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Wir müssen die Auswege aus den Krisen beschreiten!

| 18. August 2023 | Keine Kommentare
Kategorie: Essay, Fazit 195

Foto: Marija KanizajEin Essay von Stefan Stolitzka. Der steirische IV-Präsident sieht in der Energiekrise, dem Problem des Arbeitskräftemangels, aber auch in explodierenden Lohnkosten und engstirnigen Technologievorgaben eine Bedrohung des Industriestandorts. Die Polarisierung durch populistische Standpunkte gefährde mittlerweile auch unsere Gesellschaftsordnung.

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Prof. DI Stefan Stolitzka, geboren 1959, ist seit 2020 Präsident der steirischen Industriellenvereinigung. Sein globalisiertes Unternehmen »Legero United« hat den Hauptsitz südlich von Graz und beschäftigt rund 2.100 Mitarbeiter aus 26 Nationen. Als Gründer der Kunstinitiative »Con-Tempus« gilt er als wichtiger Kulturförderer. steiermark.iv.at

Vor einem Jahr hat die Industriellenvereinigung Steiermark ihren 75. Geburtstag gefeiert. Damals habe ich über unsere inneren Sicherheiten gesprochen. Die Sicherheiten, auf die wir uns verlassen können; gerade in Zeiten, in denen die Unsicherheit um uns herum immer noch sehr groß ist. Existenzbedrohende Energiepreise. Die Gefahr einer Unterversorgung mit Gas oder Strom. Tausende offene Stellen, die wir nicht besetzen konnten und vielfach immer noch nicht können, was uns massiv in unserer Entwicklung bremst. Und was die Situation dabei nicht einfacher macht, ist die Gleichzeitigkeit der Geschehnisse: Die Herausforderungen kommen nicht nacheinander über uns, sondern synchron.Umso wichtiger ist es mir, auch heute wieder zu betonen, worauf wir uns verlassen können. Was uns und der Steiermark Mut machen kann: Wir können Auswege aus der aktuellen Lage finden. Wir haben die Fähigkeiten, die Widerstandskraft, die Fantasie und die Intelligenz dafür. Wir haben das in der Vergangenheit immer und immer wieder bewiesen. Wir schöpfen aus unserer Tradition und aus tiefem Wissen – und erfinden uns dabei immer wieder vollkommen neu. Denn Unsere Industrie denkt neu. Immer, unaufhörlich. Das ist meine, das sind unsere inneren Gewissheiten. Auch und gerade im Jahr 2023.

»De-Industrialisierung« – wir haben es in der Hand
Wenn Sie unsere Kommunikation in den vergangenen 12 Monaten genau verfolgt haben, werden Sie festgestellt haben, dass ich erstmals den Begriff der »De-Industrialisierung« in den Mund genommen habe. Wir tragen Verantwortung dafür, dass der Industriestandort Steiermark, dass Österreich und Europa zukunftsfähig bleiben. Dass sie vertrauenswürdig und glaubwürdig bleiben. Wir haben es selbst in der Hand. Immer noch. Wir können ein Explodieren der Lohnkosten auf ein nicht mehr wettbewerbsfähiges Niveau verhindern. Wir können für Innovation, für Erneuerung sorgen. Wenn man uns auch lässt. Die standortpolitischen Rahmenbedingungen müssen das fördern und nicht hemmen. Aber die Planbarkeit der zur Entscheidung oder eben Nichtentscheidung kommenden politischen Rahmenbedingungen hat sich in den letzten Jahren eindeutig verschlechtert. Es scheint, dass die Form wichtiger geworden ist als der Inhalt. Der Weg wichtiger als das Ziel selbst. Denn enge technologische Zielvorgaben zu setzen, ist rückwärtsgewandt. Das verbaut alternative Wege. Das ist irrational, vielfach ideologisch geprägt, wissenschaftsfeindlich, unklug und letztlich verantwortungslos. Also lasst uns gemeinsam mit Vernunft, Mut und auf Basis von Wettbewerbsfähigkeit und wissenschaftlichen Erkenntnissen technologieoffen unternehmen. Wir können das und wollen es. Also lasst uns auch, werte Politik und werte Sozialpartner!

Festigkeit der Demokratie als Investitionsvoraussetzung    
Um unseren Weg in Zukunft erfolgreich beschreiten zu können, müssen wir auf unser Rüstzeug achten. Dazu gehören klar Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftlicher Erfolg. Das muss auch allen Entscheidungsträgern auf europäischer Ebene klar sein: Wenn wir in Europa wirtschaftlich schwächer werden, dürfen wir nicht glauben, dass wir dadurch unsere europäischen Werte in der Welt besser vertreten können.

