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Unpolitisch

| 26. März 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 111, Fazitgespräch

Foto: Marija Kanizaj

Waltraud Klasnic über ihre neuen Rollen im Schatten der Politik und warum sie dennoch 30 Mal im Jahr nach Brüssel fliegt.

Das Gespräch führten Johannes Tandl und Peter K. Wagner.
Foto von Marija Kanizaj.

::: Hier können Sie das Interview im Printlayout lesen: LINK

Dort, wo früher einmal das alte Grazer Unfallkrankenhaus war, ist heute ein Seniorenheim. Und direkt gegenüber befindet sich im dritten Stock eines unscheinbaren Mehrparteienhauses Waltraud Klasnics Büro. Sie wird im Herbst 70 Jahre alt, sie ist in Politpension, aber ein Seniorenheim scheint für sie in weiter Ferne.

Der erste weibliche Landeshauptmann Österreichs ist aktiv wie eh und je. Ihr Büro ist der Firmensitz des Unternehmens »Dreischritt«, deren geschäftsführende Gesellschafterin sie ist. Der zweite Gesellschafter heißt Herwig Hösele und ist ebenfalls langjähriger ÖVP-Politiker und noch länger schon ein Wegbegleiter. Was Dreischritt macht? »PR- und Kommunikationsberatung«, steht unter anderem auf der Website.
»Sie macht nicht viel, die Zeit fehlt«, sagt Klasnic selbst.

Logisch, bei all den Positionen, die sie beim Dachverband Hospiz, als Opferschutzanwältin bei Missbrauchsfällen im katholischen Bereich, in der Europäischen Union oder als Vorsitzende des Unirates der Montanuniversität Leoben bekleidet. Klasnic nimmt im Besprechungsraum Platz, der mit seiner Sitzgarnitur an ein gemütliches Wohnzimmer erinnert. Und empfängt uns damit zu einem ihrer seltenen Interviews. Über das sie am Ende sagen wird: »Interviews sind nicht mehr mein Fall. Diese Zeiten sind vorbei.«

Frau Klasnic, Sie haben uns im Vorfeld gesagt, Sie wollen nicht über Politik reden. Warum?
Weil ich mir das an dem Tag, an dem ich aus der Burg rausgegangen bin, vorgenommen habe. Ich habe die letzten zehn Jahre sicher keine politische Aussage gemacht. Vielleicht im kleinen Kreis, aber nicht nach außen.

Was Sie soeben als Präsidentin des Dachverbandes Hospiz Österreich getan haben, ist zumindest ein bisschen politisch. Sie haben dem Nationalrat 51 Punkte der Enquetekommission „Würde am Ende des Lebens“ übergeben.
Ja, aber meine Hauptansprechpartner in der Bewegung sind das Sozial- und Gesundheitsministerium. Von den 51 Punkten, die wir vorgeschlagen haben, sind übrigens alle 51 angenommen worden.

Das Thema ist gerade sehr aktuell, weil die Bioethikkommission sich im Februar für eine Lockerung des Sterbehilfegesetzes ausgesprochen hat.
Quasi zur selben Zeit, ja. Aber der Ausschuss des Parlaments hat eine andere Entscheidung getroffen.

Es gibt große Schnittmengen zwischen dem assistierten Selbstmord und einer palliativmedizinischen Versorgung. So gut wie jeder Arzt hat schon Schritt in diese Richtung gesetzt. Ist das nicht alles eine Frage der Ethik?
Das muss jeder Arzt für sich verantworten. Und die Ärztekammer hat sich klar gegen die Sterbehilfe ausgesprochen. Zum Schutze der Ethikkommission sei gesagt, dass sie von Einzelfällen gesprochen hat. Aber die Entscheidung fällt in der Politik. Und auf die möchte ich mich verlassen können als österreichischer Staatsbürger und Vorsitzende des Dachverbandes Hospiz. Daher bin ich froh, dass es ist nicht erlaubt ist. Für mich ist Sterbehilfe überhaupt das Unwort der Zeit. Das ist keine Hilfe.

Hilfe ist schon eher, wenn Sie als Opferschutzanwältin der Initiative gegen Missbrauch und Gewalt auftreten. Ist dieses Projekt abgeschlossen?
Nein, und es ist weiterhin zeitintensiv. Man muss zwei Ebenen sehen: Vor fünf Jahren habe ich eine Kommission zusammengestellt und begonnen. Aber wir haben seit zwei Jahren keine Erstgespräche mehr. Die ersten Jahre gab es an die 1.000 davon.

