hilton und vor Kim Kardashian medial nicht begegnen wollte, die sich aber partout nicht davon abhalten ließ, mir zu begegnen. In einem dieser Augenblicke, in denen ich nicht ungeschehen machen konnte Gehörtes gehört zu haben, teilte sie der Öffentlichkeit mit, sie hätte ihren Anus gebleicht. Das war auch für mich ein erhellender Moment.

Es war ein Moment, der mir zweierlei verdeutlichte. Zum einen in welchem Ausmaß auch die intimsten Körperdetails nun Gegenstand der öffentlichen Schönheitsverhandlung sind. Zum anderen mit welcher Intensität diese wiederum von einer Porno-Ästhetik gespeist wird. In ihrem Buch »Beauty and Misogyny« beschreibt Sheila Jeffreys dieses aus den USA stammende Phänomen und nennt es »porn chic«. Die Porno-Industrie, längst nicht mehr vom Nimbus eines Tabus umgeben hinter einem 18-plus-Vorhang verborgen, wurde in den letzten Jahren Teil des Mainstreams. Konsum und Produktion sind einem breiten Publikum zugänglich, ebenso die Ästhetik, die sich nicht mehr auf die Industrie beschränkt, sondern auch von anderen übernommen wird und Eingang beispielsweise in Hollywood und der Haute Couture findet, sich damit immer weiter verfestigt und als eine Norm etabliert. Der Abstand zwischen den Welten Porno und Nicht wird immer kleiner, die Annäherung immer größer. Pole-Dancing erfuhr ein Reframing, rückte aus Al Bundys Nacktbar in den Fitnessraum und wurde zum »workout trend«. Die Steißbeintätowierung wurde zur Jahrtausendwende zum »must« (und nur wenige Jahre später zum Prototyp einer Fehlentscheidung).

Da wären dann noch diese Fremdkörper, diese aufgesetzten bewusst übertriebenen Plastikbrüste, die sich weigern, mit dem Rest des meist heruntergehungerten Körpers eins zu werden, sich immer weiter aufblähen und Natürlichkeit gar nicht zu simulieren versuchen, vielmehr etwas Eigenständiges zu signalisieren scheinen. Sie tauchen überall auf, auf irgendwelchen roten Teppichen, ansonsten, für Instagram reicht es immer, sind universal einsetzbar, werden in Werbung für Unterwäsche, Dirndl, Parfum, Äpfel oder Autoreifen dazu gepackt. Dann ist da noch die komplette Entfernung der Intimbehaarung, nun in Europa gehandhabt, als wäre es nie anders gewesen, weder mit prepubertärem Körper noch mit »adult films« (auch Pornos wollen ihre Euphemismen) assoziiert, wo die Praxis allerdings – in der aktuellen Verbreitung – zweifellos herkommt.

Wir wären nicht wir, wenn wir es bei Wachsen, Zupfen, Rasieren beließen. Aber wir sind wir und belassen es nicht dabei. Auf die Zahnregulierung folgt die Labiaplastik, ein Trend, der wohl einer suboptimalen Kombination geschuldet ist. So wird Frauen eine erstaunliche Ahnungslosigkeit attestiert, wenn es um die eigenen Geschlechtsteile geht, die sie weder richtig lokalisieren noch benennen können.

Die sich aufdrängende Frage darf ich antizipieren: Nein, die Studien stammen nicht aus den Neunzehnfünfzigerjahren und auch nicht aus Saudi Arabien. Wir sprechen von dem liberalen Vereinigten Königreich 2019 und den USA 2020, auch bekannt als das Land, in dem etwa 90 Prozent der Genitalfilmchen produziert werden. Die Wissenslücken wollen wiederum gefüllt werden, werden geschlossen mit Großaufnahmen von Körperöffnungen, allesamt postoperativ oder aftereffects, wie es die Industrie will. Frau macht sich kein Bild, dann ein verzerrtes. Das Phantasma einer Norm wirkt, die Folge der Logik unserer Gegenwart: Vereinheitlichung jeden Details, Operationen nicht um der Schönheit Willen, sondern im Dienst der Anpassung und des Gehorsams, so die schönheitssoziologische Erklärung.
Ich wollte nicht über Pornofilme schreiben. Das war nie der Plan. Mir geht es hier auch gar nicht um die Industrie per se und pfui und so. Ich habe nur ein wenig Zweifel, ob wir als Gesellschaft wirklich gut beraten sind, Inspirationen für unsere ästhetische Orientierung aus Filmen zu holen, deren Drehbücher sich mit »Oho, der muskulöse Handwerker läutet an der Türe, mein Mann ist gerade bei der Arbeit und, huch, mein einziges Höschen steckt als Lesezeichen in Slavoj Žižeks Exkurs über den dialektischen Materialismus« erschöpfen. Es ist bizarr. Wir werden mit »porn chic« zugemüllt und sind kein bisschen aufgeklärter. Au contraire.

