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Steuern: Geschichte und Sinn, Nutzen und Schaden

| 26. September 2013 | Keine Kommentare
Kategorie: Essay, Fazit 96

Foto: PrivatEin Essay von Andreas Unterberger Steuern hat es, soweit die Geschichtsforschung reicht, immer gegeben. Das waren beispielsweise Wegesteuern, Mauten oder Zölle. Das waren Kopfsteuern, wo jeder gleich viel zahlen musste. Besonders interessant sind zwei Steuerprinzipien, auf die man quer durch die Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende, trifft. Das eine ist der sogenannte Zehent, nichts anderes als eine zehnprozentige Abgabe.

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Es gibt eine Reihe von Quellen, die sich maßlos über diesen Zehent als viel zu hoch erregen, den einst auch die Kirche mancherorts vorgeschrieben hat. Man kann das natürlich tadeln, denn heute ist die Kirchensteuer viel geringer. Nur vergisst man dabei: Die Kirche, Klöster und andere religiöse Einrichtungen hatten viele Jahrhunderte lang allein die gesamte Funktion des heutigen Sozialstaates getragen. Der Kaiser und der Adel, also die politische Macht, haben sich hingegen fast nie um Krankheit, finanzielle Not oder Altersversorgung gekümmert. Das war Aufgabe der Kirche und wurde mit diesem Zehent finanziert, der in dieser Sicht im Vergleich zur Gegenwart gar nicht hoch erscheint.

Dr. Andreas Unterberger ist Jurist und Ökonom, der heute als Vortragender und Publizist arbeitet. Er war 1995 bis 2004 Chefredakteur der Tageszeitung »Die Presse« und von 2005 bis 2009 Chefredakteuer der »Wiener Zeitung«. Seit 2010 führt er das »nicht ganz unpolitische Tagebuch« unter andreas-unterberger.at

Das zweite Steuer-Prinzip war noch viel verbreiteter, auch wenn der Ausdruck jünger ist: Durch Jahrhunderte und Jahrtausende gibt es nämlich schon eine »Flat Tax«. Das heißt: Der Prozentsatz der abzukassierenden Steuer steigt nicht, wenn man mehr verdient, sondern er ist über alle Einkommensstufen völlig gleich. Das ist keineswegs eine neue Erfindung, auch wenn heute schon der Gedanke daran als ein politisch unkorrekter Tabubruch wirkt. Auch der fixe Prozentsatz des kirchlichen Zehents war eine Flat Tax. Erst im 19. Jahrhundert hat man mit der Einführung progressiver Steuern begonnen. Die heute wichtigsten Steuern, die Einkommensteuern, waren zwar am Beginn des 20. Jahrhunderts schon progressiv – aber sie waren insgesamt im Vergleich zu heute sensationell niedrig. In keinem europäischen Land, über das ich Quellen gefunden habe, hat es damals Spitzensteuersätze gegeben, die einen zweistelligen Prozentsatz ausgemacht hätten. Sie lagen also weit unter zehn Prozent. Im Deutschen Reich etwa ist die Progression von 0,62 Prozent – also weniger als ein Prozent! – nur bis zum »gigantischen« Höchstbetrag von vier Prozent gegangen. Interessanterweise haben die Staaten auch damals trotz dieser niedrigen Steuern ganz gut existiert.

Noch ein weiterer historischer Rückblick ist hochinteressant. Der Parlamentarismus hat sich zwar über viele Formen und Zwischenstufen entwickelt. Aber die wichtigste Forderung bei der Entstehung fast aller Parlamente war eindeutig das Verlangen der Steuerpflichtigen, durch gewählte Repräsentanten über die Steuereinhebung und den Steuersatz mitzubestimmen. Wenn man hingegen die Arbeit heutiger Parlamente analysiert, dann gehen dort weit mehr als 90 Prozent der parlamentarischen Energien ins Gegenteil hinein, ins Nachdenken, wie man die vorhandenen wie auch die noch nicht vorhandenen, also die erhofften künftigen Steuern ausgibt. Zwangsläufig ist es schon allein durch diese Veränderung in der Bewusstseinslage der Parlamentarier zu einer ständigen Erhöhung der Abgabenquote gekommen. Die Abgabenquote ist jener Anteil des Einkommens, den der Staat den Menschen wegnimmt. Sei es über Sozialversicherungsbeiträge, sei es über Steuern, sei es über sonstige Abgaben. Alleine in den letzten 40 Jahren haben wir da eine Steigerung von 36 auf 43 Prozent erlebt.