Könnte es wieder Erstgespräche geben?
Nein, die gehen jetzt direkt an die Ombudsstellen, die in ganz Österreich neu Konstitutionen wurden. Und eine diözesane Kommission gibt es in jedem Bundesland. In dem Moment, in dem sich ein Betroffener meldet und finanzielle Hilfe möchte, kommt dieses Paket zu uns und wir setzen uns für die Aufarbeitung ein.

Aber nur bei kirchlichen Fällen.
Ja, nur bei katholischen Fällen. Aber da muss man dazu sagen, dass die Initiierung dieses Projekts ein guter Schritt vom Herrn Kardinal war, weil nach uns auf einmal in allen Bundesländern staatliche Kommissionen entstanden. Alleine in Wien kamen in einem Haus mehr Fälle auf als in allen kirchlichen Wohnheimen gemeinsam.

In der Öffentlichkeit hat man immer den Eindruck, dass der Großteil der Missbrauchsfälle im kirchlichen Bereich stattfinden.
Es sind tatsächlich nur ein bis zwei Prozent. Nur muss man dazu sagen, dass die Kirche wesentlich kleiner ist, und noch mehr erwartet man, dass es hier nicht passiert. Da gibt es keine Entschuldigung.

Sie haben sicher viele schlimme Geschichten gehört. Was ist Ihr Eindruck: Ist das ein Automatismus, dass dort, wo Erwachsene und Kinder zusammenkommen, es zwangsläufig zu Übergriffen kommen kann?
Ich glaube, man muss zwischen Gewalt und Missbrauch unterscheiden. Beides war angesprochen. Es gab ein breites Paket, wo es zu Gewalt kam. Bis in die 1970er-Jahre war diese zwar verboten, aber nicht so, dass sie nicht möglich war. Das ist heute anders. Und Missbrauch wurde den Kindern leider viel zu oft nicht geglaubt.

Oder es war jedem egal.
Das hoffe ich nicht. Aber zumindest hat man es nicht bedacht, dass es stimmen kann. Ich weiß auch erst jetzt, dass in der Zeit, in der ich in diesem Land Verantwortung hatte, Kinder nach Oberösterreich überstellt wurden via Fürsorge. Und ich weiß nicht, wie oft man dort einen Besuch abgestattet hat, um zu schauen, wie es den Kindern geht.

Ist Ihnen etwas zu Ohren gekommen?
Ich habe damals ganz sicher nie etwas gehört. Aber ich habe heute steirische Fälle von damals dabei, wovon die meisten in den 70ern passiert sind. Aber ich will mich hier nicht abputzen. Man hat nicht gedacht, dass in diesen geschlossenen Einheiten so etwas passiert. Die Einzelbeschuldigten sind eher selten, es geht eher in den Gruppenbereich. Dort, wo es hilflose Kinder gab, die sich nicht wehren konnten.

Aber Missbrauch ist meist ein Einzelverbrechen und Gewalt war institutionalisiert.
Die Kombination war es oft. Es gab ja Kinder, die das traurige Schicksal hatten, dass sie im Laufe der Zeit in drei oder vier Heime gekommen sind. Aber es gab ebenso Fälle mit einzelnen Pfarrern, die beim Firmunterricht oder bei den Ministranten Unrechtes getan haben. Und es gab Schwestern, die Kinder missbraucht haben. Es steht in keinem Verhältnis zu den Fällen mit Männern, aber auch Frauen haben Dinge gemacht, die nicht zu akzeptieren sind und die Menschen nachhaltig beschädigt haben.

Die Opfer bekommen heute eine Entschädigung. Ist es damit getan?
Man kann es nicht entschädigen. Sie haben finanzielle Hilfe bekommen, das ist das bessere Wort. Und natürlich eine Therapie. Darauf liegt der Schwerpunkt.

Wie viele Fälle waren das österreichweit?
1.780 Fälle etwa wurden gemeldet, über 1.500 sind inzwischen mehr oder weniger abgeschlossen. Es ist allerdings schwer zu definieren, was richtig abgeschlossen heißt, weil es immer eine Nachbetreuung gibt.

Wie versucht man, solche Fälle in Zukunft zu verhindern?
Die Prävention ist ein Hauptaugenmerk. Aber erstens haben sich die Gesetze geändert und zweitens gibt es heute keinen Fall, der nicht sofort angezeigt wird. Ob das im gesellschaftlichen Bereich ist oder im Bereich Sport und Schule oder Kirche: Man glaubt dem Kind heute mehr.

