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Gekommen, um zu bleiben

| 6. April 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 181, Kunst und Kultur

Foto: Theresa Wey

Der gelernte Kunstschaffende neigt, so behaupten wir hier einfach, eher schon grundsätzlich zur Toleranz allem und jedem gegenüber. Im Zweifelsfall, um abzuwägen, und zur Mediation. Sich eindeutig zu beziehen, liegt ihm meist fremd. Ein Interview mit einem Intendantenpaar, das fähig ist, Stellung zu beziehen.

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Gut, dass sie gekommen ist, um zu bleiben, die Diagonale. Da umgibt sich Graz ein wenig mit einem Hauch von Wien. Und nachdem Graz gerne so weltstädtisch und urban wie Wien sein möchte, passt das auch ganz gut. Dass das Festival mit einem – in Relation gesehen – eher kleinen Budget, die Landeshauptstadt für ein paar Tage in eine feine Filmmetropole verwandelt, ist ein nennenswerter Teilaspekt am Rande. Internationalität gehört zum guten Ton und ist in Zeiten wie diesen durchaus brauchbar.

Bewegte Bilder zum Anschauen dürfen seit jeher als Indikatoren für irgendetwas und alles Mögliche herhalten. Interpretationsspielräume sind mannigfaltig, Benutzbarkeit auch. Künstler selbst bezeichnen sich ja oft von Natur aus als »kritisch« und erheben oftmals den Zeigefinger als Mahnende und Warnende. Wie sieht es aber nun mit »Kritik« und »künstlerischem Ausdruck« aus und wie geht das alles mit tagespolitischen Themen einher? Wir sprechen mit Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber über all das und noch mehr.

Hat Kunst gesellschaftspolitische Bedeutung? Wenn ja, welche?
Wenn man beobachtet, wie sich so manch politische Debatte an Kunstwerken und -aktionen entfacht, wird deutlich, dass hier ein Spannungsfeld und ein komplexes Verhältnis existiert. Natürlich wirkt Kunst immer auf die Gesellschaft zurück. Allein für die Diagonale lässt sich sagen, dass das Kino oft Dinge weiß, die wir selbst nicht oder noch nicht wissen. In einer zunehmend komplexen Gegenwart schafft der Gang ins Kino so möglicherweise Abhilfe, um auf andere Gedanken zu kommen – gleichermaßen im Sinne der Zerstreuung und der Erkenntnis.

Ist der Ausschluss von Künstlern, die aus kriegsführenden Ländern stammen, das richtige Statement oder eher ein Fehler?
Wir haben den Eindruck, dass die aktuelle Situation viele vor eine gewisse Ohnmacht stellt und möglicherweise ist eine weitverbreitete und sehr zeitgeistige Reaktion darauf Meinungssofortismus und Ad-hoc-Aktivismus. Leider. Es muss natürlich einen Unterschied machen, ob Künstler mit einem Regime gemeinsame Sache machen, ihre Kunst propagandistischen Zwecken zur Verfügung stellen oder aber von außen in Sippenhaft genommen werden. Generell rechtfertigt nichts einen pauschalen Ausschluss von Künstlern und auch die derzeit aufkommenden antirussischen Ressentiments sind unerträglich. Zugleich wird derzeit vielleicht deutlicher als zuletzt klar, dass die Kulturindustrie ein Schauplatz ist, auf dem politische Konflikte wirkmächtiger ausgetragen werden als viele glauben.

Hätten nicht gerade Künstler und Menschen, die im »Betrieb« arbeiten, die Pflicht, sich intensiver politisch zu äußern und sich zu exponieren?
Woher sollte diese Pflicht kommen? Ihrem Selbstverständnis nach? Oder dem Klischee entsprechend? Wir beobachten eine gewisse Sehnsucht nach eindeutigen politischen Bekenntnissen, selbst dann, wenn die Dinge komplexer sind. Widersprüche liegen nicht gerade im Trend. Bei dieser Frage sollte man auch über die politischen Rahmenbedingungen sprechen: es macht natürlich einen Unterschied, ob man sich in Graz, Moskau oder Teheran äußert.

Sind Solidaritätsbekundungen zu kurz gegriffen, darf es ein wenig mehr sein?
Es ist fürs Erste sehr einfach, Solidaritätsbekundungen zu kritisieren oder sogar mit Polemik oder Zynismus zu reagieren. Gleichzeitig ist Kritik immer notwendig. Vor allem wenn der Verdacht besteht, dass die Solidarität eigentlich keine politischen Motive hat, sondern vielmehr der Selbstvergewisserung und Selbstdarstellung dient. Es ist dies, zugegeben, oft ein schmaler Grat. Zudem muss zwischen politischen und individuellen Motiven unterschieden werden: Es macht ja einen Unterschied, ob eine Einzelperson ein Zeichen setzen will und dieser Tage mit einer Ukraine-Fahne auf die Straße geht oder eine westliche Regierung Gebäude blau-gelb anstrahlt und es dabei belässt.

Konkret: Reicht es, die nämliche Situation auf Menschenrechte und Flüchtlingsfragen zu reduzieren, oder ist ein proaktives, prorussisches oder (wie zu 90 Prozent) proukrainisches Äußern nicht ehrlicher im Sinne der Diskussion?
Eine komplexe Frage, zumal hierzulande, wo die Neutralität ja identitätsstiftender »Nationalfetisch« ist. Wir sind weder Außenpolitiker noch Diplomaten. Als Privatpersonen scheint uns Österreichs außenpolitische Heuchelei aber mitunter fatal. Nicht nur im Zusammenhang mit der Ukraine.

