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Außenansicht (23)

| 31. Mai 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 173

Twitter als Gesinnungsspielplatz im Virtuellen. Wer Twitter liest, ist selber schuld und kann kein Verständnis oder Mitleid erwarten. Es ist das Medium der Empörer und der Empörten sowie ihrer Anhänger und jeder kann bei diesem Zirkus mitmachen. In Österreich existieren etwa 120.000 Accounts, weniger als die Hälfte davon wird genutzt und nur 45.000 veröffentlichen regelmäßig selbst oder reagieren auf andere. Die Anzahl der Benutzerkonten hat sich in den letzen Jahren kaum verändert, ebenso wenig die der Aktiven auf Twitter.

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Twitter ist wenig attraktiv für die jüngere Generation und konzentriert sich auf die 30- bis 60-Jährigen. Die große Anzahl der »Follower« bei manchen Prominenten in den Bereichen von 200.000 bis 400.000 kann also nur zustande kommen, wenn auch aus Grönland Interessierte den Twitter-Meldungen der heimischen Stars folgen.

Und bei der Diskussion der 20.000 bis 40.000 Diskussionsfreudigen, mit netten roten Herzen, die Begeisterung zeigen, oder empörten Reaktionen, reden wir von weniger als einem halben Prozent der Bevölkerung, die gelegentlich oder eben auch regelmäßig daran teilnimmt. Dennoch hat sich Twitter den Ruf erobert, die »wichtigste Bühne der Social-Media-Auftritte« zu sein, und Wortmeldungen werden in den Medien wiederholt, kritisiert, gelobt oder verteufelt. Manche haben ihre Karrieren mit zweifelhaften Twitter-Meldungen beendet, auch wenn sie kurz danach gelöscht wurden. Andere sammeln Hunderttausende Begeisterte, die anscheinend stündlich auf Neuigkeiten ihrer Helden warten und sofort darauf reagieren.

Das alles hat sein System und seine innere Ordnung und ist zu einem netten Spielplatz verkommen, einer Art Sandkiste, in die man Gleichgesinnte einlädt, ihnen zum Mitspielen das Schauferl borgt oder sogar das Küberl und es ihnen jederzeit auch wieder wegnehmen kann. Man fühlt sich wohl in seiner »Sekte«, scherzt mit ihnen, teilt aus gegen anders »Gesinnte« und freut sich, wenn dem gemeinsamen Gegner in gekonnter Formulierung die sekteneigene Wahrheit ins Gesicht geschleudert wird – auch wenn der Betroffene es wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommt. Wichtig sind die sogenannten »Follower«, also jene, die dem Star folgen und automatisch über die Wortmeldungen informiert werden. Kritik und Lob werden mit einer garantierten Regelmäßigkeit veröffentlicht, da werden keine Fehler gemacht. Das persönliche Liebkind bekommt die versprochene Aufmerksamkeit, während die »Bösen« egal, was sie veröffentlichen, sofort abgestraft werden.

Vor ein paar Monaten löschte Twitter den Account von Ex-Präsident Trump. Eine Begeisterung ging durchs Netz, man feierte das Verbot wie das Ende von Corona. Der iranische Ajatollah darf zwar weiter gegen Israel hetzen, die Zerstörung des Landes ankündigen und die Bevölkerung als »böses Krebsgeschwür« bezeichnen. Damit kann die Anti-Trump-Gemeinde auf Twitter gut leben, das sei ja »alles nicht so gemeint«, und nur ein gewisses »Säbelrasseln«. Auch der brasilianische Präsident Bolsonaro darf gegen Transgender hetzen und der Sprecher des chinesischen Außenministeriums kann ungestört twittern, dass die US-Armee das Corona-Virus nach Wuhan heimlich eingeschleust hatte. Als jedoch Merkel die Sperre von Trump kritisierte, waren nicht wenige verblüfft, aber das dauerte nur kurz, dann war man sich in seiner Gemeinde wieder einig, dass es doch Zeit war, Herrn Trump zu stoppen.

Dieses harmlose Spiel verliert jedoch seine Harmlosigkeit, wenn der Filter gegenüber Hass, Verleumdung und Beleidigung nicht funktioniert. Während Twitter-Geübte meist sorgfältig ihre Worte wählen und bei ihrer Kritik die Grenzen des Anstands und des Respekts versuchen, nicht zu überschreiten, reagiert ihre Fangemeinde hemmungslos, aggressiv und oft erschreckend infantil.

Als zum Beispiel Bundeskanzler Kurz ein paar Worte zum Tag der Befreiung des KZ Mauthausen veröffentlichte, reagierte die Anti-Kurz-Hass-Gemeinde primitiv und gehässig und ignorierte den Tag des Gedenkens. Es ging ihr lediglich darum, ihren Unmut und ihre Wut loszuwerden, die Erinnerung an die Befreiung von Mauthausen hatte keine Bedeutung mehr. Hier muss eine Verantwortlichkeit eingefordert werden. Diese Form der Narrenfreiheit hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun, sonst wird Twitter zu einem Spielplatz für Brandstifter, Rassisten und Extremisten verkommen.

Außenansicht #23, Fazit 173 (Juni 2021)

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