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Der Philipp. Eine Institution

| 28. Mai 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 103, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Seit mehr als einem halben Jahrhundert führt Wolfgang Philipp seinen Konditoreibetrieb mit Kaffeehaus und Eissalon in Graz. Er bietet den zahlreicher werdenden Eisgeschäften Paroli und hält die Fahne des Gewerbes hoch gegen die Industrialisierung der Branche.

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Eine gute Konditorei muss etwas mit dem Luxusgut Zeit zu tun haben – insbesondere dann, wenn sie zugleich ein Kaffeehaus ist. Sie muss ein Ort sein, wo die Stundentrommel anders schlägt, vor ihrer Eingangstür können die Jammertäler des Lebens derer, die da zu Besuch kommen, abgelegt werden wie Pistolengurte vor Betreten eines Western-Saloons. Zu philosophisch? Mitnichten. Als Beweis diene das schmucke Jugendstilhaus Krenngasse 38/Ecke Ruckerlberggürtel in Graz, namentlich die Konditorei Philipp, seit einem halben Jahrhundert geführt von Wolfgang Philipp, dem kunstsinnigsten Zuckerbäcker des Landes. Mit Schokolade, Bonbons, Desserts, Torten und Kuchen sowie Speiseeis wird hier im doppelten Wortsinn auf die Süße des Lebens verwiesen. »Wir sind bemüht, Sie rundum glücklich zu machen«, lautet denn auch ein Satz in der Philipp’schen Eiskarte. (Lebensmittel-)Technisch gesehen ist der Faktor Qualität der größte Vorteil des kleinen Gewerbebetriebes für »Kanditenerzeugung« gegenüber industriell hergestellter (Süß-)Ware. Das Eis wird mit frischen Früchten gemacht, die Konfitüren für die Torten haben hohes Niveau, Konservierungsmittel sind verpönt. Es gibt Diabetiker-Eis, auf Anfrage auch lactosefreies Eis und ebensolchen Kuchen – vom Rehrücken bis zum Pignolikipferl – oder glutenfreie Kastanienherzen und Marzipanstangerl sowie Him- und Heidelbeerstreusel ohne Ei oder Ischlerschnitten ohne Dotter.

Nähe zum Kunden
Für Tochter Elisabeth Philipp eine Reaktion auf Kundenwünsche: »Es scheint, als würden die Allergien vor allem bei der Jugend mehr und mehr zunehmen. Meiner Meinung nach könnte das mit den heutigen Lebensmitteln oder mit den Plastikverpackungen zusammenhängen.« Diese Nähe zum Kunden, die hohe und augenscheinliche Handwerkskunst bei traditionellen wie auch spektakulären Torten, insbesondere aber bei den Petit Fours (spezielles Kleingebäck), sind auch Nahrung für Seele und Auge, sind Meilensteine auf einem Weg, der sich nicht schon als Ziel definiert, sondern völlig unbescheiden einem solchen entgegenstrebt: dem Geschmack. Industrialisierung hat auf vielen Ebenen enorme Vorteile; man denke nur an Produktionsmenge und Verfügbarkeit der Waren oder an die Preisgestaltung. Aber im gehobenen (Genuss-)Lebensmittelsektor und wenn es nicht um die Versorgung der Massen geht, hat das Match ein klares Ergebnis: Kantersieg für das Gewerbe. Wenngleich es immer wieder heißt, dass man über Geschmack nicht streiten kann. Aber bei der Konditorei Philipp kann man ruhig von »Geschmacksexplosion« sprechen.

Lehrlinge und Spätberufene
Doch längst ist nicht mehr alles Gold, was glänzt. Dazu der frischgebackene Kommerzialrat Wolfgang Philipp, der als vormaliger stellvertretender Innungsmeister und Berufsschullehrer und bis heute als Prüfer und Lehrlingswart sowie Vorstandsmitglied der Einkaufsgenossenschaft der Bäcker und Konditoren über langjährige Erfahrung verfügt: »Ich komme gerade von Gesprächen unter anderem mit der Gewerkschaft, wo beklagt wird, dass es so wenig Konditor-Lehrlinge gibt. Ein weiteres Problem ist, dass wir die meisten praktisch für die Industrie ausbilden. Die gehen dann zu SPAR oder sonst wo hin und fehlen uns.« Er weiß aber auch, dass es nicht mehr so einfach ist, einen Betrieb zu führen. »Wer heute glaubt, ein Kaffeehaus aufmachen zu müssen, der wird es bereuen. Es sperren ja alle bald wieder zu; zumindest wenn man allein ist. Für eine Konditorei geht das gar nicht, da muss man schon zu zweit sein.« Als Trend zeichnet sich ab, dass immer mehr Spätberufene kommen. Philipp: »Seit der Gewerbereform genügt eine Arbeitsprobe, um zur Meisterprüfung antreten zu dürfen.« Seine Bedenken sind aber gewachsen, weil die romantisierenden Vorstellungen (»Tortenverzieren«) der meist weiblichen Kandidaten ziemlich von den Anforderungen der wirtschaftlichen Realität abweichen.

