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Die Grazer Wunderkammer

| 6. April 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 191, Fazitbegegnung

Foto: Andreas Pankarter

In der Renaissance wäre Hans Gamperl ein Antiquarius, ein eigener Spezialist für die Kunstkammer, vulgo Schatzkammer, vulgo Wunderkammer am kaiserlichen Hof gewesen. Die Beschreibung einer Wunderkammer aus dieser Zeit lautet: »Man sieht hier Drachenschalmeien, Einhörner, Tödleinschreine, Nymphen, Kugelbauchkatzen, Codices mit Illuminationen, Arteficialia, Scienttifica, Mirabilia, Mumien, Exotica.«

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In seiner Grazer Wunderkammer des 21. Jahrhunderts findet man sich zwischen Polaroidkameras, Modeschmuck, textilen Antiquitäten, Spielzeug, Poster, Designobjekten, Kitsch, Kunst und verborgenen Raritäten wieder. Bauhaus-Fan Gamperl hat einen Blick für Design und ein Gespür für das, was gerade nachgefragt wird. Die jüngere Generation »stellt sich lieber einen rostigen Spind in die Wohnung und während man früher etwa einen Stuhl sorgfältig abgebeizt hat, sind heute eher sichtbare Lackreste gefragt.« Hauptsache die Objekte erzählen eine Geschichte. So wie das zurzeit teuerste Stück, ein Werkzeugtisch aus einem Opel Blitz für Reparaturen an der Front im 2. Weltkrieg für 1.000 Euro. Bei weitem überwiegen aber kleine, ausgefallene bis skurrile Objekte in der Wunderkammer am Glacis. Gamperls Preisgestaltung muss als ausgesprochen moderat bezeichnet werden, oft geht es um ein- bis zweistellige Euro-Beträge, sprich um kleines Geld und auch um Sympathie, wie er offen zugibt.

Begonnen hat der vormalige Gärtner und Fotograf vor genau 20 Jahren, im Jahr 2003, als Graz zur Kulturhauptstadt wurde: »In der Glacisstraße als Gegenpol zur Mariahilferstraße.« Am Anfang konzentrierte er sich auf Designobjekte, die Bandbreite ist heute größer geworden, was Hans Gamperl so umreißt: »Hier findet man zukünftige Antiquitäten.« Tatsächlich gibt es diese Sehnsucht nach überraschenden, ausdrucksstarken und möglichst individuellen Stücken, die Emotionen und Erinnerungen wecken – eben Geschichten erzählen. Hier wird Vergangenheit zur Gegenwart, egal ob man es Vintage, Retro oder Second Hand nennt.

Die ganze Welt in einer Kammer – das bedeutete schon bei den Habsburgern, insbesondere bei Rudolf II. (heute Kunstkammer im Kunsthistorischen Museum in Wien) und Ferdinand von Tirol (heute Kunstkammer auf Schloss Ambras in Innsbruck), zum einen sich der Sammelleidenschaft zu ergeben. Dazu Gamperl: »Als Sammler wird man geboren, ich habe schon als Kind unter jeden Stein geschaut.« Zum anderen keinen Unterschied zwischen Natur und Kunst zu machen: In einer Kunst- oder Wunderkammer ergänzten sich seit jeher Natur- und Kunstobjekte. Dahinter stand die Vorstellung, dass zwischen den von Menschen geschaffenen Dingen und der von Gott geschaffenen Natur ein Zusammenhang existiere. Just während dieses Interviews kaufte ein junger Mann einen riesigen Stierschädel, genauer ein Schädelskelett mit Hörnern, die genauso ausgebleicht waren wie die schneeweißen Knochenteile – Naturalia oder Artificialia, Natur oder Kunst? Der Name »Wunderkammer« erweist sich damit so richtig wie genial.

Hier scheint es wundersamerweise alles zu geben oder zumindest doch genau das, was man gesucht hat. Lampen und Luster aus den Siebzigern, eine Vinylplatte von Miles Davies mit Herbie Hancock am Klavier, einen Thonet-Stuhl im Design von Roland Rainer, Postkarten, ein Bentley-Feuerzeug (tja, jetzt nicht mehr) oder eine erkleckliche Sammlung von Blechspielzeug. Auch das magische Moment kommt nicht zu kurz. So erzählt Gamperl die Begebenheit mit drei Studenten, die zu Beginn des Studiums für ihre Wohngemeinschaft eine orange Lampe bei ihm kauften. Nach Ende ihres Studiums brachten sie die Lampe unentgeltlich wieder zurück, um auch anderen die Möglichkeit zu bieten, so eine schöne Zeit unter dieser Lampe zu verbringen, wie sie es durften. Sofort fand sich wieder ein Käufer. »Aber die Lampe ist noch nicht wieder zurückgekommen«, so Gamperl, der zum Schätzen auch unverbindlich Hausbesuche macht. Oft werde er gefragt, was man denn heute sammeln sollte, was denn als zukünftige Antiquität in Frage komme. Und er hat einen Tipp parat: »Mechanische Schreibmaschinen. Sammeln Sie Schreibmaschinen.«

Hans Gamperl wurde am 15. Mai 1960 als Sohn eines Zollwachebeamten in Altneudörfl geboren, lernte nach seiner Schulzeit im Grazer Ferdinandeum Bürokaufmann, verschrieb sich bald der Fotografie und bespielte damit die »Herbstbar« und diverse Galerien. 2003 gründete der bekennende Sammler in Graz die »Wunderkammer« in der Glacisstraße 19.

Fazitbegegnung, Fazit 191 (April 2023) – Foto: Andreas Pankarter

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