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Mekka der Gewürze

| 4. Juli 2016 | Keine Kommentare
Kategorie: Fazit 124, Fazitportrait

Foto: Marija Kanizaj

Auf der Suche nach mehr Abwechslung machte Manfred van den Berg seine Leidenschaft zum Beruf und versorgt seither Graz und seine Onlinegemeinde mit hunderten verschiedenen Gewürzen und regionalen Spezialitäten. Was man aus einer Bank alles machen kann, was Tonka ist und warum die Geschmacksmanufaktur so gut in die Annenstraße passt, davon handelt diese scharfe Geschichte.

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Annenstraße. Ach, Annenstraße, wärst du ein Mensch, wäre die Sache letal ausgegangen. So aber kämpfst du dich durch den Prozess der Wiederauferstehung, und das ist gut so. Und wäre ich ein Musiker, so würde ich dir ein Lied schreiben; das handelte von deiner einstigen Pracht als Hauptgeschäftsstraße der Stadt und deiner Sogwirkung, die einen Herrn Kastner – oder war es der Herr Öhler? – vom Hauptbahnhof bis ins nahe Zentrum führte, um dort spontan ein Großkaufhaus zu gründen, es handelte von deinen Stars und deinen Groupies unter den Mietern, deinem Altern, deinem Niedergang, deiner Wiedergeburt. Ich sänge von Refugees und Eingeborenen, die mit der wandlerischen Sicherheit von Nomaden brachliegende Weideplätze neu beleben und wie das auch die alten Äcker zu neuer Blüte brächte.

Clever, easy und trendy
Van den Berg ist so ein Beispiel. Der stylische Laden auf halbem Weg zwischen Roseggerhaus und Annenhofkino hat sich nach kurzer Zwischenstation ein paar Häuser davor in wenigen Jahren als erste Adresse für hochwertige Gewürze etabliert. Manfred van den Berg, dessen Name von einem holländischen Großvater herrührt: »Nachdem wir im Herbst 2012 angefangen haben, hat sich das Weihnachtsgeschäft dermaßen gut entwickelt, dass wir in das größere Geschäftslokal gesiedelt sind.« Dabei handelt es sich um jene 180 Quadratmeter, die zuvor von der Steiermärkischen Bank bespielt wurden. Ein ziemlicher Sprung für einen Einzelkämpfer, der 2010 von zu Hause aus mit dem Onlinehandel von Gewürzen begonnen hat. Heute sorgen drei Mitarbeiter dafür, dass der Laden läuft. Denn van den Berg, kurz VDB, ist nicht immer da. Hauptberuflich ist der 40-jährige Hak-Absolvent eigentlich für Patientenmanagement und Rezeptionsleitung in den beiden Grazer Krankenhäusern der Barmherzigen Brüder zuständig. Eigentlich, denn er konnte seinen Job auf 50 Prozent reduzieren und durch die Zwölfstundendienste verfügt er über entsprechend viel Freizeit, die ihm für sein Geschäft zur Verfügung steht. Das ist so clever, easy und trendy, sprich am Puls der Zeit, wie der ganze Laden. Der Großteil der auf Reduktion basierenden Einrichtung besteht aus einer Art gestylter Obststeigen, die mit der Öffnung nach vorne beliebig stapelbar sind und somit als Regale dienen, die noch dazu angemietet werden können. So kommt hier ein sehr variables Angebot zustande, das sich vorwiegend aus regionalen Spezialitäten mit Ausreißern bis nach Griechenland (Olivenöl) zusammensetzt.

Corporate Design
Schlicht und kühl ist auch das Design für die Präsentation der Hauptdarsteller der Geschmacksmanufaktur VDB: Die Gewürze lagern geschützt in eckigen, einheitlich gleich großen Weißblechdosen, die wie silbrig glänzende Aktenordner aussehen, versehen mit einheitlich schwarzen Etiketten mit VDB-Logo und einheitlicher Kunstschrift auf einem riesigen Regal aus Metall und jenem wiederverwertet anmutenden Holz, aus dem auch das kleine Tischchen davor ist – nur grob abgeschliffen, mit Lackresten und lässig unperfekt. Zusammen mit den gestreiften Sitzbezügen der zwei Sesselsofas ein anmutiger Kontrapunkt zum perfekten Corporate Design. Das es in seiner Geradlinigkeit auch erlaubt, ein üppig geschnitztes, wunderbar altmodisches, abgelaugtes Pultmöbel neben einem glatten schwarzen Tresen stehen zu haben. Das feine Gespür von Manfred van den Berg zeigt sich auch auf der von ihm selbstgemachten VDB-Homepage, die eine darauf spezialisierte Werbeagentur nicht besser hätte hinkriegen können.

