Außenansicht (52)
Peter Sichrovsky | 13. Mai 2024 | Keine Kommentare
Kategorie: Außenansicht, Fazit 202
Wer mit wem nicht koalieren wird. Die ÖVP gab mehrmals bekannt, dass sie mit einer FPÖ unter der Führung von Herbert Kickl keine Koalition eingehen würde. Eine Zusammenarbeit mit der FPÖ wäre zwar vorstellbar, jedoch nicht mit der Person Herbert Kickl. Die SPÖ gab ebenso mehrmals bekannt, dass sie mit der FPÖ – egal ob unter Herbert Kickl oder einem anderen Parteichef bzw. einer anderen Parteichefin – nicht koalieren würde, lehnte daher die Partei unabhängig von der Führung ab. Von Vertretern der restlichen Parteien, Neos, Grüne, die aufkommende Bier-Partei und die Kommunisten, gab es – wenn überhaupt – nur Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit mit der FPÖ.
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Wir haben also als Wähler und Wählerinnen die Auswahl, eine Partei zu wählen – außer wir wählen die Freiheitlichen –, die aus den verschiedensten Gründen nicht mit Parteichef Kickl oder der FPÖ grundsätzlich eine Koalition eingehen würde. Wir werden in der Wahlzelle mit der Methode der negativen Motivation konfrontiert, die jedes Wahlprogramm ersetzt, konvertieren zu einer Art politischer Veganer. Auch diese suchen Lokale, in dem garantiert kein Fleisch, keine Tierprodukte verwendet werden, um die selbst und fremddefinierte »Sauberkeit« in der Ernährung zu bewahren. Wir bleiben dann als Wähler und Wählerinnen politisch »sauber«.
Diese negative Selbstbestimmung diktiert die Präsentationen der Parteien und die Nachrichten über Politiker und Politikerinnen. Über den Spitzenkandidaten der ÖVP ist dominierend kommuniziert worden, dass er Herbert Kickl ablehne. Von SPÖ und Grünen hört man ständig wiederholend, dass für sie eine Zusammenarbeit mit der FPÖ aus moralischen Gründen nicht möglich sei. Ähnlich äußert sich auch die Chefin der Neos.
Was für eine interessante politische Positionierung. Parteien definieren sich in der Distanz, im Unterschied zum Bösen schlechthin. Dort der Teufel, hier die Engel – wobei sie vergessen, dass selbst der Teufel ein Engel ist. Übertragen auf die Entscheidung der Wähler und Wählerinnen müssen diese sich mehr und mehr von politischen Inhalten und Programmen verabschieden. Die FPÖ wird nicht nicht gewählt wegen eines katastrophalen Gesundheitssystems, das sie vorgestellt hatte, wegen ihrer schlechten Kulturpolitik oder falschen Plänen für die Pensionssicherung, sondern weil uns Vertreter anderer Parteien erklären, wir würden uns mit dem Kreuz bei der FPÖ in der Wahlzelle unanständig benehmen. Doch unbeobachtet in der Wahlzelle ist ein gutes oder schlechtes Benehmen irrelevant, niemand wird uns schelten oder loben.
Wir könnten uns unabhängig von der Beobachtung in der Wahlzelle dennoch anständig benehmen und SPÖ, Grüne oder Neos wählen, da diese Parteien die Anständigkeit in die Koalitionsverhandlungen übernehmen würden. Bei der ÖVP wäre das nur eine Teilanständigkeit, da sie sie mit einer FPÖ ohne Kickl zusammenarbeiten würde. Wir haben allerdings als Wähler und Wählerinnen keinen Einfluss auf die jeweilige Parteiführung, was sollen wir also tun? Wollen wir eine konservative Regierung, können wir weder ÖVP noch FPÖ wählen, da die FPÖ sich nicht vorschreiben lassen wird, wen sie als Vertreter der Partei in Koalitionsgespräche entsendet. Wollen wir eine große Koalition, können wir weder ÖVP noch SPÖ wählen, da der Chef der Sozialdemokraten bereits erklärt hatte, er könne mit dem ÖVP-Chef nicht. Und eine linke Koalition wird keine Mehrheit erreichen.
Ich glaub, ich bin einfach zu blöd, moderne Strategien von Parteien zu verstehen. Grundsätzlich wählte ich bisher eine Partei, weil mich Programme, Ideen oder Persönlichkeiten beeindruckten. Jetzt muss ich anscheinend umdenken. Ich muss in möglichen Koalitionen denken – unabhängig von den Programmen, ob diese anständig oder unanständig sein würden. Müsste mich entscheiden, wer mit wem unter welchen Bedingungen könnte oder möchte, und sich dabei moralisch einwandfrei verhält.
Ich könnte B wählen, weil er mit A auf keinen Fall könnte, oder B, weil er mit A könnte, oder C, weil er weder mit A noch mit B könnte. Dann gibt es noch D und E, vielleicht auch noch F, aber bei denen ist es egal, mit wem sie könnten oder nicht könnten, weil sie ohnehin nur politisches Füllmaterial sind, um eine Mehrheit im Nationalrat zu erreichen. Der Herbst wird offenbar nicht einfach …
Außenansicht #52, Fazit 202 (Mai 2024)
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