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Der gute Mensch von Bergl – Fazitgespräch mit Josef Zotter

| 20. Juni 2011 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 73, Fazitgespräch

Eigentlich macht Josef Zotter nur Schokolade. Seine 70-Gramm-Tafeln mit den absurdesten Füllungen und den kunstvollen Verpackungen sind seit Jahren ein Liebhaberprodukt. Doch Zotter wollte schon immer mehr, als nur Schokolade verkaufen; er will Vorbild sein für eine ökologische Gesellschaft. Seinem Idealismus hat er jetzt mit einem „Essbaren Tiergarten“ Ausdruck verliehen. Durch diesen führt ein über zwei Kilometer langer Weg und ein intensives Gespräch mit dem gelernten Koch. Am Ende wird man sich fragen, wer eigentlich der Realist ist. Wir unbedarften Verbraucher oder „Der gute Mensch von Bergl“.

Das Gespräch führte Michael Thurm.

::: Interview als PDF: DOWNLOAD

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Das Interview beginnt nicht mit einer Frage, sondern mit einer guten Nachricht aus dem Tiergarten: Zwei Zicklein wurden vor einer halben Stunde geboren. Ihnen klebt noch der Schleim aus dem Mutterbauch im Gesicht, gelbe Schlieren und ein nasses Fell sind der Ausdruck des Natürlichsten überhaupt: der Geburt. Jetzt machen die Zicklein ihre ersten unbedarften Schritte im Gras. Direkt unterhalb der bekannten Schokoladenfabrik und Zotters Büro.

Das sind schon heilige Momente.

Aber so heilig dieser Moment ist, wenn die Ziegen groß sind, werden sie geschlachtet.
Ja, deshalb ist dieser Tiergarten trotz aller Verspieltheit etwas sehr Ernsthaftes. Die Tiere, so lieb die alle sind, die werden kein nettes Ableben haben. Die werden von uns verspeist. Aber wenn die Leute hier emotional verstehen, dass ein Tier auch ein Lebewesen ist, wenn sie dann bewusster und weniger konsumieren und dafür vielleicht nicht mehr auf jeden Cent schauen, dann hab ich erreicht, was ich wollte.

Sie hatten mit viel Protest gegen das Projekt gerechnet. Warum ist der ausgeblieben?
Also in den Medien wird es recht gut aufgenommen, die Kritik kommt vor allem aus dem Internet. Der „Essbare Tiergarten“ suggeriert ja vielen, dass man reingeht und sich ein Viech sucht und sagt: „Das legst mir jetzt auf den Tisch.“ Aber das ist ja Blödsinn, wir schlachten nicht öffentlich. Kritisieren kann man natürlich immer etwas. Ein Tiergarten hat Abgrenzungen, da ist ein Tier ein Leben lang drin, das finde ich ja auch kritisch. Deshalb setzen wir die Tier regelmäßig um. Und viele sagen halt: „Ja, wenn ich den Tieren erst in die Augen schau, weiß ich nicht, ob ich die noch essen kann.“

Aber das ist es, was Sie erreichen wollen?
Genau, also wenn wir die Tiere essen, dann ins Auge schauen und dazu stehen. Und dann sollen die Leute lieber sehen, dass es vorher ein artgerechtes Leben gab.
Ich will ja nicht sagen, dass die Menschen das übergeordnete Wesen sind, das ist Blödsinn, aber in Wahrheit ist es so. Wir haben uns die Welt irgendwie hergerichtet, dass es funktioniert, aber so wie es jetzt funktioniert, wird es nicht mehr lang gehen. Im Moment werden 25 Prozent der Lebensmittel weggeschmissen. Wir reden nur noch über den Preis und denken nicht mehr darüber nach, wie das produziert wird. Nehmen wir die Schweinezucht, mein Nachbar da drüben, der hat 2.000 Schweine und bekommt 1,23 Euro für das Kilo Lebendschwein, da wissen Sie, was der für Emotionen gegenüber seinen Tieren hat.

