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Das Café Kaiserfeld

| 23. Oktober 2015 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 117, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Mit dem legendären Club Mahé und der ersten Großdisco, dem Teatro, setzte er schon vor 40 Jahren neue Maßstäbe im Grazer Nachtleben. Seit 2004 bewahrt er mit dem Kaiserfeld die Altwiener Kaffeehauskultur vor dem Aussterben in Graz. Aber eigentlich ist Rudi Lackner Ideengeber, Visionär, Stadtentwickler, Original.

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Es gibt Kaffeehäuser und es gibt Kaffeehäuser. Das Kaiserfeld ist ein Kaffeehaus. Niemand sagt, dass das jetzt leicht zu verstehen ist. Ein gutes Kaffeehaus ist wie Kunst. In erster Linie muss es sich gut anfühlen, gefallen vielleicht, muss eine Saite zum Schwingen bringen, die nicht unbedingt erklärbar ist. Unverschämt ansprechen sollte es einen, nicht schamlos, sondern ohne falsche Scham, was ja ein großer Unterschied ist. Als Wanderer auf den Wegen der Abschweifung darf man postulieren, dass Architektur sprechen kann. Diese nicht beweisbare, aber glaubhafte Annahme verträgt sich auch gut mit dem Gedanken, dass die Schönheit der Dinge in der Seele dessen lebt, der sie betrachtet. Auch wenn er es nicht so gespreizt formulieren würde, Kaffeehausinhaber Rudolf »Rudi« Lackner weiß Bescheid, weil er unternehmerisch und mit Herzschlag agiert.

Das hat er in den letzten 40 Jahren bereits mehrmals eindrücklich gezeigt. 1976 mit der exklusiven Diskothek Mahé und 1983 mit dem loftig-großzügigen Teatro. Seit 2004 setzt er mit dem Café Kaiserfeld ebenfalls Maßstäbe. Wie macht das der stets mit beeindruckender Liebenswürdigkeit auftretende Gastronom? Die Bezeichnung Gastronom indes greift nicht weit genug – wer Zeitgeist, Lebensgefühl und Atmosphärisches seit Dezennien so punktgenau im Visier hat, gestaltet das Unfassliche selbst mit. »Den Stuck im Lokal habe ich selbst entworfen. Ausgeführt hat ihn ein Musiker von den Paldauern«, erklärt er seinen Zugang, der nur scheinbar einfach erscheint. Tatsächlich gehört er zur seltenen Spezies derer, die sich vor Beginn von Umbauten für kleine Ewigkeiten in die leeren Räumlichkeiten begeben und offenbar in der Lage sind, sie zu »lesen«, Schwingungen einzufangen und mit ihren Good Vibrations zu kommunizieren. Weil Architektur eben sprechen kann, siehe oben.

Moderate Preise
Kaffeehaus also. Aber eines, in das alle kommen – von seinem Zielpublikum. In der Früh ab halb acht zum Frühstücken, zu Mittag – vor allem zu Mittag –, um eines der beiden Menüs zu konsumieren, abends bis 22 Uhr sowieso. Qualität ist bei Rudi Lackner selbstverständlich. Wenn »Rindfleisch« auf der mit Kreide beschriebenen Menütafel vor der Tür steht, dann ist es immer ein Tafelspitz. Sein Publikum weiß das, erwartet das und schätzt das. Ein ziemlich guter Grund, wiederzukommen. Dass die Preise moderat sind, wird natürlich ebenfalls geschätzt. Wo gibt es schon noch die (fleischlose) Menüspeise unter sechs Euro? Den großen Braunen unter 3,50, das Achterl unter vier? Gerade bei Kaffee und Wein zeigt sich heute die Bodenständigkeit dessen, der in den Neunzehnachtzigerjahren für ein Cola seinerzeit unverschämte 54 Schilling verlangt hat. Im Teatro (1983 bis 2003, heute »p.p.c.«) war der Begriff »Großzügigkeit« weit gefasst. Da kamen an einem Abend oft über tausend Gäste. Und bezahlten Eintritt, damals keine Selbstverständlichkeit.