In diesen Jahrzehnten ist tatsächlich auf vielen Gebieten eine Trendwende eingetreten. 1970 gab es in Österreich das Ende der ÖVP-Alleinregierung und der Beginn der SPÖ-Alleinregierung – nur kann dieser fundamentale Regierungswechsel nicht alleine die Ursache jener Wende gewesen sein. Viele Werte, Orientierungen, politische Usancen waren plötzlich auch in anderen Ländern nicht mehr gültig. Der Staat wurde fast überall immer mehr aufgebläht, neue gesellschaftliche Muster griffen um sich, der Wohlfahrtsstaat explodierte, Leistung und Sparsamkeit galten plötzlich als altmodisch. Es fand ein historischer und europaweiter Paradigmenwechsel statt. Der ganze Kontinent erhöhte nicht nur massiv die Abgabenquoten, sondern begann auch noch auf Pump zu leben. Die erwähnte Steigerung der Abgabenquote von 36 auf 43 Prozent klingt ja relativ harmlos. Viel dramatischer ist die Entwicklung der Staatsschulden seit 1970. Diese haben damals weniger als 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen und sind seither auf über 70 Prozent gestiegen. Dementsprechend ist die jährliche Zinsenlast schon auf acht Milliarden Euro gestiegen.

Das ist wohlgemerkt nur die Zinsenlast, in dem Betrag ist noch keine Rückzahlung auch nur eines einzigen Kredites enthalten. Die Staatsverschuldung hat in Wahrheit so dramatische Folgen angenommen, dass diese eines Tages zum Zusammenbruch der Republik führen können. Zugleich hat sich die Begründung der Kreisky-Androsch-Jahre für die damals in Gang gesetzte (und seither nur eine kurze Periode lang kurzfristig gebremste) Schuldenspirale als haltlos erwiesen: Die Arbeitslosigkeit wurde durch die Schulden nicht reduziert, sondern blieb davon völlig unbeeindruckt.

Die Gier der Politik

Österreich, also die Summe von Bund, Ländern und Gemeinden, hat kein Einnahmenproblem, sondern ein riesiges Ausgabenproblem. Das beweist die fast ständige Steigerung der Abgabenquote und die gleichzeitige Zunahme der Verschuldung. Daher ist es eigentlich absurd, über eine weitere Steigerung der Abgabenquote, über neue Steuern auch nur zu diskutieren. Dennoch hat die Tendenz der Politik, den Menschen immer mehr wegzunehmen und das Geld dann als freigiebige Herrscher irgendwie umzuverteilen, ständig zugenommen. Der allergrößte Teil der Politiker hat, quer durch die Parteien, unter politischer Tätigkeit immer nur das Beschließen von immer mehr Ausgaben verstanden, auch wenn diese großteils nur noch durch Schulden zu finanzieren waren. Im privaten Leben landet man dafür vor dem Strafrichter, die Gesetzgeber haben sich aber selber von der Strafbarkeit für irgendeinen Gesetzesbeschluss befreit. Und sie waren sogar meist stolz auf diese Beschlüsse. Lediglich in einer einzigen Periode hat es einen signifikanten Rückgang der Staatsschuldenquote gegeben. Das war die schwarz-blaue Ära Schüssel. Zwischen 2000 bis 2007 – das Jahr 2007 geht ja noch auf Schüssel zurück – sind diese Schulden immerhin von 68 auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückgegangen. Das sollte eigentlich zumindest Funktionäre der Volkspartei sehr positiv stimmen. Nur wird dieser historische Erfolg auch von VP-Politikern erstaunlicherweise sehr wenig kommuniziert. Aus welchen Gründen immer. Vielleicht weil die ÖVP damals den aus heutiger Sicht falschen Koalitionspartner hatte?