Von evolutionstheoretischem Fortpflanzungsblabla

Doch weiter mit den antrainierten Assoziationsketten. Jung und schön lernen wir unter anderem als Formel gleichzusetzen, zeigen uns im Urteil großzügig und geblendet. Hollywood will mit Frauen nicht viel anfangen, wenn sie 30 sind, unabhängig davon wie attraktiv. Marketingmenschen und Modedesigner detto und werben mit Pubertierenden für Haute Couture. Das Minus an schön wird mit einem Plus an jung kompensiert, das macht man jetzt so. Und wir lernen zu verknüpfen, zu reproduzieren, den Unsinn zu bewahrheiten, begegnen erwachsenen Gesichtszügen in den Medien als geschlechtslose Wesen, die in Filmen der Hauptprotagonistin nicht als Frau, sondern als neutrales Mutter-, Lehrer-, Nachbarding zur Seite gestellt werden. Es geht gar nicht darum, wie schön, wie jung oder wie alt Frau de facto aussieht, das kalendarische Alter ist der willkürlich gesetzte Referenzpunkt.

Zur Erklärung dieses Phänomens wird gerne evolutionstheoretisches Fortpflanzungsblabla angestrengt, an dem sicherlich einiges dran sein mag, aber diese Theorien haben so ihre Schwächen. Irgendetwas in mir weigert sich, an das starre Schema zu glauben: Höhlenmann des einundzwanzigsten Jahrhunderts sieht Höhlenfrau, berechnet ihren Taille-Hüft-Quotienten für die Vermehrungsperformanz, entscheidet. Da passen Laufstegfrauen mit einer verirrten Beziehung zu Essen als Schönheitsideale nicht ins Bild, Verhütung auch nicht und ob dieser Impuls das Geheimnis hinter dem Geschäftserfolg von Dating-Apps ist, wage ich ebenso zu bezweifeln. Auch gilt der Zusammenhang zwischen Schönheit und Fruchtbarkeit oder Gesundheit als ein umstrittener. Eher vermute ich, dass wir bei diesen reduktionistischen Erklärungen einiges übersehen. So spricht auch eine Metastudie von Marcel Zentner und Alice Eagly dafür, dass es sich hier nur um ein Klischee handelt, ein überholtes, im Übrigen. Demnach sind Männer in erster Linie dann auf den Höhlenmodus jung und/oder schön eingestellt, wenn die gesellschaftlichen Strukturen weniger fortgeschritten sind. Je länger Mann schon aufrecht geht, will heißen, je emanzipierter die Gesellschaft, desto größer sein Augenmerk auf Bildung und Intelligenz der Frau, desto geringer die Bedeutung von Alter und/oder Schönheit. Das gilt auch invers für die moderne Höhlenfrau, die, evolutionsbiologisch betrachtet, mit der Marktmetapher beschrieben wird »biete Jung gegen Reich«. Der Theorie nach finden die Fixierung auf einen reichen Mann und das Tauschgeschäft nicht etwa statt, weil Miss Neandertal selber im Gucci-Bikini Champagner trinkend auf der Yacht oder am Pool abhängen will, nein, die gute Frau agiert völlig selbstlos, angetrieben von dem ehrbaren und rührenden Wunsch und Mutterinstinkt, den Mann zu finden, der am besten für den künftigen Nachwuchs sorgen würde, und das ist nun mal der Herr mit den grellen Statussymbolen. Will denn nicht jede Mutter das Beste für ihr Kind und ist bereit, Opfer zu bringen?