Haben Sie sich mit den Tätern auseinandergesetzt?
Das war nicht meine Aufgabe. Ich habe vier Beschuldigte kennengelernt, die unbedingt ein Gespräch wollten. Das Gespräch hat es gegeben, aber das hat weder meine noch eine andere Meinung verändert. Außerdem habe ich keine Stimme in der Kommission. Ich bin Opferschutzanwältin, leite diese Stelle, und dann gibt es die Kommission, die beschließt. Und alle arbeiten ehrenamtlich, das muss dazu gesagt werden.

Zu einem anderen Thema Ihrer vielfältigen Tätigkeitsbereiche: Sie haben eine weitere interessante Funktion – Sie haben den Vorsitz im ÖVP-Ethikrat. Hat der jemals getagt?
Ja, natürlich. Ich bin dort seit drei Jahren und sehe es als Aufgabe, der Volkspartei etwas zurückzugeben. Eine Partei braucht einen Ethikrat und ich würde es anderen Parteien empfehlen, ebenfalls einen zu installieren. Für die Stimmung und die Nominierung ist so eine Stelle wichtig. Die Sitzungen finden statt und ich betrachte das nicht als politische Funktion – wir sind nur ein beratendes Gremium. Maria Schaumayer kam damals auf mich zu und sagte: »Du machst das.« Ich habe nicht gewagt, es abzulehnen. Wir waren übrigens seit eineinhalb Jahren nicht aktiv, dennoch wären wir gerne im Statut der Partei und ich gehe davon aus, dass dies bald der Fall sein wird.

Im letzten Jahrzehnt hat sich gesellschaftlich durch die Migration sehr viel verändert. Viele sprechen von einem Werteverlust, der durch den großen Austausch in der Gesellschaft einhergeht. Zuwanderer werden gezwungen, Werte ihrer ursprünglichen Heimat abzulegen, weil wir damit nichts anfangen können. Gleichzeitig tun sich viele dieser Menschen mit den Werten, die wir leben, schwer. Wie soll die Gesellschaft damit umgehen?
Was ich jetzt zitiere ist nicht von mir, aber es ist g’scheit und daher beziehe ich mich jetzt darauf: Es hat einmal ein Vortragender über Unterschiede zwischen Wert und Würde gesprochen und gesagt: »Wenn wir mit und über einen Menschen reden, oder wenn wir glauben, uns über ihn eine Meinung zu bilden, ist es zwar der Wert – aber bei Wert kann man immer das Wort Preis einsetzen. Man muss schauen, wie man ihn in seiner Würde behandelt.« Und das ist genau das, worauf Sie sich in der Frage beziehen. Hab ich nur akzeptiert, dass er da ist und bin ich tolerant? Oder gebe ich ihm eine Chance? Ich würde mir wünschen, dass er sich zumindest angenommen fühlt. Ich glaube, dass die neue die Integrationskommission im steirischen Landtag eine gute Begleitung sein kann. Es muss eine Evolution passieren. Es müssen sich auch die, die kommen, wohl fühlen.

Landeshauptmann Franz Voves spricht gerne von Integrationsunwilligkeit. Soll man mit so einem Thema Politik machen?
Ich kann es nicht, aber ich bin keine Politikerin.

Sie sind seit 2006 und noch bis Herbst dieses Jahres Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses. Das klingt nun aber wirklich sehr politisch. Was können Sie dort beitragen für ein starkes Europa?
Es handelt sich um ein beratendes Gremium in Brüssel. Ich fliege deshalb durchschnittlich etwa 30 Mal im Jahr nach Brüssel. Das ist kein Mandat, da wird man vom Hauptverband des Nationalrats delegiert. Ich bin eine von vier Arbeitgebervertreterinnen.

Geht es dort darum, gewisse Lobbyinginteressen durchzusetzen?
Nein, wir sind ein Vorgremium. Das heißt, wenn der Rat oder die Kommission ein Thema hat, bekommen wir eine Verständigung oder wir können selber aktiv werden. Wir beraten uns dann, geben eine sogenannte Stellungnahme ab und vertreten damit die Interessen der Zivilgesellschaft. Es ist eine Verlängerung der Sozialpartnerschaft nach Brüssel – zusammen mit NGOs.

