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Mutter aller Bioläden

| 27. November 2014 | 1 Kommentar
Kategorie: Fazit 108, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Der Bioladen der Familie Matzer ist der älteste von Österreich. Seit 35 Jahren wird nach anfänglichen Widerständen die Grazer Bevölkerung mit gesunden Lebensmitteln versorgt und Konsumenten wie Produzenten in fairem Handel eingeübt. Eine ökologische wie ökonomische Erfolgsgeschichte.

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Dienstag, 10. Juli 1979, Ö3 spielt den aktuellen Nummer-1-Hit »Heart Of Glass« von Blondie, es ist 12.03 Uhr: An diesem Tag, zu exakt dieser Uhrzeit öffnet der mittlerweile älteste Bioladen Österreichs seine Pforten. Die beiden Oststeirer Uschi (damals 23) und Rupert Matzer (damals 24 Jahre alt) hängen angesichts ungeplanten Familiennachwuchses ihre Studien an den Nagel und wagen den Spagat zwischen Verbesserung der Welt und regelmäßigem Geldverdienen. Was heute als »Start-up-Unternehmen« tituliert würde, galt damals als komplett verschroben. »Wir waren für die meisten eigentlich totale Spinner«, bringt Rupert Matzer die Sache auf den Punkt. Die 1970er Jahre waren Zeiten des Wandels und Umbruchs: Die Kriegsgeneration musste ihren Generationenkonflikt mit langhaarigen »Love & Peace«-Kindern ausfechten, die Volksabstimmung über das bereits gebaute Atomkraftwerk Zwentendorf ging aus Sicht der Regierung negativ aus, Friedens- und Umweltbewegung erlangten gesellschaftliche Relevanz und Blondie musste sich 1979 im staatlichen Rundfunkmonopolsender Ö3 erst gegen Richard Claydermans »Ballade pour Adeline« durchsetzen. Und da machen die beiden in der Grazer Schillerstraße ein Geschäft mit Karotten, Erdäpfeln, Sauerkraut, Äpfeln, Brot und Schafskäse auf – noch dazu in einem Kellerlokal.

1,2 Millionen Euro Umsatz
Schnitt, Szenenwechsel ins Jahr 2014, sohin 35 Jahre später – im wahren Sinn des Wortes eine Generation später – hat der zweitgeborene Sohn Micha (33) bereits seit fünf Jahren den Bioladen (seit 1995 in der Sparbersbachgasse) übernommen. Aus dem halbtags geöffneten Kellerlokal ist ein 140 Quadratmeter großes, von allen Bevölkerungsschichten frequentiertes Geschäft mit 4.600 Artikeln und einem Netto-Jahresumsatz von 1,2 Millionen Euro geworden. Wie hat »der Junge« die Entwicklung erlebt? »Ich bin deswegen noch in der Schulzeit gemobbt worden, und das war in den Neunziger Jahren«, erläutert er den langsamen Prozess gesellschaftlicher Akzeptanz gegenüber alternativer Lebensweise. Seine Reaktion war ebenso unangepasst wie konsequent. In der Sechsten die reguläre Schule geschmissen und in jene des Lebens eingetreten – vornehmlich nach dem Muster »neun Monate arbeiten, drei Monate reisen«. »Erst dabei wurde mein Idealismus geweckt«, resümiert er, »da ist mir klar geworden, wie wichtig es ist, Werte mitbekommen zu haben.« Seine Reisen führten ihn bis nach Australien, nach Indien und nach Lateinamerika: Guatemala, Honduras, El Salvador, Costa Rica. »Vor allem Costa Rica hat mich positiv überrascht. Das Umweltbewusstsein ist dort wesentlich höher als in den Nachbarstaaten, immer mehr geschützte Naturreservate entstehen und ich bin überzeugt, dass es als erstes Land CO2-neutral sein wird.« Auch der Verzicht des Landes auf ein Heer komme pazifistischem Gedankengut naturgemäß ziemlich nahe. Als kritischer Beobachter erkennt er aber auch die Problematiken, die mit zunehmendem Wohlstand offenbar automatisch einherzugehen scheinen, wenn etwa Costa Rica gegenüber seinen Nachbarn, die als Gastarbeiter ins Land kommen, rassistische Vorurteile entwickle. Micha Matzers Rolle im Bioladen als Schnittstelle zwischen Lebensmittelproduzenten und Konsumenten ist zusätzlich geprägt von Erlebnissen wie in Honduras, wo er auf konventionellen Kaffeeplantagen sehen konnte, wie die Erntehelfer im Kindesalter wegen der gesundheitlichen Belastung durch den Einsatz chemischer Spritzmittel regelmäßig gegen andere Kinder ausgetauscht werden mussten. »Da hat sich bei mir schon zusätzlich ein Bewusstsein entwickelt, dass ich etwas tun möchte, wofür ich mich nicht zu schämen brauche und wo ich nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung bin.« Dazu bedarf es eben der Fähigkeit, in – auch größeren – Zusammenhängen denken zu können.

