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Zeitalter universitären Abstiegs. Samt Hoffnungsschimmer

| 23. Dezember 2014 | 1 Kommentar
Kategorie: Essay, Fazit 109

Foto: Parlamentsdirektion / Bildagentur Zolles KG / Leo HagenEin Essay von Werner Kuich. Abriss über sechs Jahrzehnte österreichischer Hochschulpolitik.

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Dr. Werner Kuich, geboren 1941, ist emeritierter Professor für Mathematische Logik und Formale Sprachen an der TU Wien. Er hat in vielen Bereichen der Theoretischen Informatik wichtige Forschungen betrieben. Er war von 1986 bis 1989 Vorsitzender der »Österreichischen Mathematischen Gesellschaft«- Seit 1988 ist er Mitglied der »Finnischen Akademie der Wissenschaften« sowie seit 2011 der wissenschaftlichen Gesellschaft »Academia Europaea«. dmg.tuwien.ac.at/kuich

Wieso waren die Geburtsjahrgänge um 1940 bevorzugt? Die karge Jugend hat uns gestärkt. Unsere 1. Klasse in der Mittelschule umfasste 40 Schüler – nach heutigen Maßstäben unfassbar. Jedoch sorgte die damals vorgeschriebene Aufnahmeprüfung für eine gewisse Homogenität der Schüler, die offensichtlich den Lehrern das Unterrichten leichter machte. Mit einem Maturazeugnis konnte man um 1960 beruflich noch etwas anfangen und als fertiger Akademiker hatte man seinen Arbeitsplatz sicher. Bezüglich der Universitäten waren unsere Jahrgänge, als jene um 1970 expandierten, wissenschaftlich bereits durch die Habilitation ausgewiesen und konnten die neu geschaffenen Professuren besetzen. So waren im deutschen Raum in den 1970er Jahren mehr als 15 Lehrkanzeln für Theoretische Informatik frei. Alles das ist wohl der tiefere Grund, warum wir in so jungen Jahren ordentliche Universitätsprofessoren geworden sind.

»Aurea prima sata est aetas, quae vindice nullo« – welcher Lateinschüler kennt sie nicht, diese erste Zeile aus dem Abschnitt über die vier Weltzeitalter aus Ovids Metamorphosen. In diesem beschreibt Ovid nacheinander das goldene, silberne, eherne und eiserne Zeitalter.

Analog dazu sehe ich die vier Zeitalter der österreichischen Hochschulen:

– zuerst das goldene Zeitalter des Hochschulorganisationsgesetzes 1955
– das eiserne Zeitalter des Universitätsorganisationsgesetzes (UOG) 1975
– das eherne Zeitalter des UOG 1993
– und schließlich das silberne Zeitalter des Universitätsgesetzes 2002 (UG).

Während also bei Ovid eine stete Verschlechterung mit den Zeitaltern einhergeht, ist in der österreichischen Hochschullandschaft mit dem UOG 1975 eine katastrophale Verschlechterung eingetreten, und neue Universitätsgesetze haben dann Verbesserungen hervorgebracht.

In unkritischen Fällen gibt es natürlich mit keinem dieser Gesetze Schwierigkeiten. Und sicherlich fallen mehr als 90 Prozent der Vorkommnisse darunter. Aber die Güte eines Gesetzes zeigt sich erst dann, wenn gegensätzliche Meinungen aufeinanderprallen.

Die vornehmsten Aufgaben einer Hochschule sind:

– die Selbstergänzung, also die Berufung neuer Professoren, um die Qualität der Forschung und ihrer Lehre sicherzustellen
– die Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses mit dem Ziel der Habilitation
– die Ausbildung der Studenten durch forschungsgeleitete Lehre.

Goldenes Zeitalter 1955–1975

»Erst entsprosste das goldne Geschlecht, das, von keinem gezüchtigt,
Willig und ohne Gesetz ausübte das Recht und die Treue.«

