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Von Vögeln und anderen Tieren

| 29. Juli 2015 | 1 Kommentar
Kategorie: Fazit 115, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Wer glaubt, dass die Tobelbader Vogelfarm eine Farm für Vögel ist, hat nicht ganz unrecht. Aber die wahre Dimension nicht erkannt. Auf mehr als 3.000 Quadratmetern breitet sich seit 44 Jahren das wohl größte Zoofachgeschäft Österreichs aus. Die Gründerfamilie Höller stellt mittlerweile acht Personen im Betrieb. Die genaue Anzahl der Tiere ist unbekannt.

::: Hier können Sie den Text online im Printlayout lesen: LINK

Martin Höller ist vorgewarnt. Der jüngste der Höller-Brüder weiß, dass diese Geschichte etwas schräg daherkommen könnte. Tief sitzende Emotionen aus der Kindheit lassen mir hier die im Journalismus in Mode gekommene Ichform schon aus psychotherapeutischen Gründen mehr als angebracht erscheinen. Auch wenn die Herausgeber schön schauen werden. Aber vielleicht schreibt ein Leser einmal einen Kommentar, schließlich gibt es Fazit auch online. Was soll man machen, wenn man als Kind ein Pinselohräffchen sein wollte? Nicht haben. Sein. Da bekommt man eine Ahnung, wie sich aus der Reportage das Feature entwickelt haben könnte. Sie lesen also ein Feature. Aber das ist eine andere Geschichte. Dieser letzte, allzu oft verwendete Satz steht hier auch, um darauf hinzuweisen, dass er wahrscheinlich bei Flann O’Brien gestohlen wurde (»Irischer Lebenslauf«). Jener wiederum wird hier erwähnt, um seines kürzlich verstorbenen kongenialen Übersetzers und Vorlesekünstlers Harry Rowohlt zu gedenken (Jeder Satz ein Aphorismus. Jedes Wort: keines zu viel. © Kurier), der wiederum als Meister der Sprache und Paganini der Abschweifung abgöttlich (© Fazit; das Wort könnte ihm gefallen haben) wurde. Apropos Abschweifung, wo waren wir? In Tobelbad, 14 Kilometer westlich von Graz. Die Kunst der Abschweifung umfasst natürlich auch den Weg zurück zum roten Faden. So wie jene des Features im Erklären, Schildern und Schlussfolgern liegt.

Nicht nur Vögel
In der Senke von Tobelbad, etwas versteckt im Wald, steht ein gigantisch großes Haus. Als ich 1973 ein Fahrrad mit zehn Gängen bekam (Puch-Bergmeister, orange-métallisé, 2.000 Schilling direkt vom Werk) konnte ich das lahme, schwere Campingrad endlich einmotten und meinen Freund Werner in Haselsdorfberg bei Tobelbad besuchen. Werner hatte auch ein Bergmeister, aber nur in Gelb-Métallisé. Und er kannte dieses große Haus, führte mich aber nie hin. Als ich einige Jahre später um 7.500 Schilling ein Moped erstand (Gilera, aber nicht die gelbe, sondern in Silber-Métallisé) führte ich ihn dafür nie hin. (Aber dafür ins »Schiwago« und zum »Hörzer«.) So lernte ich sie nie kennen: die riesige Vogelfarm der Familie Höller. Bis vor wenigen Jahren war ich sogar noch überzeugt, dass es dort nur Vögel geben kann. Mitnichten, die Vogelfarm ist die wahrscheinlich größte Zoofachhandlung Österreichs! Diese Formulierung ist rechtlich abgesichert, denken Sie nur an Duplo, die wahrscheinlich längste Praline der Welt. Aberhunderte Vögel, vom kleinen Zebrafinken bis zum Ara, machen dem Namen »Vogelfarm« alle Ehre. 10.000 Fische (geschätzt) sowie Reptilien und Säugetiere strafen ihn indes Lügen. 8.000 bis 9.000 verschiedene Artikel, von der Spielzeugmaus über Futtermittel bis zum Bewegungsmelder für den Wasserstand im Aquarium, schaffen eine eigene Welt, eine Art Erlebniszoo auf fast 3.500 Quadratmetern Geschäftsfläche.

