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Der Hirscheggermacher

| 26. März 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 111, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Als Liftkaiser und Fremdenverkehrsobmann von Hirschegg hat Rudolf Konrad ab den 1960er Jahren Hirschegg aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Heute lässt er mit dem »Hirschegger« einen Lodenjanker nach altem Vorbild Auferstehung feiern und erfindet den Bikerrock, den Winzerrock, den Salonrock und einiges mehr. Er ist Netzwerker, Macher, Geschichtenerzähler, Winner.

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Gemacht hat er wirklich schon viel, der Rudolf Konrad. 1933 als Sohn einer Briefträgerin in Graz geboren, machte er die Elektrikerlehre und schaffte es bis zum Leiter der Zentralwerkstätten der STEWEAG. Gemacht hat er viel Sport auf den weststeirischen Almen und aus Hirschegg ein Schigebiet. Gemacht hat er dortselbst neun Schilifte und obendrein den Schiklubobmann einer Schischule mit zehn Schilehrern unter der Leitung des Grazer Mittelschullehrers Hans Krainz. Gemacht hat er auch den Fachgruppenvorsteher der Fachgruppe Seilbahnen in der vormaligen Handelskammer Steiermark und den Fachverbandsobmannstellvertreter des Fachverbands der Seilbahnen in der Bundeskammer in Wien. Und was macht er dann? Pension? Ja, 1993. Einen letzten Schilift? Ja, im Jahr 2000. Und noch im Jahr davor macht er den Hirschegger.

Der Hirschegger
Allein die Entstehungsgeschichte hat das Zeug zum Mythos. Unter all den traditionellen Walkjankern, Joppen und Schladmingern ist der Hirschegger wie der helle Schneehase unter den tarnfarbenen Feldkaninchen, wie das flinke Winterwiesel unter den gräulichen Mardern. Er ist der Lipizzaner unter den Pferden. Er ist ein Überrock aus Loden, er ist ein echter Weststeirer, dessen Ursprünge tatsächlich in dieser Region wurzeln. Das macht die lokale Bevölkerung stolz auf das eigene Gewand und die Fremden, die »Zuagrasten« und die Prominenten wild auf das Originäre. Außerdem bekommt man den Hirschegger so selten zu Gesicht wie den Hubertushirsch und er ist von ausgesprochen hoher Qualität. Das ist die Klaviatur, die Kommerzialrat Konrad meisterhaft beherrscht. Als Fremdenverkehrsobmann lotste er ab den 1960er Jahren nicht nur unzählige Schulschikurse, Magistratsschikurse oder die Beamten der Landesregierung und den ÖAMTC (Motto von 1970: »Weg vom Schreibtisch«) zum sogenannten »weißen Band« der von ihm gebauten und nach ihm benannten Konrad-Lifte. Er erfand auch die »Große Wanderkonkurrenz« und initiierte die Hirschegger Wandernadel. In den 1970er Jahren wurde der Maskenschilauf im Fasching Tradition, die »Tagespost« und die »Neue Zeit« titelten »Hirschegg steht kopf« und »6 Hirschegger Schilifte von Rudolf Konrad laden ein« ins »Schidorf Hirschegg«. Die Landeswinterspiele der Landjugend fanden hier genauso statt wie Schirennen von Betriebssportvereinen. Die Hirschegger Wintersportwoche und der Para-Schi-Cup (mit Fallschirmen!) des Schiklubs Hirschegg wurden unter Anleitung des Fremdenverkehrsobmanns Konrad organisiert. Unzählige Aktenordner voller Presseberichte dokumentieren die zahlreichen Aktivitäten des rührigen Obmanns. Demnach erschienen damals »in 252 deutschen Zeitungen Artikel und Bilder von Hirschegg« anlässlich des Städtvergleichskampfs Agram – Budapest – Graz im Langlauf, wobei die gesamte österreichische Nationalmannschaft vertreten war. Schon 1968 fanden in Hirschegg die Ausscheidungsrennen im Langlauf für die olympischen Winterspiele in Grenoble statt. Unschwer zu erraten, wer da wohl dahintersteckte. Heute schaut die Situation natürlich anders aus, Schnee gibt es schon lange nicht mehr (genug) und der ehemalige Liftkaiser verkauft gerade die letzten Reste der Lifte.