Fairer Handel
Da ergibt es natürlich Sinn, einem steirischen Apfelproduzenten die für die konventionelle Verpackungsindustrie wegen des Wetters zu groß ausgefallenen Äpfel abzunehmen und im Bioladen günstiger anzubieten, zumal die wunderbaren Äpfel sonst als Pressobst oder gar als Abfall enden würden. Da gerade an so einem Beispiel offenbar wird, wie unterschiedlich die Ziele konventioneller Vermarktung mit Gewinnmaximierung als oberster Maxime im Vergleich zu produzenten- wie konsumentengerechtem und fairem Handel sein können, wird auch klar, welche Überlegungen den Junior plagten, als er vor Jahren seine Mutter fragte, ob »wir wohl nicht auf der falschen Seite stehen.« Denn eines ist der Familie Matzer wichtig und klar: Die Richtung muss stimmen. So war das auch für Vater Rupert, als er schon vor zehn Jahren den Tank von seinem Bus, den er für die Gemüsetransporte verwendete, mit Pflanzenöl statt mit Diesel füllte. Die Folge war ein kapitaler Motorschaden und in der Folge ein zweiter. Doch mit dem neuen, auf Pflanzenöl umgerüsteten T5-VW-Bus wurden bereits 200.000 Kilometer heruntergespult. Neben zwei Toyota-Diesel-Fahrzeugen setzen die Matzers nun auf Elektroantrieb, natürlich mit Ökostrom gespeist: Der elektrische Renault Kangoo bewährt sich immerhin schon seit 92.000 Kilometern. »Ein Problem ist nur die Heizung, die verbraucht zu viel Strom. Das wird aber beim nächsten Elektroauto, einem Nissan, besser.«