Familienbetrieb seit 1971
In dieser Welt sind die heutigen Eigentümer groß geworden: die drei Brüder Franz (Jahrgang 1958), Martin (1969) und Karl (1962) Höller sowie deren Schwester Petra (1967). Es war 1971, als ihre Eltern Elsa und Franz Höller von Liebenau hierher zogen, um ihr Hob-by, die Vogelzucht, im wahren Sinn des Wortes auszuweiten. Nach und nach vergrößerten sie durch Zukäufe das Grundstück und sind mittlerweile bei rund 10.000 Quadratmetern angelangt. Allein das Zelt hinter dem Haus umschließt 1.000 Quadratmeter und dient seit 1989 als Platz für den Kleintier-Markt an jedem ersten Samstag im Monat, den zwischen 3.000 und 5.000 Besucher frequentieren. So viel zum Thema Parkplatz. Der mittlerweile von vier Sicherheitsleuten betreut wird. Inklusive der Geschwister, deren Ehegatten und der nächsten Generation in Gestalt von Lisa (1994 geboren) erwirtschaften 26 Mitarbeiter knapp 4 Millionen Euro Jahresumsatz. »Angefangen haben wir vor 44 Jahren mit Goaßen, Hendln, Fasanen und Volieren«, erinnert sich Elsa Höller. Die Mutter der vier Geschwister hilft nach wie vor mit und kennt das Gelände noch als Sumpfgebiet. »Wir sind schon in den Sechzigerjahren hergekommen und haben eine Baracke aus Graz hier wiederaufgebaut. Damals hat der Quadratmeter drei Schilling gekostet. Aber mein Mann Franz musste den Sumpf eigenhändig trockenlegen. Da sind wir noch mit dem Roller und dem Hund im Rucksack hin- und hergefahren.« Lisa und Franz haben sich im Grazer Obsthof kennengelernt, wo sie beide gearbeitet haben. Und Franz war die treibende Kraft: »Mein Mann war bei einem Kleintierzüchterverein und als in Graz eine Zoofachhandlung im Griesviertel zu verkaufen war, wollten wir einsteigen.« Aber das hat nicht geklappt. »Dann habe ich gesagt: Wir bauen hier in Tobelbad was auf. Schließlich sind wir über die Messen bekannt geworden und die Kundschaft ist uns langsam gefolgt.«

Paradieshaft
Heute wohnen die meisten ihrer Kinder und Enkel ebenfalls hier, haben rundherum ihre Häuser gebaut. Irgendetwas Paradieshaftes liegt hier in der Luft. Vielleicht auch nur für uns Außenstehende. »Der Arbeitsplatz mit acht Familienmitgliedern klappt wahrscheinlich auch deshalb so gut, weil jeder seinen eigenen Bereich hat«, meint Walter Höller. »Ich bin für den Bereich Aquaristik zuständig, meine Frau Elke für Kassa und Büro, Tochter Lisa für die Fischabteilung. Franz für Vögel und Technik, seine Frau Brigitte für Buchhaltung und Lohnverrechnung. Petra für Reptilien und Geflügel und ihr Mann Peter für das Lager. Der Karl für Einkauf, Hunde, Katzen und die Kleintierabteilung.« Katzen gibt es genau genommen nicht mehr in der Vogelfarm, das hat sich weitgehend auf die private Ebene verlagert. Seit zehn Jahren gilt in Österreich ein strengeres Tierschutzgesetz, dem auch Genüge getan wird. Es gibt genaue Vorschriften, zum Beispiel über die Größe von Terrarien, abhängig von den darin gehaltenen Tieren, oder Schutzbestimmungen für Hunde. Diese dürfen nicht mehr so wie früher zur Schau gestellt werden und finden in eigenen Räumlichkeiten ihren Platz. Dort sind Kameras montiert, über die sie von den Kunden beobachtet werden können. Die Hunde kommen von ungarischen Züchtern, werden über die Bezirkshauptmannschaft dem Amtstierarzt gemeldet und der ungarische Amtstierarzt meldet jeden Verkauf an die EU. Die Fische kommen vorwiegend aus Deutschland.