Sie fallen kaum auf, die beiden Futtertürme, auf die Josef Zotter deutet. Ihre graue Hülle fügt sich in das monotone Ocker der umliegenden Felder. Die diesige Luft legt einen zusätzlichen Schleier. Man sieht nicht, was dort passiert. Ein bisschen regionale Landwirtschaft im Osten der Steiermark. Aber in den Türmen lagern Mais, der in Monokultur angebaut wird, und Soja aus Brasilien. Billiger Eiweißfutterstoff, für dessen Produktion in Südamerika der Regenwald abgeholzt wird.

Sie versuchen, mit ihrem „Essbaren Tiergarten“ zum Fleischverzicht zu verführen?
Nicht zum Verzicht! Zum weniger Essen – das ist der Ansatz. Ich bin ja selber kein Vegetarier, auch wenn ich relativ wenig Fleisch esse. Ich brauch es auch nicht und gesünder ist es auch. Für den Einzelnen und für die Welt: Um eine Kalorie Fleisch zu produzieren, braucht es acht bis zehn Kalorien Futter. Jetzt wissen wir, dass wir in Zukunft die Welt nicht mehr ernähren können. Wenn wir aber nur noch die Hälfte Fleisch essen würden, dann wäre dieser Teil fünffach als Getreide übrig. Und es gibt überall arme Zonen, wo die Leute zu wenig zum Essen haben. Das hängt alles zusammen: Wenn wir hier das Soja verbrauchen, dann fressen wir mit den billigen Hühnern und Schweinen den Armen das Essen weg.

Wirkt der pädagogische Wert des Gartens, oder kommen die Gäste aus Graz und Wien nur her, um sich eine Art Ablass zu holen und in der Stadt wieder in gewohnter Manier zu essen?
Da gibt es sicher einige, die herkommen und dann denken, ist eh alles eitel Wonne. Den Tieren geht’s gut, die Welt ist in Ordnung. Aber so hab ich es nicht gemeint.

Mit Schockbildern als Kontrast, wie die Tierschutzvereine, wollen Sie nicht arbeiten?
Nein, ich glaube, da wenden sich die Leute ab, weil das so grauslich ist, und dann leben sie erst recht so weiter wie bisher. Es ist besser, die Leute kommen hier rein und sehen, dass es auch so funktionieren könnte.

Es ist eine skurrile Kulisse, die man als Besucher erst einmal identifizieren muss. Eine sanfte Hügellandschaft, idyllisch erhebt sich die Riegersburg auf der anderen Seite des Tals und auf dem Nachbargrundstück grasen ein paar Kühe, die für den ungeschulten Blick gesund aussehen. Bis Josef Zotter einen auf die angeschwollenen Euter und die abgeschnittenen Hörner hinweist. Erst dann ist der traurige Blick der Kühe zu verstehen. Gleichzeit drehen sich nur wenige Meter daneben die großen Solarpanelen ein paar Zentimeter weiter in Richtung Sonne.

Produzieren Sie damit ausreichend Energie für den Tiergarten?
Ja, hier sind wir autark. Aber schön ist das nicht. Romantisch auch nicht. Ein Atomkraftwerk ist immer ganz gut versteckt, aber wenn dann was schiefgeht, sind immer gleich alle betroffen. Ich glaube, wir kommen nicht an dieser Art der Energieproduktion vorbei. Deshalb haben wir die Solarmodule hingesetzt, da können die Viecher auch im Schatten liegen, ich hätte ja auch Bäume pflanzen können.

Ist es möglich, eine Stadt wie Graz ökologisch zu ernähren?
Aber ganz sicher. Ich höre oft, dass die Welt nicht mehr ökologisch zu ernähren ist, aber wenn das stimmt, dann Gnade uns Gott, denn dann leben wir nicht mehr lang. Seit gerade einmal hundert Jahren arbeiten wir mit Kunstdüngern und Chemikalien und die Welt ist schon fast kaputt. Wenn wir so weitermachen, sind wir in 200 Jahren sicher tot.

Übertreiben Sie da nicht?
Es wird so sein. Schauen Sie sich die Schäden an, auch hier in der Steiermark. Diese Monokulturen, wo seit zwanzig Jahren nur Kukuruz wächst. Die können nur immer mehr Dünger reinkippen und immer tiefer umgraben. Die fahren mit Panzern dort rein, da wird jedes Lebewesen, jede Kultur zerstört. Das ist im ersten Moment gut, aber im zweiten Moment rächt sich die Natur. Das führt nur zur Verwüstung.