Noch etwas übersehen wir. Und das ist wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, wessen Blick die Welt für uns deutet, mit wessen Augen Narrative konstruiert werden: Es sind nicht Männer. Es sind junge Männer. Schönheit nur in jüngeren Frauen wahrzunehmen, nicht in jenen mittleren oder fortgeschrittenen Alters, fällt eher jüngeren Männern schwer, nicht älteren. Letztere finden sowohl junge als auch ältere Frauen schön, wenn schön. Paul Foos und Cherie Clark erklären diesen Befund mit der Expertise-Hypothese, laut der Gesichter aufgrund von Erfahrung effizienter verarbeitet werden, die Gesichtserkennung durch Übung und Anwendung perfektioniert wird.

Wir zeigen eine faszinierende Elastizität, wenn es darum geht, klassische, unauffällige, kuriose und konträre Schönheitsmodelle zuzulassen, gleich ob von einem weltentschwobenen Haute-Couture-Designer oder einer Internet-Celebrity aus dem Trailer-Park ausgelöst, jede Quelle wird zur Instanz. Der Polytheismus der Schönheit bereitet uns kein Akzeptanzproblem, solange das Label »schön« nur deutlich, lange und aufwendig genug kommuniziert wird. Porn chic, prolo chic, Laufstegknochen, Instagramhintern… Normen sind nicht immer hochgeschraubt, Schönheit nicht exklusiv, sondern erreichbar, nicht gegeben, sondern gemacht. Es scheint, als ginge es auch gar nicht primär um Schönheit an sich, wie einst als unerreichbar vollkommenes Ideal verstanden, vielmehr um Leitbilder, die es nachzuahmen gilt. Dafür sprechen auch Untersuchungen, denen zufolge beispielsweise untergewichtige Frauen von der US-amerikanischen Bevölkerung zwar nicht als sonderlich attraktiv perzepiert werden, allerdings angesichts deren ständiger Präsenz zu einer Aufforderung zur Imitation werden, der man a) folgt und immer unzufriedener wird oder b) nicht folgt und immer unzufriedener wird.
Wenn wir imstande sind zu lernen, diese gewöhnungsbedürftigen Trends als schön zu empfinden, müssten ähnliche Mechanismen auch für erwachsene Gesichter gelten, Gesichter, von denen wir entwöhnt wurden, deren Assoziation mit Attraktivität für uns in Film und Werbung immer weniger vorexerziert wird. Und das brauchen wir doch, das Vorkauen, damit wir wissen, was wir als schön zu empfinden haben, damit wir artig imitieren in der Hoffnung, dafür mit Akzeptanz, Bewunderung, Selbstbewusstsein und Erfolg belohnt zu werden.

Betonen, kaschieren, übermalen, auffüllen, absaugen, …

Schönheit, zumindest im öffentlichen Diskurs, ist hauptsächlich Frauensache. Einer Analyse von geschlechtsspezifischen Zuschreibungen in mehr als drei Millionen Büchern zufolge, und das ist nur ein Beispiel, werden Frauen hauptsächlich durch ihr Äußeres beschrieben, Männer durch Verhalten und Persönlichkeit. Wenn eine Frau und zwei Männer ins Weltall fliegen, auch das nur ein weiteres Beispiel, ist es die Kosmonautin, die bei einer Pressekonferenz 2014 gefragt wird, wie sie im Weltall ihr Haar tragen würde, den Männern werden fachliche Fragen gestellt. Ob durch Buch, Magazin, Werbung oder Film, Frauen lernen, was es zu tun gilt: zeigen, betonen, kaschieren, übermalen, vergrößern, verkleinern, zusammenquetschen, hochpuschen, bräunen, aufhellen, weglasern, einpflanzen, auffüllen, absaugen, zunehmen, abnehmen … ein Circulus vitiosus, der noch dadurch angeheizt wird, dass nicht nur Frau, sondern auch Mann lernt, wie Frau auszusehen hat, eines das andere verstärkt.