Subjektiv gefragt und eventuell Utopie: Ist der österreichische Film grundsätzlich bereit, die im internationalen Kontext formulierte Rollenzuteilung seiner Generalthemen (Vergangenheitsbewältigung, politische Korrektheit etc.) zu verlassen und sich thematisch zu »nationalisieren« und sich Identitätsthemen zu widmen; im Sinne der Rolle, die Servus TV immer zugeschrieben wird? Ist so eine »Nationalisierung« der österreichischen Filmindustrie vorstellbar, (nicht) wünschenswert oder schlichtweg unmöglich?
Der Filmemacher und Künstler Johann Lurf hat dem von ihm gestalteten Diagonale-Trailer vor einigen Jahren den Titel »Nationalismus ist Gift für die Gesellschaft« gegeben. Ein Satz, dem wir uneingeschränkt zustimmen würden. Häufig jedoch wird gerade in »unserer« Szene der Nationalstaat mit Nationalismus gleichgesetzt, was allein schon historisch nicht haltbar ist. Für ein Festhalten an Nationalstaaten gibt es mitunter nach wie vor gute realpolitische Gründe – eine Diskussion, die wir gerne der Politik überlassen. Der österreichische Film ist glücklicherweise eher als heterogene Szene mit unterschiedlichen Ausrichtungen und Interessen zu beschreiben denn als geschlossene Filmindustrie, die sich in den Dienst einer »nationalen Sache« stellen könnte. Eine Film- und Medienlandschaft, zu der im Übrigen selbstverständlich auch Servus TV gehört. Fragen nach der Identität sind im österreichischen Film im Übrigen seit vielen Jahren an der Tagesordnung. Glücklicherweise aus unterschiedlichen Perspektiven. Ergänzend könnte man natürlich fragen, welche Ideologien im österreichischen Film dabei dominant sind? Eine Frage, die wahrscheinlich am ehesten Populisten mit verdeckter Agenda oder die Film- und Kulturwissenschaft interessiert. Die Analysen Letzterer würden uns sehr interessieren.

Zur Diagonale: Was wäre für die Intendanz wünschenswert, was sollte Kulturpolitik für die Diagonale liefern?
Die Diagonale konnte sich seit ihrem ersten Grazer Jahr 1998 gut etablieren und zwischen Filmbranche und Publikum positionieren. Dazu hat auch die Kulturpolitik wesentlich beigetragen, vor allem auch die steirische, die selbst 2004, als die schwarz-blaue Bundesregierung die Diagonale in ihrer damaligen Form abschaffen wollte, zum Festival stand. Mittlerweile ist die Diagonale sowohl in der Kulturpolitik des Bundes, des Landes als auch der Stadt fest verankert und wir sind sehr froh, dass es auch regelmäßig Austausch zu den strukturellen Rahmenbedingungen, den gesellschaftlichen Entwicklungen, die sich dem Festival einschreiben, und nicht zuletzt zur Gegenwart und Zukunft der Diagonale gibt.
Übergeordnet wäre ein Mehr an Filmpolitik wünschenswert! Österreich ist ein Land, aus dem erstaunliche Filme kommen – und das, obwohl Filmkultur noch kaum in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, beziehungsweise auch im Vergleich zu weiteren Kunstformen keinen besonders hohen Stellenwert hat. Das ist auch ein Grund für die ewigen Friktionen in der heimischen Filmbranche. Vor dem Hintergrund, dass global so viele Filme wie nie zuvor produziert werden und es immer mehr (technische) Möglichkeiten gibt, diese anzusehen, muss jetzt vor allem von kulturpolitischer Seite die Zukunft des österreichischen Films gedacht werden.

Gibt es – rückblickend auf die vergangenen Jahre – Formate, die man neu denken sollte?
Selbstverständlich! Im Kern der Diagonale steht ein nationaler Filmwettbewerb, der den Anspruch verfolgt, einen repräsentativen Überblick über ein österreichisches Filmproduktionsjahr zu geben. Die Grundidee ist es, diese Filme im Kino zu zeigen. In den letzten Jahren kamen beispielsweise immer wieder auch Serien hinzu, die bei der Diagonale (auszugsweise) ebenfalls im Kino gezeigt wurden. Zugleich ist es uns ein Anliegen, das filmhistorische Erbe lebendig und sichtbar zu halten. Ein Bereich, der unserer Meinung nach immer wichtiger wird. Wenn sich die gesellschaftliche und mediale Umwelt radikal verändert, müssen auch die Programmformate immer wieder hinterfragt werden. So wurde etwa entschieden, auch Regisseur*innen zum Wettbewerb zuzulassen, die – unabhängig von ihrem Pass – ihren Arbeits- und Lebensmittelpunkt in Österreich haben. Auch gab es Programmschwerpunkte, in denen überprüft wurde, ob das Thema Virtual und Augmented Reality für den österreichischen Film interessant ist. Die grundlegende Aussage der Diagonale ist jedoch immer, dass der österreichische Film Teil der kulturellen Identität dieses Landes ist und einen entsprechenden gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Stellenwert haben sollte. Daran würden wir festhalten.

Wie sieht die Zukunftsprognose aus?
Wir freuen uns auf die Ausgabe 2022 – die 25. Diagonale in Graz! 2023 wird dann das letzte Festival sein, für das wir uns als Leistungsduo verantwortlich zeichnen. Danach werden wir die Diagonale acht Jahre leitend und fünfzehn Jahre im Team begleitet haben und hoffen für das Festival auf eine glorreiche Zukunft!

Diagonale 2022
5. bis 10. April 2022, diagonale.at

Hinweis: In der Printausgabe erschien eine gekürzte Fassung dieses Interviews.

Alles Kultur, Fazit 181 (April 2022), Foto: Theresa Wey

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