Auch beim 73-jährigen Konditormeister kam der Beruf aus der Familiengeschichte. Sein Vater Hugo Philipp, der den Betrieb 1938 gründete, kam aus Karlsbad nach Graz, um seiner Schwester in ihrem Restaurant (Laufke) beizustehen, wo er bereits ab 1926 eine kleine Backstube betrieb. Nach dem Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg musste er auch im Zweiten einrücken, von dessen Strapazen er sich nie mehr ganz erholen sollte. Er verstarb früh, und das Unternehmen wurde zehn Jahre lang verpachtet. Erst 1958 konnte seine Witwe Elisabeth, die aus Marburg in der vormaligen Untersteiermark stammte (und bei Einzi Stolz Schneiderin gelernt hatte), zusammen mit Sohn Wolfgang und Tochter Helga die Konditorei wieder übernehmen. Nach dem Tod der Mutter 1966 führte Wolfgang Philipp das Geschäft mit seiner Frau Margaretha weiter.

Spezialität Eis (und Kunst)
Philipps Stärke war seit jeher Eis: Zunächst gab es vier Sorten, dann acht, schließlich 24; die heutige Auswahl von 40 Sorten wird von der Kapazität der Eisvitrine bestimmt – schließlich lässt sich aus fast jedem Rohstoff Speiseeis produzieren. Drei große Eismaschinen ermöglichen diese Vielfalt. Bei den Mehlspeisen machte sich Philipp auch mit Kunstkreationen einen Namen: Für die Vernissagen so bekannter Künstler wie Günter Brus, Hermann Nitsch, Helmut Newton oder Daniel Spoerri baute er deren Kunstwerke in Tortenform detailgetreu nach. Was den einen die Schwäche für Süßigkeiten, ist Wolfgang Philipp die Schwäche für Kunst. Seine Konditorei gleicht stets einer Kunstgalerie. Vor allem die Steirische Moderne, aber auch Zeitgenossen haben es dem passionierten Kunstsammler angetan. Sogar der schattige, klassisch-romantische Gastgarten, im Sommer so beliebt wie ein Freibad, wird durch eine Skulptur (»Die rauchenden Köpfe«) von seinem Künstler-Freund Daniel Spoerri aufgewertet. Philipps Großvater und ein Onkel waren Maler und Fotografen, in der Hauptschule hatte er Rudolf Pointner als Lehrer, bevor er die Matura in der Abendschule im Akademischen Gymnasium nachholte. Was Wunder, dass Tochter Barbara (Jahrgang 1977) nach Kunststudien in Frankreich und Wien in Amsterdam den Weg einer Malerin geht. Sohn Rüdiger (1961) ist mit einer Handelsagentur selbstständig und die bereits erwähnte Tochter Elisabeth (1969) ist gelernte Konditormeisterin. Sie wird ihr Kaffeehaus in der Ragnitz (»Lilli«) nach 15 Jahren schließen und auch der Marktwagen am Grazer Hauptplatz ist Geschichte, weil – siehe oben. Dafür ist sie die zweite geschäftsführende Kraft, die für einen zwölf Stunden pro Tag und sieben Tage die Woche geöffneten Konditoreibetrieb notwendig ist. Weiterhin betrieben wird im 15- bis 20-köpfigen Philipp-Team auch die Ausbildung. Insgesamt waren es im Laufe der 55-jährigen Geschichte seit 1958 rund 120 Lehrlinge, die auf den süßen Geschmack gekommen sind und auffällig viele Lehrlingswettbewerbe gewonnen haben. Davon zeugen nicht zuletzt Spezialitäten wie Kastanienprodukte, Marzipan-Figuren und Krapfen.

»Vor zwei Jahren haben wir mit der Schokoladeproduktion begonnen«, verweist Elisabeth Philipp auf Produkte wie Schokoladepasteten (20 Sorten, zum Beispiel die »Grazpastete«) mit regionalen Zutaten: Äpfel, Kastanien, Kürbiskerne und Isabella-Weintrauben. Für viele Kunden sind Besinnung auf und Verankerung in der Region ein Grund mehr zu kommen. Das sind oft schon die Kinder derer, die »den Philipp« zu dem gemacht haben, was er heute ist: eine Grazer Institution.

Konditorei Philipp
8010 Graz, Krenngasse 38
Telefon +43 (0) 316 81003300
konditorei-philipp.at

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Fazitportrait, Fazit 103, (Juni 2014) – Foto: Marija Kanizaj

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