Wechseln wir kurz ins Ausland und zu den Staatsverschuldungen in Griechenland oder Italien. Griechenlands Staatsschuldenquote hatte – wenn man zumindest diesen Zahlen trauen darf, schon 180 Prozent erreicht. Durch das riesige Hilfspaket zu Lasten anderer Länder soll die Quote auf 125 Prozent hinunter kommen. Bei rund 120 Prozent steht aber schon Italien. Mit anderen Worten: Wenn die Griechen auf 125 Prozent herunterkommen – mit einer unglaublichen Kraftanstrengung, mit Schockwellen quer über den Kontinent – stehen sie erst dort, wo heute Italien steht. Das schafft alles andere als Zuversicht, dass schon irgendein Teil der europäischen Schuldenkrise gelöst wäre. Da meinen nun manche, dass eine Schuldenquote von 73 Prozent in Österreich eigentlich recht beruhigend wäre. Jedoch: Dieser Wert ist ja noch lange nicht die ganze Wahrheit. In dieser Zahl sind erstens die ausgegliederten Schulden – ÖBB, ASFINAG – noch nicht drinnen. Zweitens kennt man die Summe der Haftungen von Bund, Ländern und Gemeinden nicht einmal annähernd. Man erinnere sich nur der Kärntner Haftungen für die Hypo-Alpen-Adria. Ein Land mit einem Budgetvolumen von zwei Milliarden Euro im Jahr ist allein für diese Bank Haftungen von insgesamt rund 20 Milliarden eingegangen. Dieser Umfang war aber jahrelang überhaupt nicht bekannt! Selbst bei der Verstaatlichung der Bank sprach der österreichische Finanzminister noch von bloß sechs Milliarden Haftungen. Diese reichten aber in seinen Augen schon aus, um eine Verstaatlichung der Bank zu rechtfertigen, weil Kärnten das alles nicht aushalten würde. Wenn angesichts solcher Zustände nicht alle Glocken auf höchsten Feueralarm geschaltet werden, dann habe ich ein ziemliches Problem, eine solche Politik noch ernst zu nehmen.

Vergleichen wir uns jetzt noch einmal mit Griechenland. Diesmal nicht in Prozentsätzen, sondern mit absoluten Beträgen und der Bevölkerungsgröße, wodurch also das in Österreich deutlich höhere Bruttoinlandsprodukt nicht mehr Vergleichsbasis ist. Das deutsche Finanzministerium hat 2009 für ganz Europa einmal die Pro-Kopf-Verschuldung in Euro berechnet. Da kam für Österreichs offiziell gemeldete Staatsschulden, also noch ohne ÖBB, Asfinag und Haftungen, eine Schuldenlast von 22.000 Euro pro Kopf heraus; Griechenlands Schulden betrugen hingegen 24.000 Euro pro Kopf. Wer angesichts dieser Zahlen meint, Griechenlands Schulden seien ein Skandal, in Österreich sei aber alles wohlbestellt, der muss träumen. Statt dessen muss bei das jenen, die sich ernsthaft mit Wirtschaftszahlen befassen, größte Besorgnis auslösen. Schon lange bevor es passiert ist, haben daher Experten gewarnt, dass Österreich das sogenannte Triple A verlieren wird. Was hat die Politik getan? Nichts. Sie hat sich über die Warner lustig gemacht. Sie hat die guten Jahre 2010 und 2011 nicht genutzt, und hat erst Anfang 2012 einige Sanierungsmaßnahmen beschlossen, die aber großteils erst 2013 wirken werden. Auch die meisten Medien haben das Thema lange ignoriert. Nun, wir sind eben das Land, wo Sigmund Freud den Begriff »Verdrängung« entdeckt hat. Der Verlust des Triple A war nur ein Zeichen des Verlustes an Kreditwürdigkeit. Daher müssen schon seit Jahren Bund, Länder, Firmen und auch Privatpersonen höhere Zinsen für jeden Kredit zahlen als etwa die Deutschen. Selbstverständlich sind auch die Gemeinden davon getroffen, wenn sie einen neuen Kredit wollen oder einen alten umschulden müssen.

