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Wir sind ein Kunsthaus!

| 6. April 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 191, Kunst und Kultur

Foto: J.J. Kucek

Praktisch, fundiert und theoretisch gewappnet präsentiert sich die neue Grazer Kunsthauschefin Andreja Hribernik. Ein Einstiegsgespräch über klare Zukunftsstrategien.

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Ihre Doktorarbeit beschäftigte sich mit den Themen »Utopie und Museum«. Lässt sich das in der Praxis am Beispiel Kunsthaus umsetzen?
Beide haben viel mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick erscheint. Nehmen Sie nur die Frage, wie kann man Utopie denken, kann man sich eine Zukunft vorstellen, die anders ist als die ökonomischen Verhältnisse, in denen wir leben? Heute und im westlichen Kontext kann man sich schwer aus einem gegebenen Umfeld befreien, wir leben in einer Unifizierung in gesellschaftlichem und kulturellem Sinne. Alles scheint gleich oder ähnlich zu sein. Ich sehe Museen und Kunstinstitutionen als Orte, die aus diesem System an einigen Ebenen ausgenommen sind. Hier habe ich eben durch Kunstproduktion oder eine Versetzung in eine andere Zeit die Möglichkeit, Utopie aufzuzeigen oder das Nachdenken über Alternativen anzuregen.

Ist das Grazer Kunsthaus etwa wirklich ein Museum?
Naja, nach 20 Jahren des Bestehens hat sich ein Archiv der Ausstellungen und der Projekte aufgebaut, das ist eine Geschichte der Institution. Damit schreibt sich das Kunsthaus auch in das gesellschaftliche Gewebe ein als Behüter, aber auch Produzent bestimmter Wahrnehmungen und Erinnerungen. Mit den zeitgenössischen »Re-Definierungen« und »Neu-Positionierungen« des Museums als solches will ich behaupten, dass das Kunsthaus ein Museum der Zukunft sein könnte. Darauf bezieht sich teilweise auch die Ausstellung im Herbst zum zwanzigjährigen Jubiläum des Hauses. Die erste Personale gab es damals von Sol LeWitt. Wir stellen uns nunmehr die Frage, wie ein Kunstwerk von 2004 in heutigem Kontext funktioniert. Da sind wir wieder beim Archiv-, Sammlungs- und Museumsthema. Zeitgleich erhebe ich den Anspruch, dass zeitgenössische Kunst alles andere als nur bürgerlich und elitär ist. Ich komme aus einem Kontext, in dem etwa der Kunstmarkt zurückhaltend zu betrachten ist, und stehe nicht unter seinem Einfluss, ebensowenig mein Denken und meine kuratorische Praxis.

Sehen sie nationale Unterschiede im Kunstbegriff in den Ländern, in denen Sie tätig waren und sind?
Es gibt keinen nationalen »Geschmack«, eher einen politischen, ökonomischen und kulturellen Kontext, der sich von Land zu Land unterscheidet. Zeitgenössische Kunst sehe ich vor allem als international, obwohl die einzigen Arbeiten oft aus lokalen oder partikularen Themen kommen. Ich behaupte, dass Kunst seismographisch ist, und damit bietet sie die Möglichkeit, schneller Dinge wahrzunehmen, zu realisieren und zu präsentieren. Gerade da, wo die gesellschaftliche Wahrnehmung noch hinterherhinkt.
Ich bin generell gegen »Cancel Culture« und auch dagegen, dass man einige Dinge einfach abschaben oder verstecken will. Gerade in dem Aufmachen von problematischen Themen sehe ich die Stärke der Kunst. Der Kunstraum ist ein Ort, wo man sich erlauben soll zu denken, ein Ort, wo man einige gesellschaftliche Entwicklungen kritisch betrachten kann. Ein Platz, wo man lernt. Nachsatz: Für mich ist jede Kunst politisch, es gibt keinen unpolitischen Ansatz in der künstlerischen Praxis.

Zum Thema Outreach: Verliert man nicht das Alleinstellungsmerkmal?
Nein, durch Kooperationen verschiedenen Arten, sowohl mit Institutionen oder auch mit der freien Szene, verliert man nicht die eigene Position.
Ich entwickle gerne Projekte, die stets so angelegt sind, dass man zusammen denkt. Überdies will ich EU-Projekte intensivieren. Es ist wichtig, internationale Netzwerke zu bauen. Graz sehe ich als Brücke und das ist etwas Gutes, das ist eine Bereicherung, die physische Nähe zu Südosteuropa kann man nicht verleugnen. Es ist wichtig, dem treu zu bleiben, wo man sich positioniert, wo man kulturelle Einflüsse hat.

Wo sehen Sie sich in drei Jahren?
Ich will den guten Ruf des Kunsthauses weiterausbauen und dass es sich intensiver verknüpft. Zudem will ich die Inhalte näher an die Menschen bringen. Und nein: Ich will kein Rennauto von Niki Lauda, um Besucherzahlen zu generieren. Wir sind ein Kunsthaus! Ich sehe auch den Kunstmarkt nur als Teil der Kunstbranche, die er zwar beeinflusst, aber nicht nur. Aber das sind parallele Strukturen. Museen und Kunstinstitutionen sind für mich weit relevanter als der Markt. Und zum guten Schluss: Das künstlerische Experiment ist nicht tot, sondern so lebendig wie noch nie. Wenn das Experiment tot wäre, würde ich nicht in der Kunstbranche arbeiten.

Alles Kultur, Fazit 191 (April 2023), Foto: J.J. Kucek

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