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Die Weber

| 11. Mai 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 172, Fazitportrait

Foto: Heimo Binder

Die »Sattler Group«, ein weltweit tätiges Familienunternehmen mit Hauptsitz in Gössendorf bei Graz, ist ein Spezialist für Markisen, Planen und technische Textilien sowie für innovative Lösungen auf dem Gebiet der Umwelttechnik und der textilen Architektur. Die Wertschöpfung reicht vom Weben, »Ausrüsten und Beschichten« über das Konfektionieren bis zur Montage von Membranstrukturen. Jährlich werden rund 25 Millionen Quadratmeter Gewebe für den Weltmarkt erzeugt. Gegründet im Jahr 1875, wird die Sattler-Gruppe in 5. Generation in der Familie geführt. Die rund 650 Beschäftigten sind in vier Produktionsstätten in Europa und den USA tätig.

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Kette und Schuss. Was so klingt wie eine Weltformel, könnte auch eine sein. Zumindest könnte es Teil einer Weltformel sein – so es so etwas überhaupt gibt. Vor allem wenn man bedenkt, wie wichtig Gewebe für den Menschen ist. Gewebe umgibt uns förmlich, als Gewand, als Bettwäsche, als Autositzbezug – jedes Stück Stoff besteht aus Gewebe. So auch Sonnenschutzmarkisen, aber auch LKW-Planen, wasserdichte Überdachungen oder Biogasspeicher – an die man wohl nicht gleich denken würde. Den letzten drei Beispielen gemein ist, dass sie von der Sattler AG in Gössendorf bei Graz hergestellt werden, die praktisch die ganze Welt damit beliefert. Genauer gesagt theoretisch, denn Märkte müssen auch erschlossen sein, aber der Vorstandsvorsitzende Herbert Pfeilstecher kann über die Sattler-Gruppe sagen: »Wir gehören zu den Top 3 der Welt.« So kommt es, dass bei einem im 19. Jahrhundert gegründeten Unternehmen angefragt wird, ob man nicht beim Bau eines Stadions für die Fußballweltmeisterschaft in Brasilien aushelfen könnte. Oder ob man in Gössendorf nicht eine kluge Lösung für das Methangas der Kläranlagen von Mexiko City habe oder gegen die Sonne in der Schweiz. Auch sollten die von Lastkraftwagen transportierten Güter vor Wind und Wetter geschützt werden oder auch die Yacht meines Zahnarztes. Nein, das sind keine erfundenen Beispiele, das alles macht die Sattler Group. Nicht alles ist Kette und Schuss, so wird etwa für die textile Architektur auch anderes Material als Gewebe verwendet, aber das Knowhow für die Entwicklung bezieht die Sattler-Gruppe mit ihrem Headquarter in der Steiermark doch aus der eigenen Historie des 1875 gegründeten Unternehmens.

Foto: Heimo Binder

Sonne und Regen
Die Geschäftsbereiche Spezialtextilien für Sonnenschutz und beschichtete Textilien etwa für LKW oder Zelte machen den mit Abstand größten Teil des Umsatzes von rund 130 Millionen Euro aus. So gesehen ist das Phänomen des Wetters der stärkste Verbündete des Unternehmens – Sonne und Regen gibt es überall. Interessanterweise wird erstere unterschiedlich wahrgenommen. Genauer gesagt generiert der Schutz gegen die Sonne national unterschiedliche Farbwelten, wie Herbert Pfeilstecher und der Ausichtsratsvorsitzende Alexander Tessmar-Pfohl, der die fünfte Generation des Familienbetriebs repräsentiert, zu berichten wissen. So sind die bevorzugten Farben für Sonnenschutzmarkisen in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit Gelb und Orange die hellsten. Den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Markisengewebe in Europa hat übrigens die Schweiz, so Herbert Pfeilstecher: »Dort gehört die Balkonmarkise zur Grundausstattung jeder Wohnung. Wenn eine Wohnanlage gebaut wird, bekommt jeder Balkon eine Markise.« Hoffentlich liest das die Grazer Altstadtkommission respektive das Bauamt, denn hier bei uns muss zum Beispiel selbst in der Altstadtzone 3 jede Markise und jedes Wetterschutzdach auch nach einem Bestand von 50 und mehr Jahren abgebaut werden. Und nein, Baugenehmigungen oder Nachsichten werden keine erteilt. Ein Skandal? Ja, ein Fall für die Seite 1 der Kronenzeitung! Jetzt werden wir auch sehen, ob die Kollegen das Fazitmagazin lesen. Soweit die diesmalige Fazitabschweifung.