Die versteckten Schulden

Das ist aber noch immer der harmlose Teil der Geschichte. Denn jetzt kommt der dritte Punkt, weshalb die österreichische Schuldenquote alles andere als beruhigend ist. Der ist nun ein wirklicher Schock. Er zeigt, wie sich die Staatsschuldenquote in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird. Die EU-Kommission hat sie nämlich für die nächsten 50 Jahre geschätzt. Sie kam dabei auf den unglaublichen Wert von 337 BIP-Prozent. Da sind sowohl Inflation wie Wachstum schon herausgerechnet. Diese 337 Prozent sind damit eine absolute Horrorzahl, die alles, was ich bisher gesagt habe, in den Schatten stellt. Der Horror ist aber nicht nur von der EU errechnet worden. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel, also die Zentralbank aller Zentralbanken, hat eine Prognose schon für das Jahr 2040 berechnet. Und bei dieser liegt Österreich schon 2040 bei 300 Prozent. Das ist also ein noch steilerer Anstieg, als das, was die EU-Kommission prophezeit hat. Objektiverweise muss man zwar sagen, dass diese Berechnungen noch vor dem Spar- und Belastungspaket erstellt worden sind. Jetzige Berechnungen bewegen sich zwischen 200 und 300 Prozent. Dieses Paket hatte aber viel zu wenig Elemente, um Gravierendes zu ändern. Denn diese Berechnungen beziehen sich auf bisher noch gar nicht erwähnte weitere versteckte Schulden. Das sind vor allem die Kosten des Pensionssystems. Und gegen das, was da auf Österreich zukommt, ist selbst der Hypo-Alpen-Adria-GAU harmlos.

Bekanntlich muss jedes bilanzierende Unternehmen, das irgendwem eine Zahlung zugesagt hat, diese Verpflichtung in seiner Bilanz rückstellen. Es kann sie nicht mit dem Argument ignorieren, dass die Zahlungspflicht ohnedies erst in 5, 10 oder 20 Jahren eintreten wird. Die Republik Österreich jedoch beziehungsweise ihre Pensionsversicherung tut genau das. Sie handelt also auch weiterhin nicht so, wie es jeder ordentliche Kaufmann muss. Sie hat überhaupt nichts rückgestellt. Sie rechnet einfach wie ein Greißler am Gemüsemarkt. Sie schreibt das, was in einem Jahr hereinkommt, auf die eine Seite, und das was hinausgeht, auf die andere. Und das, was sie darüber hinaus verspricht, schreibt sie nirgends hin.

 

Die Pensionskatastrophe

Daher wird in allen Bilanzen und Berechnungen der Republik die dramatische Problematik des Pensionssystems total verschwiegen. Deren Hauptursache lautet kurz gesagt »Demographie«. Das ist aber ein Problemgemenge gleich auf sechs Ebenen.

– Das ist erstens die rapide Steigerung der Lebenserwartung – täglich bekommen wir sechs Stunden Leben dazugeschenkt.
– Das ist zweitens die viel zu geringe Geburtenrate – seit 1970 kommen alljährlich nur noch zwei Drittel der für die Bevölkerungsstabilität benötigten Kinder zur Welt, einschließlich der Zuwanderer, die sich noch deutlich stärker vermehren.
– Das ist drittens der verfrühte Pensionsantritt – die Österreicher gehen heute im Schnitt um zwei Jahre früher in Pension als 1970.
– Das ist viertens die völlig falsche Qualität der Zuwanderung – Zuwanderer vor allem aus der Türkei und Jugoslawien sind viel häufiger reine Konsumenten der Wohlfahrtsstaatstransfers und viel weniger berufstätig als der Rest der Österreicher.
– Das sind fünftens die ständig durch populistische Wahlgeschenke erhöhten Zusagen, für welche Lebensjahre es auch ohne eine Arbeitstätigkeit Pensionsansprüche gibt.
– Und das sind sechstens die EU-Regeln, die allen EU-Ausländern, die als Pensionisten in Österreich leben, die hohen österreichischen Pensionen garantieren. Das ist zwar noch relativ wenig wirksam, könnte aber zur finanziellen Megabombe werden.