Vorbild für Mahé
Im Nachhinein betrachtet war das Mahé noch legendärer. Als er es 1976 in der Grazer Trauttmansdorffgasse aufsperrt, war Rudi Lackner gerade einmal 25 Jahre alt und schöpft gleich aus dem Vollen. Kostspielige Wurzelholzeinrichtung aus Rom, edle Materialien von Leder bis Stein, Palmen statt Blümchen und der exotische Name einer Insel, die damals noch in keinem Reiseprospekt stand. Im Gegensatz zur Insel Mykonos, wo er im Urlaub das Vorbild für diesen seinen Club fand: »Das war das Nine Muses, ganz elitär, teuer, schwer reinzukommen und Leute wie Mick Jagger haben dort abgetanzt.« Mit dem Mahé wurde dann »der junge Jet-Set von Graz« bedient (O-Ton Lackner). Die anderen waren im (bereits 1973 eröffneten) Push’n’Pull von Nikolaus »Niki« Pfusterschmid (dem späteren Ska).

Discofever
Außer an der Uni herrschte im Graz der 1970er Jahre eine urbane Melancholie vor, die auch die mit einigen Jahren Verspätung registrierten Studentenproteste mühelos neutralisierte. Erst ab 1977 brachte John Travolta mit dem Film »Saturday Night Fever« ein bisschen Schwung ins Nachtleben und sorgt heute für verblasste Discoerinnerungen an »Bojangles«, »Monte Carlo« und »Gottinger«. Ebenso Geschichte, aber mit mehr Glanz ist eine weitere Diskothek, die noch früher eröffnet hat – Zeitzeugen widersprechen sich, Google versagt diesbezüglich – und die ebenfalls für die Hautevolee von Graz zuständig war: das L’Équipe von Jörg Slavnitsch in Mariatrost. Mahé und L’Équipe spielten in einer höheren Liga: »Für unsere Eishockey- und Fußballmatches zwischen den jeweiligen Gästen haben wir gleich das Liebenauer Stadion angemietet. Kleine Zeitung und Kronen Zeitung haben berichtet, die hat jeder gelesen, und damit war das Medienecho enorm«, so Lackner über die Zeiten vor Internet und digitalen sozialen Netzwerken.

Von N. Y. zum Teatro
Nach dem Verkauf des Mahé im Jahr 1982 wurde es noch einige Jahre weitergeführt, mutierte dann zum Castello und schließlich zum Office. Lackner spürte unterdessen dem Zeitgeist in New York nach, wandelte auf den Spuren des legendären Studio 54, fand das Palladium, The World, The Tunnel, das Underground. Dort erkannte er den Trendwandel vom eleganten Club zu großen, massenweise Gäste fassenden Lokalitäten und baute in Graz eine alte Textilfabrik im Lendviertel zum Teatro um; eine Großraumdiskothek mit Loftatmosphäre, eine Stahlkonstruktion mit Beleuchterbrücken und mehreren Tanzflächen; aus riesigen Tonanlagen vom Feinsten, eingemessen von Toningenieuren der TU Graz (Lackner: »Da hat nichts mehr vibriert oder getscheppert, das waren richtige Freaks.«), tönte unter Mithilfe von Gast-DJs und den von dicken Linsen gebündelten Lichtsäulen die Musik der Achtziger. Aber immer das Neueste, nicht das, was man aus dem Radio kannte. Rudi Lackner erzählt: »Wir haben in den angesagten Clubs mit Kassettenrekordern die Musik mitgeschnitten, um sie in Läden wie Power Records in New York bei Spezialverkäufern kurz vorzuspielen und so einkaufen zu können.« Donnerstags war Soul-Seduction-Abend, jeden Tag eine andere Musikrichtung. Die Gäste kamen in Scharen. Der früh verstorbene Kärntner Hannes Lackner baute im oberen Stock das Café Neubau dazu, das später zur Diskothek Bronx mutierte. Der Namensvetter hatte zuvor mit dem Café Harrach in Uninähe eine Stilikone von Kaffeehaus erschaffen. Nach 20 Jahren war für Rudi Lackner Schluss mit Disko, aber mit dem Café Kaiserfeld könnte er einen zeitlosen Klassiker kreiert haben. Ganz so wie es das in Graz allerdings aussterbende Altwiener Kaffeehaus ist, von dem es mit dem Weitzer im gleichnamigen Hotel so ziemlich das letzte seiner Art gibt.