Inzwischen ist es immer einfacher ein Bio-Label zu bekommen, und jeder versucht sich damit zu schmücken.
Das ist natürlich ein Problem. Deshalb gibt es für mich nicht nur „a bissl Bio“. Es gibt ja Betriebe, die haben zur Hälfte ökologische Flächen und dazu noch konventionelle Landwirtschaft. Da geht es nur ums Geschäft. Natürlich gibt es Kriterien und Überprüfungen, aber beim Biofleisch fragt niemand, ob die Tiere artgerecht gehalten werden oder ob denen die Hörner abgesägt werden. Die Lösung ist weniger Fleischkonsum, dann können wir problemlos die Welt ernähren, und zwar ökologisch.

Aber lassen sich die Preise dann noch halten?
Also ein Schweinskaree um 3,99 Euro … das ist ja unglaublich. Bei uns im Unternehmen kostet der Stundenlohn 35 Euro. Also 6 Minuten Arbeit für ein Kilo Fleisch, das ist krank.

Aber auch da klebt fast überall etwas von Bio, Natur oder Öko drauf.
Ja, da kennt sich dann niemand mehr aus. Und das ist überall so. Wenn man zum H&M geht und ein Bio-Gewand haben will, wird mir überall was von „green cotton“ gezeigt. Und wenn ich dann reinschaue, sehe ich: 50 Prozent Bio-Cotton. Der Rest: nichts. Die investieren 15 Cent in Bio-Baumwolle, damit sie das Label draufkleben können. Aber das soll nicht heißen, dass alle so sind.

Ich hoffe es, aber Ihnen nimmt man das Bio-Label halt ab, weil Sie der Josef Zotter sind. Überprüfen kann es am Ende niemand, oder?
Ja, mir nimmt man das ab, das ist schon mal o.k. Und natürlich kann man sagen, der Zotter schreibt das nur drauf. Aber wenn ich einen zertifizierten Kakao kaufe, dann muss da alles stimmen. Das wird eh ständig überprüft. Aber wie willst du bei einem Kakaobauern im tiefsten Nicaragua kontrollieren, dass er wirklich kein Kind beschäftigt. Da gibt es zweimal im Jahr Kontrollbesuche und wenn man da was findet, ist er eh dran.

Das heißt, die können auch nur auf die Kontrollen vertrauen.
Nein, es geht ja auch darum, dass der Kakaobauer einen vernünftigen Preis bekommt. Und wenn er den hat, wie von uns, dann kann er arbeiten und kann auch jemanden anstellen. Denn es ist keiner so deppert, dass Eltern ihre Kinder beschäftigen, nur weil sie billiger sind. Das machen sie nur in der äußersten Not.

Aber es geht ja nicht immer um die eigenen Kinder.
Dass es Kindersklaverei gibt, keine Frage. So wie in Mali schmutzige Schokolade produziert wird. Aber deshalb haben wir Schokolade um einen Euro. Jeder, der rechnen kann, weiß, dass es das überhaupt nicht geben kann. Genauso wie es ein Hendl nicht um drei Euro gibt. Das kann es alles nicht geben. Ich muss mich auf die Kontrollen verlassen und mehr als dass ich vier, fünf Mal vor Ort bin kann ich auch nicht machen. Ich muss ja hier auch arbeiten.

Wie kann der Käufer unterscheiden, welchen Zertifizierungen zu glauben ist? Wir können den Verbraucher ja nicht von seiner Verantwortung entbinden.
Ich tue mir da auch schwer, bei mir können Sie die ganze Produktion durchleuchten. Natürlich kann der Zotter auch kriminell sein. Es gibt nur eins: hingehen, hinschauen, Fragen stellen. Wirklich kontrollieren kann der Konsument nicht. Aber ich hab oft das Gefühl, dass es eine Ausrede für viele ist, sich dann überhaupt nicht damit zu beschäftigen. Die wollen dann einfach nicht mehr zahlen, weil sie denken, sie können sich eh nicht sicher sein. Das spült dann solche Pseudo-Labels wie „Zurück zum Ursprung“ nach oben. Das ist ja inzwischen genauso teuer wie das konventionelle Essen.