Natürlich wird es dennoch niemals eine 300-prozentige Staatsverschuldung geben. Diese Beruhigung folgt aber nicht aus dem Glauben an eine plötzliche Weisheit der Politik. Jedoch wird lange vor Erreichung der 300-Prozent-Grenze die Wirkung der wirtschaftlichen Naturgesetze durchschlagen. Niemand mehr wird Österreich Geld borgen. Die internationalen Ökonomen sind sich ziemlich einig, dass spätestens ab 80 oder 90 Prozent Staatsverschuldung die Handlungsfähigkeit eines Staates mehr oder weniger verschwindet. Italien und Griechenland haben sie zwar erst bei einem höheren Prozentsatz verloren. Aber man kann sicher sein, dass seit dem Ausbruch der Krise alle Länder von den Geldgebern viel kritischer angeschaut werden, falls sie wieder neue Schulden aufnehmen oder alte Schulden umschulden müssen. Da kann man dann zwar über die Finanzmärkte und die bösen Kapitalisten schimpfen. Da kann man zwar große und ideologische Kreuzzüge gegen den bösen Neoliberalismus und viele andere Pappkameraden führen. Das wird aber die Chinesen, die amerikanischen Pensionsfonds, die arabischen Staatsfonds und die sonstigen Institutionen, die Geld haben und uns dieses borgen könnten, überhaupt nicht beeindrucken. Jedoch ist Österreich überwiegend im Ausland verschuldet. Mehr als 70 Prozent aller Staatsschulden hat es im Ausland aufgenommen.

Das zeigt erstens eine fast totale Abhängigkeit vom Ausland, und zweitens, wie unsozial Verschuldungen sind. Denn alle Österreicher, vor allem der Mittelstand, zahlt Steuern. Die Zinsen aus den staatlichen Schulden bekommen nicht etwa die imaginären Kapitalisten auf irgendwelchen Schlössern, gegen welche die SPÖ, die Grünen, die Blauen und auch manche ÖVP-Politiker so gerne kampagnisieren, sondern das Ausland. Jene, die das Geld geborgt haben, das Staat und Bürger längst verkonsumiert haben. Sei es zur Bezahlung der Ölrechnung, sei es für die vielen Konsumprodukte aus Ostasien, sei es für schöne, aber teure Auslandsreisen. All das heißt: Österreich und in ähnlicher Weise ganz Europa steuern mit Volldampf auf die Unfinanzierbarkeit zu. Es gibt im Grund nur zwei Möglichkeiten, wie das enden wird, wenn die Regierungen nicht zu kräftigem Sparen imstande oder bereit sind. Entweder in einem Crash, in dem der Staat am nächsten Monatsersten nicht einmal mehr seine Beamten und Pensionen zahlen kann. Die andere Möglichkeit scheint zwar oberflächlich etwas weniger explosiv, hat aber ähnliche Wirkungen: Das ist eine Megainflation, in der alle Ersparnisse der Durchschnittsösterreicher dahinschmelzen. Dabei wird es den Herrn Mateschitz oder die Familie Swarovski noch am wenigsten treffen. Denn die werden ihr Vermögen etwas professioneller als wir alle zu sichern verstanden haben.
Die unsoziale Schuldenpolitik

In einem kleinen inoffiziellen Kreis hat einst der frühere Finanzminister und spätere Notenbankpräsident Stephan Koren gesagt: »Schauen Sie, im Grunde hat jede Generation noch einmal ihre Ersparnisse verloren.« Das klang damals in meinen Ohren sehr zynisch, aber heute kommt mir der Hinweis deutlich realistischer vor. Daher ist die lange vor allem von Arbeiterkammer und Gewerkschaften forcierte Schuldenpolitik das Allerunsozialste, was Politik ja anstellen kann. Der Glaube, dass man mit immer weiteren Schulden das Wachstum ankurbeln kann, ist längst als Mythos entlarvt. Bei diesem Schuldenstand funktioniert das Ankurbeln nicht mehr.

Das von den Notenbanken gedruckte Geld, das derzeit die Staaten von den USA bis zur Europäischen Union unter die Menschheit bringen, wird zwar wieder ausgegeben, aber es löst keine weiteren Multiplikatoren aus. Es vervielfältigt sich nicht mehr. Arbeiterkammernahe Ökonomen – wie die Herren Schulmeister und Marterbauer – sagen ständig, man müsse die Wirtschaft durch Schulden ankurbeln. Diese Herren haben hingegen noch nie gesagt: »Jetzt wäre die Zeit zum Sparen«. Was aber auch ein (ehrlicher) Keynesianer in allen Jahren mit Wachstum sagen hätte müssen. Ihr Stammvater Keynes hat selbst noch davon gesprochen, dass maximal eine Steuer- und Abgabenquote von 25 Prozent denkbar sei.