Gute Geschichte
Doch zurück zum Entstehungsmythos des Hirscheggers: Rudolf Konrad war mit dem Scheer Adam, wie ihn alle nannten, »gut«. Konrad: »Das war ein Knecht bei einem Bauern, der noch ähnlich gelebt hat, wie es seinerzeit üblich war.« Was soviel hieß wie: kein Besitz, aber einen Platz. Und das bis zum Tod. Als es dann knapp vor der Jahrtausendwende soweit war, wurden all seine Sachen – viel war es nicht – auf »einen Haufen geworfen« und verbrannt. Und obendrauf kam der Janker, ein Überrock aus Loden, den er immer getragen hatte. Just in diesem Augenblick kam Rudolf Konrad auf den Hof. »Ich habe die Bäuerin gefragt, ob ich den Rock haben kann und ihn vor dem Feuer gerettet«, so Konrad. Der abgetragene, gestopfte und geflickte Rock war aus hellem Loden gemacht, so wie er früher in Hirschegg hergestellt wurde. Konrad erahnte die kleiderhistorische Bedeutung des Stücks. Tatsächlich stellte sich heraus, dass es sich um ein ortstypisches Kleidungsstück, wahrscheinlich aus der Zeit um 1910 handelte, das wie auch anderes Gewand üblicherweise als »Bezahlung« für das Gesinde, Knechte und Mägde, diente.

Weber und Lodenmacher
Spinnen und Weben gehörte vormals ganz selbstverständlich zum bäuerlichen Leben, schließlich versorgte man sich nicht nur mit Nahrung selbst, auch die »Wäsche« – Leinen für die warme, Wolle für die kalte Jahreszeit – wurde selbst hergestellt und verarbeitet. In Hirschegg erzeugte man aus Wollgeweben auch Loden, wovon heute noch mündliche und schriftliche Überlieferungen, Vulgonamen, Fotos aus den 1930er Jahren, aber auch tatsächlich erhaltene Arbeitsgeräte zeugen. So verweist etwa der auf die Weststeiermark spezialisierte Historiker und Volkskundler Ernst Lasnik in »750 Jahre Hirschegg. Porträt eines ,besonderen’ weststeirischen Ortes« (1996) auf Hausbezeichnungen wie »Weberhans/Weberjakl« oder »Stöckelweber«, aber auch auf eine Lodenwalke, die 1810 in einem »Inventarium über das Vermögen der Pfarrkirche St. Maria zu Hirscheck« schriftlich erwähnt wird. Um Loden zu erzeugen, wird Schafwollgewebe gewalkt, das in der Folge zu einem dichten und festen Stoff verfilzt und um rund 40 Prozent kleiner wird. Nun war bei der Rettung des Rocks vom Scheer Adam aber auch klar, dass in Hirschegg niemand mehr in der Lage war und ist, Loden zu erzeugen, zumal sich so manches Geheimnis um die richtige Rezeptur rankt. (Urin macht angeblich wasserdicht …)

Lodenerzeugung in Mandling
Zum Glück hat Rudolf Konrad eine direkten Zugang zu Problemlösungen: »Eine Idee wird von mir aufgenommen, dann wird die Idee überprüft und dann bin ich voll überzeugt.« Und dann? »Dann teile ich die, die gescheiter sind, ein.« In diesem Fall den Herbert Steiner. Genauer den erfahrenen Loden-Steiner aus Mandling im Ennstal, hart an der Grenze zu Salzburg. Der vermag einen Loden zu erzeugen, der dem des Rocks vom Scheer Adam sehr nahekommt und im Vergleich etwa zum Schladminger leichter und weicher ist. So wurde der alte Rock zum Muster und Vorbild für den Schnitt und das Material des vor mittlerweile mehr als 15 Jahren wiederauferstandenen »Hirscheggers«, der in verschiedenen Werkstätten zwischen Wildon und Kroatien geschneidert wird. Er ist ein Macher.

