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Außenansicht (44)

| 5. Juli 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 194

Politisches Mäzenatentum. Es gibt also einen neuen Parteichef der SPÖ. Das nehmen wir zur Kenntnis. Ich habe allerdings noch nie die SPÖ gewählt, wenn ich das hier einfach so schreiben darf. Aus einem einzigen Grund. So verzweifelt war ich noch nie, um eine Verbesserung meiner Lebensbedingungen an Politiker und Politikerinnen zu delegieren, mich mit meinen Hoffnungen an sie zu klammern, sie mit meiner Stimme um Hilfe zu bitten.

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Selbst während der Studentenzeit, als wir bereits eine Familie waren mit unserem Sohn, kein Geld von den Eltern bekamen, in einer winzigen Wohnung im 10. Wiener Bezirk lebten, mit einer Kaffeefabrik gegenüber. An manchen Tagen hätte ich den dunkelbraunen Staub auf dem Fensterbrett einfach mit heißem Wasser aufgießen können. Ich nahm einen Halbtagsjob, meine Frau unterrichtete ein paar Stunden, irgendwie kamen wir mit fast nichts durch und schlossen dennoch unser Studium ab. Wenn eine politische Partei sich angeboten hätte, den verarmten Studenten und Studentinnen die Stipendien zu erhöhen – wenn sie die Wahl gewinnen würden –, hätte ich sie trotz dieses Versprechens nur gewählt, wenn mich ihr politisches Programm und die Persönlichkeiten der Partei überzeugt hätten. Aber vielleicht werden manche Menschen durch Versprechungen motiviert.

Es geht hier nicht um Armut, nicht um Bedürftigkeit, nicht um Verzweiflung der Benachteiligten. Natürlich kämpfen viele Familien mit der Teuerung, den hohen Mieten und dem realen Einkommensverlust. Es geht um die Ankündigungen des neuen SPÖ-Parteichefs, dass er es ändern wird, ändern werde können. Manchmal kündigt er das in direkten Reden an: »Wir als Sozialdemokraten werden … die Mieten senken … die Lebensmittelpreise kontrollieren … die Arbeitsplätze sichern … jedem Kind einen freien Kindergartenplatz garantieren …«

Wie allerdings so ein Versprechen in die Realität umgesetzt wird, ist schwer vorstellbar. Könnte ich tatsächlich der SPÖ meine monatliche Mietabrechnung schicken und sie wird sich mit dem Vermieter zusammensetzen, um meine Kosten zu reduzieren? Wenn meine Schlussfolgerung zu naiv ist, mein Verständnis von Politik das einem Zehnjährigen gleicht, warum wird es dann als neue Strategie der SPÖ angekündigt?

Natürlich sollten 350.000 Kinder nicht in Armut leben, natürlich sollte es mehr Ärzte mit Kassenverträgen geben, natürlich sollte Arbeitnehmern ein fairer Lohn gezahlt werden, die Arbeitszeit verkürzt und die Pensionen gesichert werden – das sind berechtigte Anliegen. Jede Gesellschaft hat einen gewissen Prozentsatz von Benachteiligten und es gehört zur Verantwortung einer sozialen Politik, Ungleichheiten mit Steuergeldern auszugleichen.

Der neue SP-Vorsitzende hat bei seiner Rede am Parteitag eine lange Liste mit Benachteiligten präsentiert und angekündigt, dass eine Sozialdemokratie unter seiner Führung sich um diese Menschen kümmern und ihre Bedürfnisse ernst nehmen würde. Es gab donnernden Applaus, die Funktionäre sprangen von den Sesseln und waren begeistert. Endlich gäbe es wieder eine optimistische Stimmung und eine echte sozialdemokratische Politik.

Nur – wenn der Einwand erlaubt sei – jene, die dort aufstanden und hysterisch applaudierten, waren nicht die Betroffenen. Im Gegenteil, dort sammelte sich eine mit Steuergeldern durchgefütterte verbeamtete Funktionärselite, die weder hungernde Kinder hat noch die Miete nicht bezahlen kann und problemlos einen Wahlarzt aufsuchen könnte. Dennoch klatschten sie aufgeregt dem Retter der Sozialdemokratie zu, der den Funktionären versicherte, da gäbe es Menschen, die unsere Hilfe brauchen könnten – diese sollten wir mit Versprechungen zu unseren Wählern und Wählerinnen machen. Naiv formuliert – wie ich es halt verstehe – könnte die SPÖ die nächste Wahl mit den Stimmen der Opfer gewinnen, denen versichert wird, dass sie nach der Wahl keine mehr sein würden. Um stärkste Partei zu werden, und damit den Regierungsauftrag zu erhalten, benötigt es allerdings eine genügende Anzahl von Opfern, denen man die versprechenden Versprechungen überzeugend verspricht. Derzeit liegt die FPÖ bei fast dreißig Prozent. Um die Wahlen zu gewinnen, müsste die SPÖ zumindest 25 bis 30 Prozent der Stimmen bekommen. Kein einfaches Vorhaben, mehr als ein Viertel der Wahlberechtigten zu Opfern zu machen, denen man die Rettung garantiert.

Außenansicht #44, Fazit 194 (Juli 2023)

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