Zum Rüstzeug für die Zukunft gehört auf persönlicher Ebene die Freude. Die Freude am Unternehmertum, die Freude an außerordentlichen Leistungen, die Freude an Exzellenz und dem daraus resultierendem Erfolg. Derzeit wird allerdings Erhebliches versucht, um uns diese Freude zu verderben: Viele Verantwortungsträger in Politik und Sozialpartnerschaft lassen sich im Umfeld der großen Verunsicherung und der Zukunftsängste in der Bevölkerung verführen: Sie glauben, von Polarisierung profitieren zu können. In einem Klima von Neid und Missgunst politisches Kleingeld wechseln zu können. Ein Klima, das auch die Verhöhnung von Leistung und Arbeit zur Folge hat. Sie nehmen dabei in Kauf, dass das Fundament unserer Gesellschaft, dass unser Zusammenhalt mehr und mehr geschwächt wird. Sie alle haben die Verantwortung, auf das langfristige und nachhaltige Wohl aller zu schauen. Aber stattdessen: einfache und einfachste Erklärungen. Simple Feindbilder. Das ist eine Entwicklung, die mich außerordentlich besorgt. Gesellschaftlich, aber auch wirtschaftlich. Denn: Wir benötigen für die Ziele, die wir uns stecken – allen voran Wohlstandsicherung und Klimaschutz – enorme Investitionen. Es gibt auch viele, die bereit dafür sind, weiterhin in Europa zu investieren. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass man an unsere Werte und an die Festigkeit unserer Demokratie glaubt. Und auch an die Festigkeit der politischen Mitte. Ich bitte daher die Parteien der Mitte nicht gegeneinander zu arbeiten, sondern sich gemeinsam zu überlegen, wie man die Stärke der Mitte wieder finden kann. Um Österreich insgesamt zu festigen. Die Entwicklung betrifft auch unseren Umgang mit Vielfalt und Internationalität.

Willkommenskultur – Vermögenssteuer – Arbeitszeit
Und das in einem Land, das Offenheit für viele Kulturen in seinen Genen trägt. Weshalb ist ein so wunderschöner, durch und durch menschenfreundlicher Begriff wie »Willkommen« derart verunglimpft worden? In einem Land, das sich als gastfreundlich versteht, sorgt das Wort »Willkommenskultur« für Naserümpfen. Diese negative Einstellung zur Immigration, breit politisch gesteuert und manipuliert, ist tatsächlich überall angekommen: Wie sollen wir die besten Köpfe aus aller Welt dazu bringen, in unserer steirischen Industrie zu arbeiten, wenn der Eindruck entsteht: »In Österreich will man euch nicht.« Wie wollen wir dann nur unsere demografische Megalücke schließen, frage ich mich? Bis 2030 fehlen uns alleine daraus 500.000 Menschen am Arbeitsmarkt. Und jenen, die in Österreich sind und die etwas erschaffen wollen, die exzellent ausgebildet und motiviert sind, legt man zusätzliche Fesseln an. Österreich, ein Land mit den im weltweiten Vergleich auf allen Ebenen ausgeprägtesten Steuersätzen. Nicht nur auf Arbeit.

Und dennoch geht die Forderung nach mehr: Eine Vermögenssteuer soll es endlich sein. Wie viele Untersuchungen zeigen, wäre eine Vermögenssteuer zur substanziellen Finanzierung öffentlicher Aufgaben wie der Pflege faktisch wirkungslos. Aber was eine Vermögenssteuer mit Sicherheit bewirkt: Demotivation für alle, die mutig und risikofreudig ins Unternehmertum gehen wollen, und alle, die weiter investieren wollen. Und noch nicht genug: »Verhöhnung von Leistung und Arbeit«. Es ist ein Hohn, wenn eine Arbeitszeitverkürzung um knapp 20 Prozent gefordert wird – bei vollem Lohnausgleich. Für viele ist Leistung und Arbeit ein wesentlicher Bestandteil eines sinnerfüllten Lebens. Wie kann man sie so negativ besetzen, als wäre Arbeit ein notwendiges Übel? Und die jetzige Leistung so abtun, als könnte man sie auch leicht in einer deutlich reduzierten Arbeitszeit erbringen. So abtun, als wäre sie eigentlich 20 Prozent weniger wert? Diese Idee ist darüber hinaus ganz einfach eines: wohlstandsgefährdend! Und zu keinem Zeitpunkt derart fehl am Platz wie heute, wo weit über 200.000 offene Stellen in Österreich darauf warten, besetzt zu werden.

Handelsabkommen für Zugang zu Rohstoffen
Sehen wir nun von der persönlichen auf die Unternehmensebene: Die falsche Hoffnung, Angst und Verunsicherung in der Gesellschaft instrumentalisieren zu können, liegt auch dem Versuch zugrunde, unserer Industrie ein freies, globales Agieren unmöglich zu machen. Die EU hat bisher 46 Wirtschaftsabkommen mit 78 Staaten abgeschlossen. Das Abkommen zwischen EU und Korea zum Beispiel ist seit 2011 in Kraft – Seitdem hat der bilaterale Handel um 71 Prozent zugenommen. CETA, das Abkommen zwischen der EU und Kanada, hat seit Beginn seiner Anwendung im Jahr 2017 dazu geführt, dass unsere Exporte nach Kanada um 75,3 Prozent gestiegen sind. Gerade das EU-Mercosur-Abkommen wäre ein weiterer wesentlicher Meilenstein, um den Standort Europa und Österreich für nachhaltigen Wohlstand zu stärken. Und jenen der Mercorsurländer. Der starke Rahmen ist die besondere Rücksicht auf die Klimakrise. Weshalb sollten wir uns diese Chance entgehen lassen? Können wir auf den fairen Zugang zu Rohstoffen, die wir insbesondere auch für die Gestaltung der Energiewende dringend benötigen, verzichten?

