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Globaler Süden

| 3. August 2022 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 185, Kunst und Kultur

Foto: Nicolas Wefers

Die alle fünf Jahre stattfindende Documenta in Kassel gilt eine der bedeutendsten Kunstausstellungen der Welt. Als Zeichensetzer und Zeichengeber. Als Demograf und Demoskop. Dass es diesmal (wieder einmal) unrund läuft, tut der Sache nur gut.

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Documenta 15 – eigentlich »fifteen«– heißt sie also. Das heißt viel. Mit einem vom Programmdirektorium eingesetzten Kollektiv aus dem »globalen Süden«überraschte man schon ein wenig im Vorfeld. Erstens weit weg und postkolonial, was ja nicht so das neueste Modell ist. Aber ein großes Kollektiv als Kuratorenteam, das ist mal was Neues. Wo der »globale Süden«sich befindet, weiß der basisch im Geografieunterricht geschulte Kunst- und Kulturbeobachter nur zu genau. Dass der globale Süden gar nicht so sehr auf den globalen Norden ausgerichtet ist und ein Eigenleben entwickelt hat, das mit postkolonialem Denken und sich ein wenig in einer Blase befindliche global nordische Hirn noch nicht ganz überzuckert.

Der »westliche«Kunst- und vor allem Kulturbegriff zermartert sich das Hirn, immer bemüht, über Fragestellungen und Diskursen in anderen »Kulturkreisen«zu führen, ohne sich dezidiert mit in den Kulturkreis zu begeben. Das war in Zeiten des Kolonialismus so und wurde leider in Zeiten des Postkolonialismus nicht besser. Allzu sehr verlässt man sich darauf, die Beziehungen in Wohlfühlexperimenten zu belassen und knallharte Dialektik zu vermeiden. Zu den Fakten: Das Kollektiv arbeitet mit rund 1.500 Einzelkünstlern. Im Vorfeld gab es bereits Diskussionen, warum keine Künstler aus Israel eingeladen wurden. Dem indonesischen Kuratorenkollektiv »Ruangrupa« war schon vor Monaten von einem Kasseler Bündnis vorgeworfen worden, auch Organisationen einzubinden, die den kulturellen Boykott Israels unterstützten oder antisemitisch seien. Ruangrupa und die Documenta wiesen die Anschuldigungen entschieden zurück. Und blieben auf Eröffnungskurs. Das noch etwas nachkommen könnte, lag in der Luft, und prompt kam es auch. Kalkül? Berechnung? Unwissenheit? Naivität? Alles würde man akzeptieren, nur nicht das, was dann geschah.

Fragwürdiger Umgang mit Antisemitismus
Frank Walter Steinmeier wollte gar nicht kommen und hat dann schweren Herzens doch eröffnet, um mitzuteilen, dass Antisemitismus in Deutschland keine Chance hat. Was war passiert? Auf einem der angebrachten Banner, der auf die Säulen des heiligen Zentrums der Ausstellungsstadt Kassel, dem Fridericianum, angebracht wurde, war eine Karikatur, die vornämlich antisemitische Lesart ermöglicht auszumachen. Proteste wurden laut, schnell wurde wieder abgehängt. Man hat sich sofort entschuldigt, es gab einen Rücktritt und im vorauseilenden Gehorsam wurde eingeleitet, was in diesem Falle immer eingeleitet wird. Es gibt schon Routine im Umgang mit »Cancel Culture«. Die dafür verantwortliche indonesische Künstlergruppe »Taring Padi« verlautbarte natürlich, sie setze sich für die Unterstützung und den Respekt von Vielfalt ein, teilte das Künstlerkollektiv in der Mitteilung der Documenta mit: »Unsere Arbeiten enthalten keine Inhalte, die darauf abzielen, irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen.« Jedoch war da der Zug schon abgefahren. Ohne Möglichkeit einer wirklichen intellektuellen Auseinandersetzung gab es die üblichen Statements zum Thema.

Schade eigentlich. Eine Debatte über Debattenkultur wäre dienlich gewesen. Eine Auseinandersetzung über Sichtweisen, eine offene Befragung des verantwortlichen Kollektivs oder eine Begleitung der Arbeit im Sinne klassischer Kulturvermittlung wäre eine praktikable Lösung gewesen und hätte der Sache gutgetan. Stattdessen waren alle perplex und reagierten, als wäre alles orchestriert. Cancel Culture überdeckt in altbekannter Manier die Diskussion, und das ausgerechnet in einer Documenta, die sich neu erfunden hat und in der – so zumindest theoretisch – Diskurs und nicht Werk im Vordergrund stehen sollten. Besucher der heurigen Documenta sei anzuraten, sich intensiv vorab mit dem Zeitraum zu beschäftigen, in dem sie in Kassel anwesend sein werden, und sich im Vorfeld einzulesen. Es gibt häufig wenig zum Schauen, aber viel zu interpretieren.

Die Documenta Fifteen (Fünfzehn)
findet noch bis 25. September 2022 statt.
documenta.de   dodumenta-fifteen.de

Alles Kultur, Fazit 185 (August 2022), Foto: Nicolas Wefers

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