Was wäre der Ausweg?
Es dürfte keine teilzertifizierten Betriebe geben. Entweder stimmt alles oder er darf das Label nicht tragen. Im Hofer und im Lidl werden ein paar Fair-Trade-Bananen verkauft und daneben stehen vierzig Produkte, die nichts mit Bio am Hut haben. Aber die Bananen werden dann prominent beworben und die Leute glauben, dass dort alles super ist. Entweder ganzheitlich oder gar nicht.

Ihre Schokolade wird trotz des relativ hohen Preises gekauft. Ist das bei Grundnahrungsmitteln auch denkbar?
Selbstverständlich.

Aber Schokolade gönnt man sich nur gelegentlich. Ein Essen braucht man dreimal am Tag.
Aber warum soll man sich denn kein gutes Essen gönnen? Wozu arbeiten wir denn, wenn nicht, um uns ein vernünftiges Essen zu gönnen. Meine Mitarbeitern bekommen hier ein Mittagessen im Wert von acht Euro. Das ist doch kein Preis für das, was sie leisten.

Aber ihr Unternehmen ist sicher eine Ausnahme. Bei vielen ist Essen kein zentrales Thema im Alltag.
Da kann man nicht helfen. Was soll ich da sagen? Bei wem Essen kein Thema ist, mit dem kann man nicht darüber reden. Das muss ich akzeptieren. Aber es soll sich keiner aufs Geld rausreden. Auch jemand mit Mindestsicherung kann sich Bio leisten. Das Erste, was er nicht braucht, ist ein Handy. Das Zweite ist wahrscheinlich der Fernseher. Und dann kommt das Auto.

Für viele stellt es aber einen sozialen Anschluss dar. Es steht doch jedem frei, wie er sein Geld ausgibt …
… und so steht es auch jedem frei, nicht nachhaltige Produkte zu kaufen. Das wird eh viel zu oft so entschieden. Aber es geht um die Prioritäten im Leben. Wofür leben wir eigentlich. Wenn wir sagen, dass alles billig sein muss, radieren wir uns aus. Da kann man mich gern hernehmen. Ich hab hier fünf Millionen in einen „Essbaren Tiergarten“ investiert. Ich hätte mir auch ein Häusl auf Mallorca kaufen können. Bevor jemand sagt „Bio kann ich mir nicht leisten“, muss er nur schauen, wofür er sein Geld ausgibt.

Wenn es kein finanzielles Problem ist, ist es eines der Bildung?
Ganz genau. Wir können Rechenbeispiele rechnen, dass der Sau graust. Wir können 16-eckige Körper konstruieren, aber wir haben in der Schule nicht mehr Lebenskunde. Keiner erfährt mehr, wofür wir eigentlich leben. Wie kommen wir zum Essen, wo kommt es her und wie wird er zubereitet. Es muss einen verpflichtenden Gegenstand „Kochen“ geben. Erst wenn man sich mal selbst ein Mittagessen kocht, weiß man, dass es keine Hamburger um einen Euro geben kann. Es gibt genügend alternative Familien, die hierherkommen. Die sind sicher nicht reich, aber die suchen sich die Sachen, mit denen sie leben, so bewusst aus und können super überleben. Die haben sicher, und darum geht es, ein besseres Leben als viele andere, die ständig nur hetzen und jedes neue Handy haben wollen. Ich übertreib das jetzt. Und wenn sie eine neue Freundin haben, suchen sie eine neue Wohnung und stopfen die mit neuen Möbeln voll und nach zwei Jahren sind sie geschieden, weil sie das alles nicht dapacken.

Kann es sein, dass Sie eine große Sehnsucht nach konservativen Werten haben?
Das klingt jetzt so, aber wenn Sie mich anschauen, sehen Sie ja, dass ich Sachen mache, die alles andere als konservativ sind.

Aber vielleicht ist das nur das Gegengewicht zu dieser Sehnsucht.
Vielleicht. Ich habe keine kirchlichen Werte, ich bin in der Landwirtschaft groß geworden. Ich weiß, was es heißt, hier umzugraben. Heute kann ich sagen, dass ich mit meinem Unternehmen Glück hatte. Die Marke „Zotter“ macht mir das hier alles erst möglich. Das braucht ja in Wahrheit keiner.