Feministinnen kritisieren an Schönheitsidealen die Objektivierung und Reduktion der Frau zur Dekoration; Schönheitshandlungen seien eine probate Beschäftigungstherapie zur Ablenkung von Idee und Wunsch, an gesellschaftlicher Macht teilhaben zu wollen und führten letzten Endes nur zu Unzufriedenheit mit der eigenen Hülle. Die einen. Die anderen sehen den bewussten Einsatz von Schönheit als Mittel zur Stärkung der Frau. Dazwischen finden Diskussionen statt, wie etwa um die Kompatibilität von Lippenstift mit Feminismus. Karen Lehrman schreibt in ihrem »The Lipstick Proviso«, ich habe das Buch nicht gelesen und werde es auch eher dabei belassen, Frauen sollten ihre Schönheit und Sexualität bewusst nützen, um in einer männerdominierten Welt weiterzukommen, entnehme ich meiner Sekundärliteratur. Das wäre mehr als legitim und würde sie vom Opferstatus befreien; die Schönheitsindustrie sei keine Geißel, ganz im Gegenteil, sie verhelfe Frau aus der Unterdrückung. Wo da Frauen hineinpassen, die das nicht wollen oder nicht können, ist eine Frage, die sich in dieser Konzeption einer simplen Phantasiewelt voller williger, junger, heterosexueller Frauen nicht stellt.

Schönheit soll demnach instrumentalisiert, ein Mangel daran durch strategische Attraktivitätssteigerung behoben werden. In einem dieser ambivalenten Momente, zerrissen zwischen Wissen- und Nichtwissenwollen, setzt sich die Neugier durch und ich tippe Schlagworte, wie »Schönheit« und »Frau«, in die Suchmaschine, eine Kombination, die es eigentlich nur herausfordert. So ist es auch, »dreizehn erwiesene Tricks« der österreichischen Zeitschrift »woman« sollen es sein, die übrigens aus dem Jahr 2020 stammen – eine eher ernüchternde Bilanz unserer gesellschaftlichen Entwicklung, deren kleinen Fortschritte und nicht so kleinen Rückschläge. Ich soll also rot tragen, das macht mich sexy, funktioniert beim Pavianhintern auch ganz gut. Bis zur Sperrstunde soll ich bleiben, bis mich Männer schöngetrunken haben, mich mit anderen Freundinnen umgeben, deren Gesichter von meinem weniger attraktiven ablenken. Und dann kommt er, mein Favorit: mehr lächeln. Es scheint ein mehr oder minder fixer Bestandteil der Vita einer Frau zu sein, zumindest irgendwann, vielleicht sogar öfter, von einem fremden Mann aufgefordert zu werden, man solle lächeln, ganz ungezwungen und authentisch, versteht sich, Anlass war gestern. Die Autorin des Artikels erklärt, der Viehmarkt wird zur Analogie: Beim Lächeln zeigt Frau weiße, ebenmäßige Zähne und signalisiert damit »gutes Gen-Material«. Die Tonhöhe der Stimme hinaufschrauben, das spricht für eine kleinere Körpergröße und gilt als schöner, über seine Witze lachen, Augenkontakt halten und dabei die Pupillen erweitern, zum richtigen Zeitpunkt blinzeln, Small Talk überspringen, geht es weiter. Einen Hund muss ich mir noch zulegen, weil Menschen mit Hund auf ihrem Tinder-Profil mehr Matches und Super-Likes bekommen, wird angeführt. Den führe ich mit Hohlkreuz und in High Heels aus und fresse mir mit Karotten einen attraktiven Teint an. Zu guter Letzt brauche ich nur noch beruflich zielstrebig und finanziell unabhängig zu sein, um anziehend zu wirken.