Dabei war der Lodenerzeugung in Hirschegg zwischen den beiden Weltkriegen ein gewaltiger Aufschwung beschert. Die Wolle der damals in der Region noch reichlich vorhandenen Schafe konnte im eigenen Dorf an die Weber und Lodenwalker verkauft werden, die wiederum vor allem die Kaufmannsfamilie Stölzle in Köflach belieferten. Adolf Stölzle, der vom legendären Politiker Hanns Koren als »Kaufherr« geadelt wurde, machte durch österreichweite Werbung, durch Ausstellungen und Messen den Hirschegger Loden weithin bekannt und gesellschaftsfähig. Der berühmteste Besitzer eines »Hirscheggers« war der englische König Edward VIII. (der, der wegen seiner Heirat mit der geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson 1936 auf den Thron verzichten musste). Er erwarb anlässlich eines Salzburgbesuchs das gute Stück, von dem Rudolf Konrad weiß, dass es später bei Sothebys in London versteigert wurde, die österreichische Republik aber nicht genug bieten konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging die Schafzucht rapide zurück, damit entfiel das Rohmaterial vor Ort, andere Lodenerzeuger profitierten und um 1965 schließlich wurde die Produktion eingestellt. Der letzte Schneider, der noch Hirschegger Anzüge anfertigte, war der 1976 verstorbene Johann Schrotter beziehungsweise seine Tochter Helene. Er soll den letzten »Hirschegger« für den damaligen Landeshauptmann Josef Krainer (senior) gemacht haben.

Da Konrad weiß, wie Öffentlichkeitsarbeit funktioniert, heißen die »Hirschegger«-Träger heute Franz Beckenbauer und Arnold Schwarzenegger (Modell »Bikerrock«), Heinz Fischer und Wolfgang Schüssel, Harry Prünster und Sepp Forcher, Siegfried Nagl, Renate Götschl, Roberto Blanko oder Roy. Wie man an Roy rankommt? (Die zweite Hälfte von Siegfried & Roy, der von einem weißen Tiger schwer verletzt und in Graz operiert wurde.) »Ganz einfach – man ruft den Alfred Gerstl an. Sein Sohn Karl hat Roy operiert.« Er ist ein Netzwerker.

Mittlerweile gibt es verschiedene Modelle aus 300 oder 800 Gramm pro Laufmeter schwerem Loden, aber man muss sich schon ziemlich kümmern, um herauszufinden, wo die Stücke gekauft werden können. Auch diesbezüglich ist Rudolf Konrad äußerst geschickt. Er hält das Angebot gering und macht die Ware rar. Insgesamt sind in den 15 Jahren gerade einmal 3.000 Stück an den Mann und an die Frau gegangen. Übrigens auch an den Hund, denn um Kleinserien und Accessoires ist der 82jährige nicht verlegen – er sprüht vor Ideen. Besonders beliebt ist das exklusive Lodengewand aber erstens als klassischer schwerer Überrock und zweitens als – Geschenk. Zu einem durchaus exklusiven Preis (649 Euro). Dass die Qualität wirklich stimmt, zeigte im Vorjahr ein Test von ORF und der Universität Innsbruck am Tiroler Glungezer, von dem Konrad gar nichts wusste. Bei bis zu minus 40 Grad und Böen von 200 Stundenkilometern wurden Jacken aus verschiedenen Materialien, vom modernen Softshellanorak über Daunenjacken bis zum »Hirschegger« aus Loden, Extrembedingungen ausgesetzt. Sensoren in den Jacken erfassten dabei Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Was glauben Sie wer gewonnen hat? Er ist ein Winner.

Hirschegger Loden
Familie Rudolf Konrad
8584 Hirschegg-Pack, Wessweg 312b
Telefon: 03141 2259 od. 0699 11822622
hirschegger-loden.at

Fazitportrait, Fazit 111 (April 2015) – Foto: Marija Kanizaj

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