400 verschiedene Dessins
Zurück zu den Farbwelten. Der britische gleicht diesbezüglich dem amerikanischen Geschmack, in diesen Ländern werden Grüntöne bevorzugt, Italiener und Spanier mögen es lieber dunkel und entscheiden sich zumeist für braune oder beige Markisen, während die Skandinavier kräftige, deckende Farben wie Rot und Blau wählen. Kein Wunder, dass Sattler 400 verschiedene Dessins anbietet. »Markisen sind ein europäisches Produkt«, sagt Herbert Pfeilstecher und meint damit, dass andere Märkte auch andere (Gewebe-)Bedürfnisse haben. So herrscht etwa in den USA vor allem eine enorme Nachfrage nach Gartenmöbelstoffen. Das erkannte der steirische Familienbetrieb bereits vor elf Jahren und kaufte sich in den amerikanischen Markt ein. Mit dem Erwerb von Outdura in Nordkarolina gründete Sattler einen Standort mit Produktion und Vertrieb von witterungsbeständigen Stoffen für Gartenmöbel auf dem dafür größten Markt der Welt und erweiterte damit seinen Geschäftsbereich Sattler Sun-Tex.

Drei Geschäftsbereiche
Sun-Tex ist einer von insgesamt drei Geschäftsbereichen der Sattler AG. An den Standorten in Gössendorf und Rudersdorf in Burgenland werden unter anderem Gewebe für Sonnenschutz, Sicht- und Blendschutz für Wohn- und Objektbauten sowie Bootsdeckenstoffe erzeugt. Der zweite Geschäftsbereich, die Sattler Pro-Tex, stellt beschichtete technische Textilien her: Das sind etwa die erwähnten Planen für LKW und Zelte, die Gewebe für Biogasspeicher und textile Architektur. Auch der dritte Geschäftsbereich war eine Erweiterung der Angebotspalette von Sattler und entstand überhaupt erst durch den Kauf eines Unternehmens in Greven, Deutschland, im Jahr 1996. Als Sattler Ceno – mittlerweile so wie die beiden andern als Tochtergesellschaft geführt – ist die Sattler-Gruppe auch in zwei unterschiedlichen Gebieten des Membranbaus tätig: Im Bereich »Umwelttechnik« werden maßgeschneiderte Lösungen für die Speicherung von Biogas und für die energetische Verwertung von organischen Abfällen angeboten. Als Erfinder der textilen Speichersysteme kann Sattler weltweit auf Referenzen in landwirtschaftlichen und industriellen Biogasanlagen und in Kläranlagen verweisen. Und im Bereich »Industrietechnik« ist Sattler Ceno Top-Tex auf die Entwicklung, Herstellung und Montage unterschiedlichster textiler Konstruktionen und Systemlösungen spezialisiert, allen voran Hochwasserdämme und Lärmschutzwände. Eine weitere Tochtergesellschaft ist im Bereich »Textile Architektur« ein Pionier im textilen Bauen und im ETFE-Membranbau. ETFE-Membrane sind durchsichtige, luftgefüllte Folienkissen – »ähnlich wie Klarsichtfolie«, erklärt Alexander Tessmar-Pfohl. Ein spektakulärer Auftrag war zum Beispiel die Verkleidung von 20.000 Quadratmetern Fläche zwecks Lichtdurchlass für die größte freitragenden Halle der Welt in Tropical Islands, einem tropischen Freizeitpark am ehemaligen Flugplatz Brand, südlich von Berlin. Sattler Ceno arbeitet außerdem mit dem Glasgewebe PTFE und konnte nicht minder beindruckende textile Bauten wie Überdachungen von Stadien oder im Flughafen München oder auch im angesprochenen Fußballstadion von Manaus in Brasilien realisieren.