Die Linken sagen hingegen in guten wie in schlechten Jahren: »Ankurbeln, Schulden machen, Löhne kräftig erhöhen und dann geht’s schon wieder gut.« Würde diese Theorie stimmen, dann wäre Griechenland heute das wohlhabendste und erfolgreichste Land Europas. Griechenland hat nach Einführung des Euro seine Gehälter und Löhne um rund 30 Prozent steiler, schneller erhöht, als diese etwa in Deutschland gleichzeitig gestiegen sind. Aber das Schicksal der Griechen war dann halt trotz der Arbeiterkammer-Ökonomie nicht so toll. Kern dieser Ökonomie ist ja die Hoffnung, dass Lohnerhöhungen den Konsum und dieser die Wirtschaft ankurbeln. Das ist aber eine reine Milchmädchenhoffnung. Erstens fließt ein guter Teil jeder Lohnerhöhung in Steuern und Abgaben. Zweitens wird bei Lohnerhöhungen vor allem die private Sparquote und nicht der Konsum erhöht. Und drittens landet vom Rest, der dann wirklich konsumiert wird, der Großteil im Ausland. Unsere Ankurbelung fördert die Wirtschaft in China und Umgebung. Die Wirtschaft ist also durch die Lohnerhöhungen viel stärker belastet, als sie dann durch die Einnahmen daraus am Ende profitieren könnte. Aus all diesen Gründen führt nichts um kräftiges Sparen herum. Wo das überall möglich ist, würde diesen Rahmen sprengen.

Höhere Steuern bringen weniger Geld

Im Prinzip gilt: Wenn die Situation so verzweifelt ist, kann natürlich auch die Diskussion über Steuererhöhungen nicht vermieden werden. Bevor ein Staat gegen die Wand fährt, darf es in der Diskussion keine Tabus geben. Nur zeigt die nähere Analyse der Folgen von Steuererhöhungen in den allermeisten Fällen eine negative Wirkung, also einen Verlust für die Staatskassa. Österreich hat schon jetzt eine der höchsten Steuer- und Abgabenquoten. Die pseudomoralischen Argumente, die ständig Vokabel wie Gerechtigkeit und Armut verwenden, sind in dieser Debatte absolut fiktiv. Österreich ist eindeutig ein Land mit sehr geringen sozialen Unterschieden. Die medial immer wieder präsentierten Armutszahlen sind nicht ernstzunehmen. Denn sie erklären jeden, der weniger als 60 Prozent vom Durchschnittseinkommen verdient, für arm oder armutsgefährdet. Diese Armuts-Argumentation ist absolut sinnlos. Das lässt sich leicht beweisen, denn was würde sich an der Zahl der Armen ändern, wenn ein reicher Onkel aus Amerika oder China das Einkommen jedes Österreichers verdoppelt? Also nicht inflationär, sondern real. Wie viel weniger Arme gibt es dann in Österreich weniger? Antwort: Keinen einzigen. Es bleiben nach dieser Berechnung genauso viele Menschen arm. Jeder hat zwar doppelt so viel Geld wie vorher, aber trotzdem haben wir genauso viele Arme. Es gibt sehr starke Indizien, dass eine weitere Erhöhung der Steuern am Schluss weniger Geld in die Kasse des Finanzministers und damit natürlich auch von Ländern und Gemeinden einbringen würde.

1. Es wird die Motivation zur Schwarzarbeit wachsen.
2. Es wird der Anreiz wachsen, die Steuerpflicht in andere Länder zu verschieben. Ich kenne jetzt schon ganz persönlich Fälle, die durch zum Teil fiktive Verschiebung ihres Wohnsitzes nicht mehr in Österreich Steuer zahlen, obwohl sie Österreicher sind. Der eine zahlt in der Slowakei und der andere in einem lateinamerikanischen Land Steuern. Jedenfalls nicht mehr in Österreich. Wenn man nicht 181 Tage in Österreich ist, beziehungsweise wenn die Finanzämter die Behauptung nicht widerlegen können, dass man es nicht ist, zahlt man hier keine Steuern.
3. Es wird die Motivation zu zusätzlichen Anstrengungen sinken. Ich habe es in meinen Chefredakteursjahren x-mal erlebt, dass gerade Gutverdiener, die interessante Autoren wären, die Einladung ablehnen, einen Artikel für die Zeitung zu schreiben: »Lasst mich in Ruhe mit den paar Euro, die ich da krieg. Ich tu mir das nicht an. Ich hätte dann die ganze Schererei mit einer Einkommenssteuererklärung und muss dann die Hälfte abgeben. Entweder ich schreibe es euch gratis, wenn es mich wirklich brennend interessiert, oder ich genieße lieber meine Freizeit.« Wenn ein Zeitungsartikel weniger erscheint, ist das nicht weltbewegend. Aber ähnliche Demotivationsvorgänge finden ja in vielen Ebenen vom Tischler bis zu jedem anderen Gewerbebetrieb statt. Zu hohe Einkommensteuern reduzieren die Motivation zu arbeiten dramatisch. Und noch mehr reduzieren sie die Motivation legal zu arbeiten.

