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Außenansicht (29)

| 29. Dezember 2021 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 179

Die Rückkehr der Landesfürsten. In Zeiten wie diesen warten wir einfache Menschen geduldig auf die Entscheidungen der jeweils zuständigen Landeschefinnen und -chefs bezüglich Öffnung und Schließung von Restaurant, Frisör, Tennishalle und Bordell, auf die Liste der Einschränkungen, Verbote und der späteren Freigabe, wenn uns dann die Fesseln wieder abgenommen werden.

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Man kann sich an keine Zeiten erinnern, in denen österreichische Landeshauptleute derart selbstgerecht und von sich überzeugt der Bevölkerung gegenüber aufgetreten sind. Als hätte sie jemand von hinten aufgepumpt, zeigen sie sich aufrecht mit ernsten und kontrollierten Gesichtern in den Medien und formulieren Überlegtes, Nachdenkliches, Bedrohliches und Befreiendes.

Völlig gleichgültig welche Ausbildung und Erfahrung sie mitbringen, sie präsentieren sich mit einer Selbstgefälligkeit, als wären sie eben erst aus dem Versuchslabor des Institutes für Virologie oder von einer Intensivstation direkt zum Interview gekommen.

Ein kurzer Blick in die Biografien der Landeshauptmänner und -frau lässt einen ehrfurchtsvoll zurück, wie schnell ein ihnen unbekannter Wissensbereich erlernt und einstudiert wurde, dass er inhaltlich so überzeugend wiedergegeben werden könnte. Bei aller Lernfähigkeit muss man dennoch davon ausgehen, dass Politiker mit wenigen Ausnahmen das wiedergeben, was ihnen Fachleute zuflüsterten. Die Erkenntnis wird jedoch nicht wie in der Wissenschaft üblich mit Quellenangabe wiedergegeben, sondern als eigene Überzeugung präsentiert.

Konsumenten von Nachrichten sind gewohnt, das Wiedergekaute als Sachkenntnis der Politiker serviert zu bekommen. Stutzig wird man dennoch, wenn wissenschaftliche Tatsachen derart unterschiedlich von ihnen interpretiert werden. Naturwissenschaft muss im Gegensatz zu politischer Meinung dokumentiert und bewiesen werden. Also könnte man davon ausgehen, dass Fachleute, die Politiker beraten, eine inhaltlich vergleichbare Information kommunizieren.

Wie kommt es dann dazu, dass jene, die nichts davon verstehen, diese Informationen so unterschiedlich verarbeiten und bei politischen Entscheidungen so unterschiedlich berücksichtigen? In dem Winzig-Land Österreich mit etwa so vielen Einwohnern wie eine chinesische Provinzstadt, aufgeteilt in neun Bundesländer, hat jeder Landesfürst/-fürstin eine eigene, oft unterschiedliche Meinung zu den notwendigen Maßnahmen bezüglich COVID-19. Der Fleckerlteppich, in dem jedes Fleckerl mit dem Auto in wenigen Stunden erreichbar ist, leistet sich unerklärbare, unverständliche Maßnahmen, die weder überzeugend kommuniziert werden noch nachvollziehbar sind. Statt einen nationalen Sicherheitsrat mit Wissenschaftlern zu bilden, der zu einer gemeinsamen Meinung bezüglich notwendiger Maßnahmen kommt und diese verständlich und überzeugend der Bevölkerung erklärt, verlautbaren Politiker Entscheidungen mit regionalen Unterschieden und Widersprüchen, die manchmal kurios, doch meist nur mehr lächerlich wirken. An einem Tag Schifahren am Stuhleck, in einer Stunde mit dem Auto von Wien erreichbar, erlebt man drei verschiedene Vorschriften in Wien, Niederösterreich und der Steiermark.

Doch was soll’s, endlich vorbei die langweiligen Zeiten, als Landesfürsten den Tag füllen mussten mit der Eröffnung von Kindergärten und Eislaufplätzen und der Verleihung von Orden an Kapellmeister und pensionierte Oberwachtmeister. Sie zeigten sich bei der Einweihung von Dorfumfahrungen, Papierfabriken und renovierten Theatern, saßen in der ersten Reihe begeistert klatschend beim Karneval und machten ein betroffenes Gesicht beim Besuch eines Kinosaals, der unter Wasser stand. Dafür haben sie nun keine Zeit mehr. Vielleicht wollten sie mit der Verlängerung der Lockdownbestimmungen den 114 Weihnachtsfeiern ausweichen, die Anfang Dezember beginnen und an denen sie teilnehmen müssten.

Wer weiss schon, was sie motiviert, dass sie sich mit beschützendem Gesichtsausdruck als Retter wie Supermann mutig und unbeirrt uns ewig zeigen. Nicht zufällig sprechen Politiker gerne davon, die Pandemie zu »besiegen«. Sie fühlen sich als Generäle im Kampf um das Überleben gegen eine unsichtbare Supermacht und erwarten sich Lob und Anerkennung, wie Helden, die uns aus der Gefahrenzone begleiten.

Außenansicht #29, Fazit 179 (Jänner 2022)

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