So schildert Ovid das goldene Zeitalter. In diesem goldenen Zeitalter war die Versammlung aller Professoren, das sogenannte Professorenkollegium, das oberste Gremium der Hochschule. Der Rektor leitete es als Primus inter pares. Diesem Professorenkollegium oblag die letzte Beschlussfassung, Berufungs- und Habilitationskommissionen waren nicht bevollmächtigt. Studienkommissionen im heutigen Sinn gab es erst seit Ende der 1960er Jahre. Jeder Professor konnte einer Berufungs- oder Habilitationskommission beitreten. Es war üblich, dass in einer Berufungskommission jede Fakultät durch einen Professor vertreten war. So war damals in einer anderen Fakultät eine Professur zu besetzen. Meine Fakultät entsandte mich in die Berufungskommission. Obwohl ich kaum etwas von dem Gebiet der zu besetzenden Professur verstand, erkannte ich ziemlich bald, dass der Favorit der Fachvertreter ein Spezialist auf einem engen, eher unbedeutenden Gebiet war und in anderen Gebieten des Faches keinerlei Forschung betrieben hatte. In einer Nacht- und Nebelaktion erstellten die Fachvertreter einen Dreiervorschlag, an erster Stelle natürlich ihr Favorit.

Daraufhin schrieb ich an alle Kommissionsmitglieder einen Brief, in dem ich ein Votum seperatum ankündigte und alle einlud, diesem beizutreten. Alleine die Androhung eines Votum seperatum, das natürlich eine ausführliche, von den Fachvertretern gescheute Diskussion des Vorschlags im Professorenkollegium zur Folge gehabt hätte, bewirkte, dass der Vorsitzende zurücktrat und die Berufungskommission ihre Arbeit neu aufnahm. Es wurde ein neuer Dreiervorschlag erstellt, der vom Professorenkollegium angenommen wurde, und der zu einer qualitativ befriedigenden Besetzung der Professur führte.

Dieses Beispiel zeigt, dass es einem einzigen Professor, auch wenn er der Hochschule kaum erst zwei Jahre angehörte, möglich war, sogar in einem fachfremden Gebiet Kontrolle auszuüben. Diese Kontrolle und das Habilitationskolloquium sorgten für eine hohe Qualität der Habilitationen, erzeugten aber einen Rückstau an nichthabilitierten Assistenten, die ja damals spätestens nach 14 Jahren die Hochschule zu verlassen hatten. Licht ohne Schatten gibt es nicht. Daher sei nicht verschwiegen, dass die Assistenten damals ziemlich abhängig von ihrem Ordinarius waren. Vernünftige Professoren übten so wenig Zwang wie nötig aus, denn wissenschaftliche Forschung verträgt keine Einengung, weder im Fachlichen, noch im Zeitlichen, noch im Persönlichen. Aber es hat auch Professoren gegeben, die diese Abhängigkeit der Assistenten ausgenützt haben. Das diente dann teilweise der Rechtfertigung, als das Pendel durch das UOG 1975 in die andere Richtung ausgeschlagen ist.

Eisernes und Ehernes Zeitalter 1975-2002

Am 11. April 1975 hat der Nationalrat das UOG 1975, mit knapper Mehrheit – 93 Stimmen der SPÖ gegen 80 der ÖVP und 10 der FPÖ – beschlossen und damit den Übergang von der vielgeschmähten Ordinarienuniversität zur niveausenkenden Gruppenuniversität eingeleitet. Das eiserne Zeitalter an den Universitäten hatte begonnen.

In Ovids Metamorphosen heißt es dazu:

»Hart ist das letzte von Eisen
Jählings brechen herein in die Zeit von schlechter Ader
Alle die Greul; es entflohen die Scham und die Treu’ und die Wahrheit.
An deren Stell’ einzogen Betrug und tückische Falschheit,
Hinterlist und Gewalt und verruchte Begier des Besitzes.«

Mit dem UOG 1975 gab es kein Professorenkollegium mehr, sondern nur einzelne Fakultätskollegien, die aber über die wesentlichen Aufgaben der Universität nicht mehr bestimmen konnten. Denn die Berufungs-, Habilitations- und Studienkommissionen waren nun bevollmächtigt, unterlagen also nur mehr formaler, aber keiner inhaltlichen Kontrolle. Noch schlimmer: Die Fakultätskollegien und die Kommissionen waren nun drittelparitätisch zusammengesetzt. So stellten in den Berufungs- und Habilitationskommissionen die Professoren nur die Hälfte der Mitglieder, je ein Viertel stellten der Mittelbau, das waren im wesentlichen die Assistenten, und die Studenten. Das führte zu der grotesken Situation, dass nichthabilitierte Assistenten und Studenten zwar noch immer nicht berechtigt waren, Diplomarbeiten oder Dissertationen zu beurteilen, jedoch Habilitationsschriften schon. Bald stellte sich – zumindest an der TU Wien – heraus, dass Mittelbau und Studenten in den Kommissionen fast immer einen Abstimmungsblock bildeten, also übereinstimmend abstimmten. In kritischen Fällen konnten sie daher jede Entscheidung blockieren. Da die Professoren selten als Abstimmungsblock auftraten, führte das dazu, dass in kritischen Fällen de facto Mittelbau und Studenten entschieden.