Jetzt werden manche sagen, das mit den 50 Prozent und künftig noch mehr stimmt ja gar nicht, denn es gibt ja die Begünstigung für den 13. und 14. Gehalt; daher sei die Steuerlast ohnedies um sieben Prozentpunkte weniger. Nun, versuchen Sie das mal einem ausländischen Unternehmer zu sagen: Der hört sich so komplizierte Konstruktionen gar nicht an, der fragt nur verwirrt: »Habt ihr in Österreich 14 Monate pro Jahr?« Aber er ist nicht bereit, sich auf das System einzulassen, sondern schaut nur auf den Steuertarif und sagt: »Österreich? 50 Prozent? Nein danke!« Noch schlimmer ist diese Wirkung bei einem Manager, der darüber zu entscheiden hat, ob er mit einer Zentraleuropa-Niederlassung nach Österreich geht oder nach Prag oder Pressburg. Der schaut natürlich sofort, was er selber an Steuer zu zahlen hat – und verzichtet dann meist (wobei er freilich andere Vorwände vorschützt) auf die Investition in Österreich. Was das Land viele Arbeitsplätze kostet. Welche Steuern kann ein Staat noch erhöhen, ohne insgesamt weniger zu verdienen? Da kommen dann sofort Vorschläge, Tabak oder Benzin noch mehr zu besteuern. Darüber kann man aus gesundheitlichen oder ökologischen Gründen durchaus diskutieren. Weniger Rauchen, weniger Auto fahren sind lobenswerte Effekte. Nur sollte man dabei nicht vergessen, dass wir nicht auf einer Insel leben: Jede Zigarettenverteuerung macht Schmuggel oder Einkäufe im Ausland noch attraktiver. Und die finden heute schon in großem Umfang statt.

Nur die Umsatzsteuer würde noch Geld bringen

Eine der wenigen Steuererhöhungen, die funktionieren und mehr Geld einbringen würde und auch positive Lenkungseffekte hätte, ist die Umsatzsteuer. Von dieser redet aber überhaupt kein Politiker, weil ihre Erhöhung als politischer Selbstmord gilt. Sie würde jedenfalls den Abfluss von Geld für die zu 60 Prozent im Ausland produzierten Konsumartikel reduzieren. Sie ist aber politisch derzeit tabu. Sie gilt auch als unsozial, weil ärmere Menschen prozentuell einen größeren Teil ihres Einkommens konsumieren. Reichere investieren hingegen mehr. Dann gibt es noch die ewige Debatte um höhere Vermögenssteuern. Auf Vermögen, auf Erbschaften, auf Stiftungen. Bei Stiftungen hat man die Steuer schon erhöht. Ihre minimale Privilegierung ist schon bei der letzten Steuerreform beseitigt worden. Das hat dazu geführt, dass kaum noch Stiftungen gegründet werden und dass etliche große Stiftungen bereits Geld aus Österreich abgezogen haben. Dasselbe wird natürlich auch bei Einführung einer Vermögenssteuer passieren. Mobile Vermögen sind schneller über die Grenze, als der Nationalrat auch nur ein solches Gesetz beschlossen hat. Und welches Vermögen will man überhaupt konkret treffen? Das bei der Bank angelegte Geld ist jedenfalls über die Kapitalertragssteuer schon endbesteuert. Würde das – verfassungswidrig – noch mehr besteuert, würde überhaupt niemand mehr übers Sparbuch sparen. Auch stimmen die Behauptungen, im Ausland werde Vermögen viel höher besteuert, nur zum Teil. In den Vermögenssteuern sind im Ausland nämlich sehr viele Aufschließungs- und Infrastrukturkosten integriert, die bei uns über diverse andere Abgaben von den Grundeigentümern konsumiert werden. Man muss aber auch die ethische Frage stellen: Angenommen, zwei Menschen verdienen gleich viel. Der eine konsumiert alle Einkünfte sofort; der andere spart einen Gutteil, verschiebt Konsumwünsche auf später, spart für seine Familie. Der wird dann im Gegensatz zum ersten durch eine alljährliche Vermögenssteuer bestraft, welche also die Substanz des durch Verzicht Ersparten angreift. Ist das wirklich so ethisch, diesen Sparefroh zu besteuern, wie da immer behauptet wird?
Wir sollten uns auch daran erinnern, wie wir die Vermögenssteuer in den 90er Jahren abgeschafft haben. Damals sind viele Vermögen – laut oder leise – nach Österreich gekommen. Viel davon wird bei einer Steuererhöhung wieder abfließen. Vor allem wird das Land auf Dauer einen schweren Vertrauensverlust bei allen internationalen Investoren erleiden. Das wäre katastrophal. Die Ablehnung von Vermögenssteuern hat überhaupt nichts mit persönlichen Sympathien für die Reichen zu tun, sondern nur mit ganz rationalen Überlegungen: Was nützt Österreich und was schadet den Finanzen eines schwer überschuldeten Landes? Und worin bestehen eigentlich die Vermögen, die zu besteuern sind? Rund 80 Prozent waren damals in den 90er Jahren vor der Abschaffung der Steuer unternehmerische Vermögen. Wollen wir die wirklich wieder besteuern und damit Arbeitsplätze und Investitionen bedrohen? Dann haben wir nur noch einen relativen kleinen Prozentsatz Privatvermögen. Wenn man das schon besteuerte Geld beiseite lässt, sind das primär Schmuck, Kunstwerke, Goldbarren, Elektrogeräte, Autos und Pelze. Wollen wir wirklich Steuerfahnder in unsere Wohnungen lassen, die dort alljährlich auf die Suche nach solchen Schätzen gehen?