Sprechperlen und 80 : 20
Die alten Zeiten sind vorbei, als sogar mit Affen offiziell gehandelt werden durfte. Aber es ist erstaunlich, was man alles kaufen kann. Auch Tiere haben Preisschilder. So ist die Welt. Naturvölker meinen etwa, dass man Land, also Grund und Boden, nicht kaufen kann. Das ist ziemlich nachvollziehbar. Aber nicht lebbar, in unserer Welt. In unserer Welt werden wie schon vor Jahrzehnten Sprechperlen für Wellensittiche zum Verkauf angeboten. Das habe ich schon als Kind nicht geglaubt. So ist unsere Welt. Ein Rundgang in der Vogelfarm ist wie eine Reise in ein fremdes Land. Exotisch und faszinierend, gewöhnungsbedürftig und vertraut zugleich. Beim Jahresumsatz ist das Verhältnis von Zubehör (vom Futter bis zum Aquariumwellengenerator) zu Tieren zumindest 80 zu 20, eher 90 zu 10. Ein kleiner Auszug – in den Käfigen: Meerschweinchen, Hasen, Legehuhnküken (fünf Euro), Degu (Nagetier aus Chile); bei den Vögeln: gelber Ziegensittich, Feuerflügelsittich, Erdbeerköpfchen, Mohrenkopfpapagei, Zwergwachtel, Reisfink, auch »Urlauber« (zurzeit sind zwei grüne Papageien zur Pflege hier), Wellensittich (25 Euro). Alles Schwarmvögel, daher werden sie grundsätzlich nur paarweise verkauft. In den Terrarien: Pfeilgiftfrösche, Geckos, Chamäleons; interessanterweise kostet eine Landschildkröte, die seinerzeit um rund 20 Schilling (1,50 Euro) wohlfeil war, heutzutage 99 Euro, fast das Siebzigfache. Grund: Weil sie gezüchtet und nicht mehr einfach wild eingefangen wird. Auch das ist unsere Welt.

Süß- und Meerwasserfische
Besonders beliebt ist die Aquaristikabteilung: Egal, ob Süß- oder Meerwasseraquarien beziehungsweise -fische, hier kann man richtig zulangen. Vom Aquariumeinsteigerset mit 54 Liter um 40 Euro bis zur Spezialanfertigung für die Witwe von Milliardär Flick: ein Rundaquarium mit zwei Meter Durchmesser und 4.000 Liter Fassungsvermögen um 12.000 Euro, auschließlich von Barschen aus dem afrikanischen Malawisee bewohnt (schön, bunt und anspruchslos). Im Trend liegt zurzeit das »Aquascaping«, wie Martin Höller erklärt: »Dabei werden reale Landschaften, etwa von Fotografien, im Aquarium nachgebaut.« Bei so viel Grün muss man sich technisch auskennen, um den Gehalt von Kohlendioxid und Sauerstoff beziehungsweise Luft richtig auszubalancieren. Aber dafür ist man in diesem Fachgeschäft an der richtigen Adresse. »In jede Arztpraxis gehört ein Aquarium«, sagt Höller. Aus eigener Erfahrung bei einem Zahnarzt weiß er um die beruhigende Wirkung dieses Wasserschauspiels. Beliebt ist übrigens auch der Hundesalon (scheren, bürsten, trimmen, baden, föhnen). Die Vogelfarm ist mehr als ein Komplettanbieter, sie ist ein Ausflugsziel. Sogar mit dem Fahrrad, siehe Beginn der Geschichte. Was auf diesen Seiten auch die fantastischen Fotos der besten Fotografin, die ich kenne, belegen. (Auf Fazitonline gibt es sicher mehr!) Einen Teil mussten wir Ihnen, lieber Leser, aber vorenthalten: Ihre Angst vor ihnen ist so groß, dass sie die Schlangen nicht einmal zu fotografieren wagte. Aber dafür, sehr vorsichtig, zwei Tiere, die zum Inventar gehören: Pinselohräffchen!

Tobelbader Vogelfarm
8144 Tobelbad, Vogelfarmweg 7
Telefon: 03136 615430
vogelfarm.at

PS: Die angekündigten weiteren Fotos finden Sie in Kürze auf unserer Facebookseite.

Fazitportrait, Fazit 115, (August 2015) – Foto: Marija Kanizaj

Kommentare

Eine Antwort zu “Von Vögeln und anderen Tieren”

  1. Commentar
    7. Dezember 2015 @ 01:01

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