Das galt auch für die drittelparitätisch zusammengesetzte Personalkommission, die über Aufnahmen und Weiterbestellungen entschied. Da dieser noch ein Vertreter des nichtwissenschaftlichen Personals angehörte, waren die Professoren in der Minderheit. Die Professoren, die ja letztendlich die Verantwortung für die Forschung und ihre Lehre trugen, konnten sich ihre Assistenten nicht mehr selbst aussuchen. In allen diesen Punkten hat es kaum Unterschiede zwischen dem UOG 1975 und dem UOG 1993 gegeben, so dass ich das eiserne und das eherne Zeitalter der Universitäten gemeinsam behandeln kann.

Meine ersten Erfahrungen mit dem neuen Gesetz machte ich in einer Habilitationskommission. Einem Kollegen, der vor kurzem aus der Bundesrepublik Deutschland berufen worden war, äußerte ich meine Zweifel an der Qualität der Habilitationsschrift des Habilitationswerbers. Jener hatte Erfahrungen mit der Drittelparität und klärte mich auf, dass ich ruhig gegen die Akzeptanz der Habilitationsschrift stimmen könne; es werde nichts nützen. Ich überdachte die Situation, musste ihm Recht geben, und verzichtete darauf, an den weiteren Sitzungen der Habilitationskommission teilzunehmen.

In einer anderen Habilitationskommission beschlossen ein Kollege und ich, aus der Kommission auszutreten, da die Qualität der Habilitationsschrift unserem Standard nicht genügte, eine Akzeptanz dieser jedoch sicher war. Wir konnten die Professorenkurie unserer Fakultät überzeugen, keine Ersatzleute für uns nachzunominieren, was bedeutete, dass die Habilitationskommission nicht gesetzeskonform zusammengesetzt war. Jedoch kam bald ein Bescheid aus dem Ministerium, dass das nichts ausmache und die Kommission weiterarbeiten könne. Im Rückblick betrachtet machten wir einen Fehler. Es hätte nur mein Kollege austreten sollen. Dann hätte ich als Kommissionsmitglied die Klagslegitimation gehabt, diesen Bescheid beim Verwaltungsgerichtshof anzufechten.

Diese und andere Erfahrungen zeigten mir, dass es einem einzelnen nicht möglich war, mit diesem UOG in kritischen Situationen positive Entscheidungen herbeizuführen. Das führte nach einiger Zeit bei mir und vielen meiner Kollegen zu einer Art innerer Emigration mit dem Ziel, möglichst keiner der unzähligen Kommissionen anzugehören.

Mitte der 1980er Jahre setzten die Studentenvertreter in der Studienkommission Informatik für einige Jahre den Beschluss durch, meine Vorlesungen im Vorlesungsverzeichnis nicht mehr als Pflichtvorlesungen aufzulisten. Nach anfänglichem Ärger erkannte ich die Vorteile dieses Beschlusses: Ich musste nur mehr Pflichtvorlesungen für Mathematikstudenten halten. Das waren aus zwei Gründen angenehmere Vorlesungen. Erstens war das Niveau der Mathematikstudenten höher als das der Informatikstudenten, zweitens waren statt 400 nur mehr etwa 50 Hörer in der Vorlesung. Als weiterer Vorteil ergab sich, dass ich nun noch mehr Zeit für die wissenschaftliche Forschung hatte.

