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Streeruwitz trifft Kleist

| 28. Februar 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 190, Kunst und Kultur

Foto: Marcella Ruiz-Cruz

Man gibt die Komposition »Penthesilea | Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin« im Grazer Schauspielhaus. Eine Zweisamkeit von Textsorten, die es unbedingt zu besuchen gilt.

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Geheimrat und Kriegsminister Goethe war kein sonderlicher Freund Heinrich von Kleists. Besonders die 1806 entstandene Penthesilea war ihm ein Dorn im Auge, »mit der er sich nicht recht befreunden kann.« Eine lakonische Antwort, nachdem der Unglückliche dem Superstar nach Lob heischend eine Textfassung des Dramas zukommen ließ. Enttäuschend, allerdings passend zum Gesamtlebenskonzept des Rastlosen, der konsequenterweise durch eigene Hand seinem Leben ein Ende setzte. Thanatos. Nun sollte das Stück dann überhaupt erst knapp sieben Jahrzehnte nach seinem Tod zu seiner Uraufführung kommen. Die vermeintliche Unspielbarkeit, im Vergleich zu einer Iphigenie, verunmöglichten Erfolg zu Lebzeiten. Umso mehr Kultstatus ereilte das Stück fürderhin. Nicht nur im Germanistenproseminar, sondern auch für Aficionados ist es das schönste Bühnendeutsch ever – im Jetzigen und Heutigen. Dass »Penthesilea«-Aufführungen die Aura des Kultigen haben, wissen wir nicht erst seit Hans Jürgen Syberberg (mit Edith Clever). Dank YouTube archiviert und frei zugänglich.

Kleist erzählt eine Geschichte der unmöglichen und wahlverwandten Liebe zwischen der Amazonenkönigin Penthesilea und dem griechischen Krieger Achill. In der Realisierung des Autors als Affront gegen klassische Ideale konzipiert und in der Kernaussage als hochpolitischer Amazonenstoff verfasst. Man erinnere an eine der Frauenrollen in der Französischen Revolution.

Kongenial
Regisseur Franz-Xaver Mayr, der kongenial mit Bühnenbildner Korbinian Schmidt am Schauspielhaus Graz in der letzten Spielzeit Elfriede Jelineks »Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)« zur Aufführung brachte, kontrastiert die das Stück mit einem Zweittext: »Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin« von Marlene Streeruwitz. Das schmale, als innerer Monolog angelegte Büchlein hat nun auch schon 15 Jahre auf dem Buckel und ist somit Literaturkanon und keineswegs im Heutigen einzuordnen. Eine hinterbliebene Freundin erzählt nach dem Begräbnis eine wütende, zärtliche Trauertirade über verpasste Chancen, außereheliche Affären und den Tod. Thanatos.

Textsortenanalytisch könnte es unterschiedlicher nicht sein. Jamben hüben, Halbsätze drüben. Ideologisch verträgt sich der streeruwitzsche in textueller Hinsicht beinahe seit dem schreiberischen Coming-out Mitte der 80er Jahre praktizierte und pragmatisierte Feminismus wohl mit dem äußeren und vor allem inneren Revoluzzer Kleist. Beide scheren sich wenig um das klassisch-kreuzbrave Credo Winckelmanns, in »edler Einfalt und stiller Größe« Kunst zu produzieren. Mit dem Unterschied, dass Streeruwitz von Anfang an im deutschsprachigen Literaturkanon angekommen und aufgenommen ist, aber das ist eine andere Geschichte …
Inhaltlich menschelt es in beiden Texten. Wurscht ob beim fremdgeherischen Quickie im Büro oder am Schlachtfeld. Der Tod als letztes unaussprechliches, unergründbares Geheimnis bleibt, was er ist: Zwar unausweichlich, aber auch unergründbar. Thanatos.

Die Frauenfiguren und die Unvereinbarkeit der Sehnsüchte mit den gesellschaftlichen Tabus und die Sprachgewalt der beiden Texte – wie Dramaturgin Franziska Betz in ihrer Betrachtung anmerkt – ist wohl eines der verbindenden Elemente. Sollte man bei Kontextualisierungen überhaupt etwas »Verbindendes« brauchen. Die beiden Texte funktionieren bewusst nebeneinander! Bewusst eingesetzt ist das Ansinnen, den Zuschauer (und Zuhörer!) atmosphärische Brücken schlagen zu lassen. So ist die Grazer Umsetzung als gnadenlos fantastischer Neuanfang eines gar nicht alten Stoffes zu betrachten, der sich nicht in (hypermoderner) Identitätsverliebtheit einbettet, sondern den Metathemen Raum lässt.

Grenzgenial
Ein grenzgeniales Bühnenbild mit halbversenktem Klavier und mobilem Schlagwerk, auf und mit dem Karolina Preuschl und Aurora Hackl Timon behutsam aber eindringlich zwei Stunden lang begleiten. Ein strukturell ausgeklügeltes Spiel mit dem Licht und den Farben, das mit den Jamben Kleists und den schweren Zeichen in den Stakkatosätzen des Streeruwitz-Textes sich vereint. Nicht schlussendlich ist es das kluge Spiel mit den Kostümen, die gekonnt im wechselnden und mannigfaltigen Einsatz die vermeintliche Unspielbarkeit umschiffen. Dies macht den Abend zum Gesamtereignis. Der schauspielerische Einsatz des Ensembles mit einer den streeruwitzschen Sprachduktus gleich anfangs eiskalt servierenden Beatrix Doderer soll man sich nicht entgehen lassen. Sehet und Höret!

Penthesilea / Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin
Theaterstück nach Heinrich von Kleist und Marlene Streeruwitz; Regie von Franz-Xaver Mayr
Aktuelle Termine: 1./9./21./22/25.3., 19.30 Uhr
schauspielhaus-graz.com

Alles Kultur, Fazit 190 (März 2023), Foto: Johanna Lamprecht

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