Werden viele der Vorschläge umgesetzt?
Zu 75 Prozent werden sie angenommen – als Grundlage zur Entscheidung. Natürlich werden die Vorschläge ergänzt, aber man hat das Gefühl, zu wissen, was das Volk will.
Das wollten Sie auch in Ihrer Zeit als höchste Politikerin der Steiermark. Sie waren die erste Landeshauptfrau. Und wollten immer als Landeshauptmann angesprochen werden. Warum?
Weil es in der Verfassung nicht anders möglich war. Außerdem kandidiert man zum Landeshauptmann. Erst später durch Gabi Burgstaller wurde die Verfassung geändert. Ich habe darauf nie Wert gelegt, weil man mir angesehen hat, dass ich eine Frau bin.

Das ist insofern interessant, als dass sie am Anfang Ihrer politischen Karriere in der Österreichischen Frauenbewegung waren.
Das stimmt. Übrigens am 8. März 1970, das ist ziemlich genau 45 Jahre her. Damals habe ich die Ortsgruppe der Frauenbewegung der Gemeinde Weinitzen bei Graz gegründet. Das war mein Einstieg. Man war sich in der Partei nicht einig und dann hat einer zu mir gesagt, dass es gut wäre, wenn Frauen dabei wären. Am 25. März war Gemeinderatswahl und bin auf Platz sieben oder acht reingerutscht in den Gemeinderat.

Was denken Sie über die Frauenthemen von heute – Stichwort Genderdiskussion mit Binnen-I oder Frauenquoten?
Die Frauen haben sich sehr bemüht, das Binnen-I als Erfolg zu erreichen. Viele haben es gewollt und daher gibt es das heute. Meine Themen in der Frauenbewegung waren immer andere. Ich glaube schon, dass es viele Situationen gibt, wo es Frauen gut tut, dass sie als Frauen anerkannt werden. In Deutschland ist ja gerade ein Quotengesetz beschlossen worden bei den Aufsichtsräten. Von Quoten habe ich nie gesprochen, weil jeder einen anderen Zugang zu einem Thema hat. Ich habe dort, wo es möglich war, geschaut, dass ich etwas verändere. In meinen 18 Jahren Regierungsarbeit habe ich 14 Jahre lang eine weibliche Büroleiterin gehabt. Ich habe immer versucht, Frauen eine Chance zu geben. Und das ist die beste Form.

Was sehen Sie als Ihr politisches Vermächtnis?
Ich weiß nicht, ob man das selber sagen kann. Aber am dankbarsten bin ich für das Gesetz der anonymen Geburt, denn es leben mittlerweile 500 oder 600 anonym geborene Menschen in Österreich, die sonst vielleicht nicht hier wären. Ich kenne kein einziges, aber ich freue mich über diese Kinder. Und nachdem ich mich sehr um das sogenannte Geborenwerden, das Zurechtkommen und Lebendürfen eingesetzt habe, ist eben jetzt der zweite Teil des Lebens das Lebensende. Der Bogen stimmt. Denn dazwischen waren immer Menschen.

Eine sehr typische Antwort für Sie.
Ja, aber das ist mein Leben.

Wir hätten eher den Autocluster als Ihr Vermächtnis gesehen, der für die Steiermark als Wirtschaftsstandort von immenser Bedeutung ist.
Da teile ich die Meriten mit vielen. Es ist nicht vorbei. Aber alleine durch das, was ich tun konnte, und das, was ich jetzt mache, sage ich: Es war gut, dass ich leben durfte.

Tut es weh, dass Sie nicht mehr in der Politik leben dürfen?
Weh ist nicht das richtige Wort. Man freut sich und leidet mit. Jeden Tag.

Frau Klasnic, vielen Dank für das Gespräch!


Simon Klasnic, Waltraud Klasnics Mann, verstarb wenige Tage nach diesem Gespräch. Wir dürfen an dieser Stelle unser herzliches Beileid zum Ausdruck bringen.

 

Waltraud Klasnic wurde am 27. Oktober 1945 in Graz geboren. Ihre politische Karriere begann 1970 mit dem Eintritt in die Österreichische Frauenbewegung und führte sie über den Wirtschaftsbund sowie den Bundesrat in den steirischen Landtag. Nach dem Rücktritt von Josef Krainer junior wurde sie 1996 Landeshauptmann. Eine Position, die sie bis zur Wahlniederlage gegen Franz Voves im Jahr 2005 innehatte. Klasnic ist verwitwet und hat drei Kinder sowie fünf Enkelkinder.

Fazitgespräch, Fazit 111 (April 2015), Foto: Marija Kanizaj

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