Tipps dieser Art amüsieren, deprimieren, konfundieren. Sie vermögen nicht zwischen Schön und Jagd zu differenzieren, die Kernaussage: Mach dich schön, nicht um dich schön und wohl zu fühlen, sondern um einen Mann einzufangen. Alle Mittel sind recht, alle Register werden gezogen, Raffinesse wird belohnt, Orientierung bieten Dating-App-Philosophien, Marktwert und Beuteschema, echtes Interesse an der Person ist irrelevant, die ist sowieso austauschbar. Sie erinnern auch an historische Bilder, Assoziationen von Schönheit mit Täuschung und List. Und immer wieder frage ich mich, warum ich bei diesen Ratschlägen an die Gans aus dem Bewerbungsgespräch denken muss, das es nie gab, die mit den Zähnen und Rot und allem anderen; es wird wohl ein Zufall sein.

Beauty Bonus und Ugly Penalty

Schönheit wird, wenig elegant, an ihrer Wirtschaftlichkeit festgemacht, sie sei eine Währung und ergebe bessere Renditen auf dem Heirats- und Arbeitsmarkt, heißt es. Dieser sogenannte »beauty bonus« (komplementär dazu ist von einer »ugly penalty« die Rede), will heißen bessere Anstellungschancen, Leistungsbewertungen und höheres Einkommen, gilt zum Teil als umstritten, da nicht unwesentliche Komponenten, wie Intelligenz oder Persönlichkeit, bei den Studien unberücksichtigt blieben. Ebenso würden die Art der Tätigkeit – viel versus wenig Kundenkontakt – und das erforderliche Qualifikationsniveau eine Rolle spielen, je weniger Know-How eine Rolle spielt, desto eher kann darauf zugunsten des Aussehens allein verzichtet werden. Dennoch spricht das Gros der Studien dafür, dass einiges dran ist.

So zum Beispiel in der Politik, wenn etwa Untersuchungen ergeben, dass die parteipolitische Zugehörigkeit von Kandidatinnen und Kandidaten zwar immer noch der am stärksten ausschlaggebende Faktor für die Wahlentscheidung der Bevölkerung ist, allerdings dicht gefolgt von deren Aussehen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn ansonsten weniger Informationen zur Verfügung stehen, wie bei neuen Gesichtern in der Politik der Fall – kennen wir gut genug, die großen Hoffnungsträger, die einen Kurswechsel in bessere Zeiten und frischen Wind verheißen, denen wir jedes Mal so gerne mit wehenden Fahnen folgen, weil »so jung und fesch«. Bei gleicher Qualifikation erhält die attraktivere Person in Deutschland bis zu fünf Prozent mehr Stimmen, in den USA sechs Prozent. Insgesamt steigt die Wahlbeteiligung, wenn Kandidatinnen und Kandidaten als schöner empfunden werden. In den USA kann das Weniger an Attraktivität übrigens wettgemacht werden, durch ein Mehr an Ausgaben für PR und Marketing. Die Erklärungen variieren. Sehen die einen in den Befunden unsere reflexhaften Assoziationen von Schönheit mit sämtlichen positiven Attributen, strengen andere biologische Gründe an, Schönheit wäre ein Indiz für Gesundheit. Schön, attraktiv, gesund und fit werden gleichgesetzt und würden den Wählerinnen und Wählern signalisieren, wer fit genug ist, ein öffentliches Amt zu bekleiden.
Schönen Menschen werden positive Attribute zugesprochen. Man hält sie, allein aufgrund des Aussehens, für sympathisch, intelligent, erfolgreich, kreativ, fleißig, gesellig, aufregend und zufrieden. Das »Beauty-and-Goodness«-Stereotyp ist bekannt aus der Antike, alten Märchen und Hollywood hat bis heute seine Erzählform nicht wirklich geändert: Wer attraktiv ist, ist moralisch überlegen, hat ein erfülltes Liebesleben und viel Erfolg. Diese Botschaft hinterlässt ihre Spuren, zeigt die Empirie, verstärkt das Stereotyp und führt dazu, dass attraktivere Menschen beispielsweise in einer gestellten Bewerbungssituation, nach Darbietung eines klischeereichen Films, stärker bevorzugt werden als nach einem relativ neutralen. Letzten Endes gibt es das Stereotyp auch, weil es das Stereotyp gibt.