Ich will nun einen Fall schildern, der den Unterschied des eisernen zum goldenen Zeitalter in aller Deutlichkeit aufzeigt. Es war wieder eine Professur zu besetzen. Diese wurde, das war nun Vorschrift, ausgeschrieben, worauf sich unter anderen zwei Wissenschafter von Weltgeltung bewarben. Alle anderen Bewerber waren diesen zwei Bewerbern in wissenschaftlicher Hinsicht weit unterlegen. Die Berufungskommission lud diese zwei und weitere, vor allem weibliche Kandidaten, zu Berufungsvorträgen ein, und erstellte dann einen Dreiervorschlag: Auf dem ersten Platz – ein weiblicher Kandidat; auf dem zweiten Platz – ein weiblicher Kandidat; auf dem dritten Platz – Sie ahnen es bereits – ein weiblicher Kandidat. Nach Protesten von Kollegen in der Berufungskommission wurde noch eine kosmetische Verbesserung vorgenommen, jedoch wurde das gewünschte politisch korrekte Ergebnis erzielt – die Erstgereihte erhielt die Professur. Denn eine inhaltliche Kontrolle der Vorgänge in der Berufungskommission war nicht möglich. Wie hätten Weltklasseuniversitäten – solche wurden und werden ja von Politikern zu Recht angestrebt – auf die Situation reagiert, dass sich auf eine Ausschreibung zwei Wissenschafter von Weltgeltung bewerben? Sie hätten eine zweite Professorenstelle geschaffen und beide Bewerber berufen. So wurde durch eine unsachliche Entscheidung einer Berufungskommission, für die dann niemand verantwortlich sein will, die Chance für unsere Universität vergeben, auf einem Wissenschaftsgebiet weltweit die Führung zu übernehmen. Wer den Mantelsaum der Gelegenheit nicht ergreift bleibt eben im Mittelmaß stecken.

Übrigens: Einer der Kollegen, die sich bei uns beworben haben, ist nun Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH), einer Hochschule, die in allen publizierten Rangordnungen weit vor unserer TU Wien liegt, und die sich, dank nicht vorhandener Drittelparität, solche Gelegenheiten nicht entgehen lässt.

Wieso besitzt die Schweiz eine Weltklasseuniversität wie die ETH Zürich, warum nimmt diese in weltweiten Ranglisten regelmäßig etwa Rang 20 ein und gilt als beste kontinentaleuropäische Technische Hochschule, während die TU Wien erst weit jenseits des 100. Platzes aufscheint? Warum nimmt die Schweiz in weltweiten Zitationsranglisten nach den USA den zweiten Platz ein, während Österreich sich mit Plätzen um die 20 bescheiden muss? Die Schweiz konnte die Teilnahme an beiden Weltkriegen vermeiden und ersparte sich damit auch die gesellschaftlichen Umbrüche, wie sie Österreich erfuhr. Bei jedem dieser Umbrüche verlor Österreich einen Teil seiner Intelligenz, durch freiwillige oder erzwungene Emigration oder durch Berufsverbote. So mussten nach dem Anschluss 1938 etwa zehn Prozent des Lehrkörpers der TH Wien aus politischen oder rassischen Gründen ausscheiden. Und 1945 wurden 41 von den 56 ordentlichen Professoren der TH Wien entlassen.

Nun, heute sollten diese Ereignisse nur mehr eine geringe Nachwirkung haben, und es werden wohl andere Gründe maßgebend sein. Offensichtlich geht die Schweiz mit dem Geld ihrer Steuerzahler sorgsamer um. Die Einkommenssteuer in der Schweiz ist beneidenswert nieder, die Kosten der Verwaltung ebenso. Während in Österreich eine Verwaltungsreform immer wieder scheitert, hat die Schweiz, obwohl sie einen ausgeprägteren Föderalismus hat, eine ausgesprochen schlanke Verwaltung. Das ersparte Geld geht zum Teil an die Universitäten. Das Budget der ETH Zürich beträgt ein Vielfaches unseres Budgets.

Ein weiterer Grund ist, dass die Studentenzahlen nicht in dem Maß explodiert sind wie bei uns. So hatte im Studienjahr 2008/2009 im Fach Informatik die ETH Zürich 138 Studienanfänger gegenüber 826 Studienanfängern an der TU Wien. Dafür hat die ETH Zürich 26 Universitätsprofessoren im Fach Informatik gegenüber 17 Universitätsprofessoren an der TU Wien. Der wesentliche Grund aber ist, dass die Schweiz die niveausenkende Mitbestimmung der Assistenten und Studenten nicht mitgemacht hat. Mein Neffe hat Mitte der 1980er Jahre an der ETH Zürich Informatik studiert und daher weiß ich, wie die ETH Zürich damals organisiert war. Sie war wie bei uns vor 1955 nach einem Gesetz aus dem 19. Jahrhundert organisiert, das auf zwei Seiten Platz hatte und das ihr jegliche Freiheit einräumte. Es gab keine Hochschülerschaft als Körperschaft öffentlichen Rechts, sondern nur Studentenvereine, die sich ihre Mitglieder auf freiwilliger Basis suchen mussten. Mitbestimmung der Studenten gab es nur in einigen sozialen Bereichen.

