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Tandl macht Schluss!

| 24. Oktober 2012 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 87, Schlusspunkt

Kennen Sie das Dogma des real existierenden Populismus? Es lautet: „Wo es nicht juckt, soll man sich nicht kratzen!“ Damit ist das gemeint, was viele Politiker machen, wenn sie über Reformen nachdenken. Sie tun so, als ob. Wenn daher tatsächlich gespart werden muss, dann vorzugsweise bei denen, die einen anderen gewählt haben und niemals beim eigenen Klientel. Selbst wenn hin und wieder unpopuläre Maßnahmen durchgesetzt werden müssen, dann nur solche, deren negative Auswirkungen für „die Eigenen“ erst in ferner Zukunft schlagend werden. Als Beispiel für diese Form der „Reformpolitik“ können etwa die extrem langen Übergangsfristen bei der Harmonisierung der Beamtenpensionen herhalten. Ähnliches gilt für den Bildungsbereich, die Gesundheit und natürlich die Verwaltung. Selbst wenn unsere Großkoalitionäre im Clinch liegen, der Grundkonsens stimmt. Die SPÖ verschont die Bauern und die ÖVP duldet dafür die unhaltbaren Zustände im Personalbereich der Bundesbahnen.

Rot und Schwarz haben sich viel aufzurechnen. So ist beispielsweise völlig klar, dass unser Pensionssystem unfinanzierbar ist und die Jungen irgendwann für die überhöhten Pensionen unserer Alten bezahlen müssen. Aber soll sich doch eine andere Politikergeneration mit diesen Problemen herumschlagen! Doch Schluss mit der Schimpferei, denn es gibt einen Lichtblick!

Mit den steirischen Reformpartnern versuchen erstmals zwei Parteien, am Dogma „Wo es nicht juckt, soll man sich nicht kratzen!“ zu rütteln. Natürlich wissen auch die beiden ganz genau, was sie dem eigenen Klientel schulden, doch anstatt die „wohl erworbenen Rechte“ des Stammklientels völlig von der Reformagenda zu streichen, versuchen sie die notwendigen Einschnitte im Landeshaushalt, den Spitälern, den Pflichtschulen und der allgemeinen Verwaltung gleichmäßig aufzuteilen – ein Gleichgewicht der Unannehmlichkeiten sozusagen. Und so stehen den Einsparungen beim SPÖ-Klientel entsprechende Kürzungen bei einer der ÖVP zurechenbaren Wählergruppe gegenüber.

Selbst man nicht mit allem, was die Reformpartner tun, einverstanden sein kann, muss man Franz Voves und Hermann Schützenhöfer zu ihrem Mut gratulieren. Denn es ist lange her, dass österreichische Politiker die Interessen der Allgemeinheit vor die Interessen der eigenen Parteien gestellt haben. Und eines dürfte den beiden bei allem Zweckoptimismus klar sein: Die Wahlchancen ihrer jeweiligen Parteien werden sich dadurch nicht verbessern.

Als tapfer und ambitioniert sind auch die Pläne im Bereich der Gemeindestrukturen zu bezeichnen. Selbst wenn sie ihre Pläne in der Anfangsphase recht tollpatschig mit Kostensynergien argumentiert haben, machen die Pläne Sinn. Denn mit den Gemeindezusammenlegungen wollen die Reformpartner jenem gewaltigen demographischen Umbruch begegnen, der dem Land bevorsteht: Die Randregionen veröden, weil die Betriebe und mit ihnen die Arbeitnehmer abwandern. Immobilienpreise verfallen und die Infrastruktur wird unfinanzierbar. Wir stehen am Anfang einer dramatischen Entwicklung. Wer es nicht wahrhaben will, braucht bloß nach Vordernberg oder Eisenerz zu blicken. Dort ist man schon weiter. Seit 1980 hat sich die Bevölkerung halbiert!

Allein bis 2035 Jahren wird jeder zehnte Steirer in den Ballungsraum Graz einwandern. Dieser besteht dann längst nicht mehr nur aus der Landeshauptstadt und dem Bezirk Graz-Umgebung, sondern wird sämtliche Orte einbeziehen, von denen aus Graz mit dem PKW oder einem öffentlichen Verkehrsmittel innerhalb von 45 Minuten zu erreichen ist.

Dieser Umbruch wirft sowohl in den Abwanderungsregionen als auch in den Zuzugsgebieten große Probleme und vor allem hohe Kosten auf. Und so sieht das Gemeindestrukturkonzept der Reformpartner vor, die jeweiligen Zentralorte gemeinsam mit dem Umland zu regionalen Leistungszentren zu bündeln, um auf diese Art Kristallisationspunkte für neue Visionen und Perspektiven zu schaffen. Niemand weiß, ob dieses Konzept aufgehen kann. Dass eine Stadt mit 15.000 Einwohnern mehr Schubkraft entwickelt als 5 Dörfer mit 3.000 Einwohnern ist dennoch klar. Und so erscheint es umso verwunderlicher, dass sich ausgerechnet das klinisch tote Vordernberg gegen eine Fusion mit Trofaiach, Hafning und Gai zu einer der größten Gemeinden der Steiermark ausgesprochen hat.

Tandl macht Schluss! Fazit 87, (November 2012)

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