Wenn nun tatsächlich vorzugsweise Politikerinnen und Politiker gewählt werden, die als attraktiv gelten, weil die Verknüpfung von Schönheit mit Fitness biologisch determiniert und für uns evolutionstheoretisch von Vorteil sein soll, so stellt sich die Frage, warum sich dieses Schema nicht nur im Wahlverhalten, sondern auch bei Gerichtsurteilen zeigt. Unzählige Studien aus verschiedenen Ländern sprechen, in Wechselwirkung mit der Art und Schwere der Straftat, für eine Tendenz zu Freisprüchen, milderen Strafurteilen und in Fällen finanzieller Forderungen dem Zuspruch höherer Beträge, wenn die Angeklagten bzw. Klägerinnen und Kläger attraktiv sind. Die mangelnde Ratio mag einen traurig stimmen, erfreulich ist der Befund einer US-amerikanischen Studie, dass dieses Schema »nur« bei Menschen zu beobachten ist, die Informationen emotional und intuitiv verarbeiten, nicht bei jenen, die rational zu denken imstande sind, analysieren, Fakten zulassen und logische Argumente verarbeiten. Die Freude ist wiederum von kurzer Dauer, wenn man versucht sich vorzustellen wie hoch wohl deren Anteil ist, insbesondere in Zeiten, in denen Faktenresistenz Hochkonjunktur hat, die Verarbeitung komplexer Informationen eher weniger im Trend liegt.

Da sind diese Barbarismen wie Säureattentate auf das Gesicht – die Opfer primär Frauen, die Täter meist gekränkte Männer in hoffnungslos patriarchalischen Strukturen, die sich rächen wollen. Sie nehmen der Frau das Gesicht, vernarben, entstellen es und lenken damit ihren weiteren Lebensverlauf. Dann sind da noch Bizarrerien wie Mike Jeffries‘ Managementphilosophie (selbst Jahrgang 1944 und von »interessantem« Äußeren, bis 2014 CEO von Abercrombie & Fitch), nicht nur schöne Verkäuferinnen und Verkäufer anzustellen, sondern auch nur schöne Kundinnen und Kunden zu dulden, die ganz jungen und schlanken, die in der Schule beliebt sind und viele Freunde haben, wie wir sie aus den schwer erträglichen US-amerikanischen Teenie-Filmen kennen, mit ihrer Welteinteilung in »winners« und »losers«. Und dann noch der bis heute vielfach replizierte »Clark Doll Test«, der erstmals die Internalisierung der Botschaften aufzeigte, mit schwarzen Kindern, die die weiße Puppe schön finden, die schwarze hässlich, ihre eigene Hautfarbe schon in sehr jungen Jahren abzulehnen lernen, weil permanent kommuniziert wird, was schön und unschön ist. Da ist noch so vieles mehr, das uns zeigt, dass sie schon ein mächtiges Ding ist, diese, wie auch immer definierte, reale oder eingebildete Schönheit.

Und sie lebte glücklich bis …

Ich sah eine Gans, die es nie gab, ganz ohne Ressentiments, mit der größtmöglichen Objektivität, Wertneutralität, emotionalen Flachheit und sanften Milde … vielleicht auch ein wenig Irritation, da ich den Schönheitscode nicht entschlüsselt hatte. Dem Spiel spreche ich einen gewissen Unterhaltungswert nicht ab, die Reaktionen der älteren Herren auf sie, sie, die wiederum auf die Reaktionen zu reagieren weiß. Nur ist da auch dieser Nachgeschmack des wenig Professionellen und diese rückwärtsgewandte Botschaft an die, die in ihre Qualifikation investieren, teamorientiert, hochmotiviert und flexibel sind und auch sonst alles erfüllen, was gerne in Stellenausschreibungen steht und nicht immer gemeint ist. Andererseits, à la longue war es vielleicht gut so und die Mitbewerberin landete dort, wo sie besser aufgehoben war oder noch ist, glücklich und zufrieden, mit einer märchenhaften Karriere, wunderbaren Menschen und Aufgaben, die sie wachsen lassen. Und wir können mit einem Happy End schließen – einem hypothetischen, versteht sich, weil das alles natürlich nie stattgefunden hat.

Essay, Fazit 170 (März 2021), Foto: Paperwalker

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