Online ist in
Der Zug zu technischen Machbarkeiten, die selbstverständliche Einbeziehung der digitalen Realität schlägt sich stark im Geschäftskonzept nieder: Alles kann über den eigenen Onlineshop geordert werden, sogenannte Gewürzabos eignen sich besonders als Geschenkidee. Sechs oder zwölf Monate lang erhält man dabei monatlich zwei Gewürze oder Gewürzmischungen. Zu den erwähnten regionalen Spezialitäten gehören etwa Kernöl aus Kalsdorf, Magmalade (Pfefferonimarmelade) aus dem Vulkanland, Apfelwein, verschiedene Essigsorten oder Liköre (einer ist von VDB selbst gemacht und heißt Limoncello). In den ehemaligen Tresorräumen im Keller hat VDB zwei Untermieter, deren Produkte ebenfalls im Laden vertrieben werden: Die Marmelademacherin Andrea Possaner und die Pralinenproduzentin Bettina Eckhard sorgen für süße wie bunte Farbtupfer im Angebotsreigen. VDB vermarktet neben zwei fremden auch einen selbst kreierten Gin. »Vor etwa zwei Jahren ist vor allem im Großhandel die Nachfrage nach Wacholderbeeren sprunghaft gestiegen, weil ein Trend zu Gin eingesetzt hat.« Ein fahrender Zug, auf den er gern aufgesprungen ist. »Gin ist ein schnelles Produkt und in zwei Monaten fertig. Er besteht aus 80-prozentigem neutralen Alkohol, meist aus Korn, einer Gewürzmischung und dem Destillationsvorgang.« Sein Gin hat 44 Prozent und die Gewürzmischung ist selbstgemacht, alles easy für VDB – auch das dazugehörende Hintergrundwissen. Wer schon immer wissen wollte, wie Gin Tonic entstanden ist – hier die VDB-Story: Die englischen Kolonialisten in Indien litten nicht nur unter der Malaria, sondern auch unter der Medizin gegen diese Krankheit, dem Chinin aus der Chinarinde. Das schmeckte so scheußlich, dass sie das in Sodawasser gelöste Chinin mit Gin mischten – Gin Tonic ward erfunden.

Zimt ist nicht gleich Zimt
Womit wir endlich beim eigentlichen Kernthema sind: Gewürze und Gewürzmischungen, VDBs Leidenschaft. Und deshalb weiß er darüber auch Bescheid wie kaum ein anderer – und gibt gern Auskunft. Grundsätzlich geht es bei Gewürzen ums Ausprobieren, das kann einem niemand abnehmen. Aber Motivation und Mut dazu kann man vielleicht aus einer kleinen Reise durch die Welt der Gewürze bekommen. Aber wo beginnen? Salz? Naja, salzig ist ohnehin eine von fünf Geschmacksempfindungen (inklusive umami). Reiseleiter VDB: »Außerdem ist Salz kein Gewürz, sondern ein anorganischer Stoff. Und braucht seit 2014 kein Haltbarkeitsdatum mehr.« Soviel zum Lebensmittelkodex (strenge Kammer). Pfeffer? Gutes Beispiel, denn für Schärfe gibt es keine Geschmacksknospen. Was schmecken wir dann bei Pfeffer? Stopp, Pfeffer ist leider VDBs Lieblingsthema, das kann dauern, daher später mehr. Was ist mit dem teuersten Gewürz? Safran, vom Krokus (nicht vom heimischen). Wenn er billig im Basar angeboten wird, ist es Saflor von der Färberdistel – färbt auch gelb, schmeckt aber nach nichts. Zimt? Der unechte Zimt heißt Cassia, riecht intensiv, während der echte Zimt Ceylon heißt und wesentlich feiner ist. (Ich hätte ihn als Ceylon kaum erkannt.) Cassia enthält viel Cumarin, das gesundheitsschädigend ist, und wird leider oft mit Ceylon verschnitten. Dazu passen die Tonkabohnen: Samen des Tonkabaumes haben einen süßlichen, der Vanille ähnlichen Geschmack und werden deshalb als Vanilleersatz verwendet. Als Gewürz werden sie sehr sparsam in Desserts verwendet, die häufig auf Mohn oder Kokos basieren. Daneben benutzt man sie in Keksen und Kuchen. Sie sind sehr hart und werden am besten mit einer Muskatreibe abgerieben. Für Desserts auf Sahne- oder Milchbasis werden die Bohnen etwa zehn Minuten ausgekocht (sie können bis zu zehn Mal verwendet werden). Ebenso können sie auch in Rum eingelegt werden. In den USA ist die Verwendung der Tonkabohne in Lebensmitteln wegen des hohen Cumaringehalts schon seit 1954 verboten. Seit 1991 in der EU in geringen Mengen in Speisen erlaubt. Dann lieber Vanille? Hat jedenfalls eine gute Story: Darf nur dann Bourbonvanille heißen, wenn sie von den ehemaligen Bourboninseln kommt (Madagaskar und La Réunion – wieder was gelernt). Ist eine Orchideenart, deren grüne Schoten nach nichts bis bestenfalls Gurke schmecken und daher erst zur Fermentation gebracht werden müssen. Teuer, aber synthetisch leicht herstellbar. Stammt aus Mexiko, nur dort ist eine natürliche Bestäubung durch endemische Bienen- und Kolibriarten möglich (!). Überall sonst: nur künstlich und das erst seit 178 Jahren (immerhin). Dass Gewürze auch gesundheitsfördernd sein können, zeigt etwa der Sternanis. Die Frucht des immergrünen Magnolienbaumes Südostasiens ist Ausgangsstoff für das Grippemittel Tamiflu. Die Dosis ist es bekanntlich, die das Gift macht.