Konservativ. Seriös. Bürgerlich.
Also Kaffeehaus. »Mein Zielpublikum beginnt etwa ab 35 Jahren bis zu Pensionisten«, definiert er und blickt zufrieden um sich. Zu Mittag kommen viele Businesskunden, dafür sorgen im Geschäftsviertel die zahlreichen Banken, die nahen Gerichte, die Ärztekammer oder das Joanneum. Aber auch viele Gäste aus der Diskozeit sind gefolgt und geblieben. »Vor allem die, die etwas geworden sind«, meint er, »viele Juristen und Anwälte, Architekten, Ärzte oder Journalisten.« Viele kennen einander, man kennt sich, Rudi kennt alle, fast, wenn nicht, fragt er jemand, wer das eben war – das muss man sich merken, das muss man auch können. Woher? »Ich bin im Gasthaus aufgewachsen und von klein auf gewohnt. Mir hat das immer gefallen: Man braucht nicht fortgehen, die Leute kommen zu einem.« Das Gasthaus in Allerheiligen bei Wildon gibt es nicht mehr, aber die ehemalige Wirtin Sophie, die 95-jährige Mutter der drei Lackner-Brüder, lebt noch immer im selben Haus im ersten Stock. Sein Ziel, »ein angenehmes Lokal zu machen, das auch gemütlich ist«, hat der Vater von zwei Söhnen (25 und 28 Jahre alt) mit dem Kaiserfeld und mit Hilfe von durchschnittlich 10 bis 14 Mitarbeitern zweifelsfrei erreicht. Es klingt einfach, wenn er erläutert, dass die »Mischung aus Qualität, Preis und Atmosphäre stimmen muss.« Es ist auch diese typisch gründerzeitliche enorme Raumhöhe von sechs bis sieben Metern, wie in alten Wiener Kaffeehäusern, die akustische, olfaktorische und sonstige sinnliche Frequenzen beeinflusst. Oder liegt das Geheimnis vielmehr in den vielen Unikaten und Besonderheiten, die Rudi Lackner zusammengetragen hat? Der Stuck, der riesige Luster (»aus dem Palais Ferstel«), sogar über den Boden weiß er kältetechnische Feinheiten zu erläutern oder über Qualität und Abstand der Sitzgelegenheiten, damit auch vertrauliche Gespräche ungestört möglich sind. Eine große Rolle spielt natürlich auch hier die Person des Wirts, ohne den bekanntlich die Rechnung nicht gemacht werden kann. Sein Umgang mit Prominenz, sein Bezug zu den Gästen, denen er sich allesamt verbunden und nahe fühlt, ist sowohl persönlich wie auch professionell. Rudi Lackner weiß schon, warum der Nichtraucherbereich nach dreimaligem Besuch und entsprechender Erlaubnis von Arnold Schwarzenegger »Governor’s Room« heißt.

Der Stadtentwickler
Als offiziell von Medien tituliertes »Grazer Original« fügt sich Rudi Lackner so perfekt wie beiläufig in seine natürlich Rolle und ist bekannt dafür, über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen, wenn er Dinge und Sichtweisen, aber auch sich selbst immer wieder neu erfindet. Und etwa einen zweistöckigen Gastgarten ohne Parkplatzverlust einreicht, mit unzähligen Ämtern Konsens- und Umsetzungsmöglichkeiten erörtert, dabei die Rolle von sich, aber auch anderen als Unternehmer ins rechte Licht rückt und es nicht aufgibt, stadtentwicklungspolitisch neue Wege vorzuschlagen. Von der Einbeziehung der Kaiserfeldgasse in die innerstädtische Flaniermeile rund um die Herrengasse durch Änderung des Straßenbelags bis zur Beleuchtung der zahlreichen Bäume (»Unter den Linden«) in der Gasse. Oder des Schloßbergs durch Umwandlung in ein Ausgehviertel voller Galerien, kleiner Speiselokale und Szeneplätzen vom Uhrturm bis zu den Kasematten. Der jugendliche 64-jährige Cafetier sprüht nur so vor Ideen, denen es keineswegs an Hand und Fuß mangelt, und neben der Gabe inspiriert und inspirierend zugleich zu sein, wirkt er auch noch motivierend und ansteckend. Im Café Kaiserfeld herrscht akute Ansteckungsgefahr.

Café Kaiserfeld
8010 Graz, Kaiserfeldgasse  19–21
Telefon 0664 5951004
kaiserfeld.blog.com

Fazitportrait, Fazit 117, (November 2015) – Foto: Marija Kanizaj

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