Foto: Heimo Binder

Gewinn und Verlust
Mehrere Großaufträge in Irland (riesige Traglufthalle), Indien (Klinik), England (Museum), Spanien (Flughafen) und den Niederlanden (Grand-Prix-Kurs in Zandvoort) sorgten dafür, dass sich das Unternehmensergebnis im Geschäftsjahr 2020 noch besser entwickelt hat im Jahr davor, als Sattler mit seinen 650 Mitarbeitern, davon 470 in Österreich, einen Gewinn von vier Millionen Euro erwirtschaftet hat. Das war nicht immer so. 2014, ein Jahr, bevor das langjährige Oberhaupt des Familienunternehmens, der Hauptaktionär und Aufsichtsratsvorsitzende Dr. Werner Tessmar-Pfohl, unerwartet verstarb, schrieb die Sattler AG wegen einer Wertberichtigung bei einer Beteiligung in Deutschland drei Millionen Euro Verlust. In den Folgejahren ging es bis heute kontinuierlich bergauf, schon 2015/16 wurde knapp positiv bilanziert, so Herbert Pfeilstecher.  Der Betriebswirt kam nach Stationen bei der Voest-Alpine und der GKB 1994 in die damalige Sattler OHG, die 1999 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, was auch im Nachhinein gesehen dem Unternehmen gutgetan hat. Insbesondere nach der Umstrukturierung im Jahr 2015, als aus den Geschäftsbereichen eigenständige Tochterunternehmen wurden. Statt Bereichsleitern bekam jeder Geschäftsbereich einen oder zwei Geschäftsführer, was Produktionsplanung, Logistik, Einkauf, aber auch Forschung und Entwicklung sowie insbesondere den Verkauf effizenter und fokussierter gemacht hat. Pfeilstecher, der mit zehn Prozent am Unternehmen beteiligt ist, kam 2001 in den Vorstand und wurde 2007 dessen Vorsitzender mit den Finanzagenden für die Gruppe. Zugleich kam Alexander Tessmar-Pfohl, seit 2004 im Unternehmen, in den Vorstand, weil sein Vater in den Aufsichtsrat wechselte. 2013 wurde der Vorstand mit Lisbeth Wilding erweitert, die für Sattler Ceno, sowie für Personal und IT zuständig ist. Als vor sechs Jahren sein Vater starb, übernahm Alexander Tessmar-Pfohl die Aktienmehrheit, schied aus dem Vorstand aus und folgte ihm als Aufsichtsratsvorsitzender nach. Schon die seinerzeitige Entscheidung, die Führungsetage erstmals auch mit familienfremden Managern zu besetzen, hat auch nach interner Meinung zu einer Professionalisierung des Familienunternehmens geführt. Die Exportquote ist mit über 90 Prozent sehr hoch, was nicht zuletzt auch auf die Referenzen und die vielfach bewiesene Termintreue zurückzuführen ist.

Aufgrund der guten Geschäftsentwicklung auch im »Corona-Jahr« hat die Sattler AG etwas Ähnliches vor, was Werner Tessmar-Pfohl anläßlich des EU-Beitritts Österreichs im Jahr 1995 gemacht hat: eine Investition von 15 Millionen Euro für Modernisierung und Ausbau der Standorte in der Steiermark und im Burgenland. Kette, Schuss, Chapeau!  

Sattler AG
8077 Gössendorf, Sattlerstraße 45
Telefon +43 316 4104 0
sattler.com

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