Finanzielle Förderung und intelligente Organisation haben bewirkt, dass die ETH Zürich und die TU Wien sich qualitätsmäßig im eisernen und ehernen Zeitalter auseinander entwickelt haben. War der Qualitätsunterschied beider Hochschulen 1975 nicht allzu groß, so ist er heute ziemlich beträchtlich. Weltklasseuniversitäten zeichnen sich – neben einem exzellenten Professorenkollegium – dadurch aus, dass sie autonom bestimmen können, nach welchen Qualifikationen sie Studenten aufnehmen. Die in den weltweiten Ranglisten führenden Universitäten können sich ausnahmslos in diesem Sinn ihre Studenten auswählen. Kaum ein Politiker bekennt sich zu dem Standpunkt, dass zur Hebung unseres Universitätsniveaus auch das Studentenniveau erhöht werden muss. Nur unter dem Druck ausländischer Studentenzahlen gibt es nun in einigen überlaufenen Studienfächern – so in der Medizin – Aufnahmetests. Und die Auslese der Medizinstudenten zeitigt die ersten Erfolge: 80 Prozent der Grazer Medizinstudenten absolvieren derzeit den ersten Studienabschnitt in der vorgegeben Zeit, vor Einführung der Zulassungsbeschränkungen waren es nur 25 Prozent. In diesen ersten zwei Semestern ist die Ausfallsrate von 40 Prozent auf 5,5 Prozent zurückgegangen. Der Aufnahmetest liefert also eine ausreichende Prognose darüber, welche Studenten das Studium der Medizin in kurzer Zeit bewältigen werden.

Bei den Fachhochschulen gibt es eine feste Anzahl von Studienplätzen. Gibt es mehr Bewerber, dann darf die Fachhochschule die geeignetsten auswählen. Die abgewiesenen Bewerber kommen dann an die Universitäten, wo sie ihren Studienplatz sicher haben.

Probleme mit politischer Korrektheit

Bei uns steht also die Bildungspyramide gewissermaßen Kopf. Während in der Schweiz und in Großbritannien die besten Studenten an Elite-Universitäten studieren, hindert uns die große Anzahl der Studenten an unseren Universitäten, die besten zu fördern und zu fordern. Jeder, der längere Zeit gelehrt hat, weiß, dass das Niveau der Studenten mit den Jahren stetig gesunken ist und die Heterogenität zugenommen hat. Jedoch ist es politisch unkorrekt, dies auszusprechen. Die politische Korrektheit an den Universitäten hat eine Qualität erreicht, die es schwer macht, in gewissen Wissenschaftsbereichen Forschung zu betreiben oder auch nur Aussagen zu tätigen. Erstens können nichtkonforme Aussagen wissenschaftliche Karrieren beschädigen – zweitens werden wissenschaftliche Projekte in diesen Bereichen finanziell kaum gefördert. Klammheimlich ist weltweit und besonders in Österreich eine der wesentlichen Errungenschaften des letzten, liberalen Drittels des 19. Jahrhunderts – nämlich die Forschungs-, Lehr- und Lernfreiheit an den Universitäten – bedroht.

Der Präsident der Harvard University, das ist eine amerikanische Spitzenuniversität, die regelmäßig in allen weltweiten Rangordnungen unter den zehn besten Universitäten aufscheint, hatte sich zum Themenkreis anlagebedingter Unterschiede in der mathematischen Fähigkeit der Geschlechter geäußert. Und zwar in der Richtung, dass das weibliche Geschlecht im Mittel weniger als das männliche zur Mathematik befähigt sei. Diese Äußerung hat natürlich an den Universitäten und in den wissenschaftlichen Gesellschaften der USA zu Empörung geführt. Zwei mathematische Gesellschaften der USA haben Resolutionen gegen diese Äußerung gefasst; diese Resolutionen haben jedoch keinerlei sachliche Kritik enthalten, sondern haben auf Grund der Dogmen der politischen Korrektheit argumentiert. Auch die Österreichische Mathematische Gesellschaft – kurz ÖMG – hat sich veranlasst gesehen, eine Resolution herauszugeben, die einige Zeilen umfasste und deren Inhalt darin bestanden hat, sich den Stellungnahmen der amerikanischen Schwestergesellschaften anzuschließen. Ich habe diese Resolution als einer wissenschaftlichen Gesellschaft unwürdig angeprangert und dazu auf der Generalversammlung der ÖMG ausgeführt:

»Ein methodisch sauberes Vorgehen wäre gewesen, die Äußerungen des Präsidenten der Harvard University als Hypothese zu verstehen, die dann im Sinne Poppers falsifiziert werden kann. Dieser Versuch wird jedoch in keiner der zitierten Stellungnahmen unternommen. Daher hätte der ÖMG-Vorstand diese Falsifizierung versuchen können, und zwar in einer Weise, wie es unter Wissenschaftern üblich ist: Durch Zitierung wissenschaftlicher Untersuchungsergebnisse oder, wenn diese nicht vorliegen, durch Durchführung einer wissenschaftlichen Untersuchung in Form eines interdisziplinären Projekts.«
Sie ahnen schon, dass keinerlei Reaktion erfolgte. Weder wurden wissenschaftliche Publikationen bekanntgegeben, die diese Falsifizierung gestützt hätten, noch wurde ein interdisziplinäres Projekt in Angriff genommen. Die Politische Korrektheit hat sich auch hier wieder als Blase entpuppt, aus der nur warme Luft entweicht wenn man hineinsticht. Der Präsident der Harvard University hat sein Amt ziemlich schnell verloren. Hätte er sich zum Themenkreis anlagebedingter Unterschiede in der Hinsicht geäußert, dass das weibliche Geschlecht bessere linguistische Fähigkeiten als das männliche aufweise, so wäre ihm Beifall der politisch korrekten Szene zuteil geworden und er hätte diese Aussage auch mit Forschungsergebnissen der experimentellen Psychologie, etwa durch Veröffentlichungen des berühmten Psychologen Hans Jürgen Eysenck, untermauern können.

Silbernes Zeitalter seit 2002

Wir kommen nun zum silbernen Zeitalter, das durch das Universitätsgesetz 2002 eingeleitet wurde. Seither sind die Gruppen der Professoren, des Mittelbaus und der Studenten außer im Senat ziemlich entmachtet. Der Rektor und die Vizerektoren üben die operative Macht aus, von der sie einen geeigneten Teil an die Dekane und Institutsvorstände abgeben. Der Universitätsrat, mit außeruniversitären Personen besetzt, ist für die strategische Linie der Universität verantwortlich.

Die Berufungskommissionen sind aus fünf Professoren und jeweils zwei Mittelbau- und Studentenvertretern zusammengesetzt, aber nicht mehr so stark in die Auswahlentscheidung eingebunden: Der Rektor trifft in Übereinkunft mit dem jeweiligen Dekan die Auswahl aus dem vorgelegten Dreiervorschlag. Er kann auch den Dreiervorschlag zurückweisen. Was schon passiert ist. Auch ist der Anteil an Hausberufungen gegenüber dem eisernen und ehernen Zeitalter zurückgegangen. Diese werden nur mehr in durch Qualität begründeten Fällen durchgeführt.

Dies alles führt dazu, dass das neue UG 2002 den Funktionären einer Universität die Möglichkeit bietet, die Zerstörungen der Jahre 1975 bis 2002 wieder gut zu machen, was jedoch mindestens die Zeit einer Generation beanspruchen wird. Leider hat die Politik mit der Novellierung des UG 2002 vom 1. Oktober 2009 wieder einmal störend eingegriffen, denn diese Novellierung weist in die falsche Richtung.

Vorliegender Text wurde im November 2014 auf der Webseite andreas-unterberger.at veröffentlicht und deckt sich in Passagen mit Werner Kuichs Abschiedsvorlesung aus dem Jahr 2009.

Essay, Fazit 109 (Jänner 2015), Foto: Parlamentsdirektion / Bildagentur Zolles KG / Leo Hagen

Kommentare

Eine Antwort zu “Zeitalter universitären Abstiegs. Samt Hoffnungsschimmer”

  1. Was Cooles mit Medien und Design … | FazitOnline. Wirtschaft und mehr. Aus dem Süden.
    25. März 2015 @ 15:30

    […] Werner Kuich, Emeritus der Technischen Universität Wien, hat sich in seinem Essay, abgedruckt im Fazit 109 (Jänner 2015), sehr kritisch über die seiner Ansicht nach negative qualitative Entwicklung der österreichischen […]

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