Apropos Krankheit und Tod, Zeit für die Fazitportraitabschweifung ganz im Sinne Harry Rowohlts. Ich will herausfinden, was die Leute so handeln lässt, wie sie handeln. Könnte von mir sein, ist es aber nicht. Sondern von Ernest Becker, Wissenschaftler, Schriftsteller und Nachforscher zur Frage, wie die Angst vor dem Tod unser Leben beeinflusst. Schweres Thema? Naja schon, aber so allgegenwärtig. Weil es dabei auch um Angriffe auf die kulturelle Identität geht, etwa durch Terroristen. Die neuere Forschung (Becker ist schon in den Neunzehnsiebzigerjahren gestorben) glaubt, dass uns die bloße Erinnerung an unsere Sterblichkeit unerbittlicher und feindseliger macht. Wenn das stimmt, sind Sie jetzt schlechter drauf als gerade vorhin, ist es so? Irgendwie glaube ich das nicht, ich glaube, es kommt auf die Disposition an, die man hat. Jedenfalls soll ja der Mechanismus der Verleugnung helfen und – jetzt landen wir wieder bei Harry – die Abschweifung, diesfalls im Sinne von Ablenkung. Zum Beispiel durch Kunst; als Schutz vor dem Schrecken unserer Endlichkeit, als Weg, den Tod zu verleugnen. Zur Not tut’s vielleicht eine Fußballeuropameisterschaft auch.

Ein Dutzend Pfeffersorten
Die Überleitung zum Pfeffer ist jetzt nicht ganz einfach, aber durchaus schlüssig. Wie wir alle nicht wissen, ist Pfeffer gesund, und das sagen nicht nur Pfefferproduzenten und -händler. Zumindest regt sein Wirkstoff, das Alkaloid Piperin, den Speichelfluss, die Magensäfte und den Stoffwechsel an, der Appetit soll steigen. Und er schmeckt wie erwähnt also nicht scharf, sondern – heiß, er »brennt«. Er ist das beliebteste Gewürz der Welt, wurde im Mittelalter mit Gold aufgewogen, soll bei Unpässlichkeiten wie Husten, Rheuma, Krämpfen, Verdauungsproblemen und unreiner Haut helfen und außerdem aphrodisierend wirken. Im Gegensatz zum Mönchspfeffer, der, wie etwa der rosa Pfeffer oder der Szechuanpfeffer, gar kein Pfeffer ist. Wie natürlich auch Cayennepfeffer kein Pfeffer, sondern eine Chilisorte ist, ein Paprika. Urwaldpfeffer, langer Pfeffer, tasmanischer Pfeffer oder Assampfeffer sind wiederum echte. Und dass grüner Pfeffer einfach unreif, schwarzer unreif, aber fermentiert, weißer reif, aber geschält und roter reif (und selten) und dass Pfeffer eine Schlingpflanze ist und auch bei uns wächst (im Glashaus) – haben Sie das alles gewusst? Und dass man Pfefferkörner besser nicht mahlt, sondern im Mörser zerstößt, damit sich die aromagebenden ätherischen Öle nicht verflüchtigen? Und wissen Sie jetzt auch, wohin man mit den zwei Seiten langen Gewürzlisten aus Jamie Olivers Kochbüchern gehen kann? Genau, in die gute alte Annenstraße.

Van den Berg, Gewürze und Spezialitäten
8020 Graz, Annenstraße 25
Telefon 0316 714884
vdb.co.at

Fazitportrait, Fazit 124 (Juli 2016) – Foto: Marija Kanizaj

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