Wertschätzendes, gesellschaftliches Miteinander
Die gegenwärtige Stimmung erschwert es den Menschen und unserer Industrie, das zu tun, was ihrem Selbstverständnis entspricht: für eine nachhaltig gute Qualität des Lebens in der Steiermark zu sorgen. Wir brauchen – gerade in herausfordernden Zeiten – ein gesellschaftliches Miteinander. Offenheit und Brücken, statt Gräben tiefer zu ziehen. Schaffen wir ein Klima, in dem Mut und Risiko wertgeschätzt werden, aber auch das Scheitern. Damit wir junge Menschen begeistern. Sagen wir Ihnen, dass wir stolz auf unsere Unternehmerinnen und Unternehmer sind. Gerade jetzt, in diesen bewegten Zeiten, wo sich jeder nach absoluter Sicherheit sehnt. Wenn die Sozialpartnerschaft, aber auch das politische System in Österreich und all seine Akteure und Parteien ihrer Verantwortung wieder glaubhaft gerecht werden wollen, lassen Sie uns bitte einen anderen Ton finden. Einen motivierenden, wertschätzenden, mutmachenden Ton. Das müssen wir uns erhalten. Auch im nächsten Jahr – einem Wahljahr auf allen Ebenen: Steiermark, Österreich und Europa.

Laute Stimme für Marktwirtschaft, freien Handel und Industrie nötig
Und nun noch ein sehr wichtiger Punkt: Freiheit, Demokratie und Offenheit müssen unverhandelbar bleiben. Es sind die bedeutendsten Errungenschaften unserer Republik. Eine wesentliche Säule dafür ist Wohlstand. Wohlstand ermöglicht gesellschaftliche wie politische Stabilität und sichert damit den sozialen Frieden. Damit ist der Standort Österreich natürlich auch gekennzeichnet von überdurchschnittlich hohen Kosten. Insbesondere auch überdurchschnittlich hohe Kosten für Arbeit. Aktuell beobachte ich allerdings eine Schere, die wir dringend schließen müssen: Im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hohe Lohnkostensteigerungen auf der einen und ein Absinken der Stabilität in Gesellschaft und Wirtschaft auf der anderen Seite. Bei den Kollektivvertragsverhandlungen muss in einem Land, das vom Export lebt, »Wettbewerbsfähigkeit« eine wesentliche Kategorie sein. Nicht im Sinne der Industrie. Im Sinne aller. Das Absinken der Stabilität hat auch damit zu tun, wie wir mit Leistung und Leistungsträgern in Österreich umgehen. Leistung ist gut. Sie muss sich auch steuerlich und gesellschaftlich lohnen. – Das ist mein Appell. In Österreich gibt es eine starke Einsatzbereitschaft. Zahlreiche Menschen geben mit Passion ihr Bestes, um Lebensqualität und Wohlstand im Land zu sichern und die Zukunft aktiv zu gestalten. Leistung und Erfolg müssen wieder Werte werden, auf die man stolz sein darf. Das sichert Beschäftigung und Wohlstand. Das sichert die Zukunftsfähigkeit der Steiermark.

Worauf basiert unser Wohlstand noch?
Im Wesentlichen auf drei Dingen: Gut ausgebildeten und motivierten Menschen, Vermögen, die hier investiert sind, auf wettbewerbsfähigen Unternehmen und ihren Produkten, die sie in aller Welt verkaufen können. Wir alle können die innere Gewissheit haben, dass es unsere Industrie gemeinsam mit der Wissenschaft sein wird, die die Lösungen für die großen Herausforderungen unserer Zeit bereitstellt. Es ist wichtig, dass die Stimmen, die sich klar zu unserer Industrie bekennen, wieder lauter werden. Ebenso jene, die sich für Marktwirtschaft und freien Handel aussprechen. Dass die Stimmen gehört werden, die sich klar für Rahmenbedingungen aussprechen, die Investitionen in Forschung und Produktion in der Steiermark rechtfertigen. Und es braucht Taten, die diesen Er- und Bekenntnissen gerecht werden und die Steiermark weiterhin zu einem zukunftsweisenden und »investitionswürdigen« Industriestandort machen.

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Vorliegender Text ist die leicht überarbeitete Mitschrift der Rede des IV-Präsidenten beim diesjährigen Sommerempfang der Industriellenvereinigung in Graz.   steiermark.iv.at   legero-united.com

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Essay, Fazit 195 (August 2023), Foto: Marija Kanizaj

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