Woher kommt diese Begeisterung für das Ursprüngliche, das Natürliche?
Wahrscheinlich bin ich religiöser, als viele meinen. Also ich geh nicht in die Kirche und sitze da jeden Sonntag brav da. Aber man bekommt natürlich Ehrfurcht, wenn man hier schaut, wie das alles funktioniert. Die Wurzeln dafür liegen sicher in meiner Kindheit. Wir hatten hier drei Hektar Grund und konnten davon als Familie leben. Wir haben nie gehungert, hatten auch keinen Luxus, aber es ging uns nie schlecht.

Es ist ja eigentlich ein sehr weites Spannungsverhältnis zwischen Ihrem Ursprungskonservativismus und der Kreativität ihrer Schokoladen. Werden Sie dafür belächelt?
Die Bauern hier aus der Nachbarschaft sehen mich alle als Fremdkörper. Aber zur Eröffnung sind die da gewesen, alle. Da könnte man ein Kabarett machen, wie sie ganz verschroben geschaut haben, was denn hier passiert.

Hat das keine Vorbildwirkung?
Na ja, das kommt jetzt langsam. Von vornherein vermuten die, dass ich bei der Mafia bin oder irgendwas gedreht hab. Die Bauern kennen nur den Raiffeisenverband und der sagt, was passiert. Wer einen Traktor will, erhält einen Leasingvertrag und bekommt gesagt: Wenn du mehr produzierst, dann hast du auch mehr raus. Und die machen das ja alle: ein Kunstdünger rein, noch mal gespritzt, und jetzt sind sie an dem Punkt, wo es nicht mehr weiter geht. Cäsium können sie noch reinspritzen, da wachsen dann die Pilze von allein raus.

Sie müssen doch verzweifeln, wenn Sie sehen, dass alle um Sie herum diesem Wahn verfallen. 95 Prozent der Österreicher ist noch immer egal, woher ihre Schokolade kommt.
Ich verzweifle überhaupt nicht. Ich bin inzwischen so weit, dass ich sage: fünf Prozent Marktanteil sind genial. Ich könnte auch ein Prozent haben, dann würde es das hier alles nicht geben. Mir geht es so auch gut genug und in diesen großen Strukturen, diesen shareholdergeführten Unternehmen, zählt nur noch das Quartalsergebnis, weil davon das Gehalt abhängt. Und in der Wirtschaftskrise haben wir gesehen, was das im Zweifel bedeutet: nämlich Mitarbeiter reduzieren. Und das kann es ja nicht sein.

Jetzt klingen Sie wieder wie ein Kommunist, obwohl Sie das schon einmal abgestritten haben.
Ja, ich versteh auch nicht, wie man darauf kommt. Ich hab damit nichts am Hut. Ich hab natürlich einen unheimlichen Gerechtigkeitssinn. Mir geht es auf die Nerven, wenn Leute die Basis nicht sehen, weil genau dort passiert alles, was entscheidend ist.

Das entspricht doch recht genau dem kommunistischen Konzept von Unter- und Überbau.
Da kenn ich mich nicht aus. Aber ich weiß: Der Staat ist kein Unternehmer. Von daher bin ich eher ein Liberaler. Denn es braucht einen, der Entscheidungen trifft. Und hier bin ich das. Wenn ich eine Idee habe, dann lass ich da nicht mehr los und mach das. Das kostet viel Energie, vor allem diejenigen, die mit mir arbeiten müssen.

In der Mitte des Tiergartens gibt es neben dem kleinen Restaurant, der Bäckerei und dem Hühnerstall auch ein Künstleratelier; der Betriebskindergarten nebenan ist noch in der Entstehung. Keine hundert Meter unterhalb liegt ein weiteres Neugeborenes im Schatten eines Baumes. Ein braunes Kälbchen, das von seiner Mutter bewacht wird, der noch die Nachgeburt hinaushängt. Wiener Schnitzel gibt es hier nicht, nur die ausgewachsenen Tiere werden geschlachtet.