Die Einheitswerte sind ein echtes Privileg

Bleiben noch die Grundsteuern. Die kann man am leichtesten erhöhen. Auch der Verfassungsgerichtshof sagt immer wieder, die artifiziell niedrigen Einheitswerte seien ein arges Privileg gegenüber jeder anderen Form, sein Geld anzulegen. Freilich sind Grundsteuererhöhungen extrem unpopulär. Jeder weiß, wie sehr die Landwirtschaft dagegen kämpfen wird. Aber es sind ja nicht nur die Bauern, eine Grundsteuer würde auch Industrie und Gewerbe treffen. Und ebenso jeden Häuslbauer. Auch die SPÖ wird absolut null Interesse haben, die Grundsteuern zu erhöhen. Denn diese träfen ja über die Mieten auch alle Mieter, einschließlich jener in den Wiener Gemeindebauten, wo gerade das große Match zwischen Rot und Blau und Stronach um die Mehrheit in Stadt und Bund ingange ist. Eine steilere Vorlage könnte man der Opposition gar nicht machen, als die Grundsteuern auf Mietshäuser zu erhöhen. Aus all diesen Gründen ist die Konklusion klar: Über Steuererhöhungen ist die Schuldenkrise kaum mehr bekämpfbar. Man wird nicht um ganz, ganz brutale Sparmaßnahmen herumkommen, die all das übersteigen, was wir bis jetzt erlebt haben. Denn das drohende Szenario einer Staatsinsolvenz oder einer Megainflation bedeutet dann nicht bloß irgendwelche Zahlen auf einem Stück Papier. Das hat dann katastrophale soziale Wirkungen. Unruhen und Bürgerkrieg sind in der Geschichte fast regelmäßig auf solche Staatsinsolvenzen gefolgt. So hängt etwa auch der Aufstieg der Nationalsozialisten kausal mit der großen Inflation der 20er Jahre zusammen, in der der gesamte Mittelstand all seine Ersparnisse verloren hat. Damals waren die davorliegenden Kriegskosten die Ursache, heute sind es die unbedeckten Rechnungen für die Wohlfahrt der letzten Jahrzehnte.

Der gesamte Text dieser Analyse ist in Andreas Unterbergers »nicht ganz unpolitischen Tagebuch«, dem meistgelesenen österreichischen Internet-Blog, erschienen: andreas-unterberger.at

Essay, Fazit 96, (Oktober 2013) – Foto: Privat

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