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Holzhammer und Armbrust

| 29. Oktober 2014 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 107, Kunst und Kultur

Foto: Werner Kmetitsch

Stephen Lawless inszeniert den »Wilhelm Tell« am Grazer Opernhaus gelinde gesagt plakativ. Nieder mit dem Steireranzug, es lebe der Schweizer Kapuzenpulli! Text von Harald Steiner.

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Sie werden sich jetzt vielleicht denken, dass einer, der so etwas schreibt, wohl ein wenig spinnt, jedoch es hat alles seine Richtigkeit. Lassen Sie mich dazu etwas ausholen! Vor 723 Jahren wurde die Schweiz gegründet, vor 210 Jahren schrieb Friedrich Schiller sein Drama »Wilhelm Tell« – eine pure Sagengestalt übrigens, ohne historischen Kern. Vor 185 Jahren wiederum vertonte Gioachino Rossini den Stoff – sehr frei nach Schiller, aber bei Sagengestalten ist das ja erlaubt. Es sollte seine letzte Oper blieben, während seiner verbleibenden vier Lebensjahrzehnte komponierte Rossini keine Musik mehr.

Und 115 Jahre ist es her, da wurde das Grazer Opernhaus, erbaut von Ferdinand Fellner und Hermann Helmer, mit just diesem »Wilhelm Tell« eröffnet. Unlängst fand man die Schlussstein-Urkunde, die jetzt in einer Vitrine im Foyer zu bewundern ist, und was lag näher, als diesen Anlass mit einer Neuinszenierung von Rossinis Opus Magnum zu feiern?

Der dafür auserkorene britische Regisseur Stephen Lawless erzählt schon während der Ouvertüre (schwungvoll dirigiert von Antonino Fogliani) die halbe Geschichte: Da steht eine allegorische Helvetia-Figur mit Standarte vor einem Blumenbeet in Form der Schweizerflagge, und das Schweizer Mannsvolk trägt lange Bärte. Doch der älplerische Friede wird jäh gestört: Rüpelhafte Soldaten in 1.-Weltkrieg-Feldgrau stürmen die Bühne, rupfen die Blumen aus und ersetzen den Schriftzug »Helvetia« durch »Habsburg«. Hämisch grinsende Habsburgische in Steireranzügen lassen sich in der Proszeniumsloge blicken, beißen in Äpfel, ein Gesslerhut im Ausseerland-Design mit Gamsbart wird zurechtgelegt und die Helvetia-Figur in Ketten abgeführt. Was muss sie in Folge alles noch erdulden – Massenvergewaltigung, Ermordung, Beerdigung, Exhumierung; ein Apfelschuss ist nichts dagegen! Doch der Widerstand formiert sich schon: Zwei Sprayer in roten Kapuzenpullis mit dem Schweizerkreuz schreiben das Wort »Liberté« auf die Bühnenwand.

Nachdem das alles passiert ist, kann die Oper beginnen! Das Geschehen spielt sich meist auf einer halbkreisförmigen Tribüne ab, und da sitzt dann auch der Chor und muss sich nicht viel bewegen – außer man bewirft sich gegenseitig mit Papierkügelchen, wie dies unerfindlicherweise während des Rütlischwurs geschieht. Der erste Akt präsentiert sich stark gekürzt, was wohl nicht zu vermeiden war, aber der Handlungslogik schadet. Dafür aber geistert ständig eine Lenin-Figur über die Bühne und steckt sich gemütlich ein Zigaretterl nach dem anderen an. Als er endlich den ersten Ton zu singen hat, merkt man: Nicht Lenin ist’s, sondern Walter Fürst! Dazu der Regisseur im Programmheft: »Bei revolutionären Umstürzen gibt es immer einen, der in zweiter Reihe steht, dem die Leute nicht zutrauen, ein Revolutionsführer zu sein, der aber geschickt im Hintergrund manipuliert. Bestes Beispiel ist Lenin.« Lenin, ein Mann der zweiten Reihe? Gleichviel, wenn Lawless dann auch noch Mahatma Gandhi bemüht, wird klar, dass Geschichte doch kein so leichtes Fach ist.

Der Sänger dieses russischen Walter Fürst heißt David McShane und ist trotz Kettenrauchens tadellos bei Stimme. Tell, der Titelheld, wird von Publikumsliebling und Bariton James Rutherford verkörpert, sein Söhnchen, dem er den Apfel vom Kopf schießen muss, von der quirligen Sopranistin Tatjana Miyus. Den Vogt Gessler gibt der stimmstarke Bass Derrick Ballard, Olesya Golovneva als Prinzessin Mathilde berührt mit ihrem klaren Sopran. Den stärksten Eindruck hinterlässt aber Tenor Yosep Kang als Arnold Melchtal, der in allen Spitzentonlagen dieser schwierigen Partie zuhause ist. Melchtal, ein Mann des Zwiespalts, der sich zwischen Helvetia und Habsburg zu entscheiden hat, worunter vor allem ein Steireranzug leidet.

Und noch ganz zum Schluss kann sich’s Lawless nicht verkneifen, noch einmal ordentlich mit dem Holzhammer zu klopfen: Ein Scheinwerfer richtet sich auf die Loge, und wen sieht man da? Lenin, mit dem Ausseer Gesslerhut auf dem Kopf! Wie uns unsere Deutschlehrer immer gepredigt haben: Revolutionen bringen’s nicht, am Ende bleibt ja doch alles beim Alten! Der übliche Premierenapplaus, ein paar vereinzelte Buhrufe.

Wilhelm Tell
Oper in vier Akten von Gioachino Rossini
Libretto von Étienne de Jouy und Hippolyte Bis
Bis 13. November 2014
oper-graz.com

Alles Kultur, Fazit 107 (November 2014) – Foto: Werner Kmetitsch

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