Man blendet schon wieder aus, dass die Kälber und Schweine geschlachtet werden, wenn sie groß sind.
Ja, aber wie ist es besser? Wenn sie so auf die Welt kommen, wie wir es hier sehen, oder so, dass man es am besten gar nicht sieht. Gut ist das nicht, dass wir Tiere töten. Ich hab da auch keine Freud’ damit und wenn ich mich entscheiden müsste, ob ich das Fleisch essen will, wenn ich selber schlachten müsste, dann wäre ich Vegetarier.

Sie würden kein Fleisch essen, wenn Sie selber schlachten müssten?
Nein, das würde ich nicht machen. Ich kann einen Fisch schlachten, aber ich kann kein Tier töten. Als Kind musste ich immer helfen, aber jetzt könnte ich das nicht. Dann wäre ich lieber Vegetarier. Zum Glück nimmt mir das jemand ab und so bin ich eigentlich auch ein Heuchler.

Drei Schweine werden in der nächste Woche dran glauben müssen. Jetzt werden sie noch einmal gefüttert und quieken und schreien wie blöde, als der Chef persönlich eine Handvoll Futter verstreut. Während sich die Schweine aufs Futter stürzen, galoppieren die Hirsche aufgeschreckt davon, Platz genug haben sie hier. Gleichzeitig tönt Bach-Musik aus kleinen Lautsprechern, die in die Erde eingelassen sind und die Idylle bis zum Kitsch steigern. Nur eine hingeworfene Plastikflasche sorgt für das nötige Quäntchen, um die Perfektion zu trüben und nicht ganz zu vergessen, in welcher Welt wir noch immer leben.

Sind die Kinder überfordert, wenn sie aus der Stadt in eine Natur kommen, für die sie kein Verhalten erlernt haben?
Das ist schon ein Problem, da müssen wir uns noch was einfallen lassen. Denn denjenigen, der hier den Müll fallen lässt, den würd ich gern mal fragen, was er sich dabei denkt. Ich selbst war ja auch kein Musterschüler, aber eine gewisse Achtsamkeit gegenüber der Natur sollte schon da sein.

Sind die Schweine eigentlich eine Parodie auf uns Menschen, wenn sie sich so aufs Fressen stürzen?
Na ja, sie sind tierisch: Die haben nur Fressen und Sex im Schädel. Aber im Gegensatz zu uns fressen die nur so viel, wie sie brauchen. Wir nehmen immer noch mehr und mehr, selbst wenn wir schon genug haben. Kein Hase würde auf die Idee kommen, sich neben seiner Höhle noch eine zweite zu bauen. Da können wir schon etwas von den Tieren lernen.

Ist diese latente Anspielung auf den Garten Eden, mit der Musik und den Apfelbäumen am Wegesrand, Absicht?
Na klar ist das kein normaler Bauernhof. Wenn die Kunden kommen, soll es denen hier gut gehen. Und wenn sie dann noch über unsere Ernährung nachdenken, freu ich mich. Wenn nicht, ist es auch gut, ich will ja nicht mit dem Zeigefinger schimpfen. Das hier war meine Vision. Und warum sollen wir uns nicht von Musik berieseln lassen? Das kann man kitschig finden, aber der Bauer soll es sich auch so schön wie möglich machen. Ich könnte auch Werbespots machen oder irgendwelche Sportereignisse unterstützen, aber ich hab mich halt für den Tiergarten entschieden.

Das ist auch eine Form der Werbung?
Natürlich, ich hab das größte Werbebudget, das man sich vorstellen kann. Das rechnet sich ja hier nicht, aber die Leute haben was davon und reden darüber.

Und mit dieser Werbung haben Sie sich Ihr Paradies erschaffen …
Ja sicher.

Was haben Sie noch für ein Ziel. Man muss ja ein Ziel haben, um zu leben.
Das muss nicht sein. Kann man nicht sagen: Ein Ziel hat man erreicht und jetzt leb ich damit? Ich muss nichts Großes mehr machen. Das ist schon mehr, als man normal erreichen kann. Natürlich machen wir weiter, als Nächstes bauen wir einen Vertrieb in England auf, aber wenn das nicht funktioniert, dann halt nicht.

Herr Zotter, vielen Dank für das Gespräch.

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Fazitgespräch, Fazit 73 (Juni 2011)

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