Die richtige Richtung
Dass die Autoindustrie selbst hadert, zeige sich daran, dass das erste Service beim Renault mit 50 Euro noch sehr moderat war, beim zweiten hingegen, ohne spezielle Reparaturen oder Ähnlichem, bereits über 500 Euro zu berappen waren. »Von den 100.000 Kilometern, die wir im Jahr zu fahren haben, werden heute bereits 33.000 Kilometer elektrisch zurückgelegt, in Kürze sollen es doppelt so viel, also rund zwei Drittel sein«, erläutert er seine Pläne. Wieder ist erkennbar, dass es eben die Richtung ist, die stimmen muss. Dass so viel gefahren wird, hat einen plausiblen Grund: Neben dem Geschäft in der Sparbersbachgasse gibt es bereits seit 1992 ein zweites Geschäft, die »Kornwaage« in der Theodor-Körner-Straße mit einem Umsatz von 890.000 Euro und seit 2008 ein drittes, die »Bio-Sphäre« im Ökopark von Hartberg, mit einem Umsatz von 460.000 Euro. Der Zielgerichtetheit und unbeirrbaren Konsequenz der beiden Biopioniere Uschi und Rupert Matzer ist es zu verdanken, dass sie sich entgegen aller seinerzeitigen Widerstände schon so lange am Markt halten können, ihre Geschäftsfläche in diesen 35 Jahren vervielfachen konnten und das haben, was Ökonomen ganz bürgerlich Erfolg nennen. Insbesondere haben sie vorgemacht, dass sich Erfolg eben doch mit Ökologie verträgt, was weniger als eine Generation zuvor undenkbar war. »Das funktioniert nicht mit der Wolfsmentalität ‚fressen oder gefressen werden‘, sondern setzt Fairness zwischen Produzenten, Konsumenten und Händlern voraus«, betont Uschi Matzer. Und wenn es ein entscheidendes Kriterium ist, dass sich eine Jungfamilie mit Durchschnittseinkommen im Bioladen ihre Nahrungsmittel leisten kann, wenn sie saisonal und regional einkauft, dann wird dabei niemand reich, auch nicht der Händler. Dies von vornherein so verstanden und konsequent gelebt zu haben, vorzuzeigen, dass es so auch geht, kann auch als gesellschaftspolitischer Impuls gesehen werden. So ist die Familie Matzer überzeugt, dass die Wirtschaft dann am besten funktioniert, wenn sie assoziativ arbeitet und niemand den anderen »auffressen« will. Wenn klar wird, dass bestimmte Dinge, hier sind es eben Lebensmittel, einen bestimmten Wert haben, der etwa je nach Jahreszeit durchaus schwanken kann und darf. Auch ständige Schnäppchen-Mentalität kann nicht in die richtige Richtung führen. Unter diesen Gesichtspunkten hat auch ein weiterer Biosupermarkt, wie er kürzlich in den ehemaligen Stiefelkönigräumlichkeiten am Joanneumring eröffnet wurde, Platz in der Gemeinschaft der Stadt und wird nicht misstrauisch abgelehnt, sondern als belebend begrüßt.

Glas statt Plastik
Die heute heroisch-witzig anmutenden »Kämpfe« der 1970er und 1980er Jahre sind zum Großteil Geschichte und zum Teil Legion. Etwa als »Biospinner« wie die Matzers auf die Idee zu kommen, die leeren Milchpackerln wieder an den damaligen Milchhof zur Entsorgung zu retournieren – heute entsorgungstechnischer Standard. Damals schritt die Polizei ein. Aber auch an diesem Beispiel zeigt sich Matzersche Konsequenz. Bis heute ist das Angebot an Milchprodukten in den Bioläden der Familie Matzer im Gegensatz zu anderen Bioläden äußerst gering, weil die meisten dieser Produkte auch von der inzwischen entstandenen Bioindustrie überwiegend in »Plastikpackerln« angeboten werden. »Bei uns gibt’s die Milch in Glasflaschen«, stellt Rupert Matzer klar und lässt erkennen, dass Einkauf und Handel von Lebensmitteln nicht ohne gesellschaftspolitisches Unterfutter auszukommen scheinen. Zugleich müsse man sich heute vermehrt einer überbordenden Bürokratie- und Kontrollsucht seitens der Behörden, aber zugleich auch Rechtsunsicherheiten etwa in der Personalverrechnung oder bei der Körperschaftssteuer stellen: »Drei verschiedene Vorschreibungen in einem Jahr, was gilt dann?«, hebt Uschi Matzer die Hände in die Höhe. Oder dass das Gesundheitsamt für die kleine Küche im Bioladen Kunststoff- statt Holzschneidebretter haben will, gehe eben auch aus gesundheits- und hygienetechnischer Sicht genau in die falsche Richtung. Rupert Matzer grinst breit: »Da ist die Behörde bei meiner Frau genau richtig.« Auf Ö3 erklingt heute wieder die Musik von ABBA, wie schon 1979. Richtungsweisend?

Bioladen Familie Matzer
8010 Graz, Sparbersbachgasse 34
Telefon: 0316 838799
bio-laden.at

Fazitportrait, Fazit 108, (Dezember 2014) – Foto: Marija Kanizaj

Kommentare

Eine Antwort zu “Mutter aller Bioläden”

  1. kurt strohmaier
    15. Februar 2016 @ 09:25

    alles super und progressiv ! nur weiter so :-)

    zu ö3 , der aktuell ein erbärmlicher sender ist,dennoch, blondie mußte sich nicht gegen den clayderman durchsetzten, den haben sie nur bei autofahrer untwerwegs und so